Drucksache 17 / 13 956 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 10. Juni 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juni 2014) und Antwort Gilt Artikel 9 Abs. 3 GG auch in Berlins Justizvollzugsanstalten? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass am 27. Mai 2014 der Haftraum des in der JVA Tegel inhaftierten O. R. durchsucht wurde und dort Materialien beschlagnahmt worden sind, weil der Inhaftierte an der Gründung einer „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ beteiligt war? Wenn ja: Welche Gründe sieht der Senat, ein solches Engagement zu unter- binden und welche Gründe waren für die Beschlagnahme von Materialien ausschlaggebend, die im Zusammenhang mit der Gründung dieser Interessenvertretung stehen? Zu 1.: Hierzu verweise ich auf die Beantwortung der Frage 3 der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/13924 vom 2. Juni 2014. 2. Wie steht der Senat zur Forderung, Insassen von Justizvollzugsanstalten für die dort abgeleistete Arbeit nach dem geplanten gesetzlichen Mindestlohn zu vergü- ten? Zu 2.: Der Senat beabsichtigt nicht, Insassen der Jus- tizvollzugsanstalten entsprechend einem geplanten gesetz- lichen Mindestlohn zu vergüten. Die Vergütung der Ar- beit von Gefangenen ist spezialgesetzlich in den vollzugs- rechtlichen Gesetzen und Bestimmungen geregelt. Dem liegt zugrunde, dass die Arbeit und die Entlohnung von Gefangenen strukturell nicht mit der Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar sind. Ein erheblicher Teil der Gefangenen ist nur einge- schränkt in der Lage, den Anforderungen des freien Ar- beitsmarktes zu genügen und konzentriert über viele Stunden zu arbeiten. Deshalb muss vielen Gefangenen durch betreuende Unterstützung am Arbeitsplatz zunächst der Erwerb von Kompetenzen wie Durchhaltevermögen, Konzentrationsfähigkeit und Frustrationstoleranz vermit- telt werden. Die Produktivität von Gefangenenarbeit ist daher stark eingeschränkt. Bereits mit der derzeit beste- henden Entlohnung von Gefangenen wird die Arbeit und Qualifizierung von Inhaftierten in erheblichem Maße staatlich subventioniert. Ergänzend ist anzufügen, dass Gefangene, die inner- halb der Justizvollzugsanstalt arbeiten, von der Zahlung von Haftkosten befreit sind und eine volle, beitragsfreie Gesundheitsfürsorge in Anspruch nehmen können. 3. Wie steht der Senat zur Forderung, alle Insassen von Justizvollzugsanstalten in die gesetzliche Renten- und Sozialversicherung einzubeziehen? Zu 3.: Nach den maßgeblichen Vorschriften des Sozi- alversicherungsrechts sind Gefangene, die Bezüge nach geltenden Vollzugsgesetzen erhalten, in die Unfall- und Arbeitslosenversicherung einbezogen; keine Versiche- rungspflicht besteht zu den weiteren Zweigen der Sozial- versicherung (Kranken-, Pflege- und Rentenversiche- rung). Gefangene, die im Rahmen eines freien Beschäfti- gungsverhältnisses einer Arbeit oder beruflichen Bil- dungsmaßnahme außerhalb der Anstalt nachgehen, unter- liegen der vollen Versicherungs- bzw. Beitragspflicht zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. In Berlin sind ca. 30 % der Strafgefangenen im offenen Vollzug untergebracht, von denen die meisten aufgrund eines freien Beschäftigungsverhältnisses in die externen Versicherungssysteme einbezogen sind. Grundlegende Entscheidungen zur Regelung der Ren- tenversicherung Inhaftierter liegen in der Kompetenz des Bundes. Diese kann aber - sofern es sich nicht allein um beitragsfreie Anrechnungszeiten, sondern um von den Ländern abzuführende Beiträge handelt - nicht unabhän- gig von den daraus resultierenden finanziellen Belastun- gen der Länder gesehen werden. Die Forderung einer Rentenversicherung für Gefangene, die in Haftanstalten einer Arbeit oder Beschäftigung nachgehen, klingt grund- sätzlich plausibel, verkennt aber die Besonderheiten der Arbeitssituation im Vollzug. Die Länder investieren be- reits erhebliche Ressourcen, um den Gefangenen im ge- schlossenen Vollzug Arbeits- und Qualifizierungsplätze zur Verfügung zu stellen. Mit der Arbeit von Gefangenen werden jedoch real - unter Berücksichtigung der einge- setzten Ressourcen - keine Gewinne erzielt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 956 2 In der Frage der Einbeziehung von Gefangenen in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung, soweit sie nicht im Rahmen freien Beschäftigungsverhältnisses einer versicherungspflichtigen Arbeit oder beruflichen Bil- dungsmaßnahme außerhalb der Anstalt nachgehen, muss ebenfalls die tatsächliche Haftsituation berücksichtigt werden. Gefangene sind mit Strafantritt nicht mehr in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen, erhalten aber durch die Vollzugsanstalt freie (kostenlose) gesund- heitliche Betreuung und Heilfürsorge, die sich in Art und Umfang nach den Standards der gesetzlichen Krankenver- sicherung richtet. Wesentliche Abweichung vom Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Übertragung der ärztlichen Versorgung auf die Anstaltsärztinnen und Anstaltsärzte. Dies ist den Besonderheiten des Vollzuges geschuldet. 4. Gilt Art. 9 Abs. 3 GG aus Sicht des Senats auch in Justizvollzugsanstalten? Wenn nein: warum nicht? Zu 4.: Hierzu verweise ich auf die Beantwortung der Fragen 1. und 2. der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/13924 vom 2. Juni 2014. Berlin, den 30. Juni 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Juli 2014)