Drucksache 17 / 13 975 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Björn Eggert (SPD) vom 12. Juni 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juni 2014) und Antwort Kinderschutzfälle in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Kinderschutzfälle waren in 2013 im Land Berlin zu verzeichnen, geordnet nach Bezirken und Art der Kinderschutzfälle (Gewalt/Verwahrlo- sung/sexuelle Übergriffe)? Zu 1: Die Kinderschutzfälle in Form von Verfahren und festgestellten Gefährdungen werden amtlich in der Statistik der Kinder- und Jugendhilfe Teil I 8 Gefähr- dungseinschätzungen nach § 8a Absatz 1 SGB VIII ge- zählt. Für das Jahr 2013 liegen vom statistischen Bundes- amt noch keine Zahlen vor. Im Jahr 2012 wurden von den Jugendämtern in Berlin 8.791 Gefährdungseinschätzungen durchgeführt. Dabei wurden 1.603 Fälle als akut und 2.801 Fälle als latente Gefährdung festgestellt – insgesamt 4.404 Fälle. Bei der Art der Kindeswohlgefährdungen wurde zwi- schen Vernachlässigung, körperlichen Misshandlungen, psychischen Misshandlungen und sexueller Gewalt diffe- renziert. Dabei waren Mehrfachnennungen möglich. Von den insgesamt 8.791 Gefährdungsmeldungen wurde in 2.377 Fällen keine Kindeswohlgefährdung, allerdings ein Hilfebedarf ermittelt und in 2.010 Fällen wurde keine Kindeswohlgefährdung und kein (weiterer) Hilfebedarf festgestellt. 2. Wie hat sich die Zahl der Kinderschutzfälle im Vergleich zu den Vorjahren entwickelt (bitte die letzten fünf Jahre auflisten)? Zu 2.: Die Statistik über Gefährdungseinschätzungen wurde im Zuge der Novellierung des § 8 a SGB VIII seit 2012 eingeführt. Statistische Angaben für den Zeitraum davor stehen nicht zur Verfügung. 3. Welche Maßnahmen hat der Senat zur Eindämmung von Kinderschutzfällen ergriffen? Zu 3.: Berlin hat mit dem Beschluss über das „Konzept für ein Netzwerk Kinderschutz“ im Februar 2007 und dem „Berliner Kinderschutzgesetz“ vom Dezember 2009 auf politischer, fachlicher und (multi)professioneller Ebe- ne die Grundlagen gelegt und umgesetzt für einen frühzei- tigen und schnell wirksamen Kindeschutz. In der Berliner Praxis gibt es in allen Bezirken enge Kooperationen zwi- schen dem Jugend- und dem Gesundheitsamt, insbesondere dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD), die sich auf die gemeinsamen Ausführungsvorschriften für die Zusammenarbeit zwischen Jugend- und Gesundheitsamt im Kinderschutz gründet. In allen Bezirken liegen ent- sprechende Kooperationsvereinbarungen vor, die regel- mäßig überprüft und ggf. weiterentwickelt werden. Darin ist u.a. verbindlich vorgegeben:  das Vier-Augen-Prinzip bei der Einschätzung eines Kindeswohlgefährdungsfalles sowohl jugendamts- als auch gesundheitsamtsintern als auch zwischen beiden Ämtern  die Entscheidung über den sofortigen Hausbesuch /Inaugenscheinnahme des Kindes aufgrund der Gefährdungsmeldung durch das Jugendamt – ggf. auch gemeinsam mit dem Gesundheitsamt. Das Berliner Kinderschutzverfahren ist seit 2008 mit dem Rundschreiben „Dokumentations- und Bewertungsverfahren im Kinderschutz“ (überarbeitete Neuauflage 2013) geregelt. Danach wird der Ersteinschätzungsbo- gen in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe in öffentlicher und freier Trägerschaft - außerhalb des Regi- onalen Sozialpädagogischen Dienstes (RSD) - der Erst- checkbogen für die Fachkräfte im RSD und im KJGD und letztendlich der Berliner Kinderschutzbogen zur weitergehenden und abschließenden Gefährdungsein- schätzung (differenziert nach Altersgruppen) für den RSD regelhaft angewandt. Für den Leistungsbereich „Hilfen zur Erziehung“ sind im Berliner Rahmenvertrag Jugend (BRV Jug) entspre- chende Regelungen und Verfahren verbindlich vereinbart, u. a. der Schlüsselprozess „Kinderschutz“. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 975 2 Jedes Jugendamt, jeder freie Träger der Jugendhilfe (einschließlich Kitabereich), jeder Kinder- und Jugendge- sundheitsdienst hat die „insoweit erfahrene Fachkraft“ als Ansprechpartnerin/Ansprechpartner, die im Verdachtsfall der „Helferin“/dem „Helfer“ beratend zur Verfügung steht. Im Übrigen auch Lehrerinnen/Lehrern, Ärztin- nen/Ärzten, Richterinnen/Richtern, Polizistin- nen/Polizisten usw. Hinsichtlich weiterer Ergebnisse und Verfahren wird auf die Beantwortung der Großen Anfrage 17/0719 vom 13.12.2012 „Netzwerk Kinderschutz sichern, weiter entwickeln und nicht durch Personalabbau und Kürzungen gefährden!“ verwiesen. 4. Wie sieht die Personalentwicklung in diesem Be- reich aus? Wie viele Fälle muss ein/e Jugendamtsmitar- beiter/in durchschnittlich bearbeiten (geordnet nach Be- zirken)? 5. Wie hat sich diese Arbeitsbelastung in den letzten fünf Jahren entwickelt (geordnet nach Bezirken)? Zu 4. und 5.: Das Personal der Jugendämter wird in der „Statistik der Kinder- und Jugendhilfe Teil III“ Einrichtungen und tätige Personen in der Kinder- und Ju- gendhilfe alle 4 Jahre erfasst. Aktuelle Zahlen werden turnusgemäß 2014 erhoben. Eine besondere Zuordnung der tätigen Personen zum Aufgabenbereich Kinderschutz erfolgt im Rahmen dieser Bundesjugendhilfestatistik nicht. Infolgedessen sind gegenwärtig Angaben über die Personalentwicklung im Bereich Kinderschutz sowie über die durchschnittliche Anzahl der Kinderschutzfälle, die von den Jugendamtsmitarbeiterinnen und Jugendamtsmit- arbeitern zu bearbeiten sind, nicht möglich. Die Kinderschutzaufgaben sind in der Regel in den Regionalen Sozialpädagogischen Diensten (RSD) der Jugendämter angesiedelt. Um die durchschnittliche Fall- belastung im RSD erheben zu können, ist zunächst die Verständigung auf eine einheitliche Aufgabenbeschrei- bung des RSD - unabhängig von der jeweiligen bezirkli- chen Organisation - und die Verständigung auf die ein- heitlichen Daten- bzw. Erhebungsgrundlagen erforderlich. Im Rahmen des Fach- und Finanzcontrolling Hilfe zur Erziehung (HzE) haben sich die Jugendamtsleitungen zwischenzeitlich auf diese beiden wesentlichen Voraus- setzungen für eine vergleichbare Ermittlung der Ist- Situation in den Berliner Jugendämtern verständigt. 6. Wie beurteilt der Senat die Personallage diesbezüglich in den Bezirken? 7. Werden die Vorgaben des Senats für das Musterjugendamt durch die Bezirke umgesetzt, wenn nein, wa- rum nicht? Zu 6. und 7.: Für den Senat ist die Gewährleistung des Kindeswohls von größter Bedeutung und er unterstützt die Bezirke in ihrer Funktion als örtliche Träger der öf- fentlichen Jugendhilfe nach § 85 SGB VIII, um ihre Pla- nungsverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben des SGB VIII wahrzunehmen. Zugleich ist vor dem Hinter- grund der berlinspezifischen Verantwortungsstruktur auf die bezirkliche Zuständigkeit für die Personalausstattung (§ 34 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes) hinzuweisen. Aktuell stimmt der Senat mit den Bezirken eine Be- standsaufnahme der Personalausstattung der bezirklichen Jugendämter ab, die die jeweils spezifische Organisati- onsstruktur angemessen berücksichtigt. 8. Welche finanziellen Mittel werden insgesamt für den Kinderschutz vom Land Berlin eingesetzt? Zu 8.: Über die bezirkliche Finanzierung hinaus för- dert der Senat Kinderschutzprojekte mit gesamtstädtischer Reichweite. Die Höhe der jährlichen Zuwendung ist im Haushaltsplan 2014/2015, Einzelplan 10 der Senatsver- waltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Kapitel 1042, Titel 68425 (Teilansatz 5) und Titel 68490 (Teilan- satz 8) veranschlagt. Im Jahr 2014 werden für die Umset- zung des Kinderschutzes im Land Berlin finanzielle Mit- tel insgesamt in Höhe von rd. 3.256.000 € und im Jahr 2015 insgesamt in Höhe von rd. 3.316.000 € eingesetzt, unter anderem für das Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V., Kind im Zentrum der Evangelischen Jugend- und Fürsor- gewerk g AG, Wildwasser e.V., neuhland e.V., Strohhalm e.V. und HILFE-FÜR-JUNGS e.V. sowie für die Gewähr- leistung des gesetzlichen Beratungsanspruchs Dritter nach dem Bundeskinderschutzgesetz, für die Sicherung und die Weiterentwicklung des Konzepts für ein Netzwerk Kin- derschutz, mit dem weiteren Ausbau der „Hotline Kinderschutz “ und für die Finanzierung einer Anlaufstelle zur ombudschaftlichen Unterstützung. Für den Berliner Notdienst Kinderschutz, der im Auf- trag des Landesjugendamtes berlinweite Kinderschutz- aufgaben erfüllt, sind die Mittel im Haushaltsplan des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg, Einzelplan 40, Kapitel 4081 veranschlagt. Des Weiteren können auch die im Rahmen der Bun- desinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen 2012 – 2015“ dem Land Berlin zur Verfügung gestellten Bundesmittel in Höhe von rd. 2,4 Mio. Euro jährlich verausgabt werden. Mit dieser Förderung wird in den Bezirken insbesondere der Ausbau der Netzwerke Kinderschutz um den präventiven Ansatz „Frühe Hilfen“, der Einsatz von Familienhebammen und Familiengesund- heitspflegerinnen/Familiengesundheitspfleger sowie die Schaffung entsprechender Projekte und Angebote geför- dert. Berlin, den 30. Juni 2014 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juli 2014) Anlage 1: Meldungen von Kindeswohlgefährdung in Berlin im Jahr 2012 Verfahren Bezirk insgesamt Verfahren zusammen Verfahren zusammen 1) Vernach- körperliche psychische sexuelle 1) Vernach- körperliche psychische sexuelle lässigung Misshandlung Misshandlung Gewalt lässigung Misshandlung Misshandlung Gewalt 681 97 126 51 39 25 11 130 138 65 22 43 8 163 291 1 203 254 415 157 119 128 11 626 842 354 262 198 28 155 168 225 74 91 52 13 21 5 49 52 29 12 8 3 78 24 439 75 96 53 17 18 8 116 138 79 11 45 3 112 136 744 194 225 146 26 47 6 256 274 186 30 57 1 136 158 510 95 120 31 35 48 6 327 353 155 75 113 10 70 18 572 81 123 52 33 34 4 132 146 80 24 40 2 197 162 954 196 225 144 42 35 4 357 390 256 57 69 8 178 223 661 134 219 94 54 53 18 184 263 131 56 52 24 198 145 895 178 215 140 42 28 5 218 238 172 29 33 4 269 230 460 110 158 71 45 32 10 121 143 85 23 32 3 148 81 1 442 113 131 69 36 23 3 285 301 161 39 96 5 670 374 8 791 1 603 2 146 1 060 503 492 91 2 801 3 278 1 753 640 786 99 2 377 2 010 Quelle: Bundesamt für Statistik, Veröffentlichung Juli 2013 für das Jahr 2012 1) Einschließlich Mehrfachnennungen latente Kindeswohlgefährdung keine Kindeswohl gefährdung, aber Hilfebedarf keine Kindeswohl gefährdung und kein (weiterer) Hilfebedarf Mitte akute Kindeswohlgefährdung davon nach Art der Kindeswohlgefährdung davon nach Art der Kindeswohlgefährdung Anzeichen für ... Anzeichen für ... Spandau Steglitz-Zehlendorf Tempelhof-Schöneberg Neukölln Friedrichshain-Kreuzberg Pankow Charlottenburg-Wilmersdorf Berlin gesamt Treptow-Köpenick Marzahn-Hellersdorf Lichtenberg Reinickendorf S17-13975 S1713975