Drucksache 17 / 14 496 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 29. August 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. September 2014) und Antwort Gerissen, gefährlich und geheim - Kriminalitätsbelastete Orte in Berlin (II) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Vorlagen von Polizeidirektionen auf a. Festlegung, b. Aufhebung oder c. Änderung eines „kriminalitätsbelasteten Ortes“ wurden der Be- hördenleitung quartalsweise in den Jahren seit 2010 zur Entscheidung vorgelegt? (Bitte nach Jahresquartal und Direktion aufschlüsseln.) Zu 1.: Die gewünschten Zahlen können der untenste- henden Tabelle entnommen werden. Vorlagen zur Festlegung/ Aufhebung/ Änderung von Kriminalitäts- belasteten Orten (KbO) Direktion 1 2 3 4 5 6 Jahr Quartal Festlegung (FEST) Aufhebung (AUFH) Änderung (ÄND) FEST AUFH ÄND FEST AUFH ÄND FEST AUFH ÄND FEST AUFH ÄND FEST AUFH ÄND 2010 1 2 3 1 1 1 4 1 2011 1 1** 1 2 1* 1 3** 3 1 1 4 2012 1 1 2 2 1 1 3 1 1 4 1 2013 1 2 3 2 4 1 1 2014 1 1 1 2 (Im Jahr 2011 wurden nach aktueller Auszählung *)in der Direktion 3 (Dir 3) eine Festlegung und **)in der Direktion 5 (Dir 5) vier Festlegungen der Behördenleitung vorgelegt. Bei der Auszählung für die Tabelle zur Antwort auf die Frage 7 der Kleinen Anfrage 17/12793 wurden aufgrund Doppelerfassung seinerzeit je eine Festlegung zu viel aufgeführt.) Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 496 2 2. Was sind die Gründe für die Häufung von Vorla- gen der Polizeidirektionen auf Festlegung als „kriminalitätsbelasteter Ort“ an die Behördenleitung im Jahr 2011 (vgl. Antwort auf Frage 7 der Kleine Anfrage 17/12793)? Zu 2.: Eine vorangegangene Überprüfung von Krimi- nalitätsbrennpunkten führte im genannten Zeitraum nach Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) zur Einstufung als kriminalitätsbelastete Orte. 3. Wie viele Vorlagen von Polizeidirektionen auf Festlegung als „kriminalitätsbelasteter Ort“ wurden von der Behördenleitung in den Jahren 2013 und 2014 negativ beschieden und warum? (Bitte nach Jahr, Direktion und Ablehnungsgrund aufschlüsseln.) Zu 3.: Im angefragten Zeitraum wurde seitens der Be- hördenleitung entsprechenden Vorlagen aus den Direktio- nen nicht widersprochen. 4. Welche Angaben müssen die Vorlagen der örtli- chen Polizeidirektionen an die Behördenleitung auf Fest- legung als „kriminalitätsbelasteter Ort“ zwingend enthalten a. zur räumlichen Eingrenzung des „Ortes“, b. den konkreten Lageerkenntnissen im Hinblick auf Straftaten (Ortsbezug), c. auf bisher getroffene Maßnahmen sowie deren unzureichende Wirkung, der Erforderlichkeit der Ausweisung, d. zur Beschreibung der zu überprüfenden Personen und Personengruppen, e. zur Erforderlichkeit der Ausweisung, f. zur tageszeitlichen Eingrenzung der Kontrollmaß- nahmen etc.? Zu 4.: Die Festlegung eines Ortes gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 ASOG erfolgt anhand der Häufung, Begehungswei- se und Schwere der festgestellten Straftaten von erhebli- cher Bedeutung. Die Direktion prüft abschließend die rechtlichen und taktischen Voraussetzungen in eigener Zuständigkeit zur Vorlage bei der Behördenleitung nach Lagebeurteilung unter Berücksichtigung der räumlichen Grenzen. Die notwendigen Angaben, die für die Vorlage zur Feststellung eines kriminalitätsbelasteten Ortes erfor- derlich sind, leiten sich aus § 21 Abs. 2 Nr. 1 ASOG ab. 5. Wo und in welcher Form ist das rein polizeiinterne Verfahren zur Ausweisung von „kriminalitätsbelasteten Orten“ konkret geregelt und schriftlich fixiert? Zu 5.: Das Verfahren zur Festlegung von kriminali- tätsbelasteten Orten ist bei der Polizei Berlin intern gere- gelt und vom Stab des Polizeipräsidenten schriftlich nie- dergelegt. 6. Umfassen die „kriminalitätsbelasteten Orte“ auch geschlossene Räumlichkeiten wie zum Beispiel Diskothe- ken oder Lokale? Zu 6.: Die Einstufung als kriminalitätsbelasteter Ort (auch als Teilbereich eines solchen Ortes) kann geschlos- sene Räumlichkeiten wie zum Beispiel Diskotheken oder Lokale umfassen. 7. Welche Erkenntnisse hat der Senat über die An- zahl der Identitätsfeststellungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 ASOG, Durchsuchungen von Personen gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 ASOG und Durchsuchungen von Sachen gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 2 ASOG an den jeweiligen „kriminalitätsbelasteten Orten“? Zu 7.: Erkenntnisse aus durchgeführten Maßnahmen fließen in entsprechende Lageberichte zu den jeweiligen kriminalitätsbelasteten Orten ein und dienen der kontinu- ierlichen Lagebeurteilung. Diese sind als „VS- nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet und unterliegen somit der Verschlusssachenanweisung (VS-Anweisung/VSA) für das Land Berlin vom 01.12.1992. 8. Ist der Senat bereit, ein Controlling über die oben genannten polizeilichen Maßnahmen an „kriminalitätsbelasteten Orten“ aufzubauen, um die Arbeit der Berliner Polizei an diesen Orten transparenter und überprüfbarer zu machen, wie es etwa die Polizei Bremen zukünftig vorhat (vgl. Antwort auf Frage 2 der Drucksache Nr. 18/1296 der Bremischen Bürgerschaft)? Wenn ja, wie und bis wann? Wenn nein, warum nicht? Zu 8.: Die Berichterstattung der Polizei Berlin an die aufsichtführende Senatsverwaltung wird vom Senat als ausreichend angesehen. Die Transparenz der polizeilichen Maßnahmen wird durch die Rechtsmittelbelehrung der eingesetzten Dienstkräfte und deren Überprüfbarkeit durch die jederzeitige Inanspruchnahme der Gerichte gewährleistet. 9. Wie viele Straftaten und Verbrechen konnten in den Jahren seit 2010 nachweislich auf Grundlage bzw. mithilfe der erweiterten polizeilichen Eingriffsbefugnisse an den „kriminalitätsbelasteten Orten“ aufgeklärt und/oder verhindert werden und wie bewertet der Senat angesichts dessen die Effektivität dieser Sonderbefugnisse der Polizei zur Kriminalitätsbekämpfung? Zu 9.: Angaben zur Verhinderung von Straftaten kön- nen nicht erhoben werden. Eine statistische Effektivitäts- prüfung ist hier nicht möglich. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 496 3 10. Wie ist für die von polizeilichen Maßnahmen an „kriminalitätsbelasteten Orten“ betroffenen Personen erkennbar, dass es sich um einen „kriminalitätsbelasteten Ort“ handelt, an dem die Berliner Polizei besondere Befugnisse zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung von Personen und Sachen besitzt? 11. Wird den an „kriminalitätsbelasteten Orten“ kontrollierten Personen der Grund der Kontrolle und die jeweilige Rechtsgrundlage genannt? Wenn nein, warum nicht? Soll dies künftig geschehen, damit die betroffenen Personen diese polizeiliche Maßnahme gerichtlich über- prüfen lassen können? Wenn nein, warum nicht? Zu 10. und 11.: Betroffenen Personen wird grundsätz- lich mit Beginn der Kontrolle der Grund der Maßnahme bekannt gegeben. Die Nennung der Rechtsgrundlage erfolgt auf Nach-frage der betroffenen Personen. Eine solche Belehrung dient der Rechtssicherheit und Klarheit. 12. Welche juristischen Möglichkeiten stehen be- troffenen Personen offen, um die auf Grundlage von § 21 Abs. 2 Nr. 1 ASOG, § 34 Abs. 2 Nr. 2 ASOG und § 35 Abs. 2 Nr. 2 ASOG durchgeführten Maßnahmen gericht- lich überprüfen zu lassen? Zu 12.: Die von einer polizeilichen Maßnahme nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 34 Abs. 2 Nr. 2 und 35 Abs. 2 Nr. 2 ASOG betroffene Person kann diese Maßnahme verwal- tungsgerichtlich überprüfen lassen. Dabei ist die Ausle- gung sämtlicher unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite dieser Vorschriften letztverbindlich den Gerichten übertragen. 13. Wie steht der Senat zu der Forderung, keine „kriminalitätsbelasteten Orte“ ohne richterlichen Beschluss festzulegen? Zu 13.: Der Gesetzgeber hat die Zuständigkeit für die Einstufung eines Ortes nach § 21 Abs. 2 ASOG der Poli- zei übertragen und keine richterliche Entscheidung vorge- sehen. Für eine Änderung dieser Rechtslage besteht aus Sicht des Senats kein Bedarf. 14. Ist der Senat bereit, die „kriminalitätsbelasteten Orte“ künftig im Internet zu veröffentlichen, damit alle Bürger*innen die Möglichkeit haben, sich darüber zu informieren, so wie es etwa die Polizei Bremen seit dem 1. März 2014 praktiziert? Wenn nein, welche Gründe sprechen nach Ansicht des Senats gegen diese Veröffent- lichungspraxis? Zu 14.: Der Senat hält an der Entscheidung, die so ge- nannten „kriminalitätsbelasteten Orte“ nach § 21 Abs. 2 ASOG nicht öffentlich bekannt zu machen, fest, da der Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner vor Stigmati- sierung und Verunsicherung sowie der Schutz der Funkti- onsfähigkeit der Polizei vor Beeinträchtigungen in diesem Zusammenhang Vorrang vor einer Offenlegung hat. Berlin, den 18. September 2014 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Sep. 2014)