Drucksache 17 / 15 257 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ülker Radziwill (SPD) vom 02. Dezember 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Januar 2015) und Antwort Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Kinder in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Für die Beantwortung der Fragen wurden Textbeiträge der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissen- schaft (Fragen 1, 2, 4, 5, 9 und 11) und der Senatsver- waltung für Justiz (Frage 7) berücksichtigt. 1. Wie deckt das Hilfesystem in Berlin die Bedarfe von Kindern ab, „deren“ Wohnung gekündigt bzw. geräumt wurde? Gibt es Kooperationsvereinbarungen zwi- schen Jobcenter und Jugendamt, Jobcenter und Soziale Wohnhilfe, Soziale Wohnhilfe und Jugendamt? Wenn ja, wie sehen diese konkret in den einzelnen Bezirken aus? Wenn nein, warum nicht? Zu 1.: Die Anzahl und konkrete Ausgestaltung der Kooperationsvereinbarungen der Jugendämter mit den anderen genannten Stellen zu Fällen drohendem Woh- nungsverlust sind dem Berliner Senat nicht bekannt. So- weit das Jugendamt bereits Leistungen erbringt oder das Jugendamt von der Notlage Kenntnis erhält, muss das Jugendamt auch unabhängig von bestehenden Kooperati- onsvereinbarungen die Betreffenden an die hierfür zu- ständige Stelle vermitteln, wie ggf. Soziale Wohnungshil- fe oder JobCenter. Siehe auch Antwort zu Frage 2. 2. Was regelt die Kooperationsvereinbarung zwischen Regionaldirektion BB und der öffentlichen Jugendhilfe nach § 44b Abs.2 SGBII (Anlage 4, 3) vom 17.12.2010 (Hinweis in Kl. Anfrage Drs.17/10732)? Wo ist diese zu finden 4. Ist das in der Kleinen Anfrage (s.o.) genannte, vor- gesehene Verfahren der Einbeziehung der Jugendämter bei drohendem Wohnungsverlust, um Familien/Alleiner- ziehenden im Einzelfall frühzeitig durch Leistungen der Jugendhilfe zu unterstützen, erstellt? Wenn ja, wie oft wurde hiervon Gebrauch gemacht? Wenn nein, warum nicht? Wann wird es erstellt? Gibt es eine Arbeitsgruppe? Wenn ja, wer ist daran beteiligt? 5. Was unternehmen Jugendamt/ Senatsverwaltung BJW präventiv zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit bei Alleinerziehenden mit Kindern/ Familien? 9. Inwieweit fühlt sich das Jugendamt bei eingetrete- ner Wohnungslosigkeit - die Kinder betreffend -, zustän- dig? Welche Informationen und/oder Angebote an die betroffenen Erziehungsberechtigten in Bezug auf die Kinder erfolgen? Zu 2., 4., 5. und 9.: Es wird davon ausgegangen, dass die Vereinbarung nach § 44 b Abs. 2 SGB II zwischen der Bundesagentur für Arbeit (als Träger der Leistungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II), vertreten durch die Regionaldi- rektion Berlin-Brandenburg und dem Land Berlin (als Träger der Leistungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) gemeint ist (https://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-arbeit/bes ch-impulse/vereinbarung__44bsgb.pdf?start&ts=1409063 056&file=vereinbarung__44bsgb.pdf). Die Vereinbarung ist für das Land Berlin, vertreten durch die damalige Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, abgeschlossen worden. Eine beson- dere Regelung bezogen auf die Jugendämter ist für die in Rede stehende Frage nicht enthalten. Soweit Kindeswohl gefährdet ist, ist vom Jugendamt ggf. die Inobhutnahme der Kinder nach § 42 SGB VIII zu prüfen, jedoch ist damit nicht die Beschaffung und Gewährleistung von Wohnraum für die Familie zur Vermeidung von Obdach- losigkeit verbunden. Die Aufgaben der Kinder – und Jugendhilfe sind im SGB VIII (siehe dort § 2) beschrieben. Es geht um die Förderung und Unterstützung von Familien, Kindern und Jugendlichen. Ziel der Leistungen ist die Förderung der Entwicklung und Erziehung der jungen Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person (§ 1 SGB VIII). Die Eltern haben bei Bedarf hier- zu insbesondere Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Erziehung und Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie. Soweit Unterkunft gewährt wird, z. B. bei Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 257 2 Angeboten nach § 19 SGB VIII in gemeinsamen Wohn- formen für alleinerziehende Mütter/Väter, ist „Auslöser“ der Leistung eine Defizitlage, bezogen auf die Erzie- hungsfähigkeit. Daneben sichert die Kinder – und Jugendhilfe Angebote der Inobhutnahme, d. h. in den Fällen des § 42 SGB VIII werden Minderjährige in einer Inob- hutnahmeeinrichtung des zuständigen Jugendamtes unter- gebracht. Dies bedeutet keine Inobhutnahme der Familie zur Vermeidung einer Obdachlosigkeit. Es kann sein, dass im Ergebnis der Würdigung des konkreten Einzelfalles das Kind zumindest vorübergehend Inobhut genommen wird, d. h. von den Eltern getrennt werden muss, bis diese wieder eine Wohnung gefunden haben. Die Jugendämter sind allerdings nicht zuständig für die damit vorrangige Beschaffung und Sicherstellung von Wohnraum für von Obdachlosigkeit bedrohte Familien mit Kindern. Die Jugendämter sind allerdings in der Lage, bei Bekanntwer- den von entsprechenden Gefahren für die Familien diese im Sinne einer Lotsenfunktion an die hierfür zuständigen Stellen weiterzuleiten, die ggf. kurzfristig eine Übernah- me von Mietzahlungen oder die Beschaffung von Ersatz- wohnraum veranlassen können. 3. Gibt es Kenntnisse über die Einhaltung der verbind- lichen Regelung, dass das zuständige Bezirksamt einer Ablehnung von Anträgen zur Mietschuldenübernahme beim JC zustimmen muss? Wie häufig wurden Bezirks- ämter angefragt? (Zustimmungen/Ablehnungen) Bitte nach Bezirk auflisten. Zu 3.: Hierüber liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 6. Ist das in der WAV beschriebene Kostensenkungs- verfahren bei Überschreitung der individuellen Angemes- senheit (Ziffer 4), wonach Maßnahmen zur Senkung der Wohnkosten bei Alleinerziehenden mit zwei oder mehr Kindern nicht verlangt werden, noch in Kraft? Wie erhal- ten Betroffene hierüber Kenntnis? Warum gilt diese Re- gelung - im Interesse des Kindeswohl - nicht auch für Menschen mit einem Kind? Zu 6.: Die beschriebene Regelung, wonach Maßnah- men zur Senkung der Wohnkosten bei Alleinerziehenden mit zwei oder mehr Kindern in der Regel nicht verlangt werden, ist in Ziffer 4 der Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen)vom 06.08.2013 (ver- öffentlicht im Amtsblatt von Berlin Nr. 38, Seite 1768) enthalten und somit in Kraft. Diese Regelung soll auch in der zurzeit in Arbeit befindlichen Neufassung der AV- Wohnen übernommen werden. Eine Ausweitung dieser Regelung steht mit Bundes- recht nicht im Einklang, weil eine Ausnahme von dem nach § 22 SGB II zwingenden Kostensenkungsverfahren bei unangemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nur in außergewöhnlichen Härtefällen möglich ist. 7. Werden in dem neuen „vorläufigen statistischen Erfassungsbogen für die Geschäftstätigkeit der Gerichts- vollzieherinnen und Gerichtsvollzieher“ (s. Drs.17/13935 „Räumungsklagen, Zwangsräumungen…“) auch die Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder erfasst? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, liegen hierzu bereits Zahlen vor? Zu 7.: In dem neuen vorläufigen statistischen Erfas- sungsbogen für die Geschäftstätigkeit der Gerichtsvoll- zieherinnen und Gerichtsvollzieher (GV 12) wird die Anzahl der (bei Zwangsräumungen) im Haushalt leben- den Kinder nicht erfasst. Bei dem genannten statistischen Erfassungsbogen handelt es sich um einen Vordruck, mit dem ausschließlich die Geschäftstätigkeit der Gerichts- vollzieherinnen und Gerichtsvollzieher statistisch erfasst wird. Die statistische Erfassung der Geschäftstätigkeit der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher erfolgt im Wesentlichen zu Steuerungszwecken der Justizverwal- tung. Die hier gesammelten Daten sind beispielsweise we- sentliche Grundlage der Personalbedarfsberechnung im Gerichtsvollzieherdienst. Andere Daten als die Geschäfte der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher wer- den daher an dieser Stelle nicht gesammelt. Aber auch für eine separate Erfassung der bei Zwangsräumungen im Haushalt lebenden Kinder bestand aus Sicht der Justizverwaltung bislang kein Anlass. Der Justizverwaltung liegen daher hierzu keine Zahlen vor. 8. Auf Grundlage der Kleinen Anfrage Drucksache 17/13742: Wenn „für die Aufnahme von Kindern…beide Einrichtungen (gemeint sind Notübernachtungen, d.Verf.) weder personell noch räumlich ausgerichtet„ sind, wo kommen Alleinerziehende (mit Kindern) oder Familien nach einer Räumung aktuell unter? Welche ASOG Ein- richtungen sind für o.g. Zielgruppe ausgerichtet, wv. Plätze werden berlinweit und in den einzelnen Bezirken vorgehalten? Zu 8.: Die Bezirksämter sind gemäß Nr. 19 Zustän- digkeitskatalog des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Berlin) für die Ordnungsaufgaben bei Wohnungslosigkeit verantwortlich. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Vor- haltung ausreichender Platzkapazität zur Unterbringung wohnungsloser Personen. Mit Stand 10/2014 waren von der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) 7.966 Plätze in vertragsfreien Unterkünften gemeldet. Eine Untertei- lung in zielgruppenspezifische Angebote wird von der BUL nicht vorgenommen. 10. Gibt es im Bezirksamt (Fachstelle Soziale Wohn- hilfen) bei Bekanntwerden einer Räumungsklage mit Kindern im Haushalt eine besondere Vorgehensweise? Wenn ja, wie unterscheidet sich diese vom herkömmli- chen Verfahren? Wenn nein, warum nicht? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 257 3 Zu 10.: Die Frage nach einer besonderen Vorgehens- weise bei Bekanntwerden einer Räumungsklage mit Kin- dern im Haushalt in den Fachstellen Soziale Wohnhilfen der Bezirksämter kann nur mit einer umfangreichen Ab- frage beantwortet werden. Der Senat wird die Frage an die Fachstellen Soziale Wohnungshilfen der Bezirksämter weiterleiten. 11. Inwieweit ist die Senatsverwaltung Bildung, Ju- gend und Wissenschaft in die aktuelle Diskussion zum Thema‚ Wohnraumversorgung in Berlin eingebunden? Wenn keine Einbindung besteht, warum nicht? Ist diese kurzfristig geplant? Zu 11.: Zurzeit gibt es keine entsprechenden Arbeits- gruppen, in die die Kinder- und Jugendhilfe auf der Ebene des Senats eingebunden ist. Die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwal- tung hat eigenständig das Gespräch mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften gesucht, insbesondere um Unterstützungsmaßnahmen von „Jungen Volljährigen“ und Alleinerziehenden im Anschluss an Leistungen der Kinder – und Jugendhilfe zu erörtern. Danach verbleibt die Möglichkeit, dass im konkreten Einzelfall das Jugend- amt hier Kontakt mit einer Wohnungsbaugesellschaft aufnimmt, um bei der Suche nach geeigneten, selbstbe- stimmten Wohnraum zu unterstützen. Berlin, den 26. Januar 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Jan. 2015)