Drucksache 17 / 14 770 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 16. Oktober 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Oktober 2014) und Antwort Privatisierung von Wachtmeister- und Vollzugsaufgaben in der Berliner Justiz? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass der Senat zur Absicherung perso- nalintensiver Sicherungsaufgaben des Justizwachtmeis- terdienstes im Strafgerichtsverfahren den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten erwogen bzw. bereits ver- traglich vereinbart hatte? Wenn ja: in welchem Umfang, aus welchen Gründen und verbunden mit welchem Kos- tenaufwand? Zu 1.: Der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten er- wägt den vorübergehenden Einsatz eines privaten Sicher- heitsdienstes zur Unterstützung bei der Durchführung der Einlasskontrollen im Dienstgebäude des Kriminalgerichts Moabit. Den Anlass für die Überlegungen bildet eine einmalige und in dieser Dimension unerwartete Häufung sicherheitsrelevanter Strafverfahren im Kriminalgericht Moabit. Im November 2014 sollen vor dem Landgericht Berlin die Hauptverhandlungen in drei hoch sicherheitsre- levanten Verfahren beginnen. Allein diese drei Prozesse werden an den Verhandlungstagen voraussichtlich 40 Beschäftigte des Zentralen Dienstes Sicherheit (ZDS) binden. Diese Situation stellt im Hinblick auf den Perso- naleinsatz eine außerordentliche Belastungsspitze dar. Denn ohne externe Unterstützung kämen auf die Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter des ZDS über einen längeren Zeitraum besondere Belastungen zu, wie die Einschrän- kung des geplanten Abbaus von Überstunden, die Absage geplanter und bewilligter Fortbildungen und der Widerruf bereits gewährten Erholungsurlaubs. Der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten hat daher ein Angebot eines privaten Sicherheitsdienstes eingeholt. Nach dem Inhalt des Angebots soll der private Dienstleister dienstags und donnerstags zwölf Beschäftigte zur Unterstützung des ZDS bei der Eingangskontrolle zur Verfügung stellen. Der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten hat den Vorschlag an die Senatsverwaltung für Justiz und Ver- braucherschutz herangetragen. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hat bislang noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Nach einer ersten Einschätzung der Senatsverwaltung für Justiz und Ver- braucherschutz werden in den nächsten zwei Jahren zu den Hauptverhandlungsterminen jeweils dienstags und donnerstags insgesamt 194 sicherheitsdiensttaugliche Beschäftigte beim ZDS benötigt. Am 3. November 2014 waren beim ZDS aber nur 184 sicherheitsdiensttaugliche Beschäftigte tatsächlich einsatzbereit. Die Senatsverwal- tung für Justiz und Verbraucherschutz prüft derzeit, ob für zwei Tage in der Woche sicherheitsdiensttaugliches Per- sonal aus anderen Gerichten oder den Strafverfolgungs- behörden beim ZDS eingesetzt werden kann, ohne dass die Sicherheitsbelange der anderen Gerichte und Strafver- folgungsbehörden beeinträchtigt werden. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucher- schutz wird den Sachverhalt mit den zuständigen Perso- nalvertretungsgremien ausführlich beraten, die personal- vertretungsrechtlich gebotenen Beteiligungsverfahren durchführen und auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen. Zudem hat die Senatsverwaltung für Justiz und Ver- braucherschutz die Senatsverwaltung für Inneres und Sport gebeten zu prüfen, ob und inwieweit durch den Einsatz von Polizeikräften über das ohnehin zugesagte Maß hinaus auch bei der Zugangskontrolle Unterstützung gewährt werden kann. Der Vorgang befindet sich zurzeit in der Prüfung. Ein „Einstieg“ in die Privatisierung des Justizwachtmeisterdienstes ist mit dem Einsatz privater Dienstleister bei der Eingangskontrolle ausdrücklich nicht bezweckt. Eine Privatisierung des Justizwachtmeisterdienstes ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nur eingeschränkt zuläs- sig. Nach Artikel 33 Absatz 4 Grundgesetz ist die Aus- übung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu über- tragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 770 2 Das Angebot des privaten Dienstleisters sieht Kosten in Höhe von ca. 200.000 € für den Zeitraum von knapp einem Jahr vor. Das Auftragsvolumen entspricht nach den Personalkostensätzen 2014 insgesamt 4,5 Vollzeitäquiva- lente (VZÄ) der Besoldungsgruppe A 5 S (Personalkos- tensatz nach Kostenleistungsrechnung (KLR) 2014: 43.730 €). Im Verhältnis zum Personalgesamtbestand des ZDS von derzeit 225 VZÄ steht somit eine vorüberge- hende Personalverstärkung von 2,0 % in Rede. Der Senat hält auch in Anbetracht der personellen Fluktuation an dem Ziel einer bedarfsgerechten Ausbil- dung im Bereich des Justizwachtmeisterdienstes fest. Am 1. Dezember 2014 wird der Vorbereitungsdienst für 15 Justizwachtmeisteranwärterinnen und Justizwachtmeister- anwärter enden. Darüber hinaus ist für das Jahr 2015 ein weiterer Lehrgang mit insgesamt 30 Anwärterinnen und Anwärtern geplant, die spätestens Ende Oktober 2015 den Dienst antreten werden. Im Ergebnis ist demnach festzuhalten, dass eine Priva- tisierung des ZDS nicht beabsichtigt ist. 2. Trifft es zu, dass der Senat im Rahmen von Debat- ten über die „Aufgabenkritik“ im Justizvollzugsdienst die Ausgliederung einzelner Sicherungsaufgaben (z.B. Pfor- tendienste in den JVA) an private Sicherheitsdienste in Erwägung gezogen hat oder in Erwägung zieht? Zu 2.: Nach dem Senatsbeschluss vom 25. Juni 2013 muss der Berliner Justizvollzug 205 VZÄ einsparen. Im Rahmen erster aufgabenkritischer Betrachtungen wurde der Bereich der Pforten (Eingangskontrolle der Justizvoll- zugsanstalten) identifiziert, für den eine Privatisierung ggf. in Betracht käme und gleichzeitig VZÄ abgebaut werden könnten. Nach ersten Einschätzungen würde die Privatisierung der Pforten ein Einsparpotential von bis zu ca. 170 VZÄ erbringen. Aktuell wird die Privatisierung der Pforten auf Grund der politischen Diskussionen und der von Seiten der Be- schäftigtenvertretungen geäußerten Bedenken nicht weiter verfolgt. Verbleibt es bei einer Einsparvorgabe von 205 VZÄ, kann auf Dauer aber nicht ausgeschlossen werden, dass entsprechende Betrachtungen wieder aufgenommen werden müssen. 3. Wenn 1. und bzw. oder 2. Ja: Welche Effekte ver- sprach bzw. verspricht sich der Senat jeweils davon und auf welche Annahmen, Erfahrungen, empirischen Grund- lagen stützt(e) er seine Prognose des Eintritts derartiger Effekte? Zu 3.: Hinsichtlich der Verfahren vor den Strafgerich- ten wird auf die Antwort zu 1 Bezug genommen. Hinsichtlich des Strafvollzuges gilt, dass angesichts der im Senatsbeschluss geforderten Personaleinsparungen deren Umsetzung im Pfortenbereich der Justizvollzugsan- stalten noch am ehesten möglich erscheint. Die organisa- torische Umgestaltung dieser Bereiche wäre verhältnis- mäßig leicht umsetzbar. Der Einsatz qualifizierten Perso- nals sollte vorrangig in den betreuerischen und behandle- rischen Bereichen, d. h. auf der Station und in der Arbeit mit den Gefangenen, erfolgen. 4. Sind dem Senat Erfahrungen in anderen Bundeslän- dern mit dem Einsatz privater Sicherheitsdienste zur Er- füllung der unter 1. bzw. 2. benannten öffentlichen Auf- gaben bekannt? Wenn Ja: Welche sind das, welche Erfah- rungen wurden damit von wann bis wann gesammelt und welche Vorzüge gegenüber der hoheitlichen Aufgabener- füllung werden bei der Auswertung dieser Erfahrungen hervorgehoben (bitte Quellen bzw. Expertisen angeben)? Wie wurde dort organisatorisch sichergestellt, dass die ausgegliederten Tätigkeiten tatsächlich ausschließlich Verwaltungshilfe zum Gegenstand hatten? Zu 4.: Vor Strafgerichten werden nach Kenntnis des Senats private Dienstleister im geschilderten Rahmen zur Unterstützung des Justizwachtmeisterdienstes bei Ein- lasskontrollen in Bayern, Brandenburg, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen ein- gesetzt. Näheres hierzu ist dem Senat nicht bekannt. Hinsichtlich des Strafvollzuges ist bekannt, dass in anderen Bundesländern im Justiz- bzw. Maßregelvollzug private Sicherheitsdienste eingesetzt werden. Diese Erfah- rungen sind jedoch einer tieferen Betrachtung noch nicht unterzogen worden, da wie unter 2. geschildert diese Option derzeit nicht weiter verfolgt wird. 5. Wie definiert der Senat die durch Art. 33 Abs. 4 GG und die durch Art. 155 Abs. 1 StVollzG gezogenen Gren- zen des Einsatzes von Verwaltungshelfern bei der Durch- führung hoheitlicher Aufgaben, wie sie die Unterhaltung des Justizvollzuges regelmäßig mit sich bringt? Zu 5.: Im Strafvollzug ist der Großteil der insgesamt anfallenden Aufgaben hoheitlicher Natur. Welche Aufga- ben ausnahmsweise durch Private wahrgenommen wer- den können, bedarf einer sehr genauen Betrachtung im Einzelfall, wobei es nicht nur auf die Art der Aufgabe als solche ankommt, sondern auch andere Faktoren wie bei- spielsweise der konkrete Geschäftsprozess und das Struk- tur- und Prozesscontrolling zu beachten sind. Im Falle einer erforderlichen vertieften Betrachtung, müsste ge- prüft werden, welche hoheitlichen Aufgaben dort und in welchem Umfang anfallen und ob und wie diese durch Justizvollzugsbedienstete sicherzustellen sind. Berlin, den 06. November 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Nov. 2014)