Drucksache 17 / 14 427 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sabine Bangert (GRÜNE) vom 24. August 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. August 2014) und Antwort Stolpersteine in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Aufgaben übernimmt die zentrale Koordinierungsstelle für das Projekt Stolpersteine und welche konkreten Aufgaben und organisatorischen Absprachen müssen von den Bezirken zur Realisierung und Betreuung der Stolpersteine übernommen werden? Zu 1.: Die Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin ist zentrale Kontakt- und Beratungsstelle für Fragen von Privatpersonen, Institutionen und Medienvertretern aus dem In- und Ausland. Sie bereitet die Verlegungen von Stolpersteinen durch den Künstler Gunter Demnig vor, koordiniert und gewährleistet einen reibungslosen Ablauf. Die Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin ergreift Maßnahmen zur Förderung des Engagements von ehren- amtlich tätigen Personen in den bezirklichen Stolperstein- Initiativen und zur Qualifizierung von ehrenamtlicher Arbeit in Form von Schreibseminaren, Archiv- und Re- chercheworkshops und weiterer Angebote. Sie berät Pä- dagoginnen und Pädagogen, die im schulischen sowie außerschulischen Bereich tätig sind und mit ihren Schüle- rinnen und Schülern eine Stolperstein-Verlegung initiie- ren wollen, erarbeitet pädagogisches Begleitmaterial und pflegt die gemeinsame Homepage aller Berliner Stolper- stein-Initiativen: www.stolpersteine-berlin.de Aufgabe der eigenständigen Stolperstein-Initiativen in den Bezirken ist die Bearbeitung der konkreten Anfragen von Angehörigen oder anderen Initiatoren. Das umfasst den Kontakt zu den jeweiligen Initiatoren, die Information der Tiefbauämter und das Prüfen der Angaben zu der Person, für die der Stolperstein verlegt werden soll, zum Teil auch in Archiven. In Abstimmung mit den Initiatoren werden die Inschriften für die zu produzierenden Stolper- steine vorformuliert. Die Stolperstein-Initiativen in den Bezirken melden ihren Bedarf an Verlegungen bei der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin an, nehmen an den regelmäßigen berlinweiten Treffen aller Initiativen teil und koordinieren die Termine, an denen der Künstler Gunter Demnig in Berlin Stolpersteine verlegt, mit den Wünschen der Stolperstein-Initiatoren. 2. Wie viele Stolpersteinprojekte sind in den vergangenen zwei Jahren in den jeweiligen Bezirken realisiert worden, wie viele sind in konkreter Planung, wie viele stehen auf einer sogenannten Warteliste und mit wie vielen Projekten ist in den kommenden fünf Jahren aufgrund der bisherigen Erfahrungen zu rechnen? Zu 2.: 2012 sind in Berlin 793 Stolpersteine verlegt worden, 2013 waren es 884, 2014 werden es insgesamt 771 sein. 2015 kann mit ca. 570 verlegten Stolpersteinen gerechnet werden. Bezirk 2012 2013 2014 Warteliste Charlottenburg- Wilmersdorf 425 419 354 Keine Warteliste Friedrichshain- Kreuzberg 32 33 50 Keine Warteliste Lichtenberg 6 2 0 Keine Warteliste Marzahn- Hellersdorf 9 8 3 Keine Warteliste Mitte 159 115 93 Warteliste: 313 Anfragen Neukölln 18 36 8 Keine Warteliste Pankow 61 64 50 OT Prenzlauer Berg Weißensee ca. 70 Anfragen - Keine Warteliste: OT Pankow Reinickendorf 9 15 12 Keine Warteliste Spandau 4 5 4 Keine Warteliste Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 427 2 Steglitz-Zehlendorf 10 28 74 Keine Warteliste Tempelhof- Schöneberg 47 132 119 ca. 80 Anfragen von Angehörigen ca. 60 Anfragen von interessierte Berlinerinnen und Berliner Treptow-Köpenick 13 27 4 Keine Warteliste Gesamtzahl 793 884 771 Eine Antwort, mit wieviel Stolpersteinverlegungen in Berlin in den kommenden fünf Jahren gerechnet werden kann, kann nicht gegeben werden, da das Kunstprojekt auf europaweitem bürgerschaftlichem Engagement beruht und sich jährlich weitere Städte und Gemeinden an dem Erinnerungs- und Gedenkprojekt beteiligen. Ein unum- stößliches Prinzip des Künstlers ist, dass die Anzahl der jährlich produzierten Stolpersteine insgesamt in etwa gleich bleibt. Daher wird sich das Projekt in Berlin in den nächsten fünf Jahren langsamer weiterentwickeln als bisher. 3. In welchen Bezirken stehen für die Realisierung und Betreuung der Stolpersteine zusätzlich zu bürger- schaftlichem Engagement personelle Ressourcen zur Verfügung? Wo sind diese Stellen angesiedelt, aus welchen Etats bzw. mit welchen Mitteln werden diese finanziert und für welchen Zeitraum ist die Finanzierung jeweils gesichert? Zu 3.: Die Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin hat hierzu folgende Auskunft gegeben: Friedrichshain-Kreuzberg Museum - eine Volontärin; das Volontariat endet im Sommer 2015. Museum Neukölln - eine beschäftigte Kraft mit einem geringen wöchentlichen Stundenkontingent. Museum Pankow - eine Honorarkraft für die Ortsteile Prenzlauer Berg und Weißensee. Der Ortsteil Pankow liegt in der Verantwortung einer ehrenamtlich arbeitenden Gruppe. Museen Tempelhof-Schöneberg - eine befristet be- schäftigte Kraft. Die Finanzierung wird seit 2010 über den Europäischen Sozialfonds für Deutschland (ESF) im Rahmen des Modellprojekts "Bürgerarbeit" abgewickelt. Die Befristung der Stelle endet im Dezember 2014. In den anderen Bezirken gibt es nach unserem Kennt- nisstand keine bezahlten personellen Ressourcen. Aus welchen Titeln Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Prenzlauer Berg ihr für die Stolpersteine eingesetztes Personal bezahlen, ist dem Senat nicht bekannt. 4. Wo und aus welchen Gründen sieht der Senat aktuellen Handlungsbedarf für die Gewährleistung der Betreuung und zeitnahen Realisierung neuer Stolpersteine in Berlin (z.B. aufgrund auslaufender Finanzierungen für Personal oder durch lange Wartelisten für die Verlegung der Steine)? Zu 4.: Zur Konzeption des Kunstprojekts Stolpersteine gehört, dass es von ehrenamtlichem Engagement getragen wird; darauf beruhen sowohl sein großer Erfolg wie auch die breite Akzeptanz Die Zahl neuer Verlegungen wird durch Vorgaben des Künstlers begrenzt (siehe Antwort zu 2). Mit Blick auf diese beiden Aspekte sieht der Senat keinen Handlungsbedarf für die Gewährleistung der Be- treuung und zeitnahen Realisierung neuer Stolpersteine in Berlin. Handlungsbedarf sieht der Senat im Auf- bzw. Ausbau ehrenamtlicher Strukturen in Bezirken, in denen die Fi- nanzierung des bisherigen Personals ausläuft. 5. Sieht der Senat eine Möglichkeit, eine gesamtstädtische Verantwortung für die Betreuung der Stolpersteine zu leisten, die über die Finanzierung der zentralen Koordinierungsstelle, die am aktiven Museum angegliedert ist, hinausgeht, und wie könnte diese konkret für die einzelnen Bezirke aussehen? Zu 5.: Aus dem unter 4. genannten Grund, nämlich der Konzeption des Kunstprojekts, sieht der Senat hierzu keine Veranlassung. 6. Welche Maßnahmen unternimmt der Senat, um für ein bürgerschaftliches Engagement für das Projekt Stolpersteine stadtweit zu werben, dieses aus- bzw. aufzubauen und nachhaltig zu stärken? Zu 6.: Die Stärkung ehrenamtlicher Strukturen gehört zu den Aufgaben der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin. Diese hat u.a. an der diesjährigen von der Landes- freiwilligenagentur Berlin organisierten Freiwilligenbörse im Roten Rathaus teilgenommen und explizit für ehren- amtliche Unterstützung in den bezirklichen Stolperstein- Initiativen geworben. Im Bezirk Mitte hat die Koordinie- rungsstelle Stolpersteine Berlin mit Hilfe einer Informati- onsveranstaltung für Mitarbeit geworben, einige neue Unterstützerinnen und Unterstützer konnten bereits ge- wonnen werden. Die Buchpublikationen der Koordinie- rungsstelle Stolperstein Berlin und des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. bieten außer- dem allen Interessierten Einblick in die ehrenamtliche Arbeit der bezirklichen Stolperstein-Initiativen und kön- nen als ausgezeichnete Werbung für eine Mitarbeit be- trachtet werden. Darüber hinaus hat die Senatskanzlei im März dieses Jahres eine Veranstaltung als Dank und zur Anerkennung der geleisteten Arbeit der Ehrenamtlichen des Stolperstei- ne Projektes mit großer Resonanz durchgeführt. Eine erweiterte Folgeveranstaltung wird bereits für Februar des Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 427 3 kommenden Jahres geplant. Diese Veranstaltungen tragen ebenfalls zur Anerkennung und Stärkung des bürger- schaftlichen Engagements im Rahmen des Stolpersteine Projektes, im ganzen Stadtgebiet, bei. 7. Welche Maßnahmen müssten in den jeweiligen Bezirken ergriffen werden, um langfristig die Betreuung der Stolpersteine analog zu anderen deutschen und europäischen Städten durch bürgerschaftliches Engagement zu gewährleisten und wer ist dafür verantwortlich? (Bitte für die einzelnen Bezirke auflisten) Zu 7.: Die Bezirke Mitte und Tempelhof-Schöneberg haben Unterstützungsbedarf hinsichtlich der Stärkung der ehrenamtlichen Strukturen angemeldet. Die Koordinie- rungsstelle Stolpersteine Berlin bietet dafür ihre Unter- stützung an. In anderen Bezirken ist der Bedarf nicht gegeben (siehe Antwort zu 2). 8. Welche finanziellen und personellen Rahmenbedingungen sind notwendig, um ein bürger- schaftliches Engagement zur Pflege und die Umsetzung der Stolpersteine zu gewährleisten und welche Möglich- keit hat der Senat, hier temporär oder dauerhaft finanziell oder personell zu unterstützen? Zu 8.: Die gut funktionierenden ehrenamtlichen Stol- perstein-Initiativen haben sich eigenständig gebildet und sich ebenso eigenständig Unterstützung innerhalb der bezirklichen Institutionen gesucht. Dazu zählen Bezirks- museen, Kirchengemeinden, politische Organisationen oder die Bezirksämter. In den Bezirken, in denen es diese ehrenamtlichen Strukturen bisher nicht gibt, sollten Insti- tutionen, Gruppen, Organisationen und auch Einzelperso- nen angesprochen werden und für diese Arbeit gewonnen werden. Die Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin wird weiterhin in der Öffentlichkeit für ein Engagement der bezirklichen Stolperstein-Initiativen werben. 9. Was sind die konkreten Vorhaben des Senats, um die Realisierung weiterer Stolpersteine in den nächsten sechs bis zwölf Monaten voranzutreiben? Zu 9.: Die Entwicklung des Kunstprojektes liegt nicht in der Hand des Berliner Senats. Es handelt sich um das Projekt des Künstlers Gunter Demnig. In Berlin liegen bereits mehr Stolpersteine als in jeder anderen Stadt, die Teil dieses europäischen Projektes ist. Der Senat ist der Ansicht, dass sich bei einem solchen künstlerischen Erin- nerungs- und Gedenkprojekt expansive und kompetitive Tendenzen verbieten, da hinter jeder tragischen Lebens- geschichte das gleiche Anrecht auf Würdigung durch einen Stolperstein liegt. Aus Respekt vor dem Schicksal der Verfolgten, für die die Stolpersteine verlegt werden, ist jeder einzelne Stolperstein ein handgefertigtes Kunst- werk, das sich mit allen anderen über 47.000 inzwischen verlegten Stolpersteinen zum größten dezentralen Denk- mal Europas zusammenfügt. Daher sollten die Überle- gungen innerhalb der Berliner Stolperstein-Initiativen eher in die Richtung gehen, wie sich gerade die Anfragen von Angehörigen zeitnah realisieren lassen können und inwieweit sich das Interesse an einer Stolperstein- Verlegung aus einer familiär nicht betroffenen Bevölke- rung auch in anderen Aktivitäten innerhalb des Projektes manifestieren könnte. Berlin, den 5. September 2014 Der Regierende Bürgermeister In Vertretung Tim Renner Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Sep. 2014)