Drucksache 17 / 14 751 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Michael Freiberg (CDU) vom 16. Oktober 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Oktober 2014) und Antwort Berliner Gedenktafeln fördern Geschichtsbewusstsein Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den Stellenwert von Ge- denktafeln in Berlin unter dem Aspekt der geschichtlichen Zeugnisse und Zeitzeugen? Zu 1.: In Berlin sind fast 3.000 Gedenktafeln erfasst. Schon diese Zahl steht für die große Bedeutung dieser Form des Gedenkens. Der Senat bewertet Gedenktafeln als wichtiges Medium, um unsere Geschichte im öffentli- chen Raum Berlins zu vergegenwärtigen, auf historische Orte, Gebäude und Ereignisse hinzuweisen und an Per- sönlichkeiten zu erinnern, die für Berlin wichtig waren. 2. Nach welchen Verfahrenskriterien arbeiten die Ge- denktafelkommissionen der Berliner Bezirke und sind diese Verfahren in den Bezirken mit Gedenktafelkommis- sion vereinheitlicht? Zu 2.: Die Frage bezieht sich auf Sachverhalte, die der Senat von Berlin nur teilweise in eigener Zuständigkeit beantworten kann. Die Gedenktafelkommissionen Pan- kow, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain- Kreuzberg wurden daher um Informationen gebeten, auf die nachfolgend rekurriert wird. Auch die Arbeitsgemein- schaft (AG) Gedenkkultur Treptow-Köpenick, die AG Geschichte Berlin-Mitte und das Bezirksamt Marzahn- Hellersdorf (Fachbereichsleitung Kultur) wurden um Informationen gebeten. Die Verfahren sind in den Bezirken mit Gedenktafel- kommission nicht vereinheitlicht. Bei der Anbringung von Gedenktafeln handelt es sich regelmäßig um eine Bezirksaufgabe (§ 3 Abs. 2 Allgemeines Zuständigkeits- gesetz – AZG). Die Durchführung einer Bezirksaufgabe ist allein von dem jeweiligen Bezirk zu verantworten. Eine Rechtsgrundlage für eine bezirksübergreifende Re- gelung gibt es daher nicht. Nach unseren Informationen gibt es zwischen den Bezirken aber einen informellen Austausch zu Aufgaben und Arbeitsweise der Gedenkta- felkommissionen. Die Zusammensetzung sowie die Verfahrens- und Ar- beitsweise der AG Geschichte des Bezirks Mitte und der AG Gedenkkultur des Bezirks Treptow-Köpenick sind in vielen Punkten mit den Gedenktafelkommissionen ver- gleichbar. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf trägt die Leite- rin des Bezirksmuseums als Gedenktafelbeauftragte des Bezirks die Verantwortung und bereitet Einzelfallent- scheidungen vor, die mit der Kommission Gedenkorte Marzahn-Hellersdorf abzustimmen sind. In Charlottenburg-Wilmersdorf ergeben sich die Ver- fahrenskriterien aus dem Beschluss der Bezirksverordne- tenversammlung (BVV) vom 26. April 2012 (Drucksache 0184/4) über „Richtlinien der Gedenktafelkommission des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf (Stand 31.05.2012)“: 1. Grundsätzlich werden alle Bereiche (Politik, Wis- senschaft, Industrie, Technik, Kultur, Kunst, Sport usw.) berücksichtigt, und zwar nicht nur Personen, sondern auch (Gedenk-) Stätten bzw. Standorte / Häuser. Darüber hinaus ist die Gedenktafel nicht nur als Ehrung gedacht, sondern soll auch Hinweise auf historische Ereignisse / Stätten geben (z. B. Filmstadt Weißensee, aber auch NS- Zwangsarbeiterlager, Lager des ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit usw.). Der Widerstand gegen das NS- Regime in der Zeit von 1933 bis 1945 ist in das Pro- gramm mit einzubeziehen. Es sollte darauf geachtet wer- den, dass keine überproportionalen Würdigungen erfol- gen, die das Geschichtsbild verfälschen. 2. Der Berlin-Bezug muss ersichtlich sein, aber auch Aspekte der brandenburgisch-preußischen sowie der deut- schen Geschichte sollten betont werden. Vorrangig wird die Bezirkspräsenz berücksichtigt. 3. Einziges Kriterium der zu Ehrenden sind ihre Leis- tungen für / in Berlin; politische Überzeugungen bleiben unberücksichtigt. Grundsätzlich sollen nur Personen / Institutionen / Orte mit einer Gedenktafel bedacht werden, die auch von überregionaler Bedeutung sind. Dies ist insbesondere bei Kommunalpolitikern zu berücksichtigen. Der Bezug zum Bezirk muss immer gegeben sein. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 751 2 4. Nicht einbezogen werden Personen, die nur kurze Zeit in Berlin gelebt haben und deren Werk in keiner Beziehung zu dieser Stadt steht. 5. Personen, die bereits durch einen Platz- oder Stra- ßennamen, durch ein Gedenkstein oder eine Gedenktafel (außerhalb des Berliner Gedenktafelprogramms) geehrt wurden, müssen (auch aus Kostengründen) zunächst un- berücksichtigt bleiben. In begründeten Fällen kann aller- dings von dieser Regelung abgewichen werden. 6. In Anlehnung an die Bestimmungen über die Vergabe von Straßennamen sollen Anträge auf die An- bringung einer Gedenktafel erst fünf Jahre nach dem Ableben der zu ehrenden Persönlichkeiten berücksichtigt werden. 7. Vorschläge für Gedenktafeln, die an das Bezirksamt herangetragen werden, werden der Kommission zur Prü- fung weitergeleitet. 8. Aufgaben der Mitglieder der Gedenktafelkommis- sion nach Klärung der jeweiligen Finanzierung: - Kontakt zu Institutionen und Sponsoren, - Bewertung von Vorschlägen, - Recherche historischer Fakten, - Ausarbeitung von Tafeltexten und Ausführungsmus- tern, - Durchführung von Enthüllungen / gemeinsame Durchführung mit dem Bezirksamt, - Öffentlichkeitsarbeit/Dokumentation. Durch das Kulturamt sind insbesondere zu klären: - Erlangung von Zustimmungen der Hauseigentüme- rinnen/Hauseigentümer / Klärung von Eigentümer- fragen, ggf. mit Unterstützung der Initiatoren, - Beauftragung / Herstellung der Tafeln. 9. Besetzung der Gedenktafelkommission: - Fünf Mitglieder der BVV, die auf Vorschlag der Fraktionen und fraktionslosen Bezirksverordneten benannt werden, - zwei Personen, die jeweils von beiden Heimatverei- nen im Bezirk benannt werden, - zwei Personen von der Verwaltung. In Pankow wird die Zusammensetzung und Arbeits- weise der Gedenktafel-kommission durch eine Geschäfts- ordnung geregelt. Dort sind als wesentliche Punkte festge- legt:  Zusammensetzung: Je eine Vertreterin / ein Vertreter pro BVV-Fraktion, Sachverständige aus der Pankower Bürgerschaft. Den Vorsitz hat das für das Bezirksmuseum zuständige Bezirksamtsmit- glied inne, die Geschäftsführung obliegt der Lei- tung des Museums Pankow im Amt für Weiterbil- dung und Kultur.  Es finden mindesten zwei Sitzungen pro Jahr statt, bei Bedarf auch mehr. Diese sind insofern öffent- lich, als Gäste auf Antrag teilnehmen können.  Vorschläge für Gedenktafeln können von jeder Bürgerin / jedem Bürger eingereicht werden. Über diese Vorschläge soll, ggf. nach Einholung exter- nen Sachverstands, im Konsens entschieden wer- den.  Zur Finanzierung von Gedenktafeln stehen pro Jahr € 5.000 zur Verfügung, die im Kapitel der BVV etatisiert sind. Diese sind oft nicht auskömm- lich. In Friedrichshain-Kreuzberg wurde die Gedenktafel- kommission 2004 durch einen BVV-Beschluss eingesetzt, eine Geschäftsordnung regelt die Arbeitsweise. Die Ge- denktafelkommission wird gebildet von je einer Vertrete- rin / einem Vertreter der BVV-Fraktionen, dem für Be- zirksgeschichte zuständigen Bezirksamtsmitglied, das auch den Vorsitz übernimmt, der Leiterin / dem Leiter des Fachbereichs „Kultur und Geschichte" (oder Vertretung) sowie vier interessierten und kompetenten Personen aus der Fachöffentlichkeit. Diese ständigen Mitglieder haben Stimmrecht. Vier Anwesende sind für die Beschlussfähigkeit der Kommis- sion erforderlich (mindestens zwei Vertreterinnen / Ver- treter der Fraktionen, eine Vertreterin / ein Vertreter der Fachöffentlichkeit und die Fachbereichsleiterin / der Fachbereichsleiter). Darüber hinaus lädt die Kommission auf Vorschlag des Fachbereichs Kultur und Geschichte von Fall zu Fall weitere Personen als Beraterinnen / Bera- ter hinzu. Die Kommission tagt entsprechend der Menge an An- trägen, mindestens jedoch zweimal jährlich. Die Antrag- stellerinnen / Antragsteller werden hinzugeladen. Die Sitzungen sind öffentlich, die Kommission behält sich jedoch vor, die Öffentlichkeit bei bestimmten Tages- ordnungspunkten auszuschließen. Die Geschäftsführung der Kommission (Einladungen, Protokolle, Vorlagen, Recherchen, Einholung zusätzlicher Fachstellungnahmen) übernimmt der Fachbereich Kultur und Geschichte, dieser nimmt auch Vorschläge zur Er- richtung neuer Gedenktafeln entgegen und leitet diese an die Kommission weiter. Die Gedenktafelkommission ist angehalten, bei Ent- scheidungen Konsens herzustellen. Bei Abstimmungen gelten die Regelungen der Geschäftsordnung der BVV. Die Kommission gibt ggf. die Prüfung der Vorschläge in Auftrag, insbesondere in Hinsicht auf die Richtigkeit historischer Angaben und auf die Bedeutung des Vor- schlages. Im Verfahren holt die Kommission je nach vorhandenem Klärungsbedarf zusätzliche Stellungnahmen von Fachleuten ein. Die Befürwortung oder Ablehnung eines Vorschlages erfolgt innerhalb eines halben Jahres. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 751 3 Die durch die Gedenktafelkommission inhaltlich ge- prüften Vorschläge werden durch den Fachausschuss verabschiedet und dem Bezirksamt zur Umsetzung emp- fohlen. Der Kommission werden Text- und Gestaltungsent- würfe zur Entscheidung vorgelegt. Für die Realisierung einer Gedenktafel obliegt der Vorschlag für die Finanzie- rung der Gedenktafelkommission. Sie hat zu prüfen, ob ein Sponsor die gesamten Kosten oder Teile übernimmt oder Mittel aus dem Bezirkshaushalt in Anspruch ge- nommen werden müssen (das Bezirksamt weist zu Beginn eines Haushaltsjahres einen feststehenden zweckgebun- denen Betrag für die Pflege der bestehenden und die Er- richtung neuer Gedenktafeln für das laufende Haushalts- jahr aus, in Friedrichshain-Kreuzberg sind das zurzeit 1.000 Euro). Sofern es um private Initiativen für eine Gedenktafel geht, bei der klare Vorstellungen über die Form und gesi- cherte Finanzierung vorhanden sind, beschränkt sich die Arbeit der Kommission auf die inhaltliche Prüfung und ggf. auf die genehmigungsrechtliche Unterstützung der Anbringung. Grundsätzlich gilt, dass die Einweihung einer Gedenk- tafel, mit der sich im Vorfeld die Kommission befasst hat, von der Bezirksverordnetenversammlung, vom Bezirk- samt und der Antragstellerin / dem Antragsteller gemein- sam vorgenommen wird. 3. Wie bewertet der Senat das Engagement von Bürge- rinnen und Bürgern, die Vorschläge für Gedenktafeln in ihren Bezirken einreichen? Zu 3.: Gedenktafeln erschließen Geschichte ortsbezo- gen. In der Erinnerungskultur der Bezirke spielen sie daher eine tragende Rolle. Vor diesem Hintergrund ist gerade für diese Form des Gedenkens das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern besonders wichtig. 4. Stimmt der Senat der Auffassung des Fragestellers zu, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Vorschläge einreichen, aktiv in die Verfahren der jeweiligen bezirkli- chen Gedenktafelkommissionen einbezogen werden sol- len und dass im Sinne der Förderung bürgerschaftlichen Engagements eine weitreichende Transparenz der Ent- scheidung und ihrer Gründe stattfinden soll? Zu 4.: Der Senat stimmt dem zu. Nach Kenntnis des Senats werden Bürgerinnen und Bürger, die Vorschläge für Gedenktafeln einreichen, in den Bezirken mit Gedenk- tafelkommissionen sowie in der AG Gedenkkultur Trep- tow-Köpenick und der AG Geschichte im Bezirk Mitte in die Verfahren einbezogen, ein Großteil der Sitzungen findet öffentlich statt. Sofern für Gedenktafelkommissio- nen darüber hinaus ein nichtöffentlicher Abstimmungs- prozess erforderlich ist, um entsprechend ihrem Auftrag ein Votum abzugeben, sollte dies nicht als Zeichen gegen bürgerschaftliches Engagement betrachtet werden. Die Gedenktafelkommissionen haben keine entschei- dende, sondern beratende Funktion. Berlin, den 29. Oktober 2014 In Vertretung Tim Renner Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Okt. 2014)