Drucksache 17 / 14 580 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 11. September 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. September 2014) und Antwort Salafisten und andere in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche verfassungswidrigen Aktivitäten von Is- lamisten finden in Berlin statt, durch welche Maßnahmen werden solche Aktivitäten beobachtet und ggf. geahndet? Zu 1.: Für den Berliner Verfassungsschutz ist die Be- obachtung islamistischer Bestrebungen in Berlin sowie die Aufklärung und Information hierüber ein Schwer- punkt seines in § 5 des Gesetzes über den Verfassungs- schutz in Berlin (VSG Bln) normierten gesetzlichen Auf- trages. Innerhalb des heterogenen islamistischen Spektrums lassen sich Organisationen auf der Basis verschiedener ideologisch-strategischer Merkmale einerseits und ande- rerseits an der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durch- setzung politischer Ziele unterscheiden. Das Spektrum reicht dabei von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwen- dung bis zur pseudoreligiösen Legitimation von Terroris- mus. Zwei Hauptgruppen sind hier zu unterscheiden: Die erste und von der Anzahl her größte Kategorie bilden die nicht-gewaltorientierten Islamisten, die auch als „legalistische Islamisten“ bezeichnet werden. Die zweite Kategorie bilden die gewaltorientierten Islamisten, die sich wie- derum in drei Unterkategorien einteilen lassen. Zur ersten Unterkategorie gehören Gruppen, die Gewalt zur Durch- setzung ihrer Ziele zwar befürworten, selbst aber vorran- gig keine Gewalt ausüben. Zur zweiten Unterkategorie gehören Gruppen, die ihre terroristischen Aktivitäten vorrangig auf den Nahen Osten beschränken. Die dritte Unterkategorie des gewaltorientierten Islamismus bilden schließlich transnational agierende Terrornetzwerke. Als dynamischste Bewegung innerhalb des islamisti- schen Spektrums erweist sich zur Zeit der Salafismus. Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet den politischen und den jihadistischen Salafismus. Im Bereich des politi- schen Salafismus wird über Koran - Verteilaktionen der sogenannten „Lies!“-Kampagne und über öffentliche Auftritte bekannter „Prediger“ die spezifische Ideologie der Salafisten propagiert. Für weitere Einzelheiten zu Personengruppen, Ideolo- gien und Aktivitäten des islamistischen Spektrums in Berlin wird auf den Verfassungsschutzbericht 2013 der Senatsverwaltung für Inneres und Sport verwiesen (S. 28 bis 73). Sollten sich bei den Aktivitäten islamistischer Extre- misten Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten erge- ben, werden die erforderlichen strafprozessualen Maß- nahmen ergriffen. 2. Treffen Medienmeldungen zu, dass in Berlin die sog. ISIS erhebliche Aktivitäten entfaltet und Kämpfer rekrutiert? Falls ja, welche Details sind bekannt und wel- che Gegenmaßnahmen werden ergriffen? Zu 2.: Von der Organisation „Islamischer Staat von Irak und Großsyrien / Islamischer Staat“ (ISIS/IS) in Berlin gesteuerte Aktivitäten wie Rekrutierungen sind nicht bekannt. Gleichwohl sind Sympathiebekundungen von Angehörigen des salafistischen Spektrums für den IS zu verzeichnen. IS verbreitet (deutschsprachige) Propa- ganda, u.a. vom ehemaligen Berliner Denis Cuspert, die auch von Berliner Islamisten rezipiert wird. Diese Propa- ganda kann unter Umständen motivationsfördernd für eine islamistisch motivierte Ausreise nach Syrien/Irak sein. 3. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, dass in Berlin Aktivitäten der Salafisten ähnlich wie in Wuppertal („Scharia-Polizei“) stattfinden? Falls ja, in welchen Stadtteilen finden solche Aktivitäten statt und wie wurde da- rauf reagiert? Falls nein, sind zukünftig ähnliche Aktivitä- ten in Berlin zu erwarten und wie gedenkt der Senat dem vorzubeugen? Zu 3.: Salafistische Aktionen wie die sogenannte „Scharia-Polizei“ sind für Berlin nicht bekannt. Darüber hinaus liegen hier derzeit keine Erkenntnisse vor, dass vergleichbare Aktivitäten durch die salafistische Szene in Berlin geplant sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 580 2 Unmittelbar nach den Ereignissen in Wuppertal wur- den polizeiintern die rechtlichen Möglichkeiten erörtert, um - orientiert an der jeweiligen konkreten Situation - die jeweiligen gefahrenabwehrrechtlichen bzw. strafpro- zessualen Handlungsmöglichkeiten ergreifen zu können. 4. Teilt der Senat die Aussage des Sprechers der Wuppertaler Staatsanwaltschaft Wolf-Tilmann Baumert (Spiegel Online vom 6.9.2014), dass „das bloße Empfehlen religiöser Regeln nicht strafbar" ist? Falls nicht, wa- rum nicht? Falls ja, ergibt sich hieraus für den Senat Handlungsbedarf? Zu 4.: Zu Medienberichten über Aussagen von Staats- anwaltschaften anderer Bundesländer kann der Senat keine Stellungnahme abgeben. Für Strafverfolgungsbe- hörden ergibt sich Handlungsbedarf bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat. 5. Welche Maßnahmen werden seitens der Sicher- heitsbehörden auf Landes- und Bundesebene getroffen, um in die Bundesrepublik zurückkehrende sog. ISIS- Kämpfer zu beobachten? Sollen diese ggf. strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Falls ja, auf welcher rechtlichen Grundlage? Zu 5.: Die Beobachtung von Personen, von denen be- kannt ist, dass sie im Ausland an Kampfhandlungen teil- genommen haben, erfolgt unter Zuhilfenahme aller zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten. Bei Rückkehrern aus Kampfgebieten wie beispiels- weise Syrien, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich vor Ort dem ISIS/IS angeschlossen haben, wird zudem grundsätzlich die Einleitung eines Strafver- fahrens geprüft. Hierzu kommen insbesondere die Straf- tatbestände §§ 89a, b und §§ 129a, b Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht. Beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kommen bei Rückkehrern zudem polizeirechtliche oder strafprozessuale Maßnahmen in Betracht, mit denen ge- fahrenverursachende bzw. strafrechtlich relevante Aktivi- täten des fraglichen Personenkreises erkannt, verhütet und/oder verfolgt werden können. Die Entscheidung dar- über ist jeweils nach den konkreten Umständen des Ein- zelfalls zu treffen. Die gesetzlichen Grundlagen beispielsweise zur län- gerfristigen polizeilichen Observation (so auch bei Rück- kehrern aus Kampfgebieten) leiten sich gefahrenabwehr- rechtlich aus dem Allgemeines Sicherheits- und Ord- nungsgesetz (§ 25 ASOG) und strafprozessrechtlich aus der Strafprozessordnung (StPO; § 163 f in Verbindung mit § 100a StPO) ab. 6. Sind in islamistischen Organisationen bzw. Grup- pen in Berlin Angehörige des Verfassungsschutzes tätig? Falls ja, sind diese ähnlich wie in Neonazi-Gruppen auch in führenden Positionen tätig? Zu 6.: Der Senat gibt Einzelheiten zum Einsatz opera- tiver nachrichtendienstlicher Mittel generell nicht öffent- lich bekannt, unabhängig davon, ob die Mittel im Einzel- fall zur Anwendung kommen oder nicht. Die haltlose Behauptung, in Neonazi-Gruppen seien Angehörige des Berliner Verfassungsschutzes in führen- den Positionen tätig, weist der Senat mit Entschiedenheit zurück. 7. Welche Maßnahmen gedenkt der Senat zu ergrei- fen, um solche Aktivitäten auch außerhalb strafrechtlicher Maßnahmen zu bekämpfen bzw. der Entstehung solcher Gruppierungen vorzubeugen? Zu 7.: Neben strafrechtlichen Maßnahmen initiiert und unterstützt der Senat auch umfangreiche präventive und gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen. Ein Ziel dieser gefahrenabwehrrechtlichen Maßnah- men ist es unter anderem, in behördenübergreifender Zusammenarbeit die Ausreisen potenzieller Kämpfer oder Unterstützer in Kampfgebiete und die Beteiligung an Kampfeinsätzen zu verhindern. Um beispielsweise die Entstehung von phänomenbezogenen Strukturen im Land Berlin zu verhindern bzw. mögliche Radikalisierungen frühzeitig zu erkennen, arbeitet das zuständige Dezernat im polizeilichen Staatsschutz eng mit weiteren Polizei- dienststellen, sämtlichen Landes-, aber auch bundeswei- ten Sicherheitsbehörden sowie mit unterschiedlichen lokalen zivilen Akteuren zusammen. Darüber hinaus begrüßt der Senat jede Form der Ko- operation, die geeignet ist, dem Entstehen salafistischer und jihadistischer Radikalisierungen im Vorfeld zu be- gegnen. Entsprechende Programme der Extremismusprä- vention werden in Deutschland sowohl von zivilgesell- schaftlichen als auch von staatlichen Trägern angewandt. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport versteht Extremismusprävention als Teil ihrer Aufgabe, Politik und Gesellschaft über entsprechende Bestrebungen auf- zuklären (primäre bzw. universelle Prävention). Die von ihr geleistete Präventionsarbeit zielt v.a. auf die Befähi- gung zur Unterscheidung zwischen islamistischem Ext- remismus und religiösen Erscheinungsformen des Islam sowie auf die Vermittlung von Anhaltspunkten für das Erkennen individueller Radikalisierungsprozesse. Zu diesem Zweck wurde 2011 das Arbeitsgebiet „Prävention des islamistischen Extremismus“ eingerichtet, das zu den Themen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terro- rismus fortbildet. Zielgruppen der Prävention sind Poli- zeibehörden, Justiz, zivilgesellschaftliche Präventionsträ- ger, politische Stiftungen, Universitäten und Wirtschaft. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 580 3 Seit 2011 existiert eine Broschüre zur Deradikalisie- rung, die sich mit Salafismus geistig-politisch auseinan- dersetzt und auch vermeintlich im Islam verankerte Ge- waltrechtfertigungen entkräftet („Zerrbilder von Islam und Demokratie – Argumente gegen extremistische Interpretationen von Islam und Demokratie“). Zur Kompetenzstärkung der Öffentlichkeit trägt die Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin durch ihre Öffentlichkeitsarbeit mit Vorträgen, sowie Symposien und Aufklärungsmaterialien bei. Darüber hinaus unterhält der Berliner Verfassungsschutz Kontakte zu in der Is- lamismusprävention tätigen zivilgesellschaftlichen Ein- richtungen und kooperiert mit der „Beratungsstelle Radikalisierung “ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge , die Betroffene und deren Umfeld unterstützt. Wegen weiterer Einzelheiten zu präventiven Projekten und Maßnahmen des Senats wird auf die Antwort auf die Frage 11. der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/14523 verwie- sen. Berlin, den 06. Oktober 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Okt. 2014)