Drucksache 17 / 14 852 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Birk (GRÜNE) vom 30. Oktober 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. November 2014) und Antwort Thematisierung sexueller Vielfalt in den Rahmenlehrplänen des Landes Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Bedeutung misst der Senat der Aufnahme von Themen zu sexueller Vielfalt in die schulischen Rahmenlehrpläne des Landes Berlin zu? Zu 1.: Der gesetzliche Erziehungsauftrag der Schule schließt die Sexualerziehung als einen wichtigen und unverzichtbaren Teil der Gesamterziehung ein. Seit 2001 sehen die "Allgemeinen Hinweise zu den Rahmenplänen für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule A V 27: Sexualerziehung" fachübergreifend Themen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vor. In den nächsten Wo- chen geht der Rahmenlehrplan für die Jahrgangsstufen 1 - 10 in die öffentliche Anhörung, in dem zu Aspekten sexu- eller und geschlechtlicher Vielfalt ebenso wie zu andere Querschnittsthemen explizite Aussagen getroffen werden. Sexualerziehung sowie eine vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung sind wesentliche Bausteine zur Prävention von Diskriminierung und physischer und psychischer Gewalt und Mobbing aufgrund der sexuellen und der Geschlechtsidentität. Die von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Auftrag gegebene Studie "Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen: Eine Befragung zu Verhalten, Einstellungen und Wissen zu lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgeschlecht- lichen Personen und deren Einflussvariablen" (Klocke, U., 2012) belegt die Relevanz dieser Maßnahmen. 2. Ist dem Senat bekannt, dass zwar zwanzig von drei- ßig Rahmenlehrplänen der Sekundarstufe I sexuelle Viel- falt thematisieren, wohingegen dies für die Lehrpläne der Sekundarstufe II nur in neun von 32 Fächern zutrifft? Wenn ja, wie begründet und bewertet der Senat diese Diskrepanz? Zu 2.: Die Erarbeitung des neuen Rahmenlehrplans er- folgt auf der Basis einer Evaluation der Erfahrungen mit den bisherigen Rahmenlehrplänen. Die Rahmenlehrpläne für die Sekundarstufe II können erst weiterentwickelt werden nach der Inkraftsetzung des Rahmenlehrplans 1 – 10 für die Grundschule und die Sekundarstufe I. 3. Bei welchen fachspezifischen Lehrplänen der Se- kundarstufe II sieht der Senat den dringlichsten Überar- beitungsbedarf hinsichtlich des Themenschwer-punkts sexuelle Vielfalt? Bis zu welchem Zeitpunkt ist eine grundsätzliche Überarbeitung der Rahmenlehrpläne für die Sekundarstufe II vorgesehen, wobei dieser Aspekt Berücksichtigung finden könnte? Zu 3.: Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor, siehe Antwort zu Frage 2 4. Nach meiner Kenntnis ist bisher in der Grundschule in vier Fächern und in der Sekundarstufe I in zwanzig Fächern das Thema sexuelle Vielfalt in den Rahmenlehr- plänen vorgesehen. In den Medien wurde über die Erar- beitung neuer Rahmenlehrpläne für 28 Schulfächer für die 1. bis 10. Klasse, welche ab dem Schuljahr 2016/17 gelten sollen, berichtet. Inwieweit wird in diesen Rahmenlehr- planentwürfen für welche Fächer oder fächerübergreifend das Thema sexuelle Vielfalt zusätzlich im Vergleich zu den geltenden Rahmenlehrplänen vorgeschlagen? Zu 4.: Im neuen Kapitel „B“ des Rahmenlehrplans, welches die Basiscurricula zur Sprach- und Medienbil- dung wie auch weitere Querschnittsthemen beinhaltet, wird das Thema Sexuelle Vielfalt im Rahmen der fächer- übergreifenden Kompetenzentwicklung sowohl im The- menbereich „Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter“ (Gender Mainstreaming) als auch im Themenbereich „Umgang mit Vielfalt“ ( Diversity) dargestellt . Menschen mit weiteren Geschlechtsidentitäten sind explizit eingeschlossen. Im Rahmen der fachübergreifenden Kompetenzent- wicklung zu den Themenbereichen „Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter“ sowie „Umgang mit Vielfalt“ erwerben Schülerinnen und Schüler ein Grundwissen über Strukturen von Geschlechterverhältnis- sen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur sowie über deren rechtliche Grundlagen. Sie gewinnen Einsicht, unter welchen Bedingungen Geschlechterdifferenzen und Rollenbilder entstehen und welche Zusammenhänge für die Gesellschaft, Familie und die Arbeitswelt prägend sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 852 2 Sie erfahren, dass Festlegungen von Fähigkeiten und Aufgaben auf ein Geschlecht nicht naturgegeben sind und unterscheiden zwischen biologischem und sozialem Ge- schlecht. Die Lernenden identifizieren Strategien der Benachteiligung und arbeiten an ihrer Aufhebung mit. In medialen Bildern und Darstellungen erkennen sie Stereo- typisierungen und sind in der Lage zu differenzierten Urteilen. Sie können Formen geschlechtssensibler Spra- che in Wort und Schrift anwenden und erhalten vielfältige Gelegenheiten, selbst zu sprechen und sich selbst zu re- flektieren. Abwertungen aufgrund der Geschlechtsidenti- tät begegnen sie selbstbewusst und zurückweisend. Für ihre Lebensplanung und Berufswahl nutzen sie Informati- onen, die ihnen helfen, ein selbstbestimmtes und die eige- ne Existenz sicherndes Leben zu führen. Jedes Fach bietet Anknüpfungspunkte, sei es, indem Sprache untersucht wird, Geschlechterkonstruktionen aus sozialer, kultureller, geschichtlicher und biologischer Sicht hinterfragt, Perspektiven spielerisch umgekehrt oder Berufswahlentscheidungen und Berufsbiografien analy- siert werden. Eine besondere Bedeutung liegt aufgrund der starken Alltagspräsenz in der Auseinandersetzung mit medialen Bildern und Sprache. Schülerinnen und Schüler erwerben ein Orientie- rungswissen über die Vielfalt der Kulturen, Lebensformen und Überzeugungen und verbinden es mit demokratischen Handlungskompetenzen, die zur Teilhabe an einer demo- kratischen Gesellschaftsform befähigen. Sie entwickeln Empathie und Achtung in einem Klima des sozialen und kooperativen Umgangs. Auf diese Weise entwickeln die Lernenden eine Haltung, die es ihnen ermöglicht, Unterschiede als selbstverständlich wahrzu- nehmen und auszuhalten. Im Wesentlichen ist der Erwerb von personalen und sozialen Kompetenzen wichtig, wie z. B. die Fähigkeiten, eigene Stärken und Schwächen anzunehmen und zu reflektieren, Verständnis für andere zu entwickeln, eigene Positionen und Haltungen kon- struktiv darzustellen und zu hinterfragen. Die gesellschaftswissenschaftlichen und sprachlichen Fächer bieten Themen an, die eine Erkundung von Ent- stehungsgründen für Heterogenität und Integrationspro- zesse ermöglichen. Bezüge zur Sexualerziehung unter der Berücksichtigung vielfältiger Lebensweisen sind in vielen Fächern herstellbar. Eher persönliche Zugänge eröffnen die Fächer Deutsch und Ethik. Fragen der sexuellen Ori- entierung erfordern dabei eine besonders vertrauensvolle und von Sensibilität geprägte Atmosphäre. In den künstle- rischen Fächern besteht die Möglichkeit, einen Austausch über Vielfalt, ausgehend von bildnerischen und musikali- schen Anlässen, zu führen. Im Fach Sport können Sport- ereignisse und Biografien als Anknüpfungspunkte genutzt werden, aber auch die sportliche Aktivität selbst und damit zusammenhängende sozio-kulturelle Aspekte. Berlin, den 14. November 2014 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Nov. 2014)