Drucksache 17 / 14 568 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE) vom 17. September 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. September 2014) und Antwort Gute Arbeit statt Knebelverträge in Berlin. Gute Arbeit für im Ausland angeworbene Pflege- kräfte Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele ausländische Pflegekräfte arbeiten in Berlin, die über die durch Verbindungsbüros deutscher Unternehmer oder über die Zentrale Auslands- und Fach- vermittlung der BA oder deren Partnern in ihren jeweili- gen Herkunftsländern in den letzten zwölf Monaten an- geworben wurden? Zu 1.: Der Senat selbst führt keine Statistik über die Anzahl der in Berlin arbeitenden ausländischen Pflege- kräfte. Es liegen dem Senat auch keine Informationen zu den Anwerbeaktivitäten deutscher Unternehmen vor, da diese insoweit auch keiner gesetzlichen Mitteilungspflicht unterliegen. Nach Auskunft der Zentralen Auslands- und Fach- vermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) fanden in den letzten zwölf Monaten, d. h. in den Statis- tikmonaten Oktober 2013 (Beginn 13.09.2013) bis Sep- tember 2014 (Ende 11.09.2014) sieben ausländische Pfle- gekräfte mit beratender und/oder vermittelnder Unterstüt- zung der ZAV ihren Arbeitsplatz in Berlin. Da die von der BA unterstützten Personen aus dem Ausland der BA nicht mitteilen müssen, in welcher Stadt sie einen Arbeitsplatz gefunden haben und allerdings nur vereinzelt integrierte Personen diese Angabe gar nicht gemacht haben, ist es möglich, dass weitere Personen mit beratender und/oder vermittelnder Unterstützung der ZAV ihren Arbeitsplatz in Berlin gefunden haben, ohne dass dies der ZAV bekannt ist. Die der BA verfügbaren Statistiken geben keine Aus- kunft darüber, ob diese sieben Pflegekräfte aktuell noch in Berlin arbeiten und ob zunächst in andere Städte vermit- telte Personen inzwischen in Berlin arbeiten. 2. Wie viele dieser angeworbenen Pflegefachkräfte arbeiten in sozialversicherungspflichtigen Beschäfti- gungsverhältnissen? Zu 2.: Zu dieser Frage liegen dem Senat mangels ge- setzlicher Mitteilungspflicht keine Erkenntnisse vor. 3. Ist dem Senat bekannt, dass ausländische Pflege- kräfte, die als Voraussetzung für ihren Einsatz als exami- nierte Gesundheits- und Krankenpflegerin einen Deutsch- kurs besuchen müssen, arbeitsvertraglich zu einer Rück- zahlklausel verpflichtet werden, was bedeutet, dass sie anteilig die Kosten für den Deutschkurs zurückzahlen müssen, wenn sie das Unternehmen vor Auslaufen des befristeten Vertrags verlassen? 4. Ist dem Senat bekannt, wie viele der o.g. Pflege- kräfte in Berlin arbeitsvertraglich zu solchen Rückzahl- klauseln verpflichtet sind, die eine Einschränkung der freien Arbeitsplatzwahl bedeuten? Zu 3 und 4.: Zu diesen Fragen liegen dem Senat man- gels gesetzlicher Mitteilungspflicht keine eigenen Er- kenntnisse vor. Nach Einschätzung der Gewerkschaft ver.di sollen mindestens 100 Pflegekräfte von Verträgen mit Rückzahlungsklauseln betroffen sein. 5. Wie bewertet der Senat, diese Einschränkung der freien Arbeitsplatzwahl? Zu 5.: Da dem Senat die konkreten arbeitsvertragli- chen Regelungen mit ausländischen Pflegekräften zu Rückzahlungsklauseln nicht bekannt sind, ist ihm eine abschließende rechtliche Bewertung dazu, ob die in Frage 3 beschriebenen Klauseln zu einer unzulässigen Ein- schränkung der freien Arbeitsplatzwahl führen können, nicht möglich. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 568 2 Eine verbindliche Entscheidung über die Rechtsfrage, ob eine Rückzahlungsklausel im Einzelfall vertraglich wirksam ist, kann nur von den Gerichten für Arbeitssa- chen getroffen werden. Das Bundesarbeitsgericht wägt dabei regelmäßig das Interesse der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers an einer Betriebstreue ihrer oder seiner Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit einem langen eigenen Nutzen an den getätigten Investitionen in die Aus- und Weiterbildung gegen das Interesse der Ar- beitnehmerin oder des Arbeitnehmers an der freien Wahl des Arbeitsplatzes ab. Die Vorteile der Ausbildung und die Dauer der Bindung müssen hierbei in einem ausgewo- genen Verhältnis stehen. Entscheidet sich die Arbeitneh- merin oder der Arbeitnehmer, neu erworbene Kompeten- zen an einem anderen Arbeitsplatz einzubringen, hat die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber grundsätzlich ein berechtigtes Ausgleichsinteresse. Zu beachten ist jedoch eine ausgewogene Verteilung des Verantwortungs- und Risikobereiches bei einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hierfür spielt neben den tatsächli- chen Gründen für die Kündigung auch die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Rolle. Pauschalen Rückzahlungsklauseln, die in jedem Fall einer Kündigung durch die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer An- wendung finden sollen, hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung enge Grenzen gesetzt bzw. sie bei unangemessener Benachteiligung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers für unwirksam erklärt. Insoweit ist im Fall der in Frage 3 beschriebenen Rückzahlungsklauseln nicht auszuschließen, dass diese einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. 6. Trifft es zu, dass die Deutschkurse für die im Aus- land angeworbenen Pflegekräfte nicht von den Unterneh- men selbst, sondern aus ESF-Mitteln finanziert werden? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und auf welcher rechtlichen Grundlage kann der Arbeitgeber dann eine Rückzahlung von den Beschäftigten verlangen? Zu 6.: Es ist zutreffend, dass es berufsbezogene Sprachkurse für Pflegekräfte gibt, die aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert werden. Ob diese in den genannten Fällen in Anspruch genommen wurden, ist dem Senat nicht bekannt. Grundsätzlich gilt, dass sich eine Rückzahlungsverpflichtung nur auf die tatsächlich der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber ent- standenen Kosten beziehen kann. 7. Ist dem Senat bekannt, wie viele der o.g. Pflege- kräfte nach geltenden Tarifverträgen entlohnt werden? Zu 7.: Dies ist dem Senat nicht bekannt. Es gibt eine sehr große Trägervielfalt zwischen freigemeinnützigen, gewerblichen und kommunalen Einrichtungsträgern. Daraus leitet sich eine differenzierte Tariflandschaft ab – soweit überhaupt Tarifbindung besteht. Ein großer Be- reich von Anbietern ist nicht tarifgebunden. 8. Entspricht die Grundvergütung von 9.50 Euro pro Stunden für eine examinierte Pflegekraft der ortsüblichen Entlohnung in Berlin? Wie hoch ist die ortsübliche Ent- lohnung (Grundvergütung pro Stunde) in Berlin für eine examinierte Pflegekraft? Zu 8.: Einen einzelnen Betrag, der die ortsübliche Ar- beitsvergütung in Berlin definiert, kann es nicht geben. Die ortsüblichen Arbeitsvergütungen können beim Fehlen von Tarifverträgen nur anhand der tatsächlich gezahlten Vergütungen ermittelt werden. Ein einheitliches Lohnni- veau im Berliner Pflegearbeitsmarkt ist nicht erkennbar. Ganz sicher gibt es zudem einen Niveauunterschied zwi- schen der ambulanten und stationären Pflege. Ortsüblich ist, was hinreichend häufig gezahlt wird – es wären demnach mehrere Lohnniveaus ortsüblich. Zwar müssen nach § 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI Versorgungsverträge mit Pflege-einrichtungen abge- schlossen werden, die eine in Pflegeeinrichtungen ortsüb- liche Arbeitsvergütung an ihre Beschäftigten zahlen. Dabei bleibt jedoch der zeitliche Ablauf außer Betracht. Beim Abschluss eines Versorgungsvertrages liegen in der Regel nur einige wenige Arbeitsverträge vor, Einrich- tungsträger stellen erst Personal ein, wenn die vertragli- chen Voraussetzungen geklärt sind. Die Kostenträger müssen sich also auf die Zusicherung der Einrichtungs- träger verlassen. Durch die Urteile des Bundessozialgerichts wird von den Einrichtungsträgern nunmehr die Angabe ihrer Ge- stehungskosten erwartet, es wurden Angaben zu den Per- sonal- und Sachkosten notwendig, wozu insbesondere Angaben zu den Gehältern der Pflegekräfte zählen. Eine Ausweitung der Einzeldatenanforderung auf alle Beschäf- tigten einer Pflegeeinrichtung, auch wenn diese Personal- kosten nur den Bruchteil der Gesamtausgaben ausmachen, ist durch § 85 Abs. 3 SGB XI und die hierzu ergangenen Urteile jedoch nicht gedeckt. Die Einrichtungsträger liefern im Rahmen der Ver- tragsverhandlungen Jahreskosten inklusive der Arbeitge- beranteile zur Sozialversicherung getrennt nach Pflege- fach- und Hilfskräften. Den Beschäftigten in der Pflege dürfte aber zur Orientierung nur die Angabe eines Stun- denlohns weiterhelfen. Bei den aus den Jahreskosten errechneten Stundenlöhnen kann es sich wiederum nur um geschätzte Werte z. B. bei der Zugrundelegung einer 40 Stundenwoche und einer Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe eines halben Monatsgehaltes handeln. Daten liegen auch hier nur aus dem Jahr 2012 und nur für Pflegefach- und Hilfskräfte vor, für die mit dem Inkrafttreten der Verordnung über zwingende Ar- beitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbe- dingungenverordnung - PflegeArbbV) am 01.08.2010 die Zahlung eines Mindestentgelts gesetzlich eingeführt wur- de. Die Prüfung einer ortsüblichen Vergütung als Lohnun- tergrenze ist auf Grund der Regelung des Mindestlohns und der Änderung § 72 Abs. 3 SGB XI für den betreffen- den Personenkreis jedoch nicht mehr zulässig. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 568 3 Die Kranken- und Pflegekassen können wiederum nach eigener Aussage keinerlei Vergütungshöhen aus ihren Sozialversicherungsdatenbeständen ermitteln. Die im Jahr 2009 durch die Verbände der Einrichtungsträger anhand einer Abfrage bei verbandsgebundenen Einrich- tungsträgern ermittelten Daten waren nicht flächende- ckend ermittelt worden. Sie konnten auch nicht überprüft werden. Die Bereitschaft aller Einrichtungsträger solche Daten zu liefern, wird bezweifelt. Insbesondere die ca. 120 Pflegedienste ohne Verband wären damit nicht einbe- ziehbar. Der Caritasverband hat am 05.05.2014 Klage für die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Mecklenburg- Vorpommern gegen die Pflegekassen auf Auskunft über die ortsübliche Arbeitsvergütung eingereicht. Ein Urteil liegt jedoch noch nicht vor. 9. Welche Schritte plant der Senat, um Knebelverträ- ge – wie oben beschrieben – besonders für im Ausland angeworbene Arbeitskräfte einzudämmen, um so Lohn- dumping entgegenzutreten und eine freie Arbeitsplatz- wahl zu gewährleisten? Zu 9.: Zur Ausgestaltung arbeitsvertraglicher Rege- lungen gibt es eine ausführliche Rechtsprechung. Sofern die Arbeitsverträge in den genannten Fällen dieser nicht genügen, ist es Sache der Gerichte dies festzustellen. Der Senat wird sich auch weiterhin für faire Arbeitsbedingun- gen in der Pflege einsetzen. Insbesondere im Rahmen des Berliner Bündnisses für Altenpflege werden gemeinsam mit allen am Pflegeprozess Beteiligten die Probleme im Berufsfeld Pflege identifiziert, Maßnahmen entwickelt und deren Umsetzung gemeinsam in Angriff genommen. Der Senat setzt sich u. a. in diesem Rahmen für eine Stär- kung der betrieblichen Interessenvertretungen ein und fördert z. B. über das Modellprojekt „Fachkräftesicherung in der Altenpflege“ eine kontinuierliche Begleitung des Betriebsrätenetzwerks Altenpflege in Kooperation mit ver.di. Berlin, den 02. Oktober 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Okt. 2014)