Drucksache 17 / 14 434 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander J. Herrmann (CDU) vom 27. August 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. August 2014) und Antwort Elternkonsens – Kinder brauchen Mutter und Vater Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Sind dem Senat das Angebot www.elternkonsens.de des Justizministeriums Baden-Württemberg sowie die Grundsätze des sog. „Elternkonsens“ bekannt? Zu 1.: Dem Senat sind das Angebot www.elternkonsens.de des Justizministeriums Baden- Württemberg sowie die Grundsätze des sogenannten „Elternkonsens“ bekannt. 2. Wie bewertet der Senat dieses Angebot und dessen Zielsetzung, durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Familienkonflikt zur Verringerung der Belastung von Trennungskindern beizutragen? Zu 2.: Die Zielsetzung, durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Familienkonflikt zur Verringerung der Belastung von Trennungskindern beizutragen, ist unbedingt zu befürworten und wird in Berlin entspre- chend den hiesigen Gegebenheiten und der bisherigen Entwicklung (siehe dazu die Antwort zu Frage 3) nach- drücklich unterstützt. Dazu merkt der Senat an, dass sich die interdisziplinä- re Zusammenarbeit im Familienkonflikt auf den Umgang mit allen Familien und auf alle Eltern-Kind-Verhältnisse bezieht, die Gegenstand von Familiengerichtsverfahren werden, unabhängig von der Lebensform und der Ge- schlechtszugehörigkeit der Eltern. 3. Wie funktioniert in Berlin die interdisziplinäre Zu- sammenarbeit in Familienkonflikten? Zu 3.: Das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtli- cher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls ist Mitte 2008 in Kraft getreten. Mit der Familienrechtsre- form des Jahres 2009, die die Zuständigkeiten der Famili- engerichte konzentriert und die Rechte der Kinder ge- stärkt hat, ist dieser Weg fortgesetzt worden. Im Vorgriff zu dieser Gesetzgebung hat der Senat be- reits im April 2007 zusammen mit der für Jugend zustän- digen Senatsverwaltung und der Rechtsanwaltskammer Berlin eine interdisziplinäre Vernetzung der mit Sorge- und Umgangsrechtsverfahren befassten Professionen angestoßen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit baut wie der „Elternkonsens“ auf den Visionen der sog. Cochemer Praxis auf, geht aber weit über diese hinaus: Durch die enge und verbindliche Kooperation ist die Implementierung einer professionellen Zusammenarbeit in Berlin mit ca. 13.800 Rechtsanwälten, ca. 100 Famili- enrichtern und ca. 600 Mitarbeitern der insgesamt zwölf Jugendämter gelungen. Mittlerweile bestehen in Berlin neun örtliche Arbeits- kreise und ein landesweiter Koordinierungskreis, in denen Richterinnen und Richter, Rechtsanwältinnen und Rechts- anwälte, Fachkräfte der Jugendämter, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Beratungsstellen (öffentlicher und freier Träger), Sachverständige und Verfahrensbeistände interdisziplinär zusammenarbeiten. Sie treffen sich auf regelmäßiger Basis, erarbeiten Arbeits- und Verfahrens- standards, diskutieren Rollenverständnisse ebenso wie aktuelle rechtliche oder sachliche Fragestellungen von Sorge- und Umgangsstreitigkeiten. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz unterstützt die interdis- ziplinäre Zusammenarbeit im Familienkonflikt durch Fortbildungen und Moderation des überörtlichen berlin- weiten Koordinierungskreises. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft und das Sozialpädago- gische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) unterstützen die Jugendämter und die Erziehungs- und Familienberatungsstellen bei der Anwendung und Umset- zung der o. g. Arbeits- und Verfahrensstandards. Die Rechtsanwaltschaft stellt sogenannte Kontaktrechtsanwäl- tinnen und Kontaktrechtsanwälte zur Koordination und Repräsentation nach außen zur Verfügung. 4. Inwieweit werden die Grundsätze des „Elternkonsens “ an den drei Berliner Familiengerichten im Interesse des Kindeswohls angewandt? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 434 2 Zu 4.: Geht im „Beschleunigten Familienverfahren“ ein Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge oder des Umgangs bei einem Familiengericht ein, beraumt das Gericht sofort einen Termin zur Anhörung an, der inner- halb von 4 Wochen stattfindet. Das Gericht lädt die Betei- ligten und das Jugendamt zu diesem Termin, versendet ein Merkblatt und legt ihnen bestimmte Pflichten auf. Eltern und Anwälte werden gebeten, sich auf die wesent- lichen Sachinformationen zu beschränken, insbesondere, Schuldzuweisungen und gegenseitige Verletzungen zu vermeiden. Die Eltern sollen noch vor dem gerichtlichen Anhörungstermin beim Jugendamt einen Beratungstermin durchführen. Das Jugendamt erinnert die Eltern an ihre gemeinsame Elternverantwortung für die Kinder und motiviert sie, die Bedürfnisse ihrer Kinder zukünftig wieder gemeinsam und selbständig, d. h. ohne fremde Hilfe zu erkennen und zu befriedigen. Durch diese schnel- le Intervention aller Professionen wird mit Blick auf die Interessen des Kindes der Konflikt zwischen den Eltern möglichst schnell entschärft und den Eltern zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die individuell notwendige Hilfe zuteil. Im gerichtlichen Anhörungstermin führt die Familienrichterin oder der Familienrichter mit den Eltern und deren Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte mit fachlicher Unterstützung des Jugendamtes ein offenes Lösungsgespräch. Hier werden die individuelle familiäre Situation wie auch die Bedürfnisse der Kinder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt analysiert. Die Rechtsanwäl- tinnen und Rechtsanwälte begleiten und coachen die El- tern in diesem besonderen Verfahren. In vielen Fällen können die Eltern schon aufgrund der ersten Intervention ihre Elternverantwortung wieder ge- meinsam und eigenverantwortlich annehmen. Mit einer Elternvereinbarung kann das gerichtliche Verfahren abge- schlossen werden. Häufig jedoch sind die Eltern aber aufgrund des Konfliktes mit dem früheren Partner oder der früheren Partnerin vorübergehend und vielleicht auch schuldlos nicht in der Lage, die Eigenverantwortung ohne fremde Hilfe wieder anzunehmen. Dann werden sie aus dem Gerichtstermin mit Hilfe der anwesenden Mitarbeite- rin oder des anwesenden Mitarbeiters des Jugendamtes in eine Mediation oder Beratung vermittelt. Die Autorität des Gerichts hilft dabei, die Eltern zur Annahme von Hilfen zu motivieren. Treten zum Elternkonflikt zusätzli- che Problemfelder wie Alkohol, Drogen, Gewalt, psychi- sche Erkrankungen oder der Verdacht sexuellen Miss- brauchs hinzu, hilft das beschleunigte Verfahren, die zusätzlich notwendige Lebensberatung und Lebenshilfe zu einem möglichst frühen Zeitpunkt und maßgeschnei- dert in die Familie zu bringen. Die gerichtlichen Verfahren werden beschleunigt. Sie tragen zu einer Deeskalation der Konflikte bei. Es ist eine nachhaltige Verzahnung des gerichtlichen Verfahrens mit Mediation/Beratung entstanden. Dies ermöglicht den Eltern die Erarbeitung nachhaltiger Einigungen. Sieben Jahre nach Beginn der Initiative im April 2007 kann beo- bachtet werden, dass die weit überwiegende Mehrheit der Konfliktparteien es durch Mediation oder Beratung erler- nen, die Angelegenheiten ihrer Kinder selbständig und gemeinsam zu lösen. Dadurch bedarf es dann im Verlaufe des Verfahrens keiner streitigen gerichtlichen Entschei- dung mehr. Die Gerichte werden von unnützen Ände- rungs- und Folgeverfahren befreit und die Rechtsmittelge- richte erheblich entlastet. Insgesamt wird den Rechten der Kinder zu mehr Gel- tung verholfen. Ihre Beziehung zu beiden Elternteilen wird verbessert. Die Eigenverantwortung der Eltern wird gestärkt. 5. Welche Fortbildungsangebote gibt es insoweit an den Berliner Familiengerichten? Zu 5.: In Berlin wird ein eigenes für die besonderen Erfordernisse der Stadt entwickeltes Modell interdiszipli- närer Zusammenarbeit gepflegt. Auf der Grundlage dieses Modells, dessen Zielsetzung, nämlich eine gütliche Eini- gung der Eltern, der baden-württembergischen Konzepti- on entspricht, werden der Berliner Familienrichterschaft passende Fortbildungsangebote unterbreitet. So werden sowohl im Rahmen des justizeigenen Fortbildungspro- gramms Fortbildungen an den Schnittstellen der am Fami- lienverfahren beteiligten Disziplinen, z. B. zu Kindesan- hörungen oder familienpsychologischen Gutachten oder Mediation, angeboten. Das Programm wird erweitert durch das umfangreiche interdisziplinäre Angebot des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin-Bran- denburg (SFBB), an dem die Familienrichterschaft selbst teilnimmt oder sogar Referentinnen und Referenten stellt. Zusätzlich sind interdisziplinäre und konsensorientierte Elemente regelmäßig auch Bestandteil der Einführungs- veranstaltungen für angehende Familienrichterinnen und Familienrichter, die an der Deutschen Richterakademie oder im Fortbildungsverbund der nord- und ostdeutschen Länder angeboten werden. Berlin, den 16.September 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Sep. 2014)