Drucksache 17 / 13 924 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 02. Juni 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juni 2014) und Antwort Vereinigungsfreiheit in den Berliner Knästen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welchen Einschränkungen unterliegt die Vereini- gungsfreiheit von Gefangenen in den Berliner Knästen? Wird der Beitritt zu Vereinen, Parteien oder Gewerk- schaften eingeschränkt? Wird die Ausübung der mitglied- schaftlichen Rechte - abgesehen vom Anwesenheitsrecht bei Veranstaltungen - eingeschränkt? Zu 1.: Der Beitritt eines Inhaftierten zu einem beste- henden eingetragenen Verein, einer zugelassenen Partei oder Gewerkschaftsorganisation ist in keiner Form be- schränkt. Soweit es um die Bildung von Vereinigungen jenseits des besonderen Vereinigungszwecks des Artikels (Art.) 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geht, ist zu berücksichtigen, dass die allgemeine Vereinigungsfreiheit durch den Voll- zug der Freiheitsstrafe zwangsläufig Einschränkungen und/oder Gründungsvorbehalten unterliegt. 2. Worauf beruhen diese Einschränkungen der Verei- nigungsfreiheit aus Art. 9 GG? Welche gesetzliche Grundlage erlaubt die Einschränkung konkret? Zu 2.: Bei der Gründung von Vereinen, Vereinigun- gen und Gesellschaften innerhalb der Justizvollzugsan- stalten unterliegt die Gefangene und der Gefangene der allgemeinen Beschränkung seiner Freiheit nur dann, wenn dieses zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Ab- wendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich ist - § 4 Abs. 2 Strafvollzugsge- setz (StVollzG) -. Nach Art. 9 Abs. 3 GG ist das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Be- rufe gewährleistet. Anders als die allgemeine Vereini- gungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG ist die Koali- tionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG damit als Menschen- recht ausgestaltet. Allerdings wird durch die Formulie- rung „für jedermann und für alle Berufe“ die Grund- rechtsträgerschaft untrennbar mit dem Merkmal einer Berufsangehörigkeit verbunden. Grundrechtsträger sind daher nicht alle Menschen schlechthin, sondern nur alle Menschen in ihrer konkreten Eigenschaft als Berufsange- hörige, was im Hinblick auf den besonderen Regelungs- gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG weiter auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingeengt ist. Wer hiernach arbeitnehmeri- scher Grundrechtsträger ist, beantwortet sich im Wesent- lichen nach Arbeitsrecht, muss hier jedoch auch im Lichte der besonderen Vorgaben des Strafvollzugsrechts beant- wortet werden. Aufgrund der Besonderheiten der Be- schäftigungs-verhältnisse der Strafgefangenen ist insoweit von einer fehlenden Arbeitnehmereigenschaft auszuge- hen, sodass der persönliche Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG hier von vornherein nicht eröffnet ist. 3. Was ist der Grund für das Vorgehen gegen die Gründung einer Gefangenengewerkschaft in der JVA Tegel im Mai 2014? Zu 3.: Am 27. Mai 2014 wurden in der Teilanstalt II und in der Teilanstalt V der JVA Tegel blanko Unter- schriftenlisten mit der Überschrift „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ aufgefunden. Da die Anstaltsleitung und die Teilanstaltsleitungen weder über die Grün- dung einer Gewerkschaft noch über eine Unterschriften- aktion informiert waren, wurde bei den als Sprecher und stellvertretender Sprecher ausgezeichneten Inhaftierten eine Haftraumkontrolle angeordnet. Bei den Durchsu- chungen wurden weitere Unterschriftenlisten aufgefun- den. Eine Anhörung der Inhaftierten fand am 28. Mai 2014 statt. Die Gefangenen bestätigten, dass sie die Initia- toren sind. In Gesprächen mit dem zuständigen Teilan- staltsleiter haben die Inhaftierten ihr Anliegen dargelegt. Vorübergehend aus dem Haftraum entnommene Unterla- gen wurden wieder ausgehändigt. Weiterführende Maß- nahmen wurden nicht veranlasst. 4. Hält der Senat den Zusammenschluss von Gefange- nen zum Erwirken höherer Entgelte für die Arbeit in den Knästen - bis hin zum Mindestlohn - für gefährlich und zu unterbinden? Weshalb? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 847 2 Zu 4.: Die Teilhabe Inhaftierter an der Debatte über einen gesetzlichen Mindestlohn und die Forderung nach einer Rentenversicherung für Inhaftierte sind Gegenstand öffentlicher Diskussionen und können somit auch durch Inhaftierte geführt werden. Mitwirkungsrechte in der Vollzugsgestaltung als Interessensvertretung für eine Gruppe von Inhaftierten könnten indessen nicht eingefor- dert werden. Im Rahmen der somit nach Art. 9 Abs. 1 GG gewährten allgemeinen Vereinigungsfreiheit hat der Bun- desgesetzgeber mit § 160 StVollzG eine einfachgesetzli- che und abschließende Regelung getroffen. Diese Norm gibt Gefangenen und Untergebrachten das Recht, für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse in Form der kollektiven Mitwirkung als gewählte Insassenvertreterin- nen bzw. Insassenvertreter Verantwortung zu überneh- men. Berlin, den 17. Juni 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juni 2014)