Drucksache 17 / 15 336 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 20. Januar 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Januar 2015) und Antwort „Null Toleranz“ bei Cannabis: Hohle Propagandashow von Innen- und Justizsenator? (I) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche konkreten Orte umfasst die vom Innen- und vom Justizsenator am 14. Januar 2015 der Presse verkün- dete „Null-Toleranz-Zonen“-Regelung des Senats zur strafrechtlichen Verfolgung von Cannabisbesitzenden auch bei geringer Menge gemäß § 31a BtMG und wo kann die Regelung nachgelesen werden? 2. Wie wird der Senat dafür Sorge tragen, dass der Öf- fentlichkeit klar ist, an welchen Orten in der Stadt einer- seits die bisherige Regelung uneingeschränkt Geltung beansprucht und an welchen Orten andererseits „Härte gezeigt wird“? Zu 1. und 2.: Die Neufassung der Gemeinsamen All- gemeinen Verfügung (GAV) des Senats zur Umsetzung des § 31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG (GAV)) befin- det sich derzeit in der Abstimmung zwischen den Res- sorts, so dass eine Stellungnahme noch nicht möglich ist. Die neu gefasste GAV wird nach ihrem Erlass wie üblich im Amtsblatt veröffentlicht werden. Darüber hinaus wer- den Ergänzungen im Hinblick auf eine verstärkte öffentli- che Transparenz der Regelungen geprüft. 3. Welche konkreten Zwecke verfolgt der Senat mit der geplanten „Null-Toleranz-Zonen“-Regelung, die mit der bisherigen Allgemeinen Verfügung zur Umsetzung des § 31a BtMG nicht verfolgt werden können? Zu 3.: Grundsätzliches Ziel des Senats ist es, die Dro- genkriminalität effektiv und nachhaltig zurückzudrängen. Dabei soll durch eine intensivierte Präsenz der Polizei und eine konsequente Strafverfolgung verdeutlicht werden, dass Zustände wie zuletzt im Görlitzer Park nicht gedul- det werden. In welchem Umfang es zur Umsetzung dieses Vorgehens einer Änderung oder Ergänzung der GAV insbesondere im Hinblick auf die verfassungsrechtlich zulässigen Ausnahmen von der Eigenbedarfsregelung bedarf, wird derzeit in den beteiligten Ressorts geprüft. 4. Mit welchen Ausweichstrategien von Seiten der Drogenhändler rechnet der Senat? Zu 4.: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch erhöhten Verfolgungsdruck an relevanten, beson- ders belasteten Orten Verdrängungseffekte entstehen. Es ist Aufgabe der Polizei, diese Entwicklung zu beobachten und die notwendigen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. So ist bei den polizeilichen Maßnahmen im und um den Görlitzer Park ein integraler Bestandteil der Einsatzkon- zeption, dass die eingesetzten Kräfte auch an Örtlichkei- ten, auf die die Drogenhändler ausweichen könnten (ins- besondere das RAW-Gelände und die Hasenheide), prä- sent sind. Generell ist es trotz möglicher Verdrängungsef- fekte erforderlich, an besonders belasteten Orten Maß- nahmen zur Verbesserung von Sicherheit und Ordnung zu ergreifen. 5. Weshalb rechnet der Senat damit, bei einer Straf- verfolgung wegen des Besitzes geringer Mengen Canna- bis ausgerechnet die Bekämpfung von Drogenhändlern zu verbessern, die ohnehin in der Regel mehr Cannabis so- wie weitere Betäubungsmittel verfügbar halten? Zu 5.: Entgegen der mit der Frage geäußerten Annah- me tragen Drogenhändlerinnen und Drogenhändler nach den von den Strafverfolgungsbehörden gemachten Erfah- rungen in Kenntnis der entsprechenden Regelungen häu- fig nur geringe Mengen Cannabis bei sich. Die größeren Mengen werden in einzelnen Personen nur schwer zuzu- ordnenden „Bunkern“ vorrätig gehalten, aus denen sich Drogenhändlerinnen oder Drogenhändler nach Abverkauf der mitgeführten Drogen wieder mit einer geringen Men- ge Betäubungsmittel versorgt. In vielen Ermittlungsver- fahren berufen sich diese Personen dann auf die Eigenbe- darfsmengen und gehen oft selbstbewusst davon aus, dass in diesen Fällen keine Strafverfolgung und auch keine Verurteilung drohen können. Nimmt man ihnen die Mög- lichkeit der Berufung auf die Eigenbedarfsregelung, kön- nen sie zumindest wegen des Drogenbesitzes belangt werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 336 2 Darüber hinaus kommt in Betracht, mit einer im zu- lässigen Rahmen betriebenen Strafverfolgung von Erwer- berinnen und Erwerbern geringer Mengen Cannabis den illegalen Händlerinnen und Händlern die Kundschaft streitig zu machen. 6. Wie will der Senat sicherstellen, dass durch die Neuregelung nach Frage 1, die ja „Härte“ versprechen soll, tatsächlich die Händler der Strafverfolgung ausge- setzt sind, die sich ja auf die Regelung einstellen können und naheliegende Ausweichstrategien verfolgen werden, und nicht genau die Fälle der Konsument*innen - z.B. im Fall der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, dem ja schwer auszuweichen ist, auf den Bahnhöfen - erfasst werden, in denen nach der Entscheidung des Bundesver- fassungsgerichts (vom 9.3.1994, 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145, insbesondere Leitsatz 3) nach dem verfassungs- rechtlichen Übermaßverbot „die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzuse- hen haben“? 7. Wie will der Senat bei erfahrungsgemäß erwartba- ren Ausweichstrategien von Händlern und Verlagerungs- prozessen von Szenen - angesichts der erklärten Absicht, den Anwendungsbereich der „Null-Toleranz-Zonen“- Regelung dann gegebenenfalls auch auszuweiten - sicher- stellen, dass die 15-Gramm-Regelung nicht durch die konkurrierende Regelung de facto verdrängt und damit der verfassungskonforme BtMG-Anwendungsbefehl des Bundesverfassungsgerichts zur Festlegung einer geringen Menge in Berlin verletzt wird? Zu 6. und 7.: Bei der Neufassung der GAV wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben gemäß sichergestellt werden, dass in den vom Bundesverfassungsgericht be- nannten Fällen des Umgangs mit Cannabisprodukten zum Zwecke des Eigenbedarfs ohne Fremdgefährdung von einer Verfolgung gemäß § 31a BtMG abgesehen wird. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 1. und 2. verwiesen. 8. Was ist der qualitative Unterschied der „NullToleranz -Zonen“-Regelung gegenüber dem gegenwärtigen Rechtszustand mit der Allgemeinen Verfügung zur Umsetzung des § 31a BtMG, in deren Ausnahmeregelun- gen es ja bereits seit 2010 heißt: „[…] wenn […] Betäubungsmittel in einer Weise gebraucht werden, die eine Verführungswirkung auf Kinder oder nicht abhängige Jugendliche oder Erwachsene hat“ bzw. „[…] Betäubungsmittel in der Öffentlichkeit ostentativ oder vor be- sonders schutzbedürftigen Personen (zum Beispiel Kin- dern) sowie vor oder in Einrichtungen oder Analgen, die von diesen Personen aufgesucht werden (insbesondere Kindergärten, Spielplätze Schulen, Jugendheime oder Bahnhöfe) erworben und konsumiert werden […]“? Zu 8.: Auf die Antwort zu Frage 3. wird verwiesen. 9. In wessen Befugnis liegt zukünftig die Entschei- dungskompetenz für „temporäre Null-Toleranz-Zonen“ und wie wird abgesichert, dass durch die Ausübung dieser Befugnis nicht zukünftig ganz Berlin ein „Raum der Härte “ darstellt? Zu 9.: Auf die Antworten zu den Fragen 1. und 2. so- wie 6. und 7. wird verwiesen. Berlin, den 03. Februar 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Feb. 2015)