Drucksache 17 / 14 340 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Birk (GRÜNE) vom 05. August 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. August 2014) und Antwort Bürgerämter - einst Vorzeigeämter, jetzt ein Dauerärgernis? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat, dass Kundinnen und Kun- den der bezirklichen Bürgerämter zunehmend verärgert sind über sehr lange Wartezeiten bei den wenigen Bürger- ämtern, die noch Spontantermine ermöglichen und über die auf Wochen ausgebuchten Termine in den Ämtern mit Terminvergabe? Zu 1.: Die Berliner Bürgerämter sind für die Bürge- rinnen und Bürger Berlins die wichtigste Anlaufstelle für ihre Anliegen. Fast alle Dienstleistungsprozesse des Mel- de-, Pass- und Ausweiswesens gehören aufgrund ihrer hohen Fallzahlen und enormer Ressourcenbindung zu den vom Projekt Nachhaltige Verfahrensmodernisierung (NVM) ermittelten TOP 100-Prozessen der Berliner Ver- waltung. Alle im Projekt identifizierten Prozesse stehen damit im Fokus des landesweiten Prozessmanagements. In einem ersten Schritt wurden diese Prozesse beschrie- ben, bewertet und dokumentiert (Prozesssteckbrief). Da- mit wurde die Basis für die weitere Analyse geschaffen. Relevante Bürgeramtsprozesse werden in den aktuellen Vorhaben/Projekten des Senats analysiert z.B. im:  Programm 100+ / elektronische Identifkations (eID)-Strategie und Aufbau von Transaktions- diensten für das Land Berlin,  Projekt Pilotierung von Bürgerzentren,  Umsetzungskonzept Verwaltung Mobil – Informationstechnologisch (IT)-gestützter mobiler Dienst in der Berliner Verwaltung. Im Ergebnis dieser Untersuchungen liegen Hand- lungsempfehlungen und zu schaffende Rahmenbedingun- gen vor. Die Gestaltung der Rahmenbedingungen ist insbesondere aufgrund der Schaffung standardisierter landeseinheitlicher Lösungen ein langfristiger Prozess, der die aktuellen Probleme in den Bürgerämtern nicht kurzfristig lösen kann. Die aktuelle zugespitzte Lage in den Bürgerämtern ist ein jährlich wiederkehrendes Problem: Es treffen in der Ferienzeit zwei gegensätzliche Tendenzen aufeinander: die Spitzen der Kundenströme (infolge abgelaufener Päs- se in Vorbereitung ihrer Urlaubsreisen) werden von weni- ger Personal bedient. In der Vergangenheit führte dies zu überfüllten Warteräumen. Mit dem Ziel, die Kundenströ- me optimal an die tatsächliche Personalkapazität im je- weiligen Bürgeramt anzupassen haben die Bürgerämter unter Federführung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport das Termin- und Zeitmanagementsystem (ZMS) eingeführt. Das System unterstützt über die Funktion des Wartemanagements für Spontankundinnen und Spontan- kunden die Ablauforganisation inkl. Abbildung einer Aufrufanzeige vor Ort. Allerdings reicht das Terminange- bot für die aktuellen Kundenzahlen nicht immer aus. Daher wird gemeinsam mit den Bezirken an flexiblen Lösungskonzepten und Prozessoptimierungen/- automatisierungen sowie wirkungsvollen Steuerungsmo- dellen gearbeitet. 2. Wie viele verschiedene Leistungen werden mittler- weile von den Bürgerämtern angeboten? Zu 2.: Auf der Basis der Dienstleistungsdatenbank Berlin sind derzeit 52 Leistungen für die Berliner Bürger- ämter hinterlegt. Quelle: http://www.berlin.de/buergeramt/dienstleistungen/index.php 3. Teilt der Senat meine Meinung, dass das Fron- tofficeprinzip und das Prinzip der One-Stop-Agency ad absurdum geführt wird, wenn die dafür eingerichteten Bürgerämter chronisch überlastet und verstopft sind? Zu 3.: Die bezirklichen Ämter für Bürgerdienste wer- den seit Jahren in ihrem Angebotsspektrum sukzessive und kontinuierlich weiterentwickelt. Im Zuge dieser an- haltenden Übertragung von Aufgaben anderer Verwal- tungseinheiten wird die Bedeutung dieser Ämter als die bedeutendsten Anlaufstellen für die Bürgerinnen und Bürger Berlins weiter zunehmen. Die One-Stop-City- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 340 2 Strategie und das Front-Back-Office-Prinzip sind dabei die konsequenten Antworten auf diese Entwicklung und ermöglichen verwaltungsinterne Personalumschichtun- gen. Denn eine effiziente verwaltungsinterne Arbeitstei- lung im Front- und Backoffice über Zuständigkeitsgren- zen hinweg reduziert Verwaltungsaufwände und ermög- licht zugleich kundenorientierten Verwaltungsservice „aus einer Hand“. Dies kann aufgrund der Eigenständigkeit der Senats- und Bezirksverwaltungen aber nicht als Top-Down-Prozess durchgeführt werden, sondern bedarf der ständigen Überzeugungsarbeit. Die gemeinsame Herausforderung besteht in der orga- nisations- und ressortübergreifenden Reorganisation der Prozesse und in deren automatisierter Abwicklung, um die Aufwände in den Ämtern erheblich zu reduzieren. Deshalb bilden die Vorhaben zur elektronischen automa- tisierten Verfahrensabwicklung den aktuell bedeutsamen Schwerpunkt der One-Stop-City-Strategie und sind hand- lungsleitend für alle Zugangskanäle. Der Senat hat relevante Prozesse der Ämter für Bür- gerdienste in den Fokus eines behördenübergreifenden One-Stop-City-Ansatzes gestellt. Durch die Koordinie- rungsstelle One-Stop-City in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport sind folgende Schritte geplant: 1. Gemeinsame Analyse und Bewertung relevanter Prozesse nach dem Standardvorgehen für Ge- schäftsprozessoptimierung. 2. Erarbeitung von Organisations- und IT-Konzepten unter Berücksichtigung der IT-Fachverfahren als wesentliche Voraussetzung für die Prozessautoma- tisierung in Zusammenarbeit mit den fachverant- wortlichen Stellen. 3. Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen (Recht, Ressourcen, Strukturen, Personalanforde- rungen, IT- und Prozessstandards usw.) in Zu- sammenarbeit mit den Fach- und Ressourcenver- antwortlichen. 4. Sukzessive Umsetzung standardisierter automatisierter Prozesse in Zusammenarbeit mit den Fach- und Ressourcenverantwortlichen. 4. Wann wurde die letzte Rahmenzielvereinbarung zwischen den Bezirken bezüglich der Bürgerämter abge- schlossen? Enthält diese Rahmenzielvereinbarung genaue Ziele und Kennzahlen und wenn ja welche, zu Wartezei- ten mit und ohne Terminvergabe und wieviel Tage die KundInnen auf den nächsten freien Termin bei der Ter- minvergabe im Schnitt warten sollen? Zu 4.: Die für Bürgerdienste zuständigen Bezirksstadt- rätinnen und Bezirksstadträte sowie der Staatssekretär der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Herr Statzkowski unterzeichneten zu Beginn dieses Jahres die aktuelle Rahmenzielvereinbarung für den Zeitraum 2014/ 2015. Mit Rückblick auf die Erfahrungen zu bisherigen Rah- menzielvereinbarungen konzentrierten sich die Vereinba- rungspartner auf konkret abrechenbare Aufgaben, die insbesondere der Leistungstransparenz nach innen und außen, der Herausbildung eines Leistungsvergleichs so- wie davon abzuleitenden landeseinheitlichen Standards dienen. Schwerpunkt der Vereinbarung ist die Einführung ei- nes Vergleichsportals mit welchem Leistungsunterschiede erkennbar und Lösungen im Sinne weiterer Standardisie- rungen befördert werden. Damit kann die Vergleichbar- keit von Leistung mittels vereinbarter (Mindest- )Standards, verbunden mit hoher Transparenz, erreicht werden. Die Bezirke einigten sich zunächst auf folgende vier Vergleichskennzahlen:  Kunden je Vollzeitäquivalente (VZÄ)- Sachbearbeiter/in Allzuständigkeit,  Kunden je VZÄ-Sachbearbeiter/in Allzuständigkeit je Öffnungszeitstunde,  Mittlere Bedienzeit,  Verfügbare Personalressource (durchschnittliche Anwesenheit). Das Portal wird folgende Module als eigenständige und integrationsfähige Bestandteile beinhalten:  Online-Ämterbewertung,  Online-Bewertung der Arbeitssituation,  Fach-Kennzahlensystem und ausgewählte Daten der Kosten- und Leistungsrechnung. Auf Grundlage dieser sehr guten Ausgangsbasis plant der Senat unter Federführung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport folgende operative Schritte: 5. Aufbau und Einführung der o.g. Module des Vergleichsportals als standardisierte Lösung. 6. Durchführung des Kennzahlenvergleichs mit den ersten vier Pilotbezirken. 7. Auswertung der Pilotphase und sukzessive Ausweitung auf alle 12 Ämter für Bürgerdienste. 8. Zieldiskussion und Vereinbarung von gemeinsamen Mindeststandards unter Berücksichtigung der Balanced Scorecard (z.B. Welche gesamtstädti- schen Standards sollen/können die Ämter unter gegebenen Rahmenbedingungen mindestens errei- chen?). 9. Etablierung des kontinuierlichen Steuerungsprozesses (Messen – Bewerten – Steuern). 5. Zur Zeit der Abgabe dieser Anfrage lag der erste berlinweit online verfügbare Termin für die Ausstellung eines vorläufigen Passes 24 Tage später! Wie wird der Senat gemeinsam mit den Bezirken das jährlich wieder- kehrende Problem der Überlastung zu Beginn und wäh- rend der Ferienzeit lösen, z. B. durch das Angebot von zeitweilig einzurichtenden Notschaltern für Pass- und Ausweisangelegenheiten und zeitlich befristeter Verstär- kung des Personals? Zu 5.: Aufgrund des zweistufigen Verwaltungsaufbau des Landes Berlins liegt die Personalhoheit in den Bezir- ken. Für alle Bezirke liegen mit der Senatsverwaltung für Finanzen abgestimmte und vom Hauptausschuss gebillig- te Konzepte zum Personalabbau bis zum Ende der Legis- laturperiode vor. Damit sind die Bezirke frei in ihrem personalwirtschaftlichen Handeln und unterliegen keinen Einstellungsrestriktionen. Auch die Entscheidung dar- über, in welchen Bereichen ggf. befristet Personal einge- stellt werden soll, liegt in der alleinigen Verantwortung der Bezirke. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 340 3 Im Kontext der landesweiten Koordinierung der Ber- liner Bürgerdienste ist der Senat bemüht gemeinsam mit allen Beteiligten auf Bezirks- und Senatsebene Lösungs- möglichkeiten für das erhöhte Kundenaufkommen in den Ferienzeiten zu entwickeln. So sind in den kommenden Jahren Präventionsmaßnahmen zu treffen, die sowohl strukturelle Überlegungen berücksichtigen, aber auch ein gesteigertes Bewusstsein auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger, der Verantwortung im Besitz eines gültigen Aus- weisdokuments z.B. auch für Reisen zu sein, frühzeitig nachzukommen. Die Entwicklung und Umsetzung eines landeseinheit- lichen Konzepts bedarf der Unterstützung als auch der Bereitschaft der verantwortlichen Fach- und Ressourcen- verantwortlichen. Daher ist dieser Prozess sorgfältig, bedacht und unter Berücksichtigung aller Interessenslagen sowie paralleler landesweiter Entwicklungen umzusetzen. 6. Welche Maßnahmen plant der Senat konkret, um den Gang auf das Bürgeramt durch online gestützte Auf- gabenerledigung zu ersetzen? Zu 6.: Bisher können folgende Online- Dienstleistungen auf dem Service-Portal des Landes Ber- lin aufgerufen werden:  Familienpass (Verkauf),  Melderegisterauskunft für Einzelabfrager,  Auskunft Bundeszentralregister,  Gewerberegisterauszug – elektronische Auskunft,  Sterbeurkunde. Quelle: Service-Portal: https://service.berlin.de/onlineverfahren- onlinedienstleistungen/ Folgende weitere Onlinedienstleistungen der Berliner Bürgerämter sind in Planung:  Online Antragsverfahren in Verbindung mit elektronischer Fahrerlaubnisakte –ProOnEFA  Briefwahlantrag (medienbruchfrei)  Online Wahlhelfermeldung Der durch den Senat avisierte Ausbau der Ämter für Bürgerdienste zu den wichtigsten Anlaufstellen der Berli- ner Verwaltung bedarf nicht nur organisatorischer An- strengungen wie Prozessanalysen, der Identifizierung neuer bzw. ergänzender Dienstleistungsangebote, sondern vor allem der Festlegung und Umsetzung technischer Standards, die die online gestützte Realisierung von Verwaltungsdiensten realisierbar machen. Mit dem „Programm 100+“ (eID-Strategie und Aufbau von Transaktionsdiensten für das Land Berlin) hat der Senat eine wich- tige Ausgangsbasis geschaffen, die nunmehr umgesetzt wird. Darüber hinaus besteht insbesondere für die Bürger- amts-Dienstleistungen eine weitere wesentliche Voraus- setzung in der Weiterentwicklung der Fachverfahren. Nur auf der Grundlage einer modernen technologischen Basis können Online-Dienste überhaupt umgesetzt werden. Federführend durch das Landesamt für Bürger- und Ord- nungsangelegenheiten wird deshalb die aktuelle Mel- desoftware bis Mitte 2016 einem Systemwechsel unterzo- gen (Projekt ProVOIS). Alle Online-Vorhaben, die sich auf dieses Fachverfahren stützen, passen sich dieser Zeit- planung an. 7. Wie und wann wird der Senat in der Personalpolitik gegenüber den Bezirken insbesondere bezüglich der Bürgerämter der Tatsache Rechnung tragen, dass eine wachsende EinwohnerInnenzahl die Bürgerämter durch zusätzliche Meldeangelegenheiten etc. belastet? Zu 7.: Der Mengenzunahmen im Dienstleistungsbe- reich der Berliner Bürgerämter aufgrund einer wachsen- den Einwohnerzahl ist entgegenzusetzen, dass ebenso Aufgaben weggefallen sind, zuletzt in 2011 durch den Wegfall der Zuständigkeit für die Lohnsteuerkartenange- legenheiten. Die in diesem Zusammenhang eingesparten Stellenanteile sind jedoch in den Bürgerämtern verblie- ben, um den Aufgabenzuwachs, z.B. für die Ausstellung des neuen Personalausweises sowie des Berlinpasses auszugleichen. Des Weiteren können durch die Zunahme von Onlinedienstleistungen Bearbeitungsprozesse in den Bürgerämtern optimiert werden, was im Optimalfall zu einer Entlastung der Arbeitssituation führt. 8. Warum gibt es bis heute keinen Ausbildungsgang speziell für MitarbeiterInnen der Bürgerämter? Welcher Fortbildungsbedarf ergibt sich dadurch für neue Mitarbei- terInnen in Bürgerämtern? Zu 8.: Die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestell- ten bzw. zum Verwaltungsfachangestellten ist breit ange- legt, um in verschiedenen Bereichen der Berliner Verwal- tung in der mittleren Funktionsebene des allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienstes einsatzfähig zu sein. Die Bezirksämter als Ausbildungsbehörden für ihren Bereich können einen Teil der vorgeschriebenen berufs- praktischen Ausbildung der Verwaltungsfachangestellten - etwa im Handlungsfeld „bürgerorientiertes Verwaltungshandeln “ - in ihrem Bürgeramt durchführen. Die Durchführung eines speziellen Ausbildungsgangs wäre aus organisatorischer und auch finanzieller Sicht nicht sinngebend. Berlin, den 21. August 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. August 2014)