Drucksache 17 / 14 643 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Philipp Magalski (PIRATEN) vom 25. September 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Oktober 2014) und Antwort Kolonialgeschichte des Zoologischen Gartens – fühlt sich der Senat für die geschichtliche Aufarbeitung einer Berliner Institution verantwortlich? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Fragen beziehen sich auf Sachverhalte, die der Senat von Berlin nur teilweise in eigener Zuständigkeit beantworten kann. Die Zoologischer Garten Berlin AG wurde daher um die Zulieferung von Antworten gebeten, auf die nachfolgend rekurriert wird. 1. Wie viele sog. Völkerschauen des Zoologischen Gartens Berlin sind dem Senat seit Gründung der AG 1841 bekannt (Bitte um Auflistung nach Jahren, Ausstel- lungstitel und Anzahl der betroffenen Personen)? Zu 1.: Nach unserem Kenntnisstand gab es im Zoolo- gischen Garten Berlin 25 sogenannte Völkerschauen von unterschiedlichen Veranstaltern. Die originalen Titel sind uns nicht bekannt: 1878: - ‚Grönlandeskimos‘, 6 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck - ‚Nubier‘,17 Personen, Veranstalter C. Hagenbeck 1879: - ‚Lappländer‘ (Samen), 10 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck - ‚Nubier‘, mindestens 15 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck 1880: - ‚Labrador-Eskimos‘, 8 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck 1881: - ‚Feuerländer‘, 10 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck 1883: - ‚Kalmücken‘, 22 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck - ‚Singhalesen‘, 22 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck - ‚Araukaner-Indianer‘, eine Familie, Anzahl der Personen unbekannt, Veranstalter: Gebrüder Frit- ze, Stettin 1884: - ‚Kalmücken‘, gleiche Personen wie 1883, Veranstalter : C. Hagenbeck 1885: - ‚Somalier‘, 7 Personen, Veranstalter: v. Schirp 1888: - ‚Lappländer‘, 14 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck 1892: - ‚Ägyptische Karawane‘, Anzahl der Personen unbekannt , Veranstalter: W. Moeller 1895: - ‚Dinka-Dorf‘, 40 Personen, Veranstalter: W. Moeller 1897: - ‚Kalmücken‘, 28 Personen, Veranstalter: E. Gehring 1900: - ‚Tscherkessen‘, Anzahl der Personen unbekannt, Veranstalter: E. Gehring - ‚Samoaner‘, 20 Personen, Veranstalter: Gebr. Marquardt - ‚Siamesisches Hoftheater‘, Anzahl der Personen unbekannt, Veranstalter: V. Bamberger Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 643 2 1901: - ‚Beduinen‘, 40-50 Personen, Veranstalter: Thiergarten Wien und Zoo Berlin 1926: - ‚John Hagenbecks Indienschau‘, ca. 100 Personen, Veranstalter: J. Hagenbeck 1927: - ‚Tripolis in Berlin ‘, 73 Personen, Veranstalter: Zoo Berlin 1928: - ‚Somali-Schau‘, ca. 100 Personen, Veranstalter: C. Hagenbeck - ‚Ost-Afrika Tier-Schau‘, 6 Personen, Veranstalter: Zoo Berlin 1931: - ‚Sara-Kaba-Lippennegerinnen‘, 12 Personen, Veranstalter : F. W. Siebold 1952: - ‚Lappen‘, 24 Personen, Veranstalter: unbekannt 2. Befinden sich Relikte aus den sog. Völkerschauen noch im Besitz des Landes Berlin, seinen Körperschaften oder inzwischen in privater Hand? Falls ja, welcher Art, in welcher Anzahl und an welchem Ort (Bitte um Auflis- tung)? In dem Wissen, dass Restitutionen nicht durch das Land Berlin selbst geregelt werden, besteht ggf. die Ab- sicht einer Rückgabe der Relikte an die Rechtsnachfolger der Betroffenen? Zu 2.: Relikte aus den sogenannten Völkerschauen des Zoologischen Gartens Berlin befinden sich nach aktuel- lem Kenntnisstand nicht im Besitz des Landes Berlins oder einer seiner Körperschaften, weder im Museum für Naturkunde, noch in der Charité und den Sammlungsbe- ständen des Medizinhistorischen Museums noch im Stadtmuseum. Von Relikten im privaten Besitz hat der Senat keine Kenntnis. 3. Ist zudem bekannt, auf welche Weise Menschen und auch Tiere in die Hände des Berliner Zoos gelangt sind und welche Schäden hierbei an Mensch und Natur in den betroffenen Herkunftsgebieten entstanden sind? Gibt es Statistiken zur Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit sog. Völkerschauen und wenn ja, wo sind diese ein- sehbar? Zu 3.: Sogenannte Völkerschauen wurden normaler- weise beim jeweiligen Veranstalter gebucht. Die Veran- stalter – und nicht die Veranstaltungsorte – schlossen offenbar Verträge mit den Auftretenden. Diese brachten oft eigene Tiere mit, zum Teil stellte der Veranstalter weitere Tiere zur Verfügung. Zootiere wurden bis etwa Mitte des letzten Jahrhun- derts nicht nur über den Tierhandel, über andere Zoos oder über Nachzucht bezogen, sondern von finanziell gut ausgestatteten Zoos auch durch eigene Tierfangexpeditio- nen. Welche Schäden hierbei in den Herkunftsgebieten entstanden sind, könnte allenfalls für jede einzelne Expe- dition untersucht werden und ist heute kaum mehr nach- zuvollziehen. Statistiken über Todesfälle im Zusammenhang mit so- genannten Völkerschauen sind nicht bekannt. Dokumen- tiert ist aber, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Schau „Labrador-Eskimos“ im Jahr 1880 trotz doppelter Impfung bis Februar 1881 an den Pocken verstar- ben. 4. Gab es in irgendeiner Form eine systematisierte Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Berliner Zoos und wenn ja, inwieweit wurde diese durch Mittel des Landes Berlin unterstützt? Zu 4.: Die sogenannten Völkerschauen im Zoologi- schen Garten Berlin wurden vom Stadtmuseum Berlin im Jahr 2006 im Rahmen der zoohistorischen Ausstellung „Affentheater und andere Viechereien“ thematisiert. Jedoch handelte es sich dabei nicht um eine systematisierte Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Zoologischen Garten Berlins, sondern um die museale Darstellung eines Kapitels in der Geschichte dieser Einrichtung. Ein Artikel der Autorin Ursula Klös aus dem Jahr 2000 – Ehefrau des früheren Direktors des Zoologischen Gartens Berlin Heinz-Georg Klös – gibt einen Überblick über die Geschichte der sogenannten Völkerschauen im Berliner Zoologischen Garten (bibliographische Angaben siehe Antwort zu 7.). Eine systematische, vom Land Berlin unterstützte Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Berliner Zoolo- gischen Gartens gab es nicht. 5. Wie bewertet der Senat die bisher erfolgte Aufar- beitung hinsichtlich historisch-kritischer Auseinanderset- zung? Zu 5.: Zur Geschichte der sogenannten Völkerschauen in Deutschland und Europa gibt es mittlerweile eine ganze Reihe fundierter Publikationen. Auch zur Geschichte der sogenannten Völkerschauen im Berliner Zoologischen Garten gibt es eine Publikation (siehe Antwort zu 7.). Den allgemeinen Forschungsstand zu bewerten ist nicht Sache des Senats. Ob es archivalische Grundlagen gibt, die eine weitere Beschäftigung mit der Geschichte der sogenann- ten Völkerschauen im Berliner Zoologischen Garten sinn- voll ermöglichen, ist nicht bekannt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 643 3 6. Inwieweit wurden Ergebnisse dieser Aufarbeitun- gen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Zu 6.: Siehe Antworten zu den Fragen 4. und 7. 7. Inwieweit trägt der Berliner Zoo nach Kenntnis des Senats diesem Teil seiner Geschichte Rechnung, bspw. durch Ausstellungen, Informationsbroschüren, Diskussi- onsveranstaltungen o. ä.? Zu 7.: In „BONGO. Beiträge zur Tiergärtnerei und Jahresberichte aus dem Zoo Berlin“. Bd. 30/2000, befasst sich ein Artikel der Autorin Ursula Klös mit den „Völkerschauen im Zoo Berlin zwischen 1898 und 1952“. 8. Mit welcher Begründung wird auf der Webpräsenz des Berliner Zoos nicht auf seine Kolonialgeschichte hingewiesen? Zu 8.: Nach Einschätzung der Zoologischer Garten Berlin AG richtet sich das Interesse der Besucherinnen und Besucher der Website nicht auf historische Themen. 9. Sieht sich der Senat in der Lage, trotz seiner nur symbolischen Beteiligung an der Aktiengesellschaft von 0,03%, den Berliner Zoo zu einer weiteren Aufarbeitung bzw. Aufbereitung seiner Kolonialgeschichte zu ermuti- gen? Ist dies in der Vergangenheit bereits geschehen und wenn ja, in welcher Form wurde derartigen Aufforderun- gen nachgekommen? Zu 9.: Der Senat befürwortet grundsätzlich die Ausei- nandersetzung von Institutionen mit ihrer Geschichte. Einer gesonderten Ermutigung des Berliner Zoologischen Gartens bedarf es daher nicht. Zur bisherigen Auseinan- dersetzung des Berliner Zoologischen Gartens mit seiner Kolonialgeschichte siehe Antwort zu 7. 10. Sind dem Senat seitens des Berliner Zoos auch Entschuldigungs- oder Entschädigungsgesten gegenüber den Angehörigen bzw. Nachfahren betroffener Familien bekannt? Wurde nach Kenntnis des Senats seitens des Zoos der Kontakt zu betroffenen Familien bzw. ihren Nachfahren gesucht? Zu 10.: Darüber ist dem Senat nichts bekannt. 11. Sind dem Senat sonstige Projekte, die durch Lan- desmittel gefördert werden, bekannt, die sich mit der Kolonialgeschichte des Berliner Zoos auseinandersetzen? Wenn ja, welche? Wenn nein, gibt es in dieser Hinsicht Absichten oder Planungen? Zu 11.: Über die unter Antwort zu 4. genannte Aus- stellung hinaus gab es solche Projekte bislang nicht. Berlin, den 15. Oktober 2014 In Vertretung Tim Renner Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Okt. 2014)