Drucksache 17 / 14 624 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Stephan Lenz und Peter Trapp (CDU) vom 25. September 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. September 2014) und Antwort Entwicklung im Bereich der beschleunigten Verfahren im Land Berlin in den Jahren 2009 und 2014 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die vorliegende Schriftliche Anfrage betrifft sowohl das beschleunigte Verfahren als auch das besonders beschleunigte Verfahren im Sinne von § 417 Strafprozessordnung (StPO). Zur Abgrenzung folgende Anmerkungen: Im beschleunigten Verfahren erfolgt grundsätzlich keine Einlieferung oder Vorführung der beschuldigten Person. Das Verfahren ermöglicht die zeitnahe Durchfüh- rung der Hauptverhandlung durch Vereinfachung der strafprozessualen Verfahrensabläufe. Hält die Amts- oder Staatsanwaltschaft den Sachver- halt für geeignet, beantragt diese beim Gericht die Ent- scheidung im beschleunigten Verfahren. Die Vorausset- zungen sind ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage, maximal ein Jahr zu erwartende Freiheits- strafe, keine Jugendlichen (gem. § 79 Abs. 2 Jugendge- richtsgesetz), in der Regel Wiederholungstäterinnen und Wiederholungstäter (bei häuslicher Gewalt kommen auch Ersttäterinnen und Ersttäter in Frage), und eine beschleu- nigte Sanktion erscheint angezeigt. Wird eine Eignung für das beschleunigte Verfahren durch die polizeiliche Sachbearbeiterin bzw. den polizei- lichen Sachbearbeiter erkannt, ist beim Vorgangsab- schluss die Strafanzeige mit dem Hinweis „Geeignet für das beschleunigte Verfahren“ zu versehen. Der Vorgang muss innerhalb von drei Wochen an die Amts- oder Staatsanwaltschaft abgegeben werden. Die Anzahl der beschleunigten Verfahren ist weder im Polizeilichen Lan- dessystem zur Information, Kommunikation und Sachbe- arbeitung (POLIKS), noch in der Polizeilichen Kriminal- statistik (PKS) recherchierbar. Demzufolge sind über die Anzahl dieser Verfahren seitens der Polizei keine statisti- schen Aussagen möglich. Das besonders beschleunigte Verfahren ist eine spezi- elle Form des beschleunigten Verfahrens. Die beschuldig- te Person wird hierbei eingeliefert und durch das Landes- kriminalamt 743 der Justiz vorgeführt. Die Voraussetzun- gen sind ein dringender Tatverdacht, der Haftgrund Fluchtgefahr (in der Regel kein fester Wohnsitz), ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage, eine Mindeststraferwartung von 20 Tagessätzen und höchstens einem Jahr Freiheitsstrafe, keine Jugendlichen (gem. § 79 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz), Schadensrichtwerte bei einfachen Vermögensdelikten (in der Regel § 242 Straf- gesetzbuch): Ersttäterinnen/Ersttäter ab 50,- € Gesamtschaden ; verurteilte Wiederholungstäterinnen/Wieder- holungstäter ab 25,- €. Aus den vorgenannten Kriterien ergeben sich für das Landeskriminalamt 743 überwiegend Vorführungen we- gen einfachen und schweren (Laden-) Diebstahls oder (Laden-) Diebstahls mit Waffen. Für das besonders be- schleunigte Verfahren geeignete Verfahren wegen Kör- perverletzung, Widerstands, Beleidigung und ausländer- rechtlicher Verstöße werden ebenfalls bearbeitet. 1. Wie viele sog. beschleunigte Verfahren (§§ 417 ff. StPO) wurden in den Jahren 2009 bis 2014 im Land Ber- lin durchgeführt (Auflistung aufgegliedert nach Halbjah- ren)? Zu 1.: In der Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2014 wurde die nachfolgende Anzahl von Verfahren gemäß §§ 417ff. StPO - sowohl beschleunigte als auch besonders beschleunigte Verfahren - durchgeführt: Jahre Anzahl 1.Halbjahr 2.Halbjahr 2009 1.281 1.607 2010 1.870 1.337 2011 1.763 1.491 2012 1.040 1.214 2013 1.060 1.139 2014 1.288 - Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 624 2 2. In wie vielen Fällen handelte es sich dabei um sog. besonders beschleunigte Verfahren nach § 418 Abs. 1, 1. Alt. StPO (Auflistung aufgegliedert nach Halbjahren)? Zu 2.: Bei den unter Ziff. 1 genannten beschleunigten Verfahren waren die nachfolgend aufgeführten Verfahren besonders beschleunigte Verfahren, die bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 417ff. StPO in Be- tracht kommen, wenn der nach § 127 StPO vorläufig Festgenommene dringend tatverdächtig ist und im Gel- tungsbereich der Strafprozessordnung keinen gesicherten Wohnsitz hat: Zeitraum durchgeführte besonders beschleunigte Verfahren 2009 1. Halbjahr 349 2. Halbjahr 442 2010 1. Halbjahr 457 2. Halbjahr 453 2011 1. Halbjahr 454 2. Halbjahr 539 2012 1. Halbjahr 521 2. Halbjahr 606 2013 1. Halbjahr 637 2. Halbjahr 598 2014 1. Halbjahr 581 3. In wie vielen dieser Fälle kam es im Zusammen- hang mit der Durchführung des beschleunigten Verfah- rens zu einer polizeilichen Vorführung (Auflistung aufge- gliedert nach den zuständigen Polizeidienststellen und getrennt für das beschleunigte Verfahren und das beson- ders beschleunigte Verfahren)? Zu 3.: Statistische Angaben zum beschleunigten Ver- fahren werden durch die Polizei Berlin nicht erhoben, siehe Vorbemerkung. Die statistischen Angaben zum besonders beschleu- nigten Verfahren ergeben sich aus einer Arbeitsstatistik des Landeskriminalamtes 74: 2009 2010 2011 2012 2013 2014* durch LKA 743 vorgeführte Be- schuldigte/ Vorgän- ge 837 946 1.170 1.228 1.346 1.044 Dir 1 70 95 127 197 167 109 Dir 2 138 160 185 223 273 176 Dir 3 237 231 334 306 273 289 Dir 4 113 111 120 135 147 134 Dir 5 156 166 211 202 226 191 Dir 6 123 183 193 165 227 145 * Stand: 30. September 2014 4. In wie vielen Fällen konnte das beschleunigte Ver- fahren deshalb nicht durchgeführt werden, weil eine zeit- nahe polizeiliche Vorführung aus Personal- und/oder aus Kapazitätsgründen nicht möglich war (Auflistung aufge- gliedert nach den zuständigen Polizeidienststellen und getrennt für das beschleunigte Verfahren und das beson- ders beschleunigte Verfahren)? Zu 4.: Die Frage betrifft in erster Linie das besonders beschleunigte Verfahren, da im beschleunigten Verfahren grundsätzlich keine Vorführungen erfolgen, siehe Vorbe- merkung. Hinsichtlich der Fragestellung ist bezüglich des be- sonders beschleunigten Verfahrens der Polizei Berlin eine Beantwortung nicht möglich, da eine statistische Erfas- sung von einschlägigen Fällen, in denen sich die jeweils handelnden Beamtinnen und Beamten, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Vorführung und damit gegen die Einleitung des besonders beschleunigten Ver- fahrens entschieden haben, nicht erfolgt. 5. Welche Personalkapazitäten wären über das derzei- tige Niveau hinaus erforderlich, um alle für die Bearbei- tung im beschleunigten beziehungsweise besonders be- schleunigten Verfahren geeigneten Fälle der Strafverfol- gungsbehörde am Tempelhofer Damm zuführen zu kön- nen? Zu 5.: Für den Bereich der Polizei ist Folgendes an- zumerken: Transporte von Personen, die für das beson- ders beschleunigten Verfahren in Betracht kommen, vom jeweiligen Abschnitt zum Tempelhofer Damm, werden grundsätzlich von sogenannten Transportkommandos der Berliner Polizei durchgeführt, die auch im vollzugsnahen Bereich des Gefangenenwesens zum Einsatz kommen. In Ausnahmefällen, wenn etwa in Spitzenzeiten die Kapazi- tätsgrenze erreicht wird, werden Transporte zum Tempel- hofer Damm vereinzelt auch durch Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamte durchgeführt. Ein wünschenswerter Anstieg von Fallzahlen des besonders beschleunigten Verfahrens würde daher eine Erhöhung der Transportka- pazitäten erforderlich machen, um zu vermeiden, dass für Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 624 3 andere Aufgaben vorgesehene Vollzugsbeamte Transpor- te übernehmen müssen. Eine genaue Angabe lässt sich, wie zur Anzahl der dann erforderlicher Sachbearbeiterin- nen und Sachbearbeiter, nicht tätigen, da diese vom tat- sächlichen Fallaufkommen abhängt. Für die Justiz gilt: Wie viele Fälle für die Bearbeitung im beschleunigten oder besonders beschleunigten Verfah- ren grundsätzlich geeignet wären, lässt sich nicht exakt bestimmen. Geht man aber davon aus, dass ein Teil der Fälle, die bisher im Strafbefehlsverfahren erledigt werden, dem Bereitschaftsgericht im Rahmen des beschleunigten oder besonders beschleunigten Verfahrens zugeführt würden, entstünde dort ein entsprechender Mehrbedarf im richterlichen Dienst, bei den Dezernentinnen und Dezer- nenten der Amts- und Staatsanwaltschaft sowie bei den Dienstkräften im gehobenen und mittleren Dienst. 6. In wie vielen Fällen konnte das beschleunigte Ver- fahren deshalb nicht durchgeführt werden, weil aus Per- sonal- und/oder Kapazitätsgründen eine Bearbeitung durch die Amtsanwaltschaft und die Staatsanwalt nicht möglich war? Zu 6.: Dem Senat sind keine Fälle bekannt, in denen aus Personal- und/oder Kapazitätsgründen eine Bearbei- tung im beschleunigten oder im besonders beschleunigten Verfahren durch die Amtsanwaltschaft oder die Staatsan- waltschaft nicht durchgeführt werden konnten. 7. Welche Prognosen gibt es hinsichtlich der Entwick- lung der Fallzahlen des beschleunigten beziehungsweise des besonders beschleunigten Verfahrens für den Zeit- raum bis 2018 und gibt es Planungen, den Personaleinsatz bei der Strafverfolgungsbehörde beziehungsweise dem Bereitschaftsgericht am Tempelhofer Damm zu erhöhen? Zu 7.: Eine belastbare Prognose hinsichtlich der Ent- wicklung der Fallzahlen kann angesichts der verschiede- nen intervenierenden Variablen, insbesondere der allge- meinen Kriminalitätsentwicklung und dem Erfordernis von Nachermittlungen, nicht gestellt werden. Die Perso- nalausstattung beim Bereitschaftsgericht am Tempelhofer Damm wird dem tatsächlich entstehenden Bedarf jeweils angepasst werden. 8. Welche Maßnahmen wurden in der Zeit von 2009 bis 2014 getroffen, um die Anzahl der durchgeführten Verfahren zu erhöhen? Zu 8.: Das Landeskriminalamt 74 führt polizeiinterne Vorgangsauswertungen durch, um nicht angebotene, für das besonders beschleunigte Verfahren jedoch geeignete Fälle zu ermitteln. Im Jahr 2013 wurden 150 geeignete Fälle festgestellt und mit den Dienstgruppenleiterinnen und Dienstgruppenleitern der Polizeiabschnitte ausgewer- tet. In der Landespolizeischule werden die zukünftigen Wachleiterinnen und Wachleiter der Polizeiabschnitte zur Thematik des besonders beschleunigten Verfahrens ein- gewiesen. Darüber hinaus werden viermal im Jahr von der Staatsanwaltschaft beim Bereitschaftsgericht gemeinsam mit dem Landeskriminalamt 743 entsprechende Informa- tionsveranstaltungen durchgeführt. In personeller und logistischer Hinsicht wurde das Landeskriminalamt 743 im laufenden Jahr mit einer zu- sätzlichen Dienstkraft und zwei weiteren Diensträumen verstärkt. Die Leiterin der Amtsanwaltschaft weist im Rahmen von Dienstbesprechungen mit ihren Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern regelmäßig auf das beschleunigte Verfahren als Instrument nachdrücklicher Strafverfolgung hin, insbesondere darauf, dass unter Beachtung der allge- meinen Voraussetzungen für diese Verfahrensart grund- sätzlich nahezu alle in den Zuständigkeitsbereich der Amtsanwaltschaft fallenden Delikte für die Verfolgung im beschleunigten Verfahren in Betracht kommen. Eine weitere Steigerung des Fallaufkommens soll als Ergebnis eines Arbeitstreffens am 16. Dezember 2013 am Bereitschaftsgericht am Tempelhofer Damm durch eine bessere Ausstattung und weitere Sensibilisierung auf Polizeiseite, eine Ausweitung des Verfahrens auf weitere Deliktsbereiche, wie beispielsweise Widerstandshandlun- gen und einfach gelagerte Fälle der Körperverletzung, die Verkürzung von Wartezeiten für die Richterschaft sowie die möglichst zeitnahe Ankündigung und Überbringung der Vorgänge/Beschuldigten erreicht werden. Unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz wurde Anfang 2014 eine Länder- arbeitsgruppe zu den Erfahrungen mit dem beschleunigten Verfahren im Sinne der §§ 417ff. StPO gebildet, die ins- besondere durch eine - bereits durchgeführte und nun auszuwertende - Länderumfrage die Basis für weitere Schritte zur Optimierung und Effektivierung des Verfah- rens auch im Land Berlin schaffen soll. 9. Werden aus dem Zuständigkeitsbereich der Bun- despolizeidirektion Berlin geeignete Fälle für das be- schleunigte beziehungsweise das besonders beschleunigte Verfahren zur Bearbeitung durch die Strafverfolgungsbe- hörde am Tempelhofer Damm zugeführt und wenn ja, wie viele jeweils in den Jahren 2009 bis 2014? Zu 9.: Die von der Bundespolizei angezeigten Strafta- ten zum Nachteil der Deutschen Bahn werden in geeigne- ten Fällen auch im beschleunigten Verfahren verfolgt. Statistische Erhebungen darüber liegen aber nicht vor. Das besonders beschleunigte Verfahren ist bisher nur selten bei Ermittlungsvorgängen der Bundespolizei be- trieben worden. Es bestehen zurzeit noch praktische Schwierigkeiten bei der Vorführung von vorläufig Fest- genommenen durch die Bundespolizei. Grundsätzlich hat die Bundespolizei jedoch ein großes Interesse an der Durchführung besonders beschleunigter Verfahren, dem seitens der Amts- und Staatsanwaltschaft wie auch seitens des Amtsgerichts Tiergarten entsprochen werden wird. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 624 4 10. Wird in einer intensiveren Zusammenarbeit mit der Bundespolizei die Möglichkeit gesehen, die Zahl der im beschleunigten beziehungsweise im besonders be- schleunigten Verfahren bearbeiteten Fälle zu erhöhen und welche Planungen gibt es diesbezüglich? Zu 10.: Die Möglichkeit der Erhöhung der Zahl der im beschleunigten bzw. im besonders beschleunigten Verfah- ren bearbeiteten Fälle durch eine intensivere Zusammen- arbeit mit der Bundespolizei wird gesehen. Sie ist Aus- druck des stetigen Bemühens um eine weitere Effektivie- rung der Strafverfolgung. Im Laufe der letzten Jahre sind vor diesem Hinter- grund durch die Dezernentinnen und Dezernenten bei dem Bereitschaftsgericht mehrfach Fortbildungsveranstal- tungen zur Akzeptanzsteigerung des besonders beschleu- nigten Verfahrens im Bereich der Bundespolizei Berlin durchgeführt worden, zuletzt am 24. Juni 2014 für Beam- tinnen und Beamte der Bundespolizeiinspektion Flugha- fen Berlin-Tegel. Der Informations- und Erfahrungsaus- tausch, der durch wechselseitige Hospitationen ergänzt wird, soll fortgesetzt werden. Berlin, den 15. Oktober 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Okt. 2014)