Drucksache 17 / 14 619 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Rainer-Michael Lehmann (SPD) vom 25. September 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. September 2014) und Antwort Umgang mit der Flüchtlingsthematik – Engere Zusammenarbeit Ausländerbehörde, Landesparlament und Senat Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie beurteilt der Senat die Situation, dass in An- betracht der steigenden Flüchtlingszahlen, den Bestrebun- gen, vermehrt Zufluchtsraum für Flüchtlinge zu schaffen, die Regelung der Verweigerung regulärer Asylverfahren bei sicheren Herkunftsländern gegenübersteht? Zu 1.: Aufgrund des Zusammenhangs zu Frage 2 wird bei der Beantwortung der Frage davon ausgegangen, dass sie sich auf die Einstufung der Staaten Serbien, Mazedo- nien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftslän- der bezieht. Die Einstufung der drei genannten Staaten als sichere Herkunftsstaaten entspricht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93 und 2 BvR 1508/93) und den Anforderungen der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 60). Vor der Einstufung der drei genannten Staaten als sichere Herkunftsstaaten hat sich die Bundesregierung anhand der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Ver- hältnisse ein Gesamturteil über die für politische Verfol- gung bedeutsamen Verhältnisse in dem jeweiligen Staat gebildet. Nach sorgfältiger Prüfung ist sie zu dem Ergeb- nis gekommen, dass in den genannten Staaten gewährleis- tet erscheint, dass dort weder Verfolgung noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Be- strafung noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen be- waffneten Konflikts stattfindet. Der Senat teilt diese Ein- schätzung, die auch durch die Schutzquote von bislang bundesweit etwa 0,01 Prozent bestätigt wird. Die Einstufung der drei genannten Staaten entlastet die zuständigen Behörden bei der Bearbeitung aussichts- loser Asylanträge, die meist aus wirtschaftlichen Gründen gestellt werden. Bundesweit kommen rund 25 Prozent der Asylantragstellerinnen und Asylantragsteller aus den drei genannten Balkanstaaten. In Berlin liegt der Anteil im Jahr 2014 – bei steigender Tendenz – bereits bei über einem Drittel. In den Monaten Juli, August und Septem- ber 2014 betrug der Anteil der Asylzugänge (Erst- und Folgeanträge) aus diesen Staaten bereits etwa 50 %. Diese Zahlen belegen die Notwendigkeit dieser Maßnahme, durch die Kapazitäten für die Aufnahme und verstärkte Bearbeitung der Asylanträge von Flüchtlingen aus den Herkunftsländern, in denen beachtliche Anhaltspunkte für eine Schutzgewährung vorliegen, geschaffen werden. 2. Ist der Senat nicht auch der Meinung, dass insbe- sondere die gefährliche und prekäre Situation von Sinti und Roma dieser Herkunftsländer es gebietet, eine Einzel- fallprüfung stets zu ermöglichen, unabhängig von einer Einstufung als sicheres Herkunftsland? Zu 2.: Durch die Einstufung als sicheres Herkunfts- land ist eine Einzelfallprüfung nicht ausgeschlossen. Jede Antragstellerin und jeder Antragsteller muss in der per- sönlichen Anhörung die Tatsachen vortragen, die ihre bzw. seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihr bzw. ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Für eine Schutz- gewährung muss sie bzw. er eine drohende Verfolgung oder die Gefahr eines ihr/ihm drohenden ernsthaften Schadens glaubhaft machen. Gelingt ihr/ihm diese Glaub- haftmachung, hat sie/er damit auch die gesetzliche Ver- mutung der Verfolgungsfreiheit widerlegt. Erforderlich ist in jedem Fall, alle zur Begründung des Antrags auf inter- nationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzule- gen. Da dies in jedem Asylverfahren gilt, haben Antrag- stellerinnen und Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaa- ten keinen höheren Aufwand, ihre Gründe darzulegen. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 619 2 3. Teilt der Senat die Auffassung, dass zukünftige Engpässe in behördlichen Strukturen, wie beispielsweise im Landesverwaltungsamt geschehen, durch externe Fir- men untersucht und gemeinsam behoben werden sollten? Zu 3.: Der Senat betrachtet Organisationsuntersu- chungen – ggf. auch mit Unterstützung externer Firmen - grundsätzlich als ein geeignetes Vorgehen, um Verfahren- sabläufe zu überprüfen und Synergieeffekte zu erzielen. Solche Organisationsuntersuchungen sind bei der aktuell vorliegenden Problematik extrem gestiegener Fallzahlen jedoch nur bedingt geeignet, um kurzfristig die benötigten zusätzlichen Ressourcen bereitzustellen. 4. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass die Um- setzung von beabsichtigten Vereinbarungen im Rahmen der Zusammenarbeit von Senat und Ausländerbehörde, wie im Falle des Einigungspapieres mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz, ins Leere laufen - die „Unterstützung durch den Unterstützungspool bei den Einzelverfahren“ oder die „Unterstützung und Begleitung bei der Entwicklung beruflicher Perspektiven“ an der Nichtschaffung der aufenthaltsrechtlichen Grundlage durch die Ausländerbe- hörde regelmäßig scheitern? Zu 4.: Die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung des Einigungspapiers stehen -insbesondere hinsichtlich solcher Punkte wie der Unterstützung und Begleitung bei der Entwicklung beruflicher Perspektiven (Ziffer 5 des Einigungspapiers) - naturgemäß unter dem Vorbehalt des Ergebnisses der in den Einzelfallverfahren erfolgten um- fassenden Prüfungen (Ziffer 4 des Einigungspapiers), d.h. also dem jeweils festgestellten aufenthaltsrechtlichen Status der Betroffenen mit seinen rechtlichen Grenzen. 5. Wie beurteilt der Senat den Umstand, dass die Ausländerbehörde eigene Verfahrenshinweise hinsichtlich der Umsetzung von Maßnahmen während laufender Peti- tionsverfahren im Abgeordnetenhaus von Berlin zu um- gehen scheint, indem sie trotz der Maßgabe von aufent- haltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, den Druck auf ausreisepflichtige Ausländer massiv zu erhöhen scheint, um eine freiwillige Ausreise zu erwirken? Führt dieses Vorgehen nicht zu einer Aushöhlung des Petitionsrechtes? Zu 5.: Während eines laufenden Petitionsverfahrens sieht die Ausländerbehörde grundsätzlich von aufent- haltsbeendenden Maßnahmen ab. Ausnahmen sind in Vereinbarungen zwischen dem Senator für Inneres und Sport und dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses klar geregelt. Die Annahme, die Ausländerbehörde würde die diesbezüglichen Verfahrenshinweise generell umge- hen, indem sie den Druck zur freiwilligen Ausreise insbe- sondere während laufender Petitionsverfahren massiv erhöht, ist unzutreffend. 6. Stärkt der Senat die interne Kommunikation und den Informationsfluss hin zum Landesparlament, sodass dieses künftig seine Informationen in Flüchtlingsangele- genheiten nicht erst über die Presse/Medien erhält? Zu 6.: Eine Stellungnahme zu dieser Frage ist ohne nähere Angaben, welche Informationen dem Landespar- lament – jedenfalls aus Sicht des Fragestellers – nicht rechtzeitig oder in unzureichender Weise gegeben worden sein sollen, nicht möglich. 7. Wird der Senat dafür Sorge tragen, dass Anträge auf Umverteilung nach Berlin gemäß § 51 AsylVfG, durch die Ausländerbehörde künftig nicht bei Personen abgelehnt werden, die sich bereits in einer Traumabe- handlung in Berlin befinden, um den therapeutischen Erfolg dieser medizinischen Maßnahmen nicht zu gefähr- den? Zu 7.: Nach § 51 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) ist der Haushaltsgemeinschaft von Familien- angehörigen oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht durch länderübergreifende Ver- teilung Rechnung zu tragen. Ob eine laufende Traumabe- handlung als humanitärer Grund von vergleichbarem Gewicht anzusehen ist, muss im jeweiligen Einzelfall geprüft werden. Bei dieser Prüfung wird es wesentlich darauf ankom- men, ob im Bereich der zuständigen Ausländerbehörde eine kontinuierliche Fortsetzung der in Berlin begonnenen Behandlung möglich ist. Berlin, den 02. Oktober 2014 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Okt. 2014)