Drucksache 17 / 14 174 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 07. Juli 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juli 2014) und Antwort Schmerzensschreie hallen durch die Straßen - Räumung von Sitzblockaden im Land Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Weisungen, Richtlinien und andere Vor- gaben gibt es bei der Berliner Polizei darüber, wie Sitz- blockaden aufzulösen sind? (Bitte im Originalwortlaut beifügen.) Zu 1.: Derartige Vorschriften gibt es nicht. Die Auflö- sung von Sitzblockaden ist jedoch fester Bestandteil im Rahmen der Ausbildung bei der Polizei Berlin. 2. Welche Handlungsschritte und -anweisungen (z.B. mehrmalige Aufforderung zum Aufstehen bevor aufgelöst werden darf etc.) sind bei einer Auflösung von Sitzblockaden grundsätzlich immer zu beachten? (Bitte eine Darlegung der einzuhaltenden Reihenfolge der Schritte bei der Anwendung des unmittelbaren Zwangs.) Zu 2.: Generell geht aufzulösenden Sitzblockaden eine dreimalige Aufforderung zum Unterlassen bzw. zur Auf- lösung der Sitzblockade mittels Lautsprecherdurchsagen voraus, in denen auch Zwangsmaßnahmen im Falle einer Zuwiderhandlung angedroht werden. Sollten diese Lautsprecherdurchsagen unbeachtet bleiben, werden Polizeikräfte eine nochmalige, direkte Aufforderung aussprechen und bei einer weiteren Zuwi- derhandlung beginnen, die Sitzblockade durch Wegtragen der Einzelnen zu beenden. 3. Wann ist die Anwendung von Schmerzgriffen bei der Auflösung von Sitzblockaden zulässig? Zu 3.: Die Anwendung von körperlicher Gewalt zur Auflösung einer Sitzblockade richtet sich nach dem Ge- setz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin (UZwG Bln). Die Art und Intensität der Zwangsmaßnahmen unterliegt immer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist abhängig vom Verhalten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es ist stets das mildeste Mittel zur Erreichung des Zwecks auszuwählen. 4. Gibt es bei der Auflösung von Sitzblockaden von Minderjährigen durch die Polizei andere Vorgaben? Zu 4.: Nein. a) Wenn ja, welche? Zu 4a: Entfällt b) Wenn nein, wie bewertet der Senat den Umstand, dass Sitzblockaden durch Minderjährige mit der gleichen Brutalität (Schmerzgriffe, Umdrehen von Gliedmaßen, Einsatz von Pfefferspray etc.) aufge- löst werden? Zu 4b: Die Angemessenheit der Mittel ergibt sich nicht vorrangig aus dem Alter, sondern vor allem aus dem Verhalten der Betroffenen. 5. Wie viele Sitzblockaden wurden im Zusammen- hang mit den Protesten gegen die De-facto-Räumung der Gehart-Hauptmann-Schule durch die Polizei aufgelöst? (Bitte eine detaillierte Angabe nach Ort, Zeit, Anzahl der Teilnehmer*innen, eingesetzte Zwangsmittel und Grund der Auflösung.) Zu 5.: Die nachfolgende Tabelle unterscheidet nicht zwischen Blockade oder Sitzblockade. Die jeweilige Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fluktuierte. Die Angaben beziehen sich zumeist auf die zeitweilig größte Menge Anwesender. Die Blockaden zur Nr. 10 sowie 20 wurden aus Grün- den der Verhältnismäßigkeit nicht aufgelöst. Die Maß- nahmen zur Nr. 20 mussten auf Grund massiven Wider- stands abgebrochen werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 174 2 Nr. Datum Zeit Ort Anzahl Teil- nehmer/-innen Zwangsmittel Auflösungsgrund 1 24.06.2014 12:08 – 12:41 Uhr Ohlauer Straße/Reichenberger Straße 30 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 2 13:23 - 13:50 Uhr Ohlauer Straße/Wiener Straße 20 keine Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 3 13:45 Uhr Ohlauer Straße/Reichenberger Straße 100 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 4 16:06 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 5 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 5 20:36 Uhr Ohlauer Straße/Wiener Straße 20 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 6 21:20 Uhr Wiener Straße zwischen Ohlauer Straße und Skalitzer Straße 200 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 7 26.06.2014 18:44 Uhr Wiener Straße/Lausitzer Straße 70 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 8 27.06.2014 15:21 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 5 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 9 15:49 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße unbekannt körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 10 16:35 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 300 keine Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 11 17:27 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 300 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 12 18:29 Uhr Reichenberger Straße/Ohlauer Straße 1 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 13 18:40 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 300 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 14 19:10 - 19:30 Uhr Reichenberger Straße/Lausitzer Straße 150 körperliche Gewalt und Hilfsmittel (Reizstoffsprühgerät) Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 15 19:15 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 15 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 16 19:35 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 40 - 50 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 17 20:26 Uhr Reichenberger Straße/Lausitzer Straße 80 körperliche Gewalt und Hilfsmittel (Reizstoffsprühgerät) Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 18 28.06.2014 09:30 - 09:32 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 3 keine Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 19 19:08 Uhr Reichenberger Straße/Lausitzer Straße 35 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 20 01.07.2014 14:46 Uhr Wiener Straße/Lausitzer Straße 350 körperliche Gewalt und Hilfsmittel (Reizstoffsprühgerät und Rettungsmehrzweckstock) Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 21 17:00 Uhr Reichenberger Straße/Lausitzer Straße 150 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 22 17:10 Uhr Oranienstraße/Manteuffelstraße/Skalitzer Straße 150 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 23 17:29 Uhr Reichenberger Straße/Lausitzer Straße 150 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 24 20:19 - 20:42 Uhr Wiener Straße/Ohlauer Straße 150 körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 25 22:19 Uhr Wiener Straße/Lausitzer Straße unbekannt körperliche Gewalt Durchfahrtmöglichkeit/ Rettungswege 6. Wie viele Festnahmen/Ingewahrsamnahmen und Identitätsfeststellungen hat es bei der Auflösung der Sitz- blockaden im Zusammenhang mit den Protesten gegen die De-facto-Räumung der Gehart-Hauptmann-Schule gegeben? (Bitte eine Einzelaufschlüsselung nach Tagen.) Zu 6.: Am 26. Juni 2014 kam es zu zwei Freiheitsbe- schränkungen sowie zwei Freiheitsentziehungen. Am 27. Juni 2014 kam es zu zwei Freiheitsbeschränkungen sowie vier Freiheitsentziehungen. Am 1. Juli 2014 kam es zu drei Freiheitsbeschränkungen sowie einer Freiheitsentzie- hung. In allen Fällen wurde eine Identitätsfeststellung durchgeführt. 7. Wie viele verletzte Teilnehmer*innen der Proteste gegen die De-facto-Räumung der Gehart-Hauptmann- Schule hat es im Zusammenhang mit der polizeilichen Auflösung von Sitzblockaden gegeben? Zu 7.: Ob Teilnehmerinnen oder Teilnehmer verletzt worden sind, ist der Polizei Berlin nicht bekannt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 174 3 8. Wurden Videosequenzen im Internet oder aus dem gewonnenen Videomaterial der Polizei vom Einsatz der Polizei (Berliner Einheiten und Unterstützungskräfte aus anderen Bundesländern und dem Bund) rund um die Pro- teste gegen die De-facto-Räumung der Gehart-Haupt- mann-Schule dahingehend ausgewertet, ob das Verhalten der eingesetzten Polizist*innen bei der Auflösung der Sitzblockaden rechtmäßig war? Zu 8.: Die in der Schriftlichen Anfrage 17/14153 zi- tierte Videosequenz im Internet (http://www.youtube.com/watch?v=UFro3agkbGo) wurde nach jetzigem Stand als einzige im Sinne der Anfrage ausgewertet. a) Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Zu 8a: Die im bezeichneten Video dargestellte Situati- on steht nicht im Zusammenhang mit den Abläufen des Aufzuges „Refugee Schul- und Uni- Proteste, Demonstration gegen Rassismus“. Dieser wurde am 1. Juli 2014, um 15:52 Uhr, am Spreewaldplatz beendet. Das bezeichnete Video stellt ganz offensichtlich eine Situation dar, die sich ab ca. 17:00 Uhr im Bereich Rei- chenberger Str./Lausitzer Str. ereignete. Im Bereich der Absperrungen sammelten sich bis zu ca. 1.000 Personen, wodurch kein Rettungsweg mehr zur Verfügung stand und die Funktionsfähigkeit der Polizei bei weiterem Zuwarten eingeschränkt gewesen wäre. Als Polizeifahrzeuge aus dem abgesperrten Bereich herausfahren wollten, blockierten ca. 150 Personen die Fahrbahn. Daraufhin wurde begonnen die (Sitz-)Blockade aufzulösen, was nur mittels körperlicher Gewalt möglich war, da die Personen sich mit Fußtritten und Schlägen der Maßnahme widersetzten. Meldungen über den Einsatz von Pfefferspray durch eingesetzte Dienstkräfte liegen nicht vor. b) Wenn ja, ist es zur Einleitung von strafrechtlichen und/oder dienstrechtlichen Verfahren gekommen? Zu 8b: Nein. c) Wenn nein, warum nicht? Zu 8c: Die Polizei Berlin handelte im Rahmen ihrer Aufgabenzuweisung gefahrenabwehrend und strafverfol- gend und traf die dafür notwendigen Maßnahmen. Die notwendigen Zwangsmaßnahmen wurden unter Beach- tung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchge- führt. Berlin, den 21. Juli 2014 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Juli 2014)