Drucksache 17 / 14 175 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jasenka Villbrandt und Andreas Otto (GRÜNE) vom 03. Juli 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juli 2014) und Antwort Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude und Wohnungen in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Ist in Berlin gewährleistet, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigten Zugang gemäß UN- Behindertenrechtskonvention zu allen Einrichtungen haben, die der Öffentlichkeit offen stehen oder für sie bereitgestellt werden? Wo besteht ggf. noch welcher Umbau-Bedarf? In welchem Zeitrahmen wird dieser ggf. abgearbeitet? Antwort zu 1.: Der Senat ist bemüht, allen Menschen zu ermöglichen, öffentlich zugängliche Einrichtungen zu nutzen. Bestehende Einrichtungen genießen zwar Be- standsschutz, es ist jedoch erklärtes Ziel, bei bestehenden Einrichtungen gemäß Art. 9 der UN-Behindertenrechts- konvention darauf hinzuwirken, dass sie sukzessive barri- erefrei zugänglich werden und bei Neubauten die bauord- nungsrechtliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit durch- zusetzen. Der Senat führt keine Statistik über den Um- baubedarf aller öffentlichen Einrichtungen. Frage 2: Wird die Berliner Bauordnung einer Nor- menprüfung nach der UN-Behindertenrechtskonvention unterzogen? Wenn ja, wann, und wenn nein, warum nicht? Antwort zu 2.: Der Senat hat das Deutsche Institut für Menschenrechte beauftragt, im Rahmen einer Expertise für ein Artikelgesetz zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN- BRK) im Land Berlin Rechtsnormen des Landes Berlin einer Normenprüfung zu unterziehen. Der Senat hat die Bauordnung bereits einer Prüfung unterzogen. Die Bau- ordnung wird derzeit an die Musterbauordnung angepasst und die Einbringung eines Änderungsgesetzes in die par- lamentarischen Beratungen ist für das Jahr 2015 vorgese- hen.. Ab August 2014 erfolgt eine umfangreiche Anhö- rung zu den Änderungen der Bauordnung, dazu wird auch das Deutsche Institut für Menschenrechte direkt einbezo- gen. Die Bauordnung formuliert nur Mindestanforderun- gen insbesondere hinsichtlich Ordnung und Sicherheit, weitergehende Forderungen zur Barrierefreiheit sind in anderen Rechtsgrundlagen zu verankern. Frage 3: Wie viele barrierefreie Wohnungen nach DIN 18040-2 (bzw. vormals 18025-1/2) gibt es derzeit in Ber- lin (im privaten Bereich, bei Sozialwohnungen und Woh- nungen der landeseigenen Wohnungsgesellschaften; Auf- listung bitte nach Bezirken)? Frage 4: Wie viele barrierefreie Wohnungen entspre- chend DIN 18040-2 werden aktuell in Berlin benötigt? Antwort zu 3 und 4: Dem Senat liegen keine detail- lierten Informationen hierüber vor. Bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften wurden und werden bislang keine Angaben darüber erhoben, wie viele Wohneinheiten den Anforderungen der DIN 18040-2 den jeweiligen Kategorien entsprechen. Gleichwohl werden mit zuneh- mender Neubautätigkeit proportional mehr barrierefreie Wohnungen im Sinne der DIN 18040-2 entstehen, da die Berliner Bauordnung seit 2005 dazu verbindliche Vorga- ben enthält. Eine aktuelle Abfrage bei den städtischen Wohnungs- baugesellschaften ergab folgenden Bestand: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 175 2 Barrierefreie/barrierearme Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften Stadtbezirk Gewobag HOWOGE STADT UND LAND WBM GESOBAU Summe Mitte 71 71 Friedrichshain-Kreuzberg 900 900 Pankow 14 46 10 70 Charlottenburg- Wilmersdorf 3 3 Spandau 23 246 269 Steglitz-Zehlendorf 1 1 Tempelhof-Schöneberg 30 30 Lichtenberg 90 90 Reinickendorf 9 1 10 div. Bezirke 189 189 Gesamt 80 136 189 1.217 11 1.633 davon nur barrierearm - - - 1.095 - 1.095 zusätzl. barrierearme WE - - 2.834 - - 2.834 Summe 80 136 3.023 1.217 11 4.467 Nach Schätzungen des Kuratoriums Deutsche Alten- hilfe (KDA) und dem jüngst veröffentlichten Wohnatlas (Quelle: Wohnatlas – Rahmenbedingungen der Bundesländer beim Wohnen im Alter; Kuratorium Deutsche Altershilfe; 2014) ergibt sich für Berlin ein Bestand von 24.000 weitgehend barrierefreien Wohneinheiten in Seni- orenhaushalten und 45.000 in Haushalten, die nicht von Seniorinnen und/oder Senioren bewohnt werden. Auf dieser Grundlage ergeben die Schätzungen des KDA für Berlin einen Bedarf von zusätzlichen 41.000 barrierefreien/barrierearmen Wohnungen für Seniorinnen und Senioren beim Neubau und Bestand. Frage 5: Wie wird sich der Bedarf an barrierefreien Wohnungen angesichts der Alterung der Berliner Bevöl- kerung bis 2030 voraussichtlich entwickeln? Auf welche Daten und Methoden stützt sich ggf. die Prognose? Antwort zu 5.: Die Alterung der Gesellschaft setzt sich fort. Sowohl der Anteil als auch die Anzahl älterer Bewohnerinnen und Bewohner stiegen in den letzten zehn Jahren deutlich an. Vom Jahr 2003 bis 2012 stieg die Zahl der Seniorinnen und Senioren im Alter von 65 bis unter 75 um rund 13 % von rund 320.000 auf rund 360.000. Die Altersgruppe der Bewohnerinnen und Bewohner ab 75 Jahren erhöhte sich um rund 27 % von rund 225.000 auf rund 285.000. Bis 2030 wird sich die Zahl der über 80- Jährigen Personen mit einer Steigerung von 80,7 % auf rd. 268.000 nahezu verdoppeln; die Zahl der „jungen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 175 3 Alten“ im Alter von 65 bis unter 80 Jahren wird um 14,4 % auf ca. 590.000 steigen (Quelle: Kurzfassung Bevölkerungsprognose für Berlin und die Bezirke 2011- 2030, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Um- welt, Ref. I A – Stadtentwicklungsplanung, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Oktober 2012). Entsprechend wird sich aufgrund der vorgenannten Schätzungen der Bedarf an barrierefreien/barrierearmen Wohnungen erhöhen. Frage 6: Wie viele barrierefreie Wohnungen nach DIN 18040-2 (bzw. vormals 18025-1/2) sind in den letzten Jahrzehnten durch die öffentliche Hand gefördert worden? Wie hoch ist die aktuelle Anzahl der Fehlbelegungen und was wird unternommen, um diese Fehlbelegungen rück- gängig zu machen (bitte auch die Förderungen des Integ- rationsamtes bei Wohnungsumbaumaßnahmen einbezie- hen)? Antwort zu 6.: Im Rahmen der bis 1998 gewährten Förderung des Sozialen Wohnungsbaus sind rd. 1.800 Wohnungen für Rollstuhl benutzende (rb-Wohnungen) gefördert worden. Die davon jeweils frei werdenden Wohnungen werden in der vom Landesamt für Gesund- heit und Soziales (LAGeSo) geführten Datenbank „http://www.rb-wohnungen.de“ nachgewiesen. Dem Berliner Senat liegen keine weiteren Informationen dazu vor. Frage 7: Welche gesetzliche Instrumente ermöglichen im Land Berlin die Durchsetzung von Barrierefreiheit bei Neubau und im Bestand a) öffentlicher und b) privater Gebäude? Antwort zu 7.: Das wesentliche gesetzliche Instrument in Berlin Barrierefreiheit durchzusetzen, ist Artikel 1 des Gesetz zu Artikel 11 der Verfassung von Berlin (Herstel- lung gleichwertiger Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung) vom 17. Mai 1999 zuletzt geändert durch Artikel IV des Gesetzes zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin vom 15.12.2010. Mindestanforderungen an den Neubau öffentlicher und privater Gebäude legen die Bauordnung für Berlin sowie ihre ergänzenden und ausführenden Verordnungen und Verwaltungsvorschriften fest. Für den Neubau öffentlicher Gebäude gilt zusätzlich die Verwaltungsvorschrift Anweisung Bau. Durch diese sind die Handbücher Berlin – Design for All – Öffentlich zugängliche Gebäude und Öffentlicher Freiraum und das ‚Konzept Barrierefrei’ verbindlich eingeführt. Mit der Forderung zur Aufstellung eines ‚Konzept Barrierefrei‘ für alle öffentliche Bauvorhaben wird die Durchsetzung von Barrierefreiheit in der Planung und im Planungspro- zess festgelegt. Frage 8: Was unternimmt der Senat, um die Anzahl der barrierefreien Wohnungen in Berlin zu erhöhen? Frage 9: Bietet das Land Berlin eigene Förderpro- gramme für den barrierefreien Umbau von Wohnraum an? Ist ggf. die Schaffung entsprechender Programme geplant? Antwort zu 8. und 9.: Bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt wird die Gründung einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe „Barrierefreie Stadt“ vorbereitet. Erhebliche Synergien in Planungsprozessen und bei der Vermittlung und Realisierung städte- baulicher Ziele zur barrierefreien Stadt werden erwartet. Mit der im Jahr 2014 wieder eingeführten Wohnungs- bauförderung (1.000 geförderte Wohnungen pro Jahr) wird die Zahl der geförderten rb-Wohungen in dem Maße zunehmen, wie die Landesbauordnung die Schaffung von behindertengerechtem Wohnraum vorschreibt. Frage 10: Wie setzt sich der Senat konkret dafür ein, dass der Bund seine finanzielle Unterstützung des KfW- Programms „Altersgerecht umbauen“ wieder aufnimmt? Antwort zu 10: Mit Verabschiedung des Bundeshaus- halts 2014 am 24.06.2014 ist die finanzielle Unterstüt- zung wieder aufgenommen worden. „Auch die Schaffung von mehr generationengerechtem Wohnraum ist für das Bundesministerium für Um- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ein heraus- ragendes Thema, für dessen Förderung das neue Pro- gramm "Altersgerecht Umbauen" mit einem Gesamtpro- grammvolumen von 54 Millionen Euro (Laufzeit: 2014 bis 2018) aufgelegt werden soll, um mit Investitionszu- schüssen das bestehende KfW-Darlehensprogramm zu ergänzen. Für 2014 stehen dafür 10 Millionen Euro zur Verfügung.“ (Quelle: Pressemitteilung BMUB Nr. 109/14 - Berlin, 27.06.2014) Frage 11: Wird Barrierefreiheit zukünftig ein Förder- kriterium in dem Wohnungsbauförderprogramm des Se- nats sein? Antwort zu 11: Die Wohnungsbauförderbestimmun- gen 2014 regeln u.a., dass die Höchstgrenzen für die Wohnflächen der geförderten Wohnungen, die barrierefrei so errichtet werden, dass ein jederzeitiger Umbau nach den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner möglich ist, wegen der erforderlichen Bewegungsflächen um bis zu 4 m² überschritten werden dürfen. Das in der Landesbauordnung, der Energieeinsparver- ordnung und den einschlägigen DIN-Normen Geregelte findet Anwendung. Das bedeutet somit auch, dass für die Barrierefreiheit die geltenden Regelungen der Landes- bauordnung maßgeblich sind. Die Bauordnung für Berlin regelt in § 39 Absatz 4 Sätze 1 bis 3, dass neu zu errich- tende Gebäude mit mehr als vier oberirdischen Geschos- sen ausreichend mit Aufzügen erschlossen sein müssen, Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 175 4 von denen mindestens einer Kinderwagen, Rollstühle, Krankentragen und Lasten aufnehmen kann, Haltestellen in allen Geschossen haben und von der öffentlichen Ver- kehrsfläche aus stufenlos erreichbar sein muss. Weiterhin schreibt die Bauordnung in § 51 Absatz 1 Sätze 1 und 2 vor, dass in neu zu errichtenden Gebäuden mit mehr als vier Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses über den üblichen Hauptzugang barrierefrei erreichbar sein müssen. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad sowie die Küche oder die Kochnische mit dem Rollstuhl zugänglich sein. Frage 12: Gibt es konkrete und verbindliche Vereinba- rungen mit den landeseigenen Wohnungsgesellschaften, wie viele barrierefreie Wohnungen sie vorhalten müssen? Wenn ja, welche? Antwort zu 12: Mit den städtischen Wohnungsbauge- sellschaften wurden hierüber keine konkreten und ver- bindlichen Vereinbarungen geschlossen. Dennoch sehen die städtischen Wohnungsbaugesell- schaften auch ohne verbindliche Vereinbarung im Rah- men der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum, die Bereitstellung von barrierefrei- en/barrierearmen Wohnungen als eigene Aufgabe. Insbe- sondere beim Neubau wird der rollstuhlgerechte Ausbau von Erdgeschoss-Wohnungen angestrebt Frage 13: Hält der Senat die Vorgabe aus § 51 Abs. 1 Bauordnung, dass nur in Gebäuden mit mehr als vier Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barriere- frei erreichbar sein müssen, angesichts des Bedarfs an barrierefreien Wohnungen für ausreichend? Wenn ja, warum, und wenn nein, was unternimmt er für eine Erhö- hung des Verhältnisses? Antwort zu 13: Derzeit erfolgt die Anpassung der Bauordnung für Berlin an die Musterbauordnung mit der Folge, dass zukünftig schon in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barri- erefrei erreichbar sein müssen. Die Bauordnung formu- liert nur Mindestanforderungen insbesondere hinsichtlich Ordnung und Sicherheit, weitergehende Forderungen zur Barrierefreiheit sind in anderen Rechtsgrundlagen zu verankern. Frage 14: Wie bewertet der Senat die Auswirkungen von § 51 Berliner Bauordnung auf die Barrierefreiheit von Neubauten und größeren Umbauten in der Stadt, bei de- nen u. a. „wegen ungünstiger vorhandener Bebauung“ Abweichungen von den Anforderungen der Barrierefrei- heit möglich sind, sofern diese „nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand“, d. h. mehr als 20% der Baukosten , erfüllt werden können? Antwort zu 14: Die Abweichungen nach § 51 Abs. 5 sind nur unter den dort formulierten Bedingungen mög- lich. Die Auswirkungen können nicht substantiiert beur- teilt werden. Die bei jeder Baumaßnahme typischen besonderen Bedingungen des Einzelfalls erfordern immer die Mög- lichkeit, Abweichungen, Ausnahmen, Befreiungen und Erleichterungen zu gewähren. Dabei ist von der Errei- chung der Schutzziele nicht abzuweichen. Frage 15: Wie bewertet der Senat die Auswirkungen der Regelung in § 52 Berliner Bauordnung, nach der Neu- und Umbauten öffentlicher Gebäude wie z. B. Kranken- häuser, Schulen oder das Grimm-Zentrum der Humboldt- Universität zu Berlin im Hinblick auf die korrekte Umset- zung der Barrierefreiheit nicht von Sachverständigen abgenommen werden müssen? Antwort zu 15: Bei den genannten Beispielen handelt es sich um Sonderbauten. Bei diesen Gebäuden gehört die Barrierefreiheit zum bauaufsichtlichen Prüfprogramm. Darüber hinaus gelten in Berlin die Leitfäden „Berlin – Design for all“ und „Barrierefreies Planen und Bauen in Berlin“, die für öffentliche Bauten des Landes Berlin auf der Grundlage der Allgemeinen Anweisung für die Vor- bereitung und Durchführung von Bauaufgaben Berlins (Anweisung Bau – ABau) anzuwenden sind. Berlin, den 21. Juli 2014 In Vertretung Christian Gaebler ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Juli 2014)