Drucksache 17 / 14 859 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 16. Oktober 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. November 2014) und Antwort Bildung und Ausbildung in den Berliner Haftanstalten - Nachfrage zur Schriftlichen An- frage Drucksache 17/13923 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele der Inhaftierten verfügen über welchen bzw. keinen Schulabschluss und über welche bzw. keine berufliche Ausbildung? Zu 1.: In den Berliner Justizvollzugsanstalten (JVA) werden aktuell keine Statistiken über Schulabschlüsse und berufliche Ausbildungen vorgehalten. Sie werden im jeweiligen Aufnahmegespräch mit der/dem Gefangenen für die weitere Vollzugsplanung erfasst und basieren auf der Selbstauskunft der Inhaftierten. 2. Von welchen Bedarfen hinsichtlich Schulbildung und beruflicher Ausbildung / Qualifizierung gehen die Haftanstalten bei der Planung/Vorbereitung der Angebote aus? Wer ermittelt diese Bedarfe auf welche Weise? Ge- hen diese in die Vollzugsplanung ein? Zu 2.: Allgemein dienen für die Bedarfsermittlung die Daten, welche im Rahmen der Behandlungsuntersuchung bei der Einweisung und des weiteren Vollzugsverlaufs festgestellt werden und in die individuelle Vollzugspla- nung einfließen. Diese wird durch die Gruppenleitung regelmäßig fortgeschrieben, bei multiplen Problemlagen werden unterschiedliche Behandlungsmaßnahmen aufei- nander abgestimmt. Flankierend werden die Angebote beruflicher und schulischer Qualifizierung mit Arbeitsbe- ratern der Agentur für Arbeit (Reso-Berater) regelmäßig überprüft. Die Jugendstrafanstalt Berlin führt daneben eine indi- viduelle Zugangsdiagnostik durch (Zugangskurs, berufli- che Eignungsanalyse, Schultest), deren Ergebnisse den individuellen Förder- und Erziehungsbedarf für diese Zielgruppe differenzierter ermittelt. Regelhaft ergibt sich dabei ein Schwerpunktbedarf bei niedrigschwelligen schul- und berufsvorbereitenden Qualifizierungsmaßnah- men. Die JVA Heidering hat einen externen Träger mit der Durchführung der Bildungsdiagnostik/Kompetenzfest- stellung beauftragt. Um für Gefangene im geschlossenen Männervollzug noch passgenauere Planungen ermöglichen zu können, hat die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz Anfang des Jahres 2014 Expertinnen und Experten der Berliner Justizvollzugsanstalten und des Kriminologi- schen Dienstes damit beauftragt, Empfehlungen für ein einheitliches Kompetenzfeststellungsverfahren im ge- schlossenen Männervollzug des Landes Berlin abzugeben. Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe liegt seit kurzem vor und wird derzeit mit den Justizvollzugsanstalten in- haltlich diskutiert. 3. Wie viele Inhaftierte haben 2013 einen anerkannten Schulabschluss erlangt? (bitte nach Haftanstalten auf- schlüsseln) Wie groß ist die Erfolgsquote (erfolgreiche Abschlüsse) im Vergleich zur Quote der Abbrüche? (bitte aufschlüsseln nach deutschen und ausländischen Inhaf- tierten) Zu 3.: Schulkurse, die zu einem anerkannten Schulab- schluss führen, wurden 2013 in der JVA Tegel, der JVA für Frauen und der Jugendstrafanstalt Berlin angeboten. Eine regelhafte Aufschlüsselung der Teilnehmenden nach deutschen und ausländischen Inhaftierten erfolgt nicht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 859 2 Erfolgreiche Schulabschlüsse Abbrüche JVA für Frauen 2 (Berufsbildungsreife), 1 (erweiterte Berufsbildungsreife) 12 (7 x Entlassung/Verlegung, 3 x noch nicht prüfungsreif, 2 x Abbruch ohne Begründung) JVA Tegel 6 (Berufsbildungsreife), 4 (erweiterte Berufsbildungsreife) 7 (MSA) 11 (persönliche Gründe, z.B. Anforderungen zu hoch, Verlegung) 6 (persönliche Gründe, z.B. Anforderungen zu hoch, Verlegung und Abbruch ohne Begrün- dung) JSA Berlin 17 (erweiterte Berufsbildungsreife) 1 (MSA) --- 4. Wie viele Inhaftierte haben 2013 die angebotenen Ausbildungen bzw. Ausbildungsmodule bisher erfolg- reich absolviert? Wie groß ist die Erfolgsquote (erfolgrei- che Abschlüsse) im Vergleich zur Quote der Abbrüche? (bitte aufschlüsseln nach deutschen und ausländischen Inhaftierten) Zu 4.: Eine regelhafte Aufschlüsselung der Ab- schlussquote bei den angebotenen Ausbildungen und Ausbildungsmodulen und der Teilnehmenden nach deut- schen und ausländischen Inhaftierten erfolgt nicht. In den folgenden Justizvollzugsanstalten wurden 2013 Abschlüs- se erfolgreich abgelegt: Erfolgreiche Ausbildungen/Module JVA für Frauen Ausbildungsmodule: 8 (Schneiderei) JVA Plöt- zensee Ausbildungsmodule: 17 (Gebäudereinigung) JVA Tegel Vollausbildungen: 6 (Automobilmechaniker), 2 (Koch) 5 (Elektroniker FR Energie- und Gebäu- detechnik) 3 (Bäcker) 2 (Bauten- und Objektschichter) 2 (Polsterei) 1 (Tischlerei) 3 (Mediengestalter) Ausbildungsmodule: 24 (Lagerarbeiter mit EDV) 21 (Lehrbauhof) 11 (Gebäudereiniger) JSA 241 (betriebliche Qualifizierungsmodu- le) 52 (verschiedene Voll-Ausbildungen) 5. Was sind nach Ansicht des Senats die Gründe da- für, dass Inhaftierte Angebote der schulischen Bildung und der beruflichen Qualifizierung nicht wahrnehmen bzw. nicht erfolgreich beenden? Welche Maßnahmen werden ergriffen bzw. wären zu ergreifen, um dem entge- genzuwirken? Zu 5.: Im Wesentlichen sind hier persönliche Gründe der Inhaftierten, wie Versagensängste, mangelndes Selbstvertrauen, Schultraumata, fehlendes Durchhalte- vermögen, niedrige Frustrationstoleranz, sprachliche Defizite, ausgeprägtes Desinteresse, Selbstüberschätzung, mangelnde Resilienz, Drogen-/Gesundheitsprobleme, gravierendes Fehlverhalten und vollzugliche Gründe wie kurze Haftzeiten oder kurzfristige Entlassungen und Ver- legungen zu nennen. Wissenschaftlich fundierte Erkennt- nisse, weshalb Gefangene ggf. unter Haftverhältnissen eine Qualifizierungsmaßnahme häufiger ablehnen oder abbrechen als in Freiheit, liegen nicht vor. Die Teilnahme an schulischen oder beruflichen Quali- fizierungsmaßnahmen ist grundsätzlich freiwillig. Geeig- net erscheinende Inhaftierte werden von den Verantwort- lichen, wie Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittlern, Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern und zuständigen Sozialdienstmitarbeiterinnen und Sozialdienstmitarbeitern angesprochen und über geeignete Maßnahmen umfassend informiert sowie für eine Teilnahme motiviert. Grundsätz- lich ist eine besonders passgenaue Besetzung der entspre- chenden Qualifizierungsplätze der beste Garant für einen erfolgreichen Abschluss. Durch das in der Planung be- findliche Kompetenzfeststellungsverfahren (s. Antwort zu Frage 2) sollen hierbei weitere Qualitätsverbesserungen erreicht werden. 6. Auf welche Weise wird bei potentiellen Teilneh- mern einer Maßnahme zur schulischen Bildung / berufli- chen Qualifizierung geprüft, ob diese die erforderlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme mitbringen, damit Abbrüche vermieden werden können? Zu 6.: Mit unterschiedlichen Methoden und Maßnah- men, wie z.B. Eignungsanalysen, Potenzialassessment, Kursen zur Bildungsdiagnostik, Einschätzung von Be- triebsleitungen, Zugangskursen und praktischen Erpro- bungsphasen in den anstaltseigenen Betrieben und Ein- richtungen wird geprüft, für welche Maßnahmen die Ge- fangenen am ehesten geeignet sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 859 3 7. Seit wann werden in den Berliner Haftanstalten welche modularen beruflichen Qualifizierungen angebo- ten? Welche Erfahrungen wurden damit - auch im Ver- gleich zu Vollausbildungen - unter den gegebenen Bedin- gungen (z.B. Haftzeiten, Angebotsstruktur, individuelle Voraussetzungen der Inhaftierten und sich daraus ablei- tende Bedarfe) gemacht? Zu 7.: Soweit die Justizvollzugsanstalten bei der Durchführung von Maßnahmen der modularen Qualifizie- rung bereits verwertbare Erfahrungen machen konnten, sind diese im Wesentlichen sehr positiv. Insbesondere ermöglichen es modulare Qualifikationsmaßnahmen und entsprechende Ausbildungsbausteine, flexibler auf kurze Haftzeiten bzw. die individuellen Fähigkeiten der Gefan- genen zu reagieren. Darüber hinaus besteht die Möglich- keit, auch bei kurzen Haftzeiten mit einer Ausbildung zu beginnen, die dann nach Entlassung in die Freiheit nahtlos fortgesetzt werden kann. Im Einzelnen sind die folgenden Maßnahmen zu nennen: Modulare berufliche Qualifizie- rungen Erfahrungen JVA für Frauen Seit 2011: Schneiderei - Hilfsarbeiterin; Zuarbeiterin; Vorarbeiterin; Seit 2014: Malerei - Hilfsarbeiterin; Aus- bildungsanfängerin Schwere Besetzbarkeit aufgrund mangelnder Vorausset- zungen der Inhaftierten Noch keine verwertbaren Erkenntnisse JVA Heidering Seit 2013: Hauswirtschafter Gebäudereiniger Küchenhelfer Seit 2014: Garten/Landschaftsbau Maler/Trockenbau Küchenhelfer Noch keine verwertbaren Erkenntnisse Noch keine verwertbaren Erkenntnisse JVA Plötzensee Seit 2006: Europäischer Computerführer- schein (ECDL) Seit 2008: Gebäudereiniger (Universal- Ziegner-Stiftung) Seit 2011 Gebäudereinigung (Straffälligen- und Bewährungshilfe) Seit 2014: Fachkraft für Metalltechnik Angebot gut angenommen und soll beibehalten werden Angebot gut angenommen und soll beibehalten werden Angebot gut angenommen und soll beibehalten werden Noch keine verwertbaren Erkenntnisse JVA Tegel Lagerlogistik (ehem. Lagerarbei- ter mit EDV) Seit 2012: Lehrbauhof Seit 2013: Polsterei Gebäudereiniger Seit 2014: Schlosserei Glaserei Elektroniker Interesse an modularen beruflichen Qualifizierungen ist höher als bei (Voll)Ausbildungen, wegen relativ kurzer Ausbildungszeit (Bausteine), größeres Platzangebot, geringeren Anforderungen und des Fehlens von Berufs- schulunterricht (weniger Theorie), schnellere Erfolgser- lebnisse, geringerer „Prüfungsstress“ sowie der Möglichkeit der individuellen Anpassung der Ausbildungs- zeit. Weitere modulare Bausteine sind in der Vorbereitung Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 859 4 JSA Elektro ECO PC Gärtnerei Garten- und Landschaftsbau Gebäudetechnik Kantine Lehrbauhof Malerei Sanitärwerkstatt Schlosserei Textilreinigung Tischlerei Zweiradwerkstatt KFZ-Werkstatt Modulare berufliche Qualifizierungen werden allgemein gut angenommen und korrespondieren gut mit den durchschnittlichen Haftzeiten; begonnene Berufsausbil- dungen werden nach der Entlassung mit Unterstützung der Agentur für Arbeit regelhaft zur Fortsetzung in Trä- ger, Betriebe sowie außer- und überbetriebliche Einrich- tungen vermittelt JVA OVB Seit 2013: Gärtnerei Seit 2014: Holzbearbeitung Sanitär Wegen der kurzen Ausbildungszeiten innerhalb eines Moduls (drei bis vier Monate) sind die Angebote gut für Inhaftierte mit geringeren Strafzeiten geeignet. 8. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der IHK, der Handwerkskammer und anderen zertifizierenden Institutionen? Welche Fortschritte in der Zusammenarbeit konnten hinsichtlich der Zertifizierung und Fortführung begonnener modularer Qualifikationen nach der Haftent- lassung erreicht werden, insbesondere bei bisher nicht zertifizierten Maßnahmen? 9. In welcher Form können die Inhaftierten ihre Teil- nahme an schulischen bzw. beruflichen Qualifizierungen gegenüber Arbeitgebern oder dem Jobcenter nachweisen? Erhalten die Teilnehmer an nicht durch die IHK oder HK zertifizierten Maßnahmen bzw. einzelnen Modulen eine schriftliche Teilnahmebestätigung mit inhaltlichen Anga- ben? Zu 8. und 9.: In den letzten Jahren ist eine qualitative Verbesserung in der Zusammenarbeit der Justizvollzugs- anstalten und zertifizierenden Institutionen festzustellen. Insbesondere die Zusammenarbeit der JVA Tegel mit der Handwerkskammer hat sich erheblich verbessert, gleiches gilt auch in den letzten Monaten mit der IHK. Grundsätz- lich ist festzustellen, dass die Institutionen an einer Zu- sammenarbeit mit Justizvollzugsanstalten umso höheres Interesse zeigten, je höher die Arbeitsmarktrelevanz der zu zertifizierenden Maßnahme war. Insoweit konnten die im Vorfeld erfolgten Beratungen der Justizvollzugsanstal- ten durch die Agentur für Arbeit zur Frage der Arbeits- marktrelevanz einzelner Maßnahmen und die erfolgte Konzentration der Zertifizierungsbemühungen auf derar- tige Maßnahmen erfolgreich nutzbar gemacht werden. Besonders positiv für die Resozialisierung der Gefange- nen ist der Umstand, dass sie nach erfolgreicher Beendi- gung eines zertifizierten Qualifizierungsmoduls eine ent- sprechende Teilnahmebescheinigung oder ein Zertifikat erhalten, welches sie nach der Haftentlassung verwenden können. Bei nichtzertifizierten Qualifikationsmaßnahmen ist dies nicht durchgängig möglich. Allerdings werden entsprechende Kenntnisse auf Wunsch durch die Anstal- ten schriftlich bestätigt. Dies ist beispielsweise in der Jugendstrafanstalt und der JVA für Frauen ständige Pra- xis. Berlin, den 19. November 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Nov. 2014)