Drucksache 17 / 15 133 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher (LINKE) vom 10. Dezember 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Dezember 2014) und Antwort Bürgerbeteiligung bei der Gedenkpolitik auf Landesebene und in den Bezirken? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht allein in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Bezirksämter um eine Stellungnahme gebeten, die von diesen in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie werden nachfolgend wie- dergegeben, bei den Fragen, die sich auf Auskünfte der Bezirksämter beziehen. 1. Teilt der Senat die Auffassung, dass sich Gedenktafeln an die Öffentlichkeit richten und es deshalb dringend notwendig ist, die Öffentlichkeit von Anfang an einzubeziehen, da sie es doch ist, die durch eine Gedenktafel zum (Ge)Denken angeregt werden soll? Zu 1.: Es ist richtig, dass sich die Gedenktafeln primär an die Öffentlichkeit richten. Da die Anregungen für Gedenktafeln in der Regel aus der Öffentlichkeit kommen, ist eine Beteiligung von vornherein gegeben. 2. Wie wird die Öffentlichkeit am Gedenktafelprogramm der historischen Kommission zu Berlin beteiligt und wie ist die Zusammenarbeit mit den Berliner Bezirken? Zu 2.: Es gibt kein „Gedenktafelprogramm“ der Historischen Kommission zu Berlin. Das „Berliner Gedenktafelprogramm“, wird derzeit von der Historischen Kommission in Zusammenarbeit mit dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. umgesetzt. Die Bezirke können Vorschläge zur Ehrung einer Persönlichkeit machen. Es wird jedoch geprüft, ob diese Person sich in gesamtstädtischer Weise verdient gemacht hat. 3. In welchen Bezirken findet die Beratung über bezirkliche Gedenktafeln in den öffentlich tagenden Kulturausschüssen statt? Zu 3.: Lichtenberg: Hier tagt die Arbeitsgruppe Gedenktafeln unter Leitung des Vorsitzenden des Ausschusses Kultur der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg und unter Mitarbeit des stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses Kultur mit eingeladenen Experteninnen und Experten in regelmäßigen Abständen, wenigstens aber vier Mal im Jahr. Der Ausschuss Kultur selbst behandelt anschließend regelmäßig die zuvor von der Arbeitsgemeinschaft (AG) Gedenktafeln erarbeiteten Tafeln bzw. die entsprechenden Texte. Die auf diese Weise auf zwei Ebenen abgestimmten Textfassungen werden sodann der BVV Lichtenberg vom Bezirksamt zur Kenntnis gegeben. Tempelhof-Schöneberg: Hier liegt die fachliche Zuständigkeit für bezirkliche Gedenktafeln bei der Bezirksbürgermeisterin, anlassbezogen unter Zuarbeit der historischen Fakten durch die Leitung des Fachbereichs Kunst, Kultur und Geschichte. In der Regel findet zu neuen Anträgen für Gedenktafeln und Denkzeichen im Kulturausschuss eine Beratung statt. Die Beratungen im Kulturausschuss sind grundsätzlich öffentlich. Neukölln: Die Beratung über Gedenktafeln findet in Neukölln im Ausschuss Bildung, Schule und Kultur der BVV statt. Der Ausschuss Bildung, Schule und Kultur der BVV Neukölln tagt öffentlich. Vorschläge für Gedenktafeln werden an die BVV gestellt. Reinickendorf: Die Erstellung von Gedenktafeln wird teilweise durch die Fraktionen der Parteien in Form von Ersuchen angeregt, die dann im Kulturausschuss beraten werden. Darüber hinaus berät der Arbeitskreis Kunst und Gedenken über bezirkliche Gedenktafeln. Mitte: Die Beratung über bezirkliche Gedenktafeln findet sowohl im „bezirklichen Kulturausschuss“, Bildung, Kultur und Umwelt (BiKuUm), als auch in dem Nachfolgegremium der bezirklichen Gedenktafelkom- mission, Arbeits-gemeinschaft (AG) - Geschichte des BiKuUm, statt. Beide Gremien tagen öffentlich. Die AG- Geschichte ist ein auf Vorschlag des BVV-Ausschusses BiKuUm von der BVV berufenes Gremium, in dem alle Fraktionen der BVV mit 2 Plätzen vertreten sind (je 1 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 133 2 Mitglied des BiKuUm und je eine von der Fraktion vorgeschlagene sachkundige Person. Die AG erarbeitet Beschlussvorschläge für den BVV-Ausschuss BiKuUm. 4. In welchen Bezirken tagen stattdessen Gedenktafelkommissionen oder ähnliche Gremien und wie bewertet der Senat die unterschiedlichen Arbeits- weisen? Zu 4.: Marzahn-Hellersdorf: Die Beratung zu Gedenktafeln findet dort in der „Kommission Gedenkorte Marzahn-Hellersdorf‘“ statt; der Kulturausschuss der BVV ist einbezogen. Die Kommission ist ein beratendes Gremium für das Bezirksamt per Beschluss des Bezirksamtes und der BVV. Gedenktafelbeauftragte ist die Leitung des Bezirksmuseums, die entsprechend der Geschäftsordnung die inhaltliche Verantwortung trägt und Einzelentscheidungen vorbereitet, welche mit der Kommission abzustimmen sind. Die Kommission tagt entsprechend ihrer Geschäftsordnung in der Regel öffentlich. Antragstellerinnen und Antragsteller/Initia- torinnen und Initiatoren von Gedenktafeln werden zur Beratung ihrer Vorschläge eingeladen. Friedrichshain-Kreuzberg: Eine Gedenktafelkom- mission tagt 3 bis 4 Mal im Jahr. Sie setzt sich zusammen aus je einer Vertreterin/ einem Vertreter aus den Fraktionen der BVV, dem für Bezirksgeschichte zuständigen Bezirksamts-mitglied, das auch den Vorsitz übernimmt, der Leiterin/dem Leiter des Fachbereichs „Kultur und Geschichte" sowie vier interessierten und kompetenten Personen aus der Fachöffentlichkeit (z.B. Opfergruppen, Gedenkstätte Deutscher Widerstand). Die Gedenktafelkommission spricht Empfehlungen für Gedenktafelvorhaben aus, diese werden teilweise auch noch einmal im Kulturausschuss diskutiert. Bezirk Reinickendorf: Der Arbeitskreis (AK) Kunst und Gedenken ist als beratendes Gremium für das Bezirksamt in Fragen der Kunst im öffentlichen Raum, Denkmäler, Gedenkorte und -tafeln, Gedenkzeichen und Straßenbenennungen tätig. Zum Arbeitskreis gehören Vertreterinnen und Vertreter des Fachbereichs Stadtplanung und Denkmalschutz, des Fachbereichs Kunst und Geschichte, des Straßen- und Grünflächen- amtes und ein Experte für Denkmalfragen. Der AK befasst sich unter anderem mit der Pflege sowie dem Erhalt vorhandener Gedenktafeln bzw. Gedenkzeichen und prüft Vorschläge für Gedenkzeichen, Gedenktafeln und neue Denkmäler zur Ehrung von Persönlichkeiten und Ereignissen. Im konkreten Einzelfall können auf Vorschlag des Arbeitskreises geschichtlich interessierte und fachkompetente Personen eingeladen werden. Bei der Anbringung von Gedenktafeln handelt es sich um eine Bezirksaufgabe (§ 3 Abs. 2 Allgemeines Zustän- digkeitsgesetz – AZG), die daher vollständig in eigener Verantwortung umgesetzt wird. Insofern nimmt der Senat keine Wertung zu den unterschiedlichen Arbeitsweisen der Bezirke vor. 5. Wie werden Anregende bzw. Antragstellende auf gesamtstädtischer und bezirklicher Ebene in die Gedenkpolitik des Landes und der Bezirke einbezogen? Zu 5.: Öffentliche Anregungen zur gesamtstädtischen Gedenkpolitik werden hinsichtlich ihrer Bezüge zu aktuellen politischen Schwerpunktsetzungen und ihrer Finanzierbarkeit überprüft. Das Ergebnis wird den Anregenden schriftlich mitgeteilt. Neukölln: Das Museum Neukölln unterstützt und be- rät bei der Initiierung von neuen Gedenkorten, wie z.B. im Falle des Gedenkortes Rudow auf dem Gelände der Clay-Schule, wo sich 1941-1945 das Zwangsarbeiterlager Rudow befand. Zum Thema Bürgerbeteiligung: Für die Schülerinnen und Schüler wurde ein Museumskoffer zum Thema "Zwangsarbeit" bereitgestellt, Führungen auf dem Gelände fanden zum „Tag des Offenen Denkmals“ statt, und Schülergruppen wurden projektweise in die Ausgra- bungen einbezogen. Der Bezirk Neukölln unterstützt das Künstlerprojekt "Stolpersteine". Tempelhof-Schöneberg: Anregende bzw. Antragstel- lende haben auf bezirklicher Ebene die Möglichkeit, ihre Wünsche und Anregungen über Bezirksverordnete oder die Fraktionen in den politischen Raum zu tragen. Lichtenberg: Vorschläge für Gedenktafeln und deren Begründung können von einzelnen Initiatorinnen und Initiatoren unterbreitet, die Antragstellerinnen und An- tragsteller zur Beratung hinzu gezogen werden. In der Regel erfolgt die Einbeziehung von Initiatorinnen und Initiatoren in einem geeigneten Stadium des Verfahrens. Aus Anlass breiter angelegter Initiativen und Prozesse zum Gedenken, wie z.B. der „Runde Tisch zur historischen Markierung Rummelsburg“, der über einen Zeitraum von rund zwei Jahren tagte, werden im Einzelfall gesonderte Gremien gebildet. Im Beispiel Runder Tisch Rummelsburg erfolgte von Anfang an eine kontinuierli- che Beteiligung der Bürgerschaft bzw. weiterer interes- sierter Personen und Interessengruppen. Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern, Angehörigen oder weiteren Initiatorinnen und Initiatoren zur Gestaltung einer Ge- denktafel o.ä., deren Unterhaltung bzw. zum Ersatz bei Verlustanzeigen werden aufgenommen, diskutiert und ggf. entsprechend einer Prioritätenliste des Fonds für Erinnerungskultur umgesetzt. Reinickendorf: Anregende und Antragstellende kön- nen an den Beratungen des Arbeitskreises Kunst und Gedenken teilnehmen. Bei der Erstellung von Gedenkta- feln und der Errichtung von Gedenkorten können sich Anregende und Antragstellende zum Beispiel in Form von Recherchen und als Zeitzeugen einsetzen. Mitte: Antragstellende sowie an der Gedenkkultur Berlins interessierte Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Institutionen bringen sich in die zuständigen BVV- Gremien (die grundsätzlich öffentlich tagen) ein und tragen zur Realisierung ihrer Anliegen und der Bewah- rung und Fortentwicklung dessen und dem gemeinsam Erreichten, bei. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 133 3 6. Welche dieser Gedenktafelkommissionen und ähnlichen Gremien tagen grundsätzlich öffentlich und welche beziehen nur die Antragstellenden ein? Zu 6.: Reinickendorf: Der Arbeitskreis Kunst und Ge- denken tagt nicht öffentlich. Die Antragstellenden werden über das Ergebnis der Beratungen informiert. Pankow: Grundsätzlich können Initiatorinnen und Ini- tiatoren von Gedenktafeln ihr Anliegen in der zuständigen Gedenktafelkommission im Bezirk Pankow einbringen und aktiv an der Entscheidungsfindung des Gremiums mitwirken. Die Antragstellenden können in der Kommis- sion ihre Argumente bzw. Quellen vortragen und mit den Mitgliedern der Kommission über Art, Form und Inhalt der Gedenktafel diskutieren. Marzahn-Hellersdorf: Die „Kommission Gedenkorte Marzahn-Hellersdorf‘“ tagt entsprechend ihrer Geschäftsordnung in der Regel öffentlich. Lichtenberg: Die AG Gedenktafeln tagt in der Regel nicht öffentlich. Vorschläge für Gedenktafeln und deren Begründung können von einzelnen Initiatorinnen und Initiatoren unterbreitet, die Antragstellenden zur Beratung hinzu gezogen werden. In der Regel erfolgt die Einbezie- hung von Initiatorinnen und Initiatoren in einem geeig- neten Stadium des Verfahrens. Kreuzberg-Friedrichshain: Die Gedenktafelkommis- sion hat in ihrer Sitzung im Mai 2014 beschlossen, dass die Sitzungen grundsätzlich öffentlich sind (bis dahin wurden nur Antragstellerinnen und Antragsteller hinzu- geladen). Mitte: Die AG-Geschichte tagt öffentlich. Bürgerin- nen und Bürger, die Anliegen oder Anträge auf Gedenkta- feln oder Straßen(um-)benennungen eingebracht haben o.a., werden ausdrücklich zur Teilnahme an der entspre- chenden AG-Sitzung eingeladen und können dort zu ihrer Sache vortragen und an der Diskussion teilnehmen. Die Voten für die jeweilige Beschlussempfehlung an den Ausschuss BiKuUm werden von den Mitgliedern der AG bzw. den Vertreterinnen und Vertretern der Fraktionen abgegeben. Die weitere Bearbeitung eines jeweiligen Anliegens findet dann in Interaktion zwischen dem oder den (vom BVV-Ausschuss oder BVV) beauftragten Amt oder Ämtern, den Beantragenden sowie eventuell an- sonsten beteiligten Bürgerinnen und Bürgern bzw. Verei- nen oder Institutionen und der AG Geschichte statt. Er- forderlichenfalls auch erneut im BVV-Ausschuss. 7. Teilt der Senat die Auffassung, dass Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich einen Anspruch darauf haben, zu ihrem Antrag an gesamtstädtische oder bezirkliche Gremien gehört zu werden, um ihre Argumente darlegen sowie an der Diskussion darüber teilnehmen zu können? 8. Wie verträgt sich aus Sicht des Senates eine dem zuwider laufende Praxis mit der Maßgabe von politischer Transparenz, Partizipation und Mitbestimmung? 9. Wie bewertet der Senat den Umstand, Antragstellende von der Beratung auszuschließen, wie es trotz anderslautender Einlassungen gegenüber dem Senat (siehe Anfrage Drs. 17/14751) von der Gedenktafel- kommission Charlottenburg-Wilmersdorf praktiziert wird, obwohl die Antragstellenden im Vorfeld meistens selbst umfangreich recherchiert haben und Fragen der Kommission beantworten könnten? Zu 7. bis 9.: Hier wird auf die ausführliche Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 17/14 708 verwiesen. Berlin, den 19. Dezember 2014 In Vertretung Tim Renner Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Dez. 2014)