Drucksache 17 / 14 881 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 28. Oktober 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. November 2014) und Antwort Linksextremistische Gewalttaten – Vereinsverbote und Auflösung der Antifaschistischen Linke Berlin (ALB) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wann gab es das letzte Vereinsverbot für eine Or- ganisation der linksextremistischen Szene in Berlin? Zu 1.: Ein Vereinsverbot für eine Organisation der linksextremistischen Szene wurde von der in Berlin zu- ständigen Vereinsverbotsbehörde seit Geltung des Ver- einsgesetzes vom 5. August 1964 nicht verfügt. 2. Wie steht der Berliner Senat zu Vereinsverboten insbesondere im Bereich des Linksextremismus? Zu 2.: Die Vereinigungsfreiheit ist im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in Artikel 9 Abs. 1 als Grundrecht normiert und stellt ein nicht wegzuden- kendes Element einer freiheitlichen Demokratie dar. Sie zählt zu den elementaren Äußerungsformen der menschli- chen Handlungsfreiheit. Die Verfassung legt der Vereini- gungsfreiheit in Artikel 9 Abs. 2 GG jedoch eine Schran- ke auf. Danach sind Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten. Das Verwaltungsverfahren für ein Vereinsverbot richtet sich nach dem Vereinsgesetz. Der Senat setzt die Vorgaben des Grundgesetzes kon- sequent um. Er betrachtet die Möglichkeit, grundgesetz- widrige Vereine zu verbieten, als notwendiges und sinn- volles Instrumentarium einer wehrbaren Demokratie. Dieses gilt auch mit Blick auf Gruppierungen aus dem linksextremistischen Bereich. Das heißt, vereinsrechtliche Verbotsmaßnahmen in diesem Bereich werden dann er- griffen und konsequent umgesetzt, wenn es sich um Ver- eine im vereinsrechtlichen Sinne handelt, die nach Er- kenntnissen der Sicherheitsbehörden einen Verbotstatbe- stand erfüllen. 3. Wird momentan geprüft, ob es zu einen jeweiligen Vereinsverbot in diesem Bereich kommt? Wenn ja, für welche Organisation? Zu 3.: Um betroffene Organisationen im Vorfeld nicht zu warnen, trifft der Senat grundsätzlich keine Aussagen, die die Prüfung von möglicherweise bevorstehenden vereinsrechtlichen Maßnahmen betreffen. 4. Wie bewertet der Berliner Verfassungsschutz die „Selbstauflösung“ der ALB? Zu 4.: Mit der „Antifaschistischen Linken Berlin“ (ALB) hat sich Anfang September 2014 eine der lange Zeit sowohl in Berlin wie auch bundesweit einflussreichs- ten autonomen Gruppierungen aufgelöst. Diese Entwick- lung kam aus Sicht des Verfassungsschutzes Berlin nicht überraschend. Die ALB war nach internen Zerwürfnissen und einem „Spitzelvorwurf“ bereits 2012 zeitweise handlungsunfähig und büßte ihre dominierende Rolle in der Szene ein. Wie in der Auflösungserklärung beschrieben, zerbrach die Gruppe vor allem an der Uneinigkeit darüber, ob man eine im Selbstverständnis und Auftreten autonome Grup- pierung mit dem Schwerpunkt „Antifa“ bleibt oder sich im Sinne postautonomer Organisierungsstrategien trans- formiert. Letzteres bedeutet, durch den Aufbau überregio- naler Strukturen und die Besetzung öffentlich anschluss- fähiger Themen, der offenen wie verdeckten Kooperation mit zivilen Akteuren sowie nicht zuletzt einem weniger martialischen Auftreten die gesellschaftliche Isolation „traditioneller“ Autonomer zu überwinden. Ein solcher Weg ist mit einer selbstermächtigten „Politik der ersten Person“ und dem Habitus eines „Schwarzen Blocks“ auf Dauer nicht kompatibel – auch, wenn die ALB diesen Spagat lange durchgehalten hat. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 14 881 2 Ihre Auflösung spiegelt das zugrunde liegende Di- lemma von „Autonome(n) am Scheideweg“ wider, das der Berliner Verfassungsschutz bereits wiederholt be- schrieben hat (vergleiche Verfassungsschutzbericht 2013). 5. Welche Konsequenzen hat dies für die linksextre- mistische Szene in Berlin? Zu 5.: Für die linksextremistische Szene Berlins ist die Auflösung der ALB ein Symbol für das in der Antwort zu Frage 4 beschriebene Dilemma, das durch Orientierungs- losigkeit und Stagnation gekennzeichnet ist. Insofern steht auch anderen Gruppierungen ein ähnlicher Prozess wie bei der ALB bevor. Die Neuausrichtung der „Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin“ (ARAB) im Rahmen des bundesweiten Netzwerks „Neue antikapitalistische Organisation“ (NaO) ist ein weiteres Beispiel für eine Situation, in der klassische autonome Gruppierungen sich in einer Sackgasse sehen, aus der sich die Notwen- digkeit einer „Neuorientierung“ ergibt. 6. Ist eine Abwanderung zu anderen Vereinen zu be- obachten? Wenn ja, zu welchen? Zu 6.: Bei Gruppierungen der linksextremistischen Szene handelt es sich nur im Ausnahmefall um Vereine. Das ergibt sich unter anderem daraus, dass Vereine eine gewisse Organisationsform bedingen, die von vielen, vor allem autonomen Gruppierungen grundsätzlich abgelehnt wird. Die Mitglieder der ALB werden sich zum Teil in au- tonomen Kleingruppen, zum Teil in der „Interventionistische (n) Linke(n)“ wiederfinden. Diese Aufsplitterung entspricht dem Riss, der vor der Spaltung durch die Grup- pe ging. Er versinnbildlicht das Dilemma, sich einerseits neu ausrichten zu müssen, unter anderem, um anschluss- fähiger und damit „wirkmächtiger“ zu werden – andererseits jedoch an autonomen Grundsätzen festhalten zu wollen. 7. Kann man von einer weiteren Radikalisierung der ehemaligen Mitglieder der ALB ausgehen? Zu 7.: Die Prognose zur weiteren Entwicklung der ehemaligen ALB-Mitglieder lässt sich besser durch den Begriff der Polarisierung als den der Radikalisierung beschreiben. Ein Teil wird sich in den oben beschriebenen postautonomen Organisierungsformen zumindest habitu- ell eher deradikalisieren, ein anderer Teil wird sich im gewaltbereiten autonomen Milieu neue Bündnispartner suchen und auf einem Weg bleiben, bei dem Militanz zum Selbstzweck verklärt wird. Eine weitergehende Radikali- sierung dieses Teils der ehemaligen ALB kann nicht aus- geschlossen werden, bisher liegen aber keine diesbezügli- chen Hinweise vor. 8. Gab es Mitglieder der ALB, welche Anschläge auf die Berliner S-Bahn, Berliner Polizei und Gebäude verübt hatten? Zu 8.: Der Polizei Berlin liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der ALB zugehörige Personen an o.g. Anschlägen beteiligt waren. 9. Welche strafrechtlichen Konsequenzen hatten die- se Anschläge für die jeweiligen Personen? Zu 9.: Siehe Antwort zu Frage 8. 10. Auf wie hoch schätzt der Berliner Senat die Folge- kosten dieser Anschläge hinsichtlich Sach- und Personen- schäden? Zu 10.: Siehe Antwort zu Frage 8. Im Übrigen werden Kosten durch Schäden im Sinne der Fragestellung statis- tisch nicht gesondert erhoben. Berlin, den 18. November 2014 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Nov. 2014)