Drucksache 17 / 15 203 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Oliver Höfinghoff (PIRATEN) vom 19. Dezember 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Dezember 2014) und Antwort Polizeilicher Umgang mit den rassistischen Mobilisierungen gegen die Containerlager für Flüchtlinge am Stadtrand und den Gegenprotesten (III) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Der Senat sieht die Polizei Berlin als Schutzgaranten aller Versammlungen und politischen Veranstaltungen. Dabei wahrt die Polizei in jeder Hinsicht das verfassungsrechtliche Gebot der Neutralität. Sie schützt insofern nicht etwa das jeweilige Demonstrations- anliegen, sondern ungeachtet des jeweiligen Themas stets die Demonstrationsfreiheit als solche. Die Beantwortung der Fragen erfolgt daher ungeachtet der in der Fragestellung wertend formulierten Begrifflich- keiten. 1. Wie viele Polizist*innen welcher Einheiten waren am 22.11.2014 in Marzahn im Rahmen des geplanten Protestzuges von Neonazis und Rassist*innen (Motto: „Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen! Wir sind das Volk! Gemeinsam sind wir stark!“) und der Gegenkundgebungen insgesamt im Einsatz? (Die Beamt*innen der Direktion zentrale Aufgaben bitte nach Bereitschafts- polizeiabteilungen aufschlüsseln.) Zu 1.: Es wurden insgesamt 1.913 Polizeidienstkräfte eingesetzt. Diese verteilten sich auf 150 Dienstkräfte der Direktion 1, 83 Dienstkräfte der Direktion 2, 153 Dienstkräfte der Direktion 3, 147 Dienstkräfte der Direktion 4, 258 Dienstkräfte der Direktion 5, 20 Dienstkräfte der Direktion 6, 4 Dienstkräfte des Stabes des Polizeipräsidenten (Pressearbeit), 70 Dienstkräfte des Landeskriminalamtes, 246 Dienstkräfte der Direktion Zentrale Aufgaben, 1. Bereitschaftspolizeiabteilung, 333 Dienstkräfte der Direktion Zentrale Aufgaben, 2. Bereitschaftspolizeiabteilung, 115 weitere Dienstkräfte der Direktion Zentrale Aufgaben, 131 Dienstkräfte einer Einsatzhundertschaft des Bundeslandes Schleswig-Holstein, 114 Dienstkräfte einer Einsatzhundertschaft des Bundeslandes Baden-Württemberg, 89 Dienstkräfte einer Einsatzhundertschaft des Bundes. 2. Wie viele Polizist*innen welcher Einheiten haben jeweils die beiden Versammlungen begleitet? (Bitte eine Einzelauflistung nach genauer Anzahl der Polizeikräfte für die jeweilige Versammlung.) Zu 2.: Die Dynamik der unterschiedlichen Einsatzsi- tuationen erfordert eine ständige Anpassung der Polizei- dienstkräfte an die aktuelle Lage. Im Verlaufe eines Ein- satzes werden die Einsatzkräfte daher an einer Vielzahl von unterschiedlichen Brennpunkten tätig, sodass eine verlässliche Zuordnung im Nachherein nicht mehr mög- lich ist. 3. Am 22.11.2014 führten Einsatzkräfte der Polizei gegen 15:30 Uhr auf der Raoul Wallenberg Straße eine kleine Gruppe Neonazis durch eine große Gruppe von Personen, die sich zum Gegenprotest versammelt hatten. Hierbei kam es zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen. Was waren die Gründe, für die Entscheidung der Polizei, die Gruppe durch die vorste- hend genannte Menschenmenge zu führen, obwohl ab- sehbar war, dass ein solches Vorgehen zur Eskalation führen würde? Zu 3.: Die Begleitung der Gruppe erfolgte zur Wah- rung der Versammlungsfreiheit. Die Personen wurden nicht durch die Menge geführt, sondern an ihr vorbeigeleitet. Als große Teile des Gegen- protests zu der begleiteten Gruppe vordringen wollten, konnten die Personen durch die Einsatzkräfte im Wesent- lichen getrennt werden, wenngleich es der Polizei nicht vollumfänglich gelang, Auseinandersetzungen zu verhin- dern. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 203 2 4. Am 22.11.2014 setzte sich gegen 17:00 Uhr die Versammlung von Neonazis und Rassist*innen in Rich- tung Landsberger Allee in Bewegung, kam nach kurzer Zeit zum Stillstand und wurde dann wieder in Richtung S- Bahnhof Raoul Wallenberg Straße geführt. Welche Ent- scheidungsgründe lagen dieser Routenänderung zu Grun- de? Zu 4.: Die Routenänderung war das Resultat der not- wendigen Rechtsgüterabwägung, da angesichts der un- vermindert andauernden Blockadeversuche durch Teil- nehmerinnen und Teilnehmer des Gegenprotests und der zunehmend von Gewalt geprägten Auseinandersetzungen ein Aufzug auf der ursprünglich geplanten Wegstrecke erkennbar nur hätte fortgeführt werden können, wenn das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit hinter dem auf Versammlungsfreiheit in einem nicht verhältnismäßigen Umfang hätte zurücktreten müssen. 5. Anlässlich der Gegenkundgebung kamen auch Diensthunde der Polizei zum Einsatz. An welchen Orten wurden diese wann und warum jeweils eingesetzt? Kam es dabei zu direktem körperlichen Kontakt (Anspringen etc.) zwischen den eingesetzten Diensthunden und Teil- nehmer*innen der Versammlungen und wenn ja, wann, wo und warum. Zu 5.: Diensthunde wurden an insgesamt vier Örtlich- keiten eingesetzt. Im Zusammenhang mit der Versammlungslage wur- den auf dem Gelände der zukünftigen Flüchtlingseinrich- tung in der Schönagelstraße 70 durchgängig Diensthunde zum Schutz der geplanten Containerunterkunft bereitge- halten. Darüber hinaus wurden Diensthunde in der Zeit von 14.00 bis 17.00 Uhr westlich der Wuhle in der dortigen Grünanlage zwischen Landsberger Allee und Eisenacher Straße sowie in der Zeit von 17.45 bis 18.15 Uhr im Be- reich des S-Bahnhofs Raoul-Wallenberg-Straße einge- setzt. In beiden Fällen galt es, nach Möglichkeit ein ge- walttätiges Aufeinandertreffen der beiden widerstreiten- den Interessengruppen zu verhindern bzw. zu unterbin- den. Mit identischer Zielrichtung erfolgte auch der Einsatz von Diensthunden in der Zeit von 17.30 bis 18.00 Uhr in einer an den S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße an- grenzenden Grünanlage. Im Zuge notwendiger Kräftever- legungen entstand in diesem Bereich unvermittelt eine enorme Fluktuation von Personen, wobei diese sich zum Teil zwischen den Einsatzkräften bewegten. Dort, wo ohne das Zutun der Diensthundführer einzelne Distanzbe- reiche der Diensthunde durch Personen unterschritten wurden, reagierten die Tiere instinktiv und ihrer Ausbil- dung entsprechend selbständig. Ein tatsächliches An- springen und damit einhergehende Berührungen sind dem Senat nicht bekannt. 6. Wann, an welchen Orten und warum kam es zum Einsatz von Pfefferspray durch Einsatzkräfte der Polizei? (Bitte eine detaillierte Einzelauflistung nach Versamm- lung und jeweiliger Begründung.) Zu 6.: Im Einsatzverlauf wurde wiederholt der Einsatz von Reizstoff erforderlich:  13.54 Uhr, Allee der Kosmonauten /Bärensteinstraße, zum Unterbinden einer ge- walttätigen Auseinandersetzung zwischen Perso- nen, bei denen eine Versammlungszuordnung nicht möglich war,  15.24 Uhr, Raoul-Wallenberg-Straße zwischen Lea-Grundig-Straße und Jan-Petersen-Straße, zum Unterbinden einer gewalttätigen Auseinanderset- zung zwischen Personen, bei denen eine Ver- sammlungszuordnung nicht möglich war,  15.32 Uhr und 15.35 Uhr, Raoul-WallenbergStraße /Jan-Petersen-Straße, zum Unterbinden von körperlichen Auseinandersetzung zwischen Perso- nen, bei denen eine Versammlungszuordnung nicht möglich war,  15.34 Uhr, Raoul-Wallenberg-Straße, gegen Personen aus der Kundgebung „Gemeinsam für Vielfalt und Toleranz in Marzahn und Hellersdorf“ aufgrund von Angriffen auf Polizeidienstkräfte,  17.04 Uhr, Raoul-Wallenberg-Straße/Hinter der Mühle, gegen Personen, die keiner Versammlung zuzuordnen waren, auf Grund von körperlichen Auseinandersetzungen,  zwischen 17.09 Uhr und 17.47 Uhr, RaoulWallenberg -Straße, gegen Personen, die keiner Versammlung zuzuordnen waren, aufgrund von wiederholten körperlichen Auseinandersetzungen  17.23 Uhr, Raoul-Wallenberg-Straße/LudwigRenn -Straße, gegen Personen, die keiner Ver- sammlung zuzuordnen waren, im Zuge von Ab- drängmaßnahmen und zum Unterbinden von kör- perlichen Auseinandersetzungen  18.08 Uhr, S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße, zur Sicherung einer zuvor durchgeführten Frei- heitsentziehung, als Einsatzkräfte aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gegen- protests bedrängt und körperlich angegriffen wur- den. 7. Wann und wo und unter Einsatz welcher techni- schen Einrichtungen wurden Übersichtsaufnahmen durch welche Polizeieinheiten angefertigt? Zu 7.: Am 22. November 2014 wurden in der Zeit von 13.46 Uhr bis 15.13 Uhr, 15.42 Uhr bis 17.03 Uhr sowie 17.43 Uhr bis 18.38 Uhr im Bereich Raoul-Wallenberg- Straße, Landsberger Allee, Schönagelstraße und Märki- sche Allee Übersichtsaufnahmen durch den Polizeihub- schrauber gefertigt. 8. Wann, wo und aufgrund welcher Rechtsgrundlage wurden weitere Videoaufzeichnungen durch Einsatzkräfte der Polizei angefertigt? Zu 8.: In der Zeit von 13.15 Uhr bis 19.20 Uhr wurden durch die Einsatzkräfte der Polizei Berlin und durch un- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 203 3 terstellte Kräfte des Bundes und des Landes Baden- Württemberg im Bereich Blumberger Damm – Landsberger Allee – Allee der Kosmonauten und RaoulWallenberg -Straße Videoaufzeichnungen durchgeführt. Rechtsgrundlage für diese Aufnahmen waren § 24 Abs. 1 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicher- heits- und Ordnungsgesetz –ASOG Bln-), § 1 Abs. 1 Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Him- mel und Aufzügen sowie § 100h Abs. 1 Nr. 1 Strafpro- zessordnung. 9. Es gibt Anhaltspunkte, dass von der Versammlung der Neonazis und Rassist*innen rassistische Sprechchöre mit teilweise strafbarem Inhalt ausgingen. Wie und in welcher Form gingen die Einsatzkräfte hiergegen vor? Zu 9.: Bisher sind dem Senat keine strafbaren Inhalte von Sprechchören im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Versammlung bekannt geworden. Die Polizei Berlin hatte diesbezüglich keine Feststellungen. 10. In zumindest einem Fall wurde durch einen Teil- nehmer der Versammlung von Neonazis und Ras- sist*innen ein strafbarer Hitlergruß gezeigt? Wie ging die Polizei hiergegen vor? Zu 10.: Gegen 14.00 Uhr konnte am Antreteplatz ein Versammlungsteilnehmer festgestellt werden, der eine strafbare Grußform zeigte. Noch am Antreteplatz wurde der Person die Freiheit beschränkt und ein Strafermitt- lungsverfahren nach § 86a Strafgesetzbuch (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) eingeleitet. 11. Zu wie vielen Festnahmen und Ingewahrsamnah- men ist es am 22.11.2014 in Marzahn im Rahmen des geplanten Protestzuges von Neonazis und Rassist*innen Motto: „Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen! Wir sind das Volk! Gemeinsam sind wir stark!“)gekommen? (Bitte eine Einzelauflistung nach jeweiligem Demonstrationszug bzw. Kundgebung und Anzahl.) Zu 11.: Insgesamt waren im Zusammenhang mit den Versammlungen 14 Freiheitsentziehungen, jedoch keine Ingewahrsamnahmen zu verzeichnen. Eine statistische Erfassung nach Versammlungsthema erfolgt grundsätzlich nicht. Die polizeilichen Maßnahmen bestimmt zuerst der objektiv tatbestandliche Aspekt der Straftatverwirklichung. Eine mögliche, gegebenenfalls auch politische Motivation ist Gegenstand weiterer Er- mittlungen. Daher ist eine Aufschlüsselung nach Ver- sammlungen derzeit nicht möglich. 12. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden am oder aufgrund von Ereignissen am 22.11.2014 in Marzahn im Rahmen des geplanten Protestzuges von Neonazis und Rassist*innen (Motto: „Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen! Wir sind das Volk! Gemeinsam sind wir stark!“) eingeleitet und warum jeweils? (Bitte eine Einzelauflistung nach jeweiligem Demonstrationszug bzw. Kundgebung und Anzahl.) Zu 12.: Im Zusammenhang mit den genannten Ver- sammlungen wurden bisher 167 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Delikt Anzahl Verstoß Versammlungsgesetz 83 Landfriedensbruch 19 Gefährliche Körperverletzung 16 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 13 Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 12 Sachbeschädigung 7 Beleidigung 5 Gefangenenbefreiung 3 Raub 2 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 Verstoß Sprengstoffgesetz 2 Brandstiftung 1 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 1 (Vorsätzliche einfache) Körperverletzung 1 Gesamtergebnis 167 Auf Grund laufender Ermittlungsverfahren erfolgt keine Differenzierung nach dem Versammlungsthema. Berlin, den 07. Januar 2015 In Vertretung Andreas Statzkowski Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Jan. 2015)