Drucksache 17 / 14 156 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Oliver Höfinghoff und Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 02. Juli 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Juli 2014) und Antwort Demonstrationen und Kundgebungen vor Flüchtlingsunterkünften Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Versammlungen und Kundgebungen ge- gen die Unterbringung von Flüchtlingen vor geplanten oder schon bestehenden Flüchtlingsunterkünften sowie vor Wohnungen, in denen Flüchtlinge untergebracht wur- den, hat es seit 2011 in Berlin gegeben? (Bitte eine Ein- zelauflistung nach Datum, Unterkunft und Anmelder*in (/Partei/Organisation/Vereinigung) der jeweiligen Ver- sammlung.) Zu 1.: Durch die Polizei Berlin erfolgte für den Ge- samtzeitraum seit dem Jahr 2011 keine statistische Erfas- sung von Versammlungen und Kundgebung im Zusam- menhang mit Flüchtlingsunterkünften. Eine diesbezügli- che Auswertung steht aktuell demnach nicht zur Verfü- gung. 2. Sind durch die Versammlungsbehörde im Land Berlin bei (Spontan-) Demonstrationen und Kundgebun- gen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in der Nähe dieser Unterkünfte in den Jahren seit 2011 be- schränkende Verfügen (Auflagen) ergangen, die auf die Einhaltung eines Mindest-abstand zu Flüchtlingsunter- künften gerichtet waren? a) Wenn ja, wann, bei welcher Versamm- lung/Kundgebung, vor welcher Unterkunft und wa- rum? Zu 2a: Die Versammlungsbehörde achtet grundsätz- lich darauf, dass angemeldete Versammlungen, die sich thematisch gegen die Unterbringung von Flüchtlingen richten, nicht im Nahbereich dieser Unterkünfte stattfin- den und erteilt bei entsprechender Notwendigkeit be- schränkende Verfügungen (Auflagen). Eine statistische Einzelerfassung zu erteilten Auflagen im Zusammenhang mit den benannten Versammlungen existiert nicht. Die Frage, in welcher Entfernung zur thematisierten Unterkunft eine solche Versammlung stattfinden kann, ist dabei zunächst fester Bestandteil der Kooperationsgesprä- che zwischen der Polizei und der Anmelderin bzw. dem Anmelder. Sofern im Ergebnis der Kooperation keine Einigung erzielt werden kann, kommt die Erteilung einer entspre- chenden Auflage durch die Versammlungsbehörde in Betracht. Beispielhaft wurde bei einem für den 1. Mai 2014 an- gemeldeten Aufzug der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) Neukölln durch eine Auflage die Nutzung bestimmter Streckenabschnitte im Nahbereich der avisierten Flüchtlingsunterkunft untersagt. Ursprüng- lich sollte der Aufzug, der später abgesagt wurde, gemäß der angemeldeten Wegstrecke direkt an einer Flüchtlings- unterkunft vorbeigeführt werden. Die Auflage war zum Schutz der Privatsphäre bzw. Persönlichkeitsrechte der in der Flüchtlingsunterkunft untergebrachten Personen gebo- ten. b) Wenn ja, welcher Mindestabstand wurde je- weils festgelegt? c) Wenn nein, durch welche Maßnahmen wurde der Bedrohungscharakter gerade durch die Teilneh- mer*innen von Versammlungen der rechten Szene für die Bewohner*innen der Unterkünfte vermieden bzw. verringert? d) Hält der Senat die unter 1. c) genannten Maß- nahmen für ausreichend, um – zum Teil schwer traumatisierte – Flüchtlinge vor dem Bedrohungscharakter einer Versammlung der rechten Szene vor ihren (Zu- fluchts-) Unterkünften und vor rassistischen Übergrif- fen seitens der Teilnehmer*innen zu schützen? Zu 2b, 2c und 2d: Eine standardisierte Festlegung ei- nes Mindestabstandes existiert nicht. Ob und in welcher Entfernung eine Kundgebung oder ein Aufzug im Nahbe- reich einer Flüchtlingsunterkunft durchgeführt werden Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 156 2 kann, hängt von den örtlichen Gegebenheiten des Einzel- falles ab. Dabei wird einerseits den schutzwürdigen Inte- ressen der Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkünfte als auch dem versammlungsrechtlichen Anliegen der Demonstrantinnen und Demonstranten Rechnung getra- gen. Im unter Punkt 1a) dargestellten Fall wurde der NPD Neukölln vorgegeben, den Aufzug über eine parallel verlaufende Straße zu führen. e) Hält der Senat einen Mindestabstand für Ver- sammlungen der rechten Szene vor Flüchtlingsunter- künften für geboten, um die Bewohner*innen zu schützen und wenn ja, welchen? Zu 2e: Die Festlegung eines pauschalen Mindestab- standes wird von Seiten des Senats als nicht zweckdien- lich erachtet. Es wird nach wie vor auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt. 3. Wie bewertet der Senat in diesem Zusammenhang den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom 9. November 2012 (Az. 3 M 173/12) mit dem der Versammlungsweg einer Versammlung der rechten Szene durch Auflagen so beschränkt wurde, dass diese das ge- samte Viertel, in dem sich die Flüchtlingsunterkunft be- fand, meiden musste. Zu 3.: Der Beschluss ist ein Ergebnis, in dem die Um- stände des zur Entscheidung stehenden Einzelfalls be- rücksichtigt wurden und ist daher für sich genommen nicht verallgemeinerungsfähig. Mit Ausnahme von gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung sind Entscheidungen von Gerichten an- derer Bundesländer nicht ohne Weiteres auf Situationen in Berlin übertragbar. Es müssen vielmehr jeweils neu die Umstände des je- weiligen Einzelfalls berücksichtigt werden, wobei der oben genannte Beschluss als Orientierung dienen kann, ohne das Handeln im Einzelfall einzuschränken. 4. Wie bewertet der Senat die Versamm- lung/Kundgebung der rechten Szene am 8. Juni 2014 (Pfingstsonntag) vor der Flüchtlingsunterkunft in Hellers- dorf? Zu 4.: Am 8. Juni 2014 fand eine Versammlung im Nahbereich der Flüchtlingsunterkunft in Hellersdorf statt. Diese Versammlung wurde nicht zeitgerecht durch eine Einzelperson ca. 30 Minuten vor dem Versammlungsbe- ginn per Fax bei der Versammlungsbehörde angemeldet. Für sich gesehen ist das Unterlassen oder eine verspä- tete Anmeldung kein Auflösungsgrund für eine Versamm- lung. Erfolgt dies aber gezielt, um zu erwartende Auf- lagen oder Verbote zu umgehen, kann eine solche Spon- tan- oder Eilversammlung mit dieser Begründung aufge- löst oder sonst beschränkt werden. Dies wurde bei der hier benannten Versammlung vor Ort durch den Poli- zeiführer geprüft. Anfangs war eine Auflösung auf Grund der nur geringen polizeilichen Kräfte nicht möglich und wäre auch nicht durchsetzbar gewesen, da kein Kontakt zu dem Aufzug bestand. Als der Polizeiführer am Aufzug eintraf, hatte dieser die Flüchtlingsunterkunft bereits pas- siert, so dass zu diesem Zeitpunkt keine Auflösungsgrün- de mehr vorlagen. Nach erfolgter Kontaktaufnahme zum Anmelder wurden Auflagen bezüglich der weiteren Weg- strecke erteilt, die auch angenommen und eingehalten wurden. 5. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass ein Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Hellersdorf von den Teilnehmer*innen der unter 4. genannten Versamm- lung zum Springen aus dem Fenster aufgefordert und als „Parasit“ beschimpft wurde und sind in diesem Zusammenhang Ermittlungsverfahren eingeleitet worden? Wenn nein, warum nicht? Zu 5.: In diesem Zusammenhang wurden Strafverfah- ren eingeleitet, zu denen die Ermittlungen noch andauern. 6. Ist der Senat der Ansicht, dass sich die Flüchtlinge in Unterkünften in Berlin sicher fühlen, wenn direkt vor ihren Unterkünften Akteure der rechten Szene aufmar- schieren und sie zur Selbsttötung auffordern bzw. sie beschimpfen, bedrohen und bedrängen? Zu 6.: Um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Be- wohner von Flüchtlingsunterkünften zu gewährleisten, trifft die Polizei Berlin eine Vielzahl von Maßnahmen. Vorrangig sind das verschiedene präventive Maßnah- men im Rahmen des täglichen Dienstes, zum Beispiel in Form von Streifentätigkeiten, aber auch durch Teilnahme an Bürgertreffen und anderen Formen der Netzwerk- und Präventionsarbeit. Darüber hinaus findet ein stetiger Informationsaus- tausch durch regelmäßige Kontaktaufnahme zwischen den Verantwortlichen der Flüchtlingsunterkünfte und den örtlich zuständigen Polizeidienststellen statt. Letztlich zählen dazu auch die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit bekannt werdenden Versammlungen, die sich thematisch gegen Flüchtlingsunterkünfte richten. Dem Senat ist die Gewährleistung der Sicherheit an den Flüchtlingsunterkünften ein wichtiges Anliegen. Daher findet ständig eine aktuelle Bewertung relevanter Sicherheitsaspekte statt, um diese den entsprechenden Schutzerfordernissen anzupassen. a) Wenn nein, was gedenkt der Senat zu tun, um Flüchtlinge in Berlin in Zukunft besser zu schützen? Zu 6a: Entfällt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 156 3 b) Bietet der Senat den Flüchtlingen in Berlin Hilfs- und Unterstützungsangebote an, mit denen die- se die Anfeindungen in ihrem Wohnumfeld und vor allen vor ihren Unterkünften besser verarbeiten kön- nen und wenn ja, welche sind dies? Zu 6b: Asylbegehrende, die sich Konfliktsituationen gegenüber sehen, können sich jederzeit vertrauensvoll an den Sozialdienst des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) wenden. Personen, die in einer Ge- meinschaftsunterkunft oder Aufnahmeeinrichtung leben, haben zudem die Möglichkeit der Inanspruchnahme der vor Ort vorgehaltenen Sozialberatung. Darüber hinaus bieten auch das Büro der Beauftragten für Integration und Migration sowie die bezirklichen Integrationsbeauftragten entsprechende Beratung und Hilfestellung an. Diese Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner un- terstützen die Betroffenen bei der Bewältigung der Kon- fliktlage bestmöglich und vermitteln abhängig von der konkreten Situation gegebenenfalls auch Kontakte zu geeigneten externen Konfliktberatungsstellen. Personengruppenübergreifend hat die Berliner Polizei für alle Fälle, in denen Bürgerinnen und Bürger Rat zu polizeilichen Fragen suchen, ohne dass es sich um einen Notfall handelt, das rund um die Uhr erreichbare Bürger- telefon unter der Rufnummer (030) 4664 – 4664 eingerichtet . Ferner kann auch die Internetwache kontaktiert werden. Der polizeiliche Notruf bietet in akuten Hilfesitu- ationen oder Gefahrenlagen schnelle Hilfe. Berlin, den 17. Juli 2014 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juli 2014)