Drucksache 17 / 14 447 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 28. August 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. August 2014) und Antwort Kann Berlin alle unbegleiteten Flüchtlingskinder nach den in der Jugendhilfe geltenden Standards versorgen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind pro Jahr seit 2011 nach Berlin gekommen? 2. Wie viele von diesen wurden pro Jahr in Obhut genommen? Zu 1. und 2.: Im angefragten Zeitraum wurden unbe- gleitete minderjährige Flüchtlinge zur Vermeidung von Obdachlosigkeit im Auftrag des Landes Berlin in der Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) des Jugendhilfe- trägers Stiftung zur Förderung sozialer Dienste (FSD- Stiftung) wie folgt aufgenommen: Jahr Erstaufnahmen 2011 546 2012 739 2013 882 In diesem Jahr fanden bis einschließlich 31. Juli ins- gesamt 509 Aufnahmen statt. Nach erfolgter Altersschätzung wurden hiervon in das Clearingverfahren aufgenommen: Jahr Clearingverfahren 2011 257 2012 390 2013 491 In diesem Jahr sind bis einschließlich 31. Juli für ins- gesamt 231 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge Clea- ringverfahren eingeleitet worden. 3. Wie viele dieser jungen Menschen wurden pro Jahr seit 2011 nach der Erstaufnahme in regulären Ein- richtungen der Jugendhilfe untergebracht? Zu 3.: In angefragten Zeitraum wurden im Anschluss an das Clearingverfahren in reguläre Jugendhilfeeinrich- tungen vermittelt: Jahr Unterbringungen 2011 207 2012 232 2013 295 In diesem Jahr waren bis einschließlich 31. Juli insge- samt 228 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterzu- bringen. 4. Können derzeit alle nach Berlin kommenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in den Erstauf- nahmeeinrichtungen der Jugendhilfe aufgenommen wer- den und auch anschließend nach den Standards der Ju- gendhilfe versorgt werden? Zu 4.: Im Land Berlin erfolgt die Inobhutnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ausschließlich durch die EAC in der Wupperstraße 17 in Steglitz- Zehlendorf. Derzeit können alle dort Ankommenden aufgenommen und entsprechend versorgt werden. 5. Wie lange dauert derzeit ein Verfahren von Ankunft bis Unterbringung der jungen Menschen in regulä- ren Einrichtungen der Jugendhilfe? Zu 5.: Die Verfahrensregelung erfolgt nach Nummer 4 der Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer (AV-JAMA) vom 21. Mai 2013. Die Höchstdauer beträgt drei Monate. 6. Nach welchen Quoten ist welches Jugendamt für die Jugendlichen zuständig? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 447 2 Zu 6.: Nach Nummer 3 Absatz 4 AV-JAMA erfolgt die bezirkliche Zuweisung nach dem folgenden Quoten- schlüssel: Bezirk Quote in % Charlottenburg - Wilmersdorf 9,0 Friedrichshain - Kreuzberg 7,0 Lichtenberg 8,3 Marzahn - Hellersdorf 8,4 Mitte 8,2 Neukölln 8,1 Pankow 9,5 Reinickendorf 7,8 Spandau 7,2 Steglitz - Zehlendorf 9,5 Tempelhof - Schöneberg 9,1 Treptow - Köpenick 7,9 7. Wie hoch waren 2012 und 2013 die Kosten für die Erstaufnahme von minderjährigen unbegleiteten Flücht- lingen und wie hoch bei der Unterbringung in regulären Einrichtungen der Jugendhilfe? Zu 7.: Im angefragten Zeitraum betrugen die Kosten für Erstaufnahme- und Clearingverfahren im Land Berlin wie folgt: Jahr Ausgaben in EUR 2012 2.999.884 2013 4.368.030 Die jährlichen Kosten von minderjährigen unbegleite- ten Flüchtlingen in den regulären Einrichtungen der Ju- gendhilfe werden von den Bezirken nicht gesondert er- fasst. 8. Wie lange dauern derzeit die Vormundschaftsverfahren bei den Familiengerichten, von Beginn der Antrag- stellung auf Bestellung eines Vormundes für diese Min- derjährigen bis zum Vormundschaftsbeschluss? Zu 8. : Können die Personensorgeberechtigten des minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings nicht ermittelt bzw. erreicht werden, regt die für Jugend zuständige Se- natsverwaltung gemäß Nummer 3 Absatz 3 AV-JAMA spätestens am dritten Werktag nach Aufnahme in die EAC eine Entscheidung des zuständigen Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohle des Flüchtlings an. Gleiches gilt, wenn eine Übergabe an die Personensorgeberechtigten mit seinem Wohl nicht ver- einbar erscheint. Bis zum Beschluss des zuständigen Familiengerichtes können - je nach Umfang des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung zum gegenwärtigen Aufenthalt der Personen- sorgeberechtigten und ihrer vor Ort bestehenden Mög- lichkeiten zur Ausübung der elterlichen Sorge – unterschiedlich lange Zeiträume vergehen. 9. Welche Maßnahmen ergreifen Senat und Bezirke, um die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Berlin zu verbessern bzw. die geltenden Standards der Jugendhilfe zu sichern? Zu 9.: In vernetzter Zusammenarbeit der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), den Bezirken und Trägern werden alle erforderlichen Maßnahmen zur Ver- besserung der Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und zur Sicherung der Qualitätsstandards der Jugendhilfe umgesetzt. Das Erstaufnahme und Clearingverfahren orientiert sich nach Nummer 3 AV-JAMA am individuellen Hilfe- bedarf und unter Berücksichtigung der psychischen Belas- tungssituation der minderjährigen unbegleiteten Flücht- linge. Nach der ausländerrechtlichen Registrierung und der Anregung der erforderlichen Maßnahmen des Famili- engerichtes werden die folgenden Standards gesichert. Gesundheitliche Abklärung: Dazu gehören die Unter- suchung im Tropeninstitut und Tuberkulosezentrum, eine Grundimmunisierung, gegebenenfalls ein internistischer, zahnmedizinischer und gynäkologischer Gesundheits- Check und die Untersuchung durch den Kinder- und Ju- gendgesundheitsdienst. Umfassende Beratung: Während des Aufenthalts in der EAC werden die unbegleiteten minderjährigen Flücht- linge zu aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten, gesetzli- chen Rahmenbedingungen, gesundheitlichen Fragen, gesunder Ernährung, Hygiene sowie zu Bildungsmöglich- keiten beraten. Deutschunterricht und Einschulung: Alle Bewohner und Bewohnerinnen der EAC erhalten sofort Deutschun- terricht, der werktäglich vormittags im Hause stattfindet und auf der Grundlage einer psychologisch betreuten Sprach- und Kulturvermittlung erfolgt. Schulpflichtige werden nach der Eignungsuntersuchung in spezielle Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse eingeschult. Über 16-Jährigen wird entweder ein Schul- platz oder ein dreistufiger Deutschkurs beim Sozialpäda- gogischen Institut Berlin „Walter May“ (Stiftung SPI) - Projekt „Flucht nach vorn“ - angeboten. Pädagogische Betreuung: Im Haupthaus der EAC gibt es vier Gruppen zu je zehn Personen mit jeweils einer sozialpädagogischen Fachkraft sowie vier Erziehern und Erzieherinnen. Die minderjährigen unbegleiteten Flücht- linge erhalten eine individuell auf ihre Bedürfnisse abge- stimmte sozialpädagogische und psychologische Unter- stützung. Bei Bedarf werden Fachdienste hinzugezogen. In der EAC werden Angebote zu tagesstrukturierenden, sozialpädagogisch begleiteten Freizeitaktivitäten angebo- ten und notwendige lebenspraktische Fähigkeiten vermit- telt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 447 3 Abklärung der erzieherischen Hilfen: Der Clearingver- lauf wird durch die EAC dokumentiert und der erzieheri- sche Bedarf ermittelt. Vor der Anschlussunterbringung werden alle relevanten Unterlagen einschließlich einer sozialpädagogischen Stellungnahme zur Vorbereitung einer Hilfekonferenz an das gemäß AV-JAMA zugewie- sene bezirkliche Jugendamt weitergeleitet, das für eine Anschlussunterbringung zuständig ist. Nach Bestellung des Vormunds oder der familienge- richtlichen Ablehnung und dem Abschluss der Sozial- anamnese erfolgt durch die für Jugend zuständige Senats- verwaltung eine Mitteilung an das im Anschluss zustän- dige bezirkliche Jugendamt über den Zeitpunkt des Über- gangs der Zuständigkeit für die weitere Unterbringung und Betreuung. Dieses hat nach Nummer 5 Absatz 2 AV- JAMA dann zwei Wochen Zeit, eine geeignete An- schlussunterbringung sicherzustellen. Gleiches gilt, wenn ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling inzwischen volljährig ist, aber noch ein Bedarf für weitere Hilfen nach den §§ 41 oder 19 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII festgestellt wurde. Berlin, den 11. September 2014 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Sep. 2014)