Drucksache 17 / 14 777 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 13. Oktober 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Oktober 2014) und Antwort Entlassungsvorbereitung und Übergangsmanagement Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Angebote im Bereich Entlassungsvorberei- tung/Übergangsmanagement gibt es in Berlin? Welche Angebote davon werden vollzugsintern durch die Anstal- ten selbst und welche durch externe Träger realisiert? 2. Wie und durch wen werden die vorhandenen Ange- bote aufeinander abgestimmt (etwa zur Vermeidung von Mehrfachbetreuungen, in Bezug auf die Umsetzung des Vollzugs- und Integrationsplanes der Inhaftierten?) Zu 1. und 2.: In allen Berliner Justizvollzugsanstalten (JVA) wird ein vielfältiges Angebot an Maßnahmen be- ziehungsweise Beratungen zur Entlassungsvorbereitung und im Übergangsmanagement bereitgehalten. Federführend zuständig für die jeweils individuell auf jeden Inhaftierten abgestimmte Entlassungsvorbereitung sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der sozialen Dienste der Anstalten. Der Sozialdienst erstellt nach ein- gehender Behandlungsuntersuchung den individuellen Vollzugs- und Integrationsplan, der durch die Gruppenlei- tungen regelmäßig fortgeschrieben wird. Auf dieser Grundlage werden differenzierte Behandlungs- und Be- treuungsmaßnahmen (wie zum Beispiel schulische und berufliche Bildung und Qualifizierung, Training sozialer Kompetenzen, Angehörigenarbeit oder Freizeitverhalten) während der Haftzeit durchgeführt, die immer auch Aus- wirkungen auf die Resozialisierung und das Übergangs- management haben. In die Entlassungsvorbereitung wird im Falle einer an das Haftende anschließenden Bewäh- rungszeit die/der zuständige Bewährungshelfe- rin/Bewährungshelfer frühzeitig eingebunden, damit er- forderlichenfalls an begonnene Maßnahmen angeknüpft werden kann. Entsprechendes gilt im Falle einer an das Haftende anschließenden Führungsaufsicht. In der JVA des Offenen Vollzugs wird die Betreuung und Behandlung der Inhaftierten von Anfang der Unter- bringung an auf die Vorbereitung der Entlassung abge- stellt. Hier erfolgt für jede Inhaftierte/jeden Inhaftierten von Anfang an eine individuelle und kleinschrittige Bera- tung und Behandlung durch aufeinander abgestimmte und miteinander verknüpfte Maßnahmen interner Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter sowie externer Träger, deren Dar- stellung einen unverhältnismäßigen Aufwand darstellen würde. Zudem haben die Inhaftierten der JVA des Offe- nen Vollzugs die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Vollzugs- lockerungen von den Angeboten des freien Marktes zu profitieren. Für die Entlassungsvorbereitung im engeren Sinn se- hen alle Anstalten des geschlossenen Vollzugs im We- sentlichen die folgenden Angebote vor: - Schuldenberatung / Schuldenregulierung / Kompetenzerwerb im Umgang mit Geld - Hilfen und Unterstützung bei der Vermittlung von Unterkunft bzw. Wohnraumerhalt - Unterstützung bei der Suche von Ausbildung oder Beschäftigung - Bewerbungstraining - Umgang mit Behörden - Klärung und Unterrichtung über Zuständigkeiten in sozialen Systemen, Unterstützung bei Antrag- stellungen, Unterstützung bei der Vervollständi- gung notwendiger Dokumente - Suchtberatung Vollzugsintern erfolgen die Planung und Koordinie- rung (Übermittlung an externe Träger und enge Zusam- menarbeit mit den Trägern) und zu einem guten Teil auch die Durchführung der Entlassungsvorbereitung im enge- ren Sinne. Zur Erweiterung und Intensivierung der Be- treuungsmaßnahmen für die jeweilige Inhaftierte/den jeweiligen Inhaftierten, aber auch zur Gewährleistung einer Betreuungskontinuität für die Zeit nach Haftentlas- sung binden alle Anstalten externe Träger in das Über- gangsmanagement ein. Viele Angebote werden also so- wohl vollzugsintern angeboten als auch durch externe Träger ergänzend wie erweiternd und aufeinander abge- stimmt durchgeführt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 777 2 Die Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit werden in diesem Rahmen von allen Anstalten wahrge- nommen. Darüber hinaus werden aufgeschlüsselt nach der jeweiligen Anstalt des geschlossenen Vollzugs im Bereich der folgenden Maßnahmen externe Träger zusätzlich zu den vollzugsinternen Angeboten unterstützend tätig (Stand Oktober 2014): Justizvollzugsanstalt Maßnahme JVA Moabit Beratungsangebote im Gruppen- und Beratungszentrum zu: Entschul- dungshilfe, Wohnraumerhalt und Wohnraumsuche, berufliche Wiederein- gliederung, Ausbildung, Transferleistungen, Kooperation mit Ämtern und Behörden JVA Tegel Unterstützung und Vermittlung einer Unterkunft, berufliche Wiederein- gliederung, Ausbildung, Umgang mit Behörden, Umgang mit Geld, Zu- ständigkeiten in Sozialen Systemen, Bewerbungstraining JVA Plötzensee Modulares Basis-Behandlungsangebot Entlassungsvorbereitung zu: Wohn- raumerhalt und Wohnraumsuche, berufliche Wiedereingliederung, Ausbil- dung, Hilfe und Unterstützung bei der Vervollständigung notwendiger Dokumente und Anträge, insbes. zur Sicherung des Lebensunterhalts, zusätzliche Beratungsangebote nach Bedarf z.B. zu Schulden, Sucht, aus- länderrechtlicher Situation, Einrichtung einer Betreuung JVA Heidering Gruppenangebote nach Bedarf als Basisbehandlungsangebot mit Einzel- fallberatungen im Bedarfsfall JVA für Frauen Bedarfsorientierte Einbindung externer Träger im Einzelfall Jugendstrafanstalt Beratungsangebote im Beratungszentrum zu: Berufsberatung und - findung, Bewerbungscoaching, Arbeitsvermittlung, soziale Kompetenzen, Stoff- und Suchtberatung und -kompetenzen, Schuldnerberatung, Beratung zum Bleiberecht, Lebensunterhalt (Unterstützung bei Antragstellungen), Vermittlung in betreute Wohnformen, besondere Übergangsbegleitung für Gefangene mit negativer Legalprognose und ohne anschließende Füh- rungsaufsicht Solange die/der Inhaftierte sich in Haft befindet, wer- den alle Angebote durch den Vollzug koordiniert und aufeinander abgestimmt. Mehrfachbetreuungen sollen hierdurch ausgeschlossen sein. Wenn die/der Inhaftierte entlassen ist, liegt es allerdings nicht mehr in der Hand der vollzuglichen Fachdienste, an welche Träger und zu welchen Fragestellungen sich die/der Entlassene selbst initiativ wendet. 3. Bestehen in Bezug auf die Vorbereitung der Haft- entlassung und der ggf. vorhandenen Nachbetreuung aufeinander abgestimmte Konzepte? Besteht in diesem Zusammenhang eine Zusammenarbeit mit der Senatsver- waltung für Arbeit, Integration und Frauen und der Se- natsverwaltung für Soziales? Zu 3.: Die Abstimmung der im Übergangsmanage- ment tätig werdenden Protagonisten erfolgt durch die auf die einzelne Inhaftierte/den einzelnen Inhaftierten abge- stimmten Planung und Koordination der Fachdienste. Hilfestellung bei der Abstimmung der Maßnahmen geben zum einen die Vereinbarungen mit den verschiedenen Trägern der freien Straffälligenhilfe. Zum anderen bietet die Kooperationsvereinbarung der Berliner Justizvoll- zugsanstalten mit den Sozialen Diensten den strukturellen Rahmen für das Zusammenwirken im Falle einer sich an die Haftstrafe anschließenden Bewährungszeit. Die zweite Frage steht im Zusammenhang mit Frage 6 und ist dort beantwortet. 4. Wie viele der sog. „Resozialisierungs-Berater“ der Bundesagentur für Arbeit sind mit welchem Zeitbudget in welchen Haftanstalten tätig? Kann der bestehende Bera- tungsbedarf so gedeckt werden? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 777 3 Zu 4.: Die Beantwortung dieser Fragen ergibt sich aus der nachstehenden Tabelle: Anstalt Beratungsaufwand in den Anstal- ten Bedarfsdeckung (ja/nein) JVA Moabit 1 Berater für 1 Tag / Woche à 4 Std. Ja, da externe Träger regelhaft er- gänzende Angebote vorhalten. JVA Tegel 1 Berater für 2 Tage / Woche à 8 Std.; bei Bedarf erweiterbar Ja JVA Plötzensee 2 Berater für 18 Std. / Woche Ja JVA Heidering 1 Beraterin für 4 Tage / Monat Ja JVA OVB 1 Berater für 1 Tag / Woche Ja, da die gelockerten Inhaftierten nach Terminvereinbarung auch die Berater in der Agentur aufsuchen können. JVA für Frauen 1 Beraterin für 1 Vormittag / Monat im Standort Reinickendorf; 1 Vormittag / Monat im Standort Pankow und bei Bedarf 1 Vormittag / Monat im Bereich Lichtenberg Ja, zudem können gelockerte Inhaf- tierte nach Terminvereinbarung auch die Berater der Agentur aufsuchen Jugendstrafanstalt 1 Beraterin für 4 Tage / Woche im Beratungszentrum Ja 5. Was ist typischer Weise Gegenstand einer Resozia- lisierungs-Beratung (z.B. Berufswegeplanung, Kontakt zu Unternehmen oder (weiterführenden) Qualifizierungsein- richtungen)? Zu welchem Zeitpunkt in Bezug auf die Vorbereitung der Haftentlassung werden die Berater ak- tiv? Zu 5.: Typische Gegenstände der Resozialisierungs- Beratung sind: - Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung - Betreuung von Qualifikationsmaßnahmen in der Anstalt - Vermittlung in Ausbildung/Arbeit - Prüfung der Voraussetzungen und Förderung der beruflichen Weiterbildung - Klärung von Ansprüchen nach Sozialgesetzbuch (SGB) II, III oder XII - Abfrage und Klärung des ausländerrechtlichen Status - Prüfung und Kontakt berufliches Reha-Verfahren - Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern, freien Trä- gern, Bildungsträgern, Jobcentern, Arbeitsagentu- ren bei der Entlassungsvorbereitung Koordiniert durch die Sozialdienste der Anstalten be- ginnt die Resozialisierungs-Beratung in Form der Entlas- sungsberatung sobald eine Entlassung absehbar ist. Dies ist in der Regel drei Monate vor dem bekannten Haftende der Fall. Darüber hinausgehende Vermittlungsprozesse beginnen in Absprache mit dem Sozialdienst der Anstalt, sobald die Inhaftierten für Vollzugslockerungen geeignet sind. 6. Wie ist der Stand der Abstimmung bzgl. der ange- kündigten übergeordneten Kooperationsvereinbarung mit der Bundesagentur für Arbeit? Welchen Zeitraum sieht diese Vereinbarung für die Erarbeitung gemeinsamer Strategien zur beruflichen Eingliederung Haftentlassener vor? Welche Einrichtungen sollen in die Entwicklung von Verfahrens- und Kooperationsregeln für den Übergang aus der Haft eingebunden werden? Zu 6.: Hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage wird zunächst auf die Antwort der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/13923 vom 2. Juni 2014, zu Frage 3, verwiesen. Der Abstimmungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Die weitergehenden Fragen können zu diesem Punkt daher nicht beantwortet werden. 7. Wie sind die gemeinsamen Arbeitskreise von Job- centern und der Haftanstalten organisiert und wie arbeiten sie (in Bezug auf Zuständigkeiten, beteiligte Einrichtun- gen, Zeitintervalle, Ziele, konkrete Aktivitäten zur beruf- lichen Wiedereingliederung nach der Haftentlassung)? Welche Jobcenter und Haftanstalten sind daran beteiligt? Zu 7.: Die gemeinsamen Arbeitskreise wurden durch das Berliner Netzwerk „Integration von Haftentlassenen“ ins Leben gerufen. Das Netzwerk wurde im Rahmen der bereits abgeschlossenen ESF (Europäischer Sozialfonds)- Projekte „Passage“ und „OASIS“ in enger Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucher- schutz etabliert und wird gegenwärtig durch die Projekte „Transit und „Passage+“ weitergeführt. Für die Koordination der Netzwerkaktivitäten sind die Träger beider Pro- jekte zuständig. Insgesamt wurden vier themenspezifische Arbeitskreise initiiert, von denen zwei ihre Arbeit abge- schlossen haben: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 777 4 - „Arbeit und Qualifizierung - Maßnahmenplanung im Vollzug“: Das Gremium trifft sich alle 6 bis 8 Wochen mit 15 bis 20 Teilnehmenden, - „Arbeit und Qualifizierung - Dokumentation im Übergangsmanagement": Das Gremium existierte von 2010 bis 2013, - „Kinder und Familie“: Das Gremium trifft sich alle 6 bis 8 Wochen mit 10 bis 15 Teilnehmenden, - „Denken, Verhalten und Einstellungen“: Das Gremium existierte von 2010 bis 2013. Eingebunden in die Arbeitskreise sind unter anderem die verschiedenen Fachdienste aller Berliner Justizvoll- zugsanstalten sowie die Berliner Jobcenter, wobei deren Beteiligung je nach Bezirk variiert. Bislang haben sich die Jobcenter Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Neukölln, Pankow und Treptow-Köpenick beteiligt. 8. Welche Erfahrungen wurden mit Kooperationen zwischen der JVA Heidering und der anstaltseigenen Küche, Firma A. gemacht? Gibt es vergleichbare Koope- rationen in anderen Haftanstalten bzw. mit anderen Un- ternehmen oder sind solche Kooperationen geplant? Wel- che Anstrengungen werden ergriffen, um solche Koopera- tionen zu gewinnen? Zu 8.: Küche und Kantine der JVA Heidering werden durch ein privatwirtschaftliches Unternehmen betrieben. Dem vorausgegangen war nach der Mittelbewilligung eine entsprechende Ausschreibung. Nach nunmehr einem Jahr lässt sich ein positives Fazit ziehen, da der Küchenbetreiber zuverlässig und vertrags- gemäß seine Pflichten zum kalkulierten Festpreis erfüllt. Es erfolgt wie vorgesehen eine Beschäftigung und Quali- fizierung von Inhaftierten in der Küche. Die Küchen und Kantinen im Berliner Justizvollzug, von denen die Kantine der JVA Tegel unter Einbindung eines Freien Trägers bewirtschaftet wird, werden von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz stän- dig unter allen relevanten Gesichtspunkten auch im Hin- blick auf Optimierungsmöglichkeiten betrachtet. 9. Ist eine Übertragung des erfolgreichen Modells „Beratungszentrum“ im Jugendvollzug auf den Erwachsenenvollzug geplant? Wenn nein, warum nicht? Zu 9.: Das Beratungszentrum in der Jugendstrafanstalt ist nach den bisherigen Erfahrungen ein erfolgreiches Modell für das Übergangsmanagement im Jugendvollzug. Ob genau dieses Modell auf das Übergangsmanage- ment des Erwachsenenvollzugs mit seinen verschiedenen organisatorischen Strukturen und Besonderheiten sowie den unterschiedlichen Ausrichtungen übertragbar ist, wird zurzeit in den Bereichen geprüft. Berlin, den 04. November 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Nov. 2014)