Drucksache 17 / 15 109 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN) vom 03. Dezember 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Dezember 2014) und Antwort Umweltschädigung durch Wärmedämmung an Hausfassaden? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Inwieweit hat der Senat Kenntnis von poten- tiell umweltbelastenden Zusatzstoffen, die bei Energiesa- nierungen von Hausfassaden (etwa zur Prävention gegen Schimmel- und Algenbildung) zur Anwendung kommen? Dazu bitte genauere Angaben zu brandhemmenden, fun- giziden und algiziden Substanzen und deren Herstellern mit Markenbezeichnungen. Antwort zu 1: Nach den bauordnungsrechtlichen Ver- wendungsregelungen für Bauprodukte und Anwendungs- regelungen für Bauarten bedürfen Wärmedämmverbund- systeme, die im Regelfall bei Energieeinsparmaßnahmen an bestehenden Gebäuden zum Einsatz kommen, allge- meiner bauaufsichtlicher Zulassungen, die vom Deut- schen Institut für Bautechnik erteilt werden; für die An- wendung an Gebäuden der Gebäudeklassen 1 bis 3 ist das Vorliegen einer europäisch technischen Bewertung aus- reichend. Im Rahmen der Zulassungsverfahren werden Rezepturen der Materialien einschließlich der eingesetz- ten Zusatzstoffe in Hinblick auf ihre Umweltrelevanz beurteilt. Die häufig eingesetzten Wärmedämmverbundsysteme mit Polystyrol bestehen im Wesentlichen aus Kleber, Dämmstoff in Plattenform, Armierungsputz mit Gewebe und Beschichtungssystem (Oberputz und ggf. Farbe). Bei Dämmstoffplatten aus Polystyrol werden EPS-Platten (expandiertes Polystyrol) und XPS-Platten (extrudiertes Polystyrol) unterschieden. Als kritischer Inhaltsstoff wird in EPS- und XPS- Platten derzeit teilweise noch das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) eingesetzt. Als Ersatz- stoff steht Polymer-FR zur Verfügung, welches keine PBT-Einstufung hat. Viele Dämmstoffhersteller haben ihre Produktion bereits umgestellt. In den Oberputzen und Farben von Wärmedämmverbundsystemen werden häufig verschiedene Biozide (Wirkstoffe, die Schadorganismen zerstören, z.B. Terbutryn, Isothiazolinone) eingesetzt. Biozide sollen in den Oberputzen und Farben entweder den Bewuchs der Fassade mit Algen und Pilzen verhin- dern oder die Haltbarkeit der Produkte in den Gebinden verlängern (sog. Topfkonservierungsmittel). An der Fas- sade können die Biozide durch Regen abgewaschen wer- den und in die Kanalisation oder auch direkt in den Boden und damit ins Grundwasser gelangen. Frage 2: a) Inwieweit ist die Belastung der Berliner Gewässer mit diesen Stoffen bereits nachgewiesen? b) Können die BWB diese dokumentieren? c) Werden entsprechende Untersuchungen, insbeson- dere bei Oberflächengewässern, durchgeführt? Wenn ja, bitte eine entsprechende Belastungskarte der Oberflä- chengewässer des Landes Berlin erstellen. Wenn nein, wann werden diese Untersuchungen aufgenommen? Antwort zu 2a und 2c: Im Rahmen von Sonderunter- suchungen werden baustoffbürtige Stoffe in den Oberflä- chengewässern untersucht und teilweise nachgewiesen. Eine Belastungskarte liegt nicht vor und kann kurzfristig nicht erstellt werden. Befunde über der Nachweisgrenze liegen für den Tel- towkanal, für die Spree (Mündung) und die Oberhavel (Schleuse Spandau) vor. Bei den jüngsten Untersuchun- gen in 2013 wurde das Biozid Terbutryn mit einer Maxi- malkonzentration von 0,028 µg/l in der Spree und von 0,021 µg/l in der Oberhavel erfasst. Der Mittelwert lag bei 0,014µg/l bzw. 0,01µg/l. Die Maximalkonzentration im Teltowkanal lag bei der Messkampagne in 2010 bei 0,15 µg/l; der Mittelwert bei 0,044 µg/l. Cybutryn (Irgarol) lag in der Messkampagne 2009 durchgehend unter der Nachweisgrenze von 0,05 µg/l. Im Rahmen von aktuellen Sonderuntersuchungen des Kompetenzzentrums Wasser Berlin in Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben zu organischen Spurenstof- fen im Regenwasser konnten keine Befunde für HBCD über der Bestimmungsgrenze von 0,01 µg/l nachgewiesen werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 109 2 Antwort zu 2b: Im Trinkwasser sind die in der Ant- wort zu 2a genannten Stoffe nicht nachweisbar. Frage 3: Wie weit ist die Verwendung des hochgradig toxischen Hexabromocycloddodekan (HBCD) einge- schränkt? Welche Grenzwerte bzw. Verordnungen, die die Verwendung einschränken, existieren? Antwort zu 3: HBCD erfüllt die Kriterien für persis- tente (dauerhaft in der Umwelt verbleibend), bioakkumu- lierende (sich in Organismen anreichernd) und toxische (giftig für Lebewesen) Stoffe (PBT-Stoffe) und unterfällt daher der europäischen Chemikalienverbotsverordnung REACH (EG) Nr. 1906/2007 und ist ab dem 21. August 2015 zulassungspflichtig. Ferner ist HBCD durch die 6. Vertragsstaatenkonferenz des Stockholmer Übereinkom- mens über persistente organische Schadstoffe (POP - Persistent Organic Pollutants) aufgenommen worden. Für diese Stoffe gilt ein weltweites Herstellungs- und Ver- wendungsverbot. Die Stockholmer Konvention verab- schiedete aber zusätzlich, dass die Vertragsstaaten zeitlich begrenzte Ausnahmen für die Verwendung von HBCD in EPS- und XPS-Dämmstoffplatten zulassen können. HBCD kann derzeit noch uneingeschränkt verwendet werden. Näheres kann der Veröffentlichung „Hexabromocycloddodekan (HBCD) – Antworten auf häufig gestellte Fragen“ des Umweltbundesamtes vom Februar 2014 entnommen werden. Nach der europäischen Biozid-Verordnung Nr. 528/2012 werden für biozide Wirkstoffe Genehmigungen und für Biozidprodukte Zulassungen durch die Bundesan- stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erteilt. Biozidprodukte nach Biozidverordnung sind behandelte Waren mit einer Biozidfunktion, d. h. teilweise ist das Biozidprodukt das Biozidgemisch, welches dem Putz oder der Farbe zugesetzt wird, und nicht der Putz oder die Farbe selbst. Derzeit liegen noch keine Zulassungen für Biozidprodukte für die Verwendung in Putzen vor, da das Zulassungsverfahren der BAuA bestimmte Produktgrup- pen zeitlich gestaffelt bewertet. Erst wenn alle bioziden Wirkstoffe bewertet sind, benötigen die Biozidprodukte (mit einer Übergangsfrist) eine Zulassung. Im Rahmen der Produktzulassungen nach Biozid-Verordnung findet auch eine Bewertung der in die Umwelt freigesetzten Biozidmenge statt. Alle zugelassenen Biozidprodukte können auf der Website der BAuA eingesehen werden, entsprechend der obigen Ausführungen sind die in Putzen und Farben ein- gesetzten Produkte dort allerdings noch nicht zu finden. Frage 4: a) Wo und wie werden die Abfälle, die bei der Wärmedämmung anfallen, entsorgt? b) Welche Verordnungen müssen dabei besonders be- achtet werden? Antwort zu 4a: Es existieren bislang keine speziellen Regelungen zur getrennten Erfassung dieser Abfälle. Die Einstufung als gefährlicher oder nicht gefährlicher Abfall obliegt nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz zunächst dem Abfallerzeuger (Bauherr bzw. bauausführende Fir- ma). Eine Einstufung als gefährlicher Abfall erfolgt nur im Einzelfall durch die Abfallbehörde bei Vorliegen der notwendigen Analysen und entsprechend hohen Be- lastungen. Diese Abfälle sind geeigneten Verbrennungs- anlagen zuzuführen. Analysen liegen jedoch ebenfalls primär in der Verantwortung der Abfallerzeuger und werden bislang nicht regelmäßig durchgeführt. Die Entsorgung derartiger nicht als gefährlich einge- stufter Abfälle erfolgt in der Regel über den Baumischab- fall, wobei der brennbare Anteil nach einer Sortierung Verbrennungsanlagen zugeführt wird; es wird von einer Zerstörung des HBCD ausgegangen. Antwort zu 4b: Bisher gibt es keine speziellen abfall- rechtlichen Regelungen für HBCD-haltige Materialien. Auf europäischer Ebene wird jedoch diskutiert, ob in einer kommenden Novellierung der Verordnung (EG) Nr. 850/2004 über persistente organische Schadstoffe (POP- Verordnung) Regelungen zu HBCD aufgenommen wer- den sollen. Welche das sein werden bzw. mit welchen Grenzwerten, ist zurzeit nicht absehbar. Berlin, den 22. Dezember 2014 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Dez. 2014)