Drucksache 17 / 13 913 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN) vom 28. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juni 2014) und Antwort Katastrophenschutzplan Forschungsreaktor BER II Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Im Rahmen der Sicherheitsbetrach- tungen im Genehmigungsverfahren nach § 7 des Gesetzes über die friedliche Nutzung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz – AtG) wurden alle Gefahrenquellen berücksichtigt und vorbeugende Maßnahmen für die Vermeidung von Störfällen getroffen. Der Katastrophenschutzplan deckt darüber hinausgehend denjenigen Bereich der Ereignisse ab, die derart unwahr- scheinlich sind, dass gegen sie von der Betreiberin im Rahmen der Genehmigung keine Vorsorge verlangt wer- den konnte. Die Maßnahmen nach Katastrophenschutz- plan dienen also ausschließlich dazu, die Wahrscheinlich- keit des Eintritts nachteiliger gesundheitlicher Folgen oder Schäden für die Umwelt weiter herabzusetzen. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass selbst der schwerste denkbare Unfall im Forschungsreaktor nicht zu akuten („somatischen“) Strahlenschäden bei Personen außerhalb des Institutsgeländes führt. Der Begriff GAU (Größter Anzunehmender Unfall) stammt aus der Frühzeit der Kerntechnik und beschreibt ein Ereignis, gegen das eine genehmigte Anlage ausgelegt ist. Statt von GAU spricht man heute von einem Ausle- gungsstörfall. Auch für diesen Fall haben die Sicherheits- systeme der Anlage zu gewährleisten, dass die Strahlen- belastung außerhalb der Anlage die nach der Strahlen- schutzverordnung geltenden Störfallgrenzwerte nicht überschreitet. Ein Auslegungsstörfall muss von der Anla- ge also vollständig beherrscht werden. Ein Flugzeugabsturz wäre im Gegensatz dazu ein aus- legungsüberschreitendes Ereignis, gegen das die Anlage nicht ausgelegt ist. Dennoch existieren Schutzeinrichtun- gen, die die Auswirkungen auf die Umgebung verhindern sollen bzw. sie minimieren. Frage 1: Hat das Land Berlin für einen GAU (Kern- schmelze infolge eines Flugzeugabsturzes) im For- schungsreaktor BER II Wannsee Katastrophenschutzpläne vorbereitet? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie sehen diese im Detail aus? Sind finanzielle Mittel in Reserve eingeplant?) Antwort zu 1: Bereits mit der Erteilung der Betriebs- genehmigung für den Forschungsreaktor BER II ist auch ein Katastrophenschutzplan für seine Umgebung erstellt und seitdem kontinuierlich aktualisiert worden. Er ent- spricht den Rahmenempfehlungen für den Katastrophen- schutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen („Rahmenempfehlungen“ vom 19.12.2008, Gemeinsames Ministerialblatt [GMBl.] Nr. 62/63). Der Katastrophenschutzplan steht der Öffentlichkeit zur Einsichtnahme zur Verfügung. Die wesentlichen Maßnahmen finden sich auch in der Broschüre, die die Betreiberin gemäß Strahlenschutzverordnung alle fünf Jahre zu erstellen und zu veröffentlichen hat (http://www.helmholtz-berlin.de/media/media/oea/web/ne ws/pdfs/hzb_notfall_brosch_15_final.pdf). Die Bildung von finanziellen Reserven für einen aus- legungsübergreifenden Unfall ist dem Senat durch § 6 der Landeshaushaltsordnung (LHO) untersagt. Ein Unfall der hier diskutierten Art würde statt dessen zu unvorhergese- henen und unabweisbaren Ausgaben der in § 37 LHO genannten Art führen. Im Übrigen würden die in Ab- schnitt IV des Atomgesetzes niedergelegten Regeln über die Kostenverteilung zwischen Betreiberin, Land und Bund anzuwenden sein. Frage 2: Wie groß sind die vorgesehenen Sperrzonen? Antwort zu 2: Der Katastrophenschutzplan für die Umgebung des Forschungsreaktors sieht keine Sperrzo- nen vor. Für die Planung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung wurden, ausgehend von Annahmen zu ei- nem abdeckenden Unfallszenarium, in Verbindung mit den Eingreifrichtwerten der „Rahmenempfehlungen“ Maßnahmen abgeleitet. Diese gestalten sich folgenderma- ßen: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 913 2  In einem Bereich von bis zu 8 km um die Anlage würde es eine Empfehlung an alle Personen geben, geschlossene Räume aufzusuchen.  In dem durch die herrschende Windrichtung betroffenen Sektor würde gegebenenfalls bis zu einer Entfernung von maximal 4 km die Einnahme von Jodtabletten für alle Personen (Kinder und Er- wachsene) unter 45 Jahren empfohlen.  In einem Bereich bis maximal 20 km würde gegebenenfalls in den betroffenen Gebieten die Ein- nahme von Jodtabletten für Kinder und Jugendli- che unter 18 Jahren und Schwangere empfohlen.  In einem Umkreis von 500 m und eventuell sektorenweise darüber hinaus in einem Bereich bis zu 2 500 m – abhängig von der herrschenden bzw. erwarteten Windrichtung und -stärke – wäre gegebenenfalls eine zeitweilige Evakuierung durch- zuführen. Frage 3: Welche Ressourcen stehen zum Containment des havarierten Reaktors zur Verfügung? Antwort zu 3: Der Forschungsreaktor BER II besitzt kein Containment im Sinne einer vollständigen dickwan- digen Druckkuppel, wie sie deutsche Kernkraftwerke besitzen. Wohl aber besitzt der Reaktor ein Reaktorbe- cken aus Stahlbeton mit einer Wandstärke von über 2 m. Frage 4: Stehen diese im Land Berlin einsetzbar be- reit? Wenn nein, wie schnell sind diese vor Ort? Antwort zu 4: Siehe Antwort zu Frage 3. Frage 5: Wie soll die Bevölkerung informiert werden? Wie schnell kann dies geschehen? Antwort zu 5: Im Ereignisfall wird im unmittelbaren Nahbereich die betroffene Bevölkerung unverzüglich mit Hilfe von Lautsprecherkraftwagen der Berliner Polizei informiert. Ferner ist für die Bevölkerung in der weiteren Umgebung eine Information über die Verkehrsfunksender vorgesehen. Der Prozess der Information der Bevölkerung würde direkt mit der Alarmierung angestoßen. Frage 6: Wohin und womit sollen die unmittelbar be- troffenen Anwohner evakuiert werden? Wer ist für die Unterbringung zuständig? Sind die erforderlichen Räume und Mittel zur Unterbringung bereits vorhanden? Antwort zu 6: Falls bei einem kerntechnischen Unfall am BER II wegen einer Überschreitung der Eingreif- richtwerte der „Rahmenempfehlungen“ eine Evakuierung betroffener Personen notwendig würde, stünden entspre- chende Einrichtungen zu deren Unterbringung zur Verfü- gung. Verantwortlich für die entsprechende Teilplanung ist in Berlin das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Der Einsatzplan der Stadt Potsdam enthält eine entsprechende Regelung. Frage 7: Wie werden die Bewohner des Umlands au- ßerhalb des akuten Gefährdungsgebietes gesichert? Sollen auch sie evakuiert werden? Antwort zu 7: Außerhalb des Gefährdungsgebietes wären keine Katastrophenschutzmaßnahmen nötig. In diesen Gebieten würden die Regelungen des Strahlen- schutzvorsorgegesetzes gelten, die u.a. Verhaltensemp- fehlungen vorsehen. Für die Festsetzung von Maßnahmen nach Strahlenschutzvorsorgegesetz liegt die Zuständigkeit beim Bund. Frage 8: Über welche Kapazitäten zur medizinischen Versorgung von Verstrahlungsopfern verfügt das Land Berlin? Sind zusätzliche Reserven für die medizinische Not- versorgung abgestellt? Wie schnell stehen das benötigtes Material und die da- für vorgesehenen Räumlichkeiten zur Verfügung? Gibt es einen Einsatzplan zur schnellen Mobilisierung zusätzlichen Personals? Antwort zu 8: Die klinische Versorgung von Strahlen- verunfallten werden ausgewählte Kliniken durchführen. Diese Kliniken halten neben einer unfallchirurgischen Expertise auch eine nuklearmedizinische Abteilung vor. Für Berlin sind dies:  Charité Universitätsmedizin – Campus Virchow Klinikum  Helios Klinikum Buch  Vivantes Klinikum Neukölln Zusätzlich steht in Potsdam das Klinikum Ernst von Bergmann zur Verfügung. Das Versorgungsangebot dieser vier Kliniken reicht aus, um die Primärversorgung der Patienten bei allen Szenarien mit ihren maximal möglichen Auswirkungen abzudecken. Alle genannten Kliniken verfügen über das notwendige Messequipment. Die Messverfahren sind mit dem Helmholtz-Zentrum Berlin, dem RSZ (Regionales Strahlenschutzzentrum) und der IKM (Inkorporations- messstelle) abgestimmt worden. Im Falle einer Kontami- nation der Strahlenopfer wird eine notwendige Raumord- nung mit Isolation und Kanalisation des Patientenflusses erfolgen. Dekontaminationseinheiten werden vorgehalten. Der Einsatzplan für Strahlenunfälle ist in den klinikinter- nen Alarmplan integriert. In diesem Plan sind alle not- wendigen Maßnahmen zur Alarmierung, zur Raumord- nung und zu den materiellen Reserven festgelegt. Berlin, den 12. Juni 2014 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Juni 2014)