Drucksache 17 / 15 004 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jasenka Villbrandt (GRÜNE) vom 24. November 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. November 2014) und Antwort (K)eine Wahl der bezirklichen Seniorenvertretungen in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Sieht der Senat die Chance, die Wahlbeteiligung von zuletzt 0,61 % bei den Wahlen der bezirklichen Seni- orenvertretungen durch eine Zusammenlegung der Wah- len mit denen des Abgeordnetenhauses und der Bezirks- verordnetenversammlungen zu erhöhen? Wenn ja, wird er die Wahlen zusammenlegen? Wenn nein, was plant der Senat zu unternehmen, um die Wahlbeteiligung bei den nächsten Wahlen zu erhöhen? Zu 1.: Die von weiten Kreisen der Berliner Seniorin- nen und Senioren gewünschte zeit- und ortsgleiche Durchführung von Seniorenvertretungs-Vorschlagslisten- wahlen mit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) könnte ein Weg sein, die bisher geringe Wahlbeteiligung signifikant zu erhöhen. Die vorgenannte Zusammenlegung der Wah- len könnte darüber hinaus den Bekanntheits-grad der nach dem Seniorenmitwirkungsgesetz bestehenden Senioren- gremien, insbesondere auf der Bezirksebene, stark verbes- sern, mithin die politische Legitimität der bezirklichen Seniorenvertretungen erhöhen. Die Frage, ob und inwieweit eine organisatorische Zu- sammenführung der Wahlen zu den Seniorenwahlvor- schlagslisten mit den Abgeordnetenhaus- und BVV- Wahlen verfassungsrechtlich zulässig wäre, ist derzeit Gegenstand einer Prüfung durch den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses (WPD) im Auftrag der CDU-Fraktion. Die Fragestellung lautet: „Inwieweit ist eine zeitgleiche Durchführung der Vorschlagslistenwahl zu den Senioren-vertretungen gem. § 4 Abs. 2 Seniorenmitwirkungsgesetz (BerlSenG) und den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin und den Be- zirksverordnetenversammlungen mit Art. 3 GG verein- bar?“ Es folgen noch drei Unterfragen, die  eine mögliche Privilegierung der Seniorinnen und Senioren als bedeutende Bevölkerungsgruppe von ca. 850.000 Personen gegenüber anderen Interes- sen- und Bevölkerungsgruppen,  die Frage der Verhältnismäßigkeit und letztlich  Fragen der Praktikabilität, d. h. der ordnungsgemäßen Durchführung bei Kopplung der jeweiligen Wahlvorgänge, auch unter Berücksichtigung der Option einer Briefwahl näher beleuchten. Das Ergebnis durch den WPD bleibt zunächst abzu- warten. 2. Welche Gründe sprechen aus der Sicht des Senats dafür, die Wahlen der bezirklichen Seniorenvertretungen zeitlich und örtlich mit den Wahlen des Abgeordneten- hauses und der Bezirksverordnetenversammlungen zu- sammenzulegen? Welche dagegen? Zu 2.: Für eine vollständige oder partielle organisato- rische Zusammenführung der Wahlakte spricht senioren- politisch die mit dieser Zusammenführung voraussichtlich einhergehende deutliche Erhöhung der Wahlbeteiligung bei der Wahl der Vorschlagslisten für die bezirklichen Seniorenvertretungen. Gegen eine derartige Zusammen- führung spricht zunächst der unterschiedliche Charakter der Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen auf der einen Seite und der Vorschlagslistenwahl auf der anderen. In- soweit kann auf die Antwort zu 5. und 6. auf die Kleine Anfrage 17/11043 vom 27. September 2012 verwiesen werden. Über die dort dargestellten verfassungs-politi- schen Erwägungen hinaus spricht das überragende öffent- liche Interesse an einer ordnungsgemäßen Vorbereitung und Durchführung der Abgeordnetenhaus- und BVV- Wahlen (sowie etwaiger gleichzeitiger Volks- oder Bür- gerentscheide) und an einer Vermeidung ungültiger Stimmabgaben entscheidend gegen eine organisatorische Zusammenführung der Wahlen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 004 2 Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den Abgeordne- tenhaus- und BVV-Wahlen bereits um eine kombinierte Wahl mit bis zu drei Stimmzetteln pro Wählerin und Wähler handelt. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, dass ein Volks- oder Bürgerentscheid zeitgleich mit einer Ber- liner Wahl abgehalten wird. Nach den Erfahrungen der Landes-wahlleiterin würde jede zusätzliche Wahl, die mit den Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen verbunden wäre, neben dem wesentlich erhöhten Koordinierungsbe- darf bei der Vorbereitung und Durchführung der verbun- denen Wahlen vor allem die Fehleranfälligkeit und inso- weit das Risiko von Wahlanfechtungen erheblich steigern. Rechts-erhebliche Wahlfehler sind gerade dann zu be- fürchten, wenn Wahl- und Abstimmungs-akte mit unter- schiedlichem Wahlberechtigtenkreis kombiniert werden. Dies wäre bei der in der Fragestellung in den Blick genommenen Zusammenführung von Berliner Wahlen und Seniorenvertretungs-Vorschlagslistenwahlen der Fall: Wahlberechtigt bei der Abgeordnetenhauswahl sind Deut- sche, die das 18. Lebensjahr vollendet haben; zur BVV wahlberechtigt sind Deutsche und andere EU-Bürgerin- nen und Bürger, die das 16. Lebensjahr vollendet haben; bei der Wahl für die Seniorenvertretungs-Vorschlagslisten sind wiederum alle Einwohnerinnen und Einwohner un- abhängig von ihrer Staatsangehörigkeit wahlberechtigt, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Unabhängig vom Alter der Wählerinnen und Wähler steigt zudem gerade bei der verbundenen Briefwahl mit der Anzahl der von den Wählerinnen und Wählern auszu- füllenden oder zu kennzeichnenden Wahlunterlagen (wie eidesstattliche Versicherung und Stimmzettel) die Gefahr einer ungültigen Stimmabgabe durch fehlerhaftes Ausfül- len, Kennzeichnen oder Kuvertieren dieser Unterlagen. Jede zusätzliche Wahl mit weiteren Unterlagen und Stimmzetteln steigert daher das Risiko ungültiger Stim- men. Dieses Risiko muss gerade bei den Abgeordneten- haus- und BVV-Wahlen so weit wie möglich reduziert werden, da es bei diesen Wahlen zu äußerst knappen Ergebnissen kommen kann, bei denen wenige Stimmen ausschlaggebend für die Mandatsverteilung sind. Mögli- che Einsparpotenziale und Synergieeffekte einer Zusam- menführung von Wahlen können die Eingehung eines solchen Risikos nicht rechtfertigen. Darüber hinaus könnte eine Kopplung der Vorschlags- listenwahlen mit den Abgeordnetenhaus- und BVV- Wahlen zu einer überhöhten Erwartungshaltung der Seni- orinnen und Senioren, bezogen auf Zuständigkeit und Kompetenzen der bezirklichen Seniorenvertretungen, führen. 3. Welche Gründe sprechen aus Sicht des Senats dafür , auch die Wahlen anderer Interessenvertretungen gleichzeitig mit den Wahlen des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen stattfinden zu lassen? Welche dagegen? Zu 3.: Eine theoretisch denkbare Zusammenführung der Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen mit Wahlen zu anderen Interessenvertretungen (oder diesbezüglichen Vorschlagslisten) dürfte zu einer höheren Beteiligung an den Wahlen zu diesen Interessenvertretungen führen. Gegen eine Zusammenführung sprechen die zu 2. darge- stellten Risiken von Wahlfehlern und ungültigen Stimm- abgaben. 4. Wie hoch wäre der Kostenunterschied bei einer Zusammenlegung der Wahlen der bezirklichen Senioren- vertretungen mit denen des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen im Vergleich zu dem derzeitigen Prozedere mit getrennten Wahlen (in Euro)? Wie werden diese Kosten ermittelt? Zu 4.: Zum gegenwärtigen Verfahren liegen keine Kostendaten vor, die alle anfallenden Personal- und Sach- kosten umfassend abbilden. Auch für ein zusammengeführtes Verfahren der be- zirklichen Seniorenvertretungs-Vorschlagslistenwahlen mit allgemeinen Wahlen lassen sich die Kosten in weiten Bereichen nicht verlässlich bestimmen. Eine Zusammenführung der Verfahren würde notwen- diger Weise voraussetzen, dass die Verfahrensregelungen zu den Seniorenvertretungs-Vorschlagslistenwahlen stark formalisiert und das Wahlverfahren erheblich aufwändi- ger ausgestaltet würden. Die Verfahrenskosten bei allgemeinen Wahlen und Abstimmungen setzen sich im Wesentlichen aus den Personalkosten für planmäßige und nichtplanmäßige Dienstkräfte der Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin sowie der Bezirkswahlämter, Sachkosten für Druck von Materialien, Informationsbroschüren, Ausstattungsgegen- stände der Abstimmungslokale, Erfrischungsgelder für die ehrenamtlich Wahlhelfenden, den Kosten für die Kuver- tierung und Versendung von Abstimmungsbenachrichti- gungen und Informationsbroschüren sowie Portokosten für die Versendung und Rücksendung von Briefabstim- mungsunterlagen zusammen. Im Weiteren können Kosten für Informationstechnik und Kommunikation anfallen. Die zusätzlichen Kosten bei einer Zusammenführung der Wahlen stünden in Abhängigkeit zur genauen Ausge- staltung einer veränderten Wahl für die Seniorenvertre- tungs-Vorschlagslisten. Neben dem zusätzlichen perso- nellen Verwaltungsaufwand, insbesondere in den Be- zirksämtern, wären in erster Linie zusätzliche Kosten für den Druck der Abstimmungsunterlagen und Arbeitsmate- rialien für das Verfahren der Seniorenvertretungs- Vorschlagslistenwahlen sowie erhöhte Versand- und Rücksendungskosten bei Briefwahlunterlagen für die gegenwärtig rund 880.000 wahlberechtigten Seniorinnen und Senioren (davon rund 24.000 EU-Bürgerinnen und EU-Bürger ohne deutsche Staatsangehörigkeit und 44.000 Drittstaatsangehörige) zu erwarten. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 004 3 Wesentlich dürften aber die Kosten sein, die als „Reparaturkosten “ drohen: Sofern durch Störungen im Gesamtverfahrensablauf einzelne Verfahrensschritte einer Wahl (-vorbereitung) wiederholt werden müssten, würde dies angesichts der ggf. bis zu 2,5 Mio. betroffenen Wahlberechtigten voraussichtlich zu Mehrkosten führen, die in keinem Verhältnis zu den durch Synergien gewon- nenen Einsparungen stünden. 5. Welche Gründe sprechen aus der Sicht des Senats für eine Briefwahlmöglichkeit der bezirklichen Senioren- vertretungen? Welche dagegen? Zu 5.: Die Möglichkeit zur Briefwahl stellt vor allem vor dem Hintergrund der Inklusion ein niedrigschwelliges Angebot zu Partizipation und Teilhabe dar. Dies ist vor allem bei Betrachtung des Personenkreises der Wahlbe- rechtigten zu den Seniorenvertretungs-Vorschlagslisten- wahlen, bei dem aufgrund der Altersstruktur ein erhebli- cher Prozentsatz mobilitätseingeschränkter Menschen vermutet werden kann, ein wichtiges Argument. Darüber hinaus ist der Aspekt der Information über die bezirklichen Seniorenvertretungen durch den Versand der Briefwahlunterlagen von großer Bedeutung, denn dadurch würde sich der Bekanntheitsgrad des Senioren- mitwirkungsgesetzes und der bezirklichen Seniorenvertre- tungen erhöhen. Hinsichtlich der Risiken einer mit Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen organisatorisch verbundenen Briefwahl für die Seniorenvertretungsvorschlagslisten wird auf die Ausführungen zu 2. verwiesen. 6. Mit welchen Kosten wäre eine Briefwahlmöglichkeit bei den Wahlen der bezirklichen Seniorenvertretun- gen verbunden a) bei gleichzeitigen Wahlen mit denen des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen, b) bei dem aktuellen Prozedere mit getrennten Wahlen ? Wie werden diese Kosten ermittelt? Zu 6.: Ohne konkrete Vorgabe für die Verfahrensge- staltung lassen sich auch hier die Kosten nicht verlässlich bestimmen. Allgemein gelten folgende Erwägungen für Briefwah- len: Aufgrund der vorliegenden Erfahrungen mit Volks- entscheiden müsste mit Kosten von rund 1 bis 2 Euro pro briefwahlberechtigter Person gerechnet werden. Je nach Verfahrensausgestaltung lägen die Gesamtkosten somit bei rund 1,2 bis 1,5 Mio. Euro. Dies entspräche etwa 100.000 Euro pro Bezirk. Bei dieser Berechnung werden Kosten für den Druck von Broschüren, Stimmzetteln, Umschlägen, die Kuvertierung und den Versand der Ab- stimmungsunterlagen berücksichtigt. Ferner wurden ein Rücklauf von rund 20 % der Briefwahlunterlagen, allge- meine Personalkosten in den Bezirksämtern sowie die Kosten für die Auszählung durch ehrenamtlich Wahlhel- fende angenommen. 7. Wird der Senat bei den nächsten Wahlen der bezirklichen Seniorenvertretungen eine Briefwahl ermögli- chen? Wenn nicht, wie ist es dann mit der UN- Behindertenrechtskonvention vereinbar, dass die Teil- nahme an den Wahlen für mobilitätseingeschränkte Wäh- lerInnen erheblich erschwert ist? Zu 7.: Der Senat prüft für die nächsten Wahlen zu den bezirklichen Seniorenvertretungen erneut die Möglichkeit einer Briefwahl. Diese Option, die auch vom Senat als Zeichen gelebter Inklusion verstanden wird, war in der Vergangenheit wegen der finanziellen Mehrbelastung nicht zum Tragen gekommen. Der Senat hat die Erwartung, dass das unter 1. er- wähnte Gutachten des WPD gegebenenfalls ergänzende Hinweise zu einer organisatorischen Durchführung der Wahlverfahren gibt, auch unter Einbezug der Möglichkeit einer Briefwahl. Berlin, den 12. Dezember 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Dez. 2014)