Drucksache 17 / 15 158 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 11. Dezember 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Dezember 2014) und Antwort Das „Platzhaus“ am Helmholtzplatz und die „städtebauliche Kriminalprävention“ Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie definiert der Senat „städtebauliche Kriminalprävention “, welche staatlichen Handlungen und Aufgaben fallen aus Sicht des Senats unter diesen Begriff und welche Behörden sind im Land Berlin auf welcher gesetz- lichen Grundlage aus Sicht des Senats zur Durchführung dieser Aufgaben und Handlungen befugt? Zu 1.: Aus Sicht des Senats in Abstimmung mit der Polizei Berlin handelt es sich bei der städtebaulichen Kriminalprävention um Kriminalitätsvorbeugung durch zielgerichtete Gestaltung von Gebäuden, öffentlichen und halböffentlichen Räumen sowie deren Zuordnungen zuei- nander. Die Tatgelegenheitsstruktur am jeweiligen Ort soll durch physische und psychologische Barrieren so verändert werden, dass sich für potentielle Täterinnen und Täter Tataufwand und Entdeckungsrisiko erhöhen und somit ein möglicher Taterfolg verringert wird. Gleichzei- tig soll das subjektive Sicherheitsgefühl der Anwohnerin- nen und Anwohner und Nutzerinnen und Nutzer gestärkt werden. Durch die Schaffung der Möglichkeit informeller sozialer Kontrolle soll Verwahrlosungstendenzen, Ord- nungsstörungen und Konflikten entgegengewirkt werden. Voraussetzung für den Erfolg städtebaulicher Kriminal- prävention ist ihre Anerkennung als eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe, die eine frühzeitige ressortübergrei- fende Zusammenarbeit und Vernetzung aller relevanten Akteurinnen bzw. Akteure sowie die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger erfordert. Eine gesetzliche Grundlage, aus der sich eine Ver- pflichtung zur Wahrnehmung der vorbeschriebenen Auf- gaben herleiten ließe, gibt es nicht. Nach § 1 des Allge- meinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) ist die Abwehr von Gefahren für die Öffentliche Sicherheit oder Ordnung den Ordnungsbehörden und der Polizei übertragen. Die Polizeidienstvorschrift 100 unterstützt diesen Generalauftrag. Demnach hat die Polizei Schäden für Personen und Sachen zu verhüten, zu mindern oder in ihren Folgen gering zu halten. Als Ausfluss dessen wurde im Jahre 2003 die Präventionsarbeit der Berliner Polizei verbindlich in einem Präventionskonzept geregelt und der Wandel von einer rein technischen Beratung zu einer individuell geprägten verhaltensorientierten Prävention eingeleitet. Die städtebauliche Kriminalprävention ist eine der zahlreichen Komponenten polizeilicher Präventions- arbeit. Es handelt sich dabei nicht um eine Tätigkeit mit eigenem Eingriffscharakter, vielmehr ergibt sich ihre Berechtigung immer kongruent aus der Aufgabenzuwei- sung für den betreffenden Verantwortungsbereich in Ver- bindung mit dem Anspruch der Stadtgesellschaft auf ein sicheres Lebensumfeld. 2. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat zur Krimi- nalitätsentwicklung bzw. zur Entwicklung der öffentli- chen Sicherheitslage auf dem Helmholtzplatz im Prenz- lauer Berg konkret vor? a) Wie hat sich insbesondere die Kriminalität – belegbar anhand von Anzeigen, Ermittlungsverfahren, Verur- teilungen in Bezug auf konkrete Gruppen von Rechtsgü- tern oder Straftaten – in den zurückliegenden Jahren entwickelt ? b) Wie hat sich insbesondere die Notwendigkeit poli- zeilichen Eingreifens zur Gefahrenabwehr in den zurück- liegenden Jahren – belegbar anhand der Polizeiberichte – auf dem Helmholtzplatz qualitativ und quantitativ entwi- ckelt? Zu 2.: Der soziale Friede im Nahbereich sowie direkt auf dem Platz ist seit vielen Jahren einem ständigen Wan- del unterworfen. Der Kiez ist, im positiven wie im negati- ven Sinn, bisher geprägt durch eine Mischung aus einer zumeist gutsituierten, alteingesessenen und zugezogenen Anwohnerschaft, ein hohes Aufkommen von Touristinnen bzw. Touristen und Besucherinnen bzw. Besuchern auf- grund der ausgeprägten Kneipenlandschaft und der histo- risch gewachsenen „Trinkerszene“. Während sich die amtsbekannten und zumeist im Kiez wohnhaften Angehö- rigen der „Trinkerszene“ mit Ausnahme weniger alkoholbedingter Störungen generell an die sozial üblichen Ge- meinschaftsnormen halten, ist aktuell eine Veränderung in der Struktur der Szene festzustellen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 158 2 Es werden vermehrt Personen angetroffen, die ihrem Verhalten zufolge vermutlich mehrfachabhängig (Alko- hol, Medikamente und sonstige Drogen) sind. In der Wahrnehmung geraten die Angehörigen der traditionellen „Trinkerszene“ ins Hintertreffen und werden von den aggressiv auftretenden „Neuzugängen“ dominiert. Nach den polizeilichen Erkenntnissen und zahlreichen Hinweisen aus Gesprächen mit der Anwohnerschaft an- lässlich polizeilicher Präsenzmaßnahmen ist der Nahbe- reich des „Platzhauses“ gerade in jüngster Zeit deutlich steigend durch stetige Trinkgelage, zurückgelassenen Unrat, abgeladenen Sperrmüll, Sprühparolen an Bänken und Tischtennisplatten, „herumlungernde“ Trinkerinnen und Trinker und Drogensüchtige in ein soziales Un- gleichgewicht („social disorder“) geraten. Das unterschwellige, aber beständige Spannungsver- hältnis zwischen den einzelnen Platznutzerinnen und Platznutzern belastet neben den greifbaren Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den sozialen Frieden spürbar. Aufgrund der gewonnenen, zunächst jedoch nicht verifizierbaren Erkenntnisse führte der Polizeiabschnitt 15 von Herbst 2013 bis Januar 2014 einen Kundenmonito- ring mit insgesamt 456 Beteiligten aus der Anwohner- schaft des Helmholtzplatzes durch. Im Ergebnis benann- ten 28% der Befragungsteilnehmerinnen und Befragungs- teilnehmer den Helmholtzplatz als einen Ort, an dem sie sich unwohl fühlen. Zu 2a und 2b): Die nachfolgenden Daten sind der Ver- laufsstatistik DataWarehouse Führungsinformation (DWH-FI) entnommen, d. h. es wird im Betrachtungszeit- raum Januar bis November 2014 der aktuelle Datenbe- stand des Polizeilichen Landessystems zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) ausge- wertet. Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik werden hingegen grundsätzlich jährlich erhoben und nur alle zwei Jahre für den Kriminalitätsatlas regionalisiert. Sie konnten daher nicht für die Beantwortung der Fragen zur aktuellen Kriminalitätslage genutzt werden: Anzahl der Vorgänge im Planungsraum Helmholtz- platz (siehe beiliegende Karte) nach Anlagezeitpunkt Januar - November 2012/2013/2014: (Quelle: Verlaufs- statistik, DataWarehouse-(DWH-FI)-Recherche vom 17.12.2014) Straftaten/-(Gruppe) Jan-Nov 2012 Jan-Nov 2013 Jan-Nov 2014 + / - 2012 zu 2013 2013 zu 2014 2012 zu 2014 Straftaten insgesamt 2.180 1.977 2.231 -203 254 51 darunter: Baustelleneinbruch 21 8 3 -13 -5 -18 Brandstiftung 4 1 3 -3 2 -1 Diebstahl an/aus Kfz 60 84 108 24 24 48 Fahrraddiebstahl 263 234 304 -29 70 41 Geschäfts- und Betriebseinbruch 43 53 70 10 17 27 Keller- und Bodeneinbruch 173 208 297 35 89 124 Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen 19 11 17 -8 6 -2 * Sonstige Körperverletzung 139 104 121 -35 17 -18 Kraddiebstahl 12 8 9 -4 1 -3 Kraftwagendiebstahl 37 55 45 18 -10 8 Raub 18 13 11 -5 -2 -7 Sachbeschädigung auf Straßen, Wegen, Plätzen 115 108 72 -7 -36 -43 Straftaten i.Z.m. Betäubungssmit- teln 20 16 18 -4 2 -2 Taschendiebstahl 17 30 44 13 14 27 Wohnungseinbruch 79 82 89 3 7 10 * Der Anteil der Delikte mit Tatort auf Straßen, Wegen oder Plätzen lässt sich nicht bestimmen. Die vorsätzliche einfache sowie die fahrlässige Körperverletzung bilden den Großteil dieser Gruppe Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 158 3 Die Auswahl der oben dargestellten Delikte erfolgte nach dem Aspekt der Wirkung der Taten in der Öffent- lichkeit. So sind Delikte wie z. B. Betrug und Ladendieb- stahl zwar bei „Straftaten insgesamt“, nicht aber in der Einzeldarstellung, enthalten. Im Betrachtungszeitraum von 2 Jahren ist für den Helmholtzplatz mitsamt anliegender Straßen ein insge- samt geringer Fallzahlenanstieg um 51 Fälle (+2,3%) ausweisbar. Die Fallzahlenentwicklung im Helmholtzkiez verlief somit deutlich günstiger als die in Berlin insgesamt mit einer stadtweiten Zunahme der Fallzahlen um 8,7% im 2-Jahresvergleich. Zunahmen sind vor allem in den von hohen Fallzahlen geprägten Deliktsbereichen Keller- und Bodeneinbruch, Diebstahl an/aus Kfz und Fahrrad- diebstahl zu verzeichnen. Abnahmen sind im Wesentli- chen bei den Sachbeschädigungen auf Straßen, Wegen oder Plätzen, den Rohheitsdelikten sowie beim nur in den Gesamtfallzahlen dargestellten Betrug und der Sachbe- schädigung ohne Öffentlichkeitsbezug festzustellen. Eine konkrete und kausale Zuordnung dieses Strafta- tenanstiegs zu Personen der auf dem Helmholtzplatz an- zutreffenden „Trinkerszene“ kann, gerade vor dem Hintergrund stadtweit steigender Fallzahlen, statistisch nicht belegt werden. Zu Verurteilungen kann keine Aussage getroffen werden. 3. Sieht der Senat angesichts dieser Entwicklung ver- änderte Strategien durch Sicherheitsbehörden und Bezirk- samt in Bezug auf die Entwicklung im Areal Helmholtz- platz als notwendig an? Wenn ja, wie und inwieweit sind hierzu zwischen Bezirksamt Pankow von Berlin und Se- nat bzw. Polizeipräsident Gespräche geführt oder Abspra- chen getroffen worden und ggf. welchen Inhalt hatten diese? Zu 3.: Im Rahmen einer Ortsbegehung am 16.10.2013 wurde der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung durch Vertreter des für den Helmholtzplatz örtlich zuständigen Polizeiabschnitts 15 sowie der Zentralstelle für Prävention beim Landeskriminalamt über die geschilderte Situation am Helmholtzplatz informiert. Die Ergebnisse eines zwi- schen Herbst 2013 und Januar 2014 durchgeführten Kun- denmonitors wurden dem Bezirksbürgermeister, dem Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und dem Bezirks- stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bür- gerservice im Rahmen einer Informationsveranstaltung am 12. März 2014 vorgestellt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2014 verstärkt Präsenzstreifen im Bereich des Helm- holtzplatzes durch Kräfte des Polizeiabschnitts 15 durch- geführt. Städtebauliche Veränderungen im Bereich des Helmholtzplatzes oder ähnliche Maßnahmen fallen in die Zuständigkeit des Bezirksamts Pankow; der Polizei kommt nur eine beratende Funktion zu. 4. War auch die soziokulturelle Arbeit des Trägers Förderverein Helmholtzplatz Gegenstand dieser Gesprä- che oder Absprachen? Wenn ja, inwiefern? Zu 4.: Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 5. Bewertet der Senat die Tätigkeit des Fördervereins Helmholtzplatz als soziokulturelle Arbeit oder als „städtebauliche Kriminalprävention“? Worin besteht der Unterschied zwischen beiden Tätigkeiten? Zu 5.: Eine Bewertung der Arbeit des Fördervereins wird vom Senat nicht vorgenommen. Berlin, den 22. Dezember 2014 In Vertretung Andreas Statzkowski Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Jan 2015)