Drucksache 17 / 13 919 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christopher Lauer und Alexander Spies (PIRATEN) vom 28. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juni 2014) und Antwort Pflegenotstand in Berlin (II): Überlastungsanzeigen in landeseigenen Krankenhäusern Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht allein aus eigener Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen. Um die Fragen dennoch beantworten zu können, hat der Senat daher die Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH und die Charité – Universitätsmedizin Berlin um Stellungnahmen gebeten, die von dort jeweils in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie sind in die Antworten einbezogen. 1. Was ist eine Überlastungs-/Gefährdungsanzeige und aus welchem Grund wird sie von wem erstellt? 2. Wie viele Überlastungs-/Gefährdungsanzeigen sind in den landeseigenen Krankenhäusern in Berlin in den Jahren seit 2008 jeweils eingegangen? (Bitte nach Jahr und Krankenhaus aufschlüsseln.) Falls hierzu keine statistischen Daten vorliegen, was sind die Gründe dafür? 3. Welche Arbeitsbereiche (Pflegebereich, ärztlicher Bereich etc.) in den landeseigenen Krankenhäusern sind hiervon nach Erkenntnissen des Senats besonders betrof- fen? Zu 1. – 3.: Überlastungsanzeigen dienen der Anzeige einer Überlastungssituation und beziehen sich auf gesetz- lichen Regelungen (§ 242 BGB, § 15 (1) und § 16 Arb- SchG). § 242 BGB verpflichtet u. a. die Beschäftigten, ihre Arbeitsleistung so zu erbringen, „wie Treu und Glauben auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Die Beschäftigten haben gemeinsam mit der Betriebsärztin bzw. dem Be- triebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit die Arbeitgeberin bzw. den Arbeitgeber darin zu unterstützen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftig- ten bei der Arbeit zu gewährleisten und ihre bzw. seine Pflichten entsprechend den behördlichen Auflagen zu erfüllen. Unbeschadet davon sollen die Beschäftigten von ihnen festgestellte Gefahren für Sicherheit und Gesund- heit und Mängel an den Schutzsystemen auch der Fach- kraft für Arbeitssicherheit, der Betriebsärztin bzw. dem Betriebsarzt oder der bzw. dem Sicherheitsbeauftragten nach § 22 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch mitteilen. Die Anzeige ist von der überlasteten Arbeitnehmerin oder dem überlasteten Arbeitnehmer an die Arbeitgeberin bzw. den Arbeitgeber bzw. die Vorgesetze oder den Vorgesetz- ten zu richten. Eine Überlastungsanzeige bedarf grund- sätzlich keiner bestimmten Form. Sie kann also sowohl mündlich als auch schriftlich der verantwortlichen Sta- tions- bzw. Dienstleitung oder auch der Arbeitgeberin bzw. dem Arbeitgeber mitgeteilt werden. Sie dient auch dazu, der Arbeitgeberin bzw. dem Arbeitgeber bzw. den Führungskräften Mängel zu verdeutlichen (z .B. unzu- reichende personelle Besetzung) mit dem Ziel, Änderun- gen zu erreichen. Die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeit- nehmer bleiben jedoch grundsätzlich in der Pflicht, ihre bzw. seine Dienstleistung unter Berücksichtigung der Weisungen mit der erforderlichen Sorgfalt zu erbringen. Individuelle Fehler der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeit- nehmers führen immer zu einer Mithaftung. Sie bzw. er darf dann also beispielsweise nicht Vorschriften missach- ten, um den Arbeitsanfall bewältigen zu können, da ihr bzw. ihm sonst im Schadensfall ein „Verschulden durch Unterlassen bzw. durch Fahrlässigkeit“ treffen kann. Sie bzw. er muss darüber hinaus alle ihr bzw. ihm zur Verfü- gung stehenden organisatorischen Möglichkeiten nutzen, um die bestehende Überlastungssituation zu bewältigen. Falls aufgrund einer Überlastung eine Schädigung der Gesundheit der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers oder einer anderen Person eintritt, ergibt sich bei Beach- tung der vorgenannten Sorgfaltspflicht eine haftungs- rechtliche Entlastung der Arbeitnehmerin bzw. des Ar- beitnehmers, wenn sie bzw. er nachweislich zuvor unver- züglich eine Überlastungsanzeige erstattet hat. Hat sie bzw. er keine erstattet, trifft sie bzw. ihn möglicherweise ein „Verschulden durch Unterlassen“. In der Regel sollte eine Überlastungsanzeige daher zur Beweissicherung schriftlich über den Dienstweg und unverzüglich erfolgen. Besteht die Überlastungssituation (personelle Unterbeset- zung, unrealistische Zeitvorgaben) über längere Zeit (z. B. mehrere Monate) fort, ist es sinnvoll, die Anzeige zu wiederholen, da die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber sonst davon ausgehen kann, dass die Überlastung nicht mehr besteht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 919 2 Für den Pflege- und Funktionsdienst der Charité lie- gen 2009 – 157, 2010 – 210, 2011 – 220, 2012 – 390, 2013 – 298, 2014 (Jan.-Mai) – 82 Überlastungsanzeigen vor. Die betroffenen Bereiche sind breit gefächert, eine leichte Tendenz dahingehend, dass eher Normalpflegebereiche als Intensivpflegebereiche betroffen sind, ist erkennbar. Von Vivantes sind keine diesbezüglichen Angaben in der Beantwortungsfrist genannt worden. Die Einführung eines entsprechenden Formulars für Überlastungsanzeigen war bei Vivantes proaktiv und wurde in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat entwickelt. Eine Überlastungsanzeige wird bei Vivantes prinzipiell an die zuständige Führungskraft gerichtet, die den angegebe- nen Umständen nachgeht. Auch der Betriebsrat erhält eine Kopie. Inhalt einer Überlastungsanzeige sind neben der Bezeichnung der betroffenen Personen/Schicht Angaben zu Ort, Zeitpunkt und Situation der Überlastung. Die Überlastungsanzeigen werden im Bedarfsfall von allen Berufsgruppen genutzt. 4. Wie hat sich in den Jahren seit 2008 in den jeweili- gen landeseigenen Krankenhäusern in Berlin die Sterb- lichkeit/Häufigkeit von Komplikationen bei Patient*innen entwickelt? (Bitte nach Jahr und Krankenhaus aufschlüs- seln.) 5. Gibt es auffällige Zusammenhänge bei Überlastungs -/Gefährdungsanzeigen bzw. Sterblich- keit/Häufigkeit von Komplikationen bei Patient*innen in den landeseigenen Krankenhäusern/Arbeitsbereichen und wenn ja, wie erklärt sich der Senat diese? Zu 4. und 5.: Für beide Landesunternehmen ist es nicht möglich, detaillierte statistische Angaben zu tätigen. Bezüglich der Sterblichkeit ist aus der Sicht der Cha- rité kein klarer Trend erkennbar. Entscheidend für die Sterblichkeit sind der Schweregrad der Krankheit und die Ausgangssituation der Patientin bzw. des Patienten. Komplikationen stationärer Behandlungen sind nicht einheitlich definiert und entsprechend nicht systematisch auswertbar. Für den im Rahmen der vergleichenden Qua- litätssicherung erfassten, oftmals als Generalindikator für die Qualität der Pflege angesehenen Wert der Rate neu aufgetretener Druckgeschwüre zeichnet sich an der Cha- rité beispielsweise eine eher rückläufige Tendenz ab. Auch hier gilt, dass diese Komplikation entscheidend vom Ausgangsniveau der Patientinnen und Patienten abhängt (ein Druckgeschwür z. B. ist bei der langwierigen Be- handlung komatöser Patientinnen und Patienten unabhän- gig von der Qualität der pflegerischen Leistung wahr- scheinlicher als bei mobilen Patientinnen und Patienten, z. B. mit einer Hauterkrankung). Der nachfolgend aufgeführten Vivantes Todesfallsta- tistik der Jahre 2009 – 2013 kann eine relativ kontinuierliche Entwicklung ohne Hinweise auf auffällige Zusam- menhänge bei Überlastungsanzeigen entnommen werden. 6. Wie bewertet der Senat die Arbeitsbedingungen und Personalausstattung in den verschiedenen Arbeitsbe- reichen (Pflegebereich, ärztlicher Bereich etc.) in den landeseigenen Krankenhäusern und welche Konsequen- zen zieht er daraus? Zu 6.: Der Senat geht hinsichtlich Arbeitsbedingungen und Personalausstattung in den landeseigenen Kranken- häusern davon aus, dass diese mit denen in freien und gemeinnützigen bzw. privaten Krankenhäusern vergleich- bar sind. Berlin, den 20. Juni 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juni 2014)