Drucksache 17 / 15 395 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD) vom 20. Januar 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Januar 2015) und Antwort Wie wird die Qualität von stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung geprüft? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Das Wohnteilhabegesetz (WTG) für stationäre Ein- richtungen legt fest, dass dessen Einhaltung regelmäßig durch die Aufsichtsbehörden geprüft werden muss. Dabei können die Aufsichtsbehörden Prüfschwerpunkte bilden und die Prüfung auf diese Schwerpunkte begrenzen. Nach welchem Verfahren werden die Prüfschwer-punkte gebil- det? 2. Welche Prüfschwerpunkte werden aktuell bei der Prüfung von stationären Einrichtungen angewendet? 3. Welche Anforderungen des WTG und den zugehö- rigen Rechtsverordnungen nach § 29 WTG werden aktu- ell nicht geprüft bzw. sind nicht Teil der Prüfschwer- punkte und warum nicht? Zu 1. bis 3.: Das Verfahren der Bildung von Prüf- schwerpunkten bei Prüfungen von stationären Einrichtun- gen für Menschen mit Behinderung durch die Heimauf- sicht beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LA- GeSo) wird im Wesentlichen in den zum 01.07.2012 eingeführten Prüfrichtlinien zum Wohnteilhabegesetz (WTG) beschrieben: In stationären Einrichtungen für Menschen mit Behin- derung werden die ordnungs-rechtlichen Regelprüfungen im Abstand von höchstens einem Jahr, in der Praxis grundsätzlich jährlich, durchgeführt. Die Heimaufsicht legt hierbei Prüfkapitel bzw. Prüffragen aus einem um- fangreichen Fragenkatalog zu Grunde, wobei sich die Prüffragen im Fragenkatalog vom Inhalt her ausschließ- lich auf die Struktur- und Prozess-qualität in einer Ein- richtung beziehen. Weil im Rahmen einer Regelprüfung regelmäßig nicht alle 17 Kapitel bzw. derzeit 612 Standardfragen aus dem Fragenkatalog geprüft werden können, muss der Prüfum- fang von Regelprüfungen auf bestimmte Prüfinhalte bzw. Prüfschwerpunkte begrenzt werden. Insoweit handelt es sich bei den Regelprüfungen in beste- henden Einrichtungen in der Regel um Teilprüfungen, die sich auf die Prüfinhalte einiger Prüfkapitel aus dem Fra- genkatalog beschränken, wobei aus den ausgewählten Kapiteln immer alle Fragen vollständig gestellt werden. Die Kapitel über Begehung, Mitwirkung und Personal- ausstattung bzw. Dienstplangestaltung (Kapitel 1, 10, 15 bzw. 16 aus dem Fragen-katalog B./ „Eingliederungshilfe “) werden wegen ihrer besonderen Wichtigkeit grundsätzlich bei jeder Regelprüfung vollständig geprüft. Bei den Kapiteln 15 und 16, die jeweils Personalfragen betref- fen, zieht die Heimaufsicht mindestens eines der beiden Kapitel heran. Hinzu kommen bei jeder Regelprüfung mindestens zwei weitere Kapitel aus anderen Themenge- bieten wie z. B. ärztliche und gesundheitliche Versor- gung, Freiheitsentziehende Maßnahmen oder Mitsprache- und Einsichtsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner (Kapitel 3, 4, 8). Diese werden von der Heimaufsicht nach pflichtgemäßem Ermessen einrichtungs-individuell aus- gewählt in Abhängigkeit von der Größe der Einrichtung, den bisherigen Prüfergebnissen oder eingegangenen Be- schwerden oder Hinweisen. So können Beschwerden und Hinweise, die nur Teile eines Prüfkapitels berühren, zur Prüfung des gesamten Prüfkapitels führen. Anhand der langjährigen Prüfungshistorie einer Ein-richtung können Prüfungsschwerpunkte gesetzt werden, wenn in der Ver- gangenheit Mängel in der Struktur- und/oder Prozessqua- lität festgestellt worden sind. In einer kleinen Einrichtung können unter Umständen mehr Prüfkapitel an einem Tag geprüft werden als in einer größeren Einrichtung. Somit werden in stationären Einrichtungen für Men- schen mit Behinderung innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren sämtliche Kapitel bzw. Fragen des maßgebli- chen Fragenkatalogs B. einmal abgefragt, so dass nach dem Prüfintervall von fünf Jahren faktisch eine Vollprü- fung des gesamten Fragenkatalogs in Bezug auf die Ein- richtung vorliegt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 395 2 4. Umfasst die Prüfung von stationären Einrichtungen nach dem WTG auch eine Evaluation der Wohn- bzw. Lebens- und Aufenthaltsqualität dieser Einrichtungen? Zu 4.: Die Prüfung von stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung umfasst keine Evaluation der Wohn- bzw. Lebens- und Aufenthaltsqualität im Sinne einer vollumfänglichen Bestandsaufnahme und Ergebnis- bewertung aller denkbaren Qualitätsaspekte einer Ein- richtung. Nach dem unter der Antwort zu 1. beschriebe- nen systematisierten Verfahren wird grundsätzlich über die Heranziehung von ausgewählten Kapiteln bzw. Fra- gen aus dem Prüffragenkatalog zu einem bestimmten Zeitpunkt eine begrenzte Teilmenge von Aspekten der Wohn- bzw. Lebens- und Aufenthaltsqualität überprüft. Im Falle von festgestellten Mängeln werden einzelfallbe- zogen ordnungsrechtliche Maßnahmen im Sinne von §§ 21 bis 25 WTG ergriffen. 5. Wie gestaltet sich die Prüfung einer stationären Ein- richtung in der Praxis, insbesondere hinsichtlich der Ein- beziehung der Nutzerinnen und Nutzer in die Prüfung? Zu 5.: Die jährlichen Regelprüfungen der Heimauf- sicht erfolgen überwiegend angemeldet. Damit kann si- chergestellt werden, dass Leitungspersonal anwesend ist, um Fragen zur Struktur- und Prozessqualität beantworten zu können bzw. prüfungs-relevante Unterlagen bereit zu halten. Unangemeldet prüft die Heimaufsicht stets bei besonderen Anlässen, z. B. bei Beschwerden oder Hin- weisen auf konkrete Gefährdungen oder Beein- trächtigungen der Bewohnerinnen und Bewohner. Nach § 17 Absatz 6 WTG kann die Heimaufsicht die Bewohnerinnen und Bewohner nur insoweit in die Prü- fung einbeziehen, als sie diese sowie deren Vertrauens- personen befragen sowie den Pflege- und Betreuungszu- stand der Bewohnerinnen und Bewohner mit deren Zu- stimmung in Augenschein nehmen kann. In der Praxis befragt die Heimaufsicht einzelne Bewohnerinnen und Bewohner nur selten. Sie werden befragt, wenn es hierfür einen sachlichen Grund gibt und wenn sie sich zum Zeit- punkt der Prüfung in der Einrichtung aufhalten und zu einer Willens-äußerung in der Lage sind. Die Inaugen- scheinnahme des Betreuungszustandes findet in der Praxis nicht statt, weil sich die Prüfungen der Heimaufsicht grundsätzlich nur auf die Struktur- und Prozessqualität einer Einrichtung beziehen. Bei jeder Regelprüfung in einer stationären Einrich- tung wird im Rahmen des Prüfkapitels 1 (Begehung) des Fragenkataloges grundsätzlich die Bewohnervertretung nach § 9 WTG befragt. Auch hierdurch können Belange der Bewohnerinnen und Bewohner bei den ordnungs- rechtlichen Prüfungen Berücksichtigung finden. 6. Wie bewertet der Senat die Qualität des Prüfverfah- rens Nueva der GETEQ GmbH, insbesondere dass die Evaluation in enger Kooperation mit den Nutzerinnen und Nutzern der Einrichtungen geschieht und die Evaluatoren selbst Teil der Zielgruppe der zu evaluierenden Einrich- tung sind? 7. Liegen dem Senat Rückmeldungen, Berichte o.ä. über die Qualität des Nueva-Prüfverfahrens vor und wenn ja, welches allgemeine Bild lässt sich daraus ableiten? 9. Plant der Senat, das Nueva-Verfahren der GETEQ GmbH zukünftig (ggf. verstärkt) einzusetzen? Falls nein, warum nicht? Zu 6., 7. und 9.: Nueva ist ein Evaluationsmodell für soziale Dienstleistungen für Menschen mit Behinderun- gen. Im Zentrum steht dabei, dass die Evaluation der Ergebnisqualität aus der Sicht der Nutzerinnen und Nut- zer erfolgt. Der Senat bewertet die enge Kooperation zwischen Nutzerinnen und Nutzern von Einrichtungen sowie insbesondere die direkte Durchführung von Evalu- ationen durch Betroffene besonderes positiv. Im Jahr 2011 fand eine wissenschaftliche Begleitung des Nueva-Ausbildungsprojekts statt, auf dessen Grund- lage ein Abschlussbericht verfasst wurde. Darüber hinaus ist der Fachbereich im Beirat vertreten. Das Land unter- stützt damit ausdrücklich die Weiterentwicklung von Nueva. Die Entscheidung zur Nutzung von Nueva als Evaluationsverfahren obliegt jedem Leistungserbringer eigenverantwortlich und wird seitens des Senats nicht gesteuert. 8. Wie viele Prüfungen von Berliner stationären Ein- richtungen gab es 2010-2014 (bitte nach Jahren aufge- schlüsselt), wie viele davon erfolgten nach dem Nueva- Verfahren der GETEQ GmbH und wie sind die bisherigen Erfahrungen damit? Zu 8.: Die Heimaufsicht führte in den Jahren 2010 bis 2014 insgesamt 613 Prüfungen in stationären Einrichtun- gen für Menschen mit Behinderung durch. Davon entfie- len auf 2014: 127 Prüfungen, 2013: 130 Prüfungen, 2012: 121 Prüfungen, 2011: 119 Prüfungen, 2010: 116 Prüfungen. Ordnungsrechtliche Prüfungen der Heimaufsicht er- folgen nicht nach dem Nueva-Verfahren der GETEC GmbH, sondern ausschließlich nach dem in den WTG- Prüfricht-linien beschriebenen Verfahren. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 395 3 10. Plant der Senat die Schaffung einer öffentlichen Datenbank für Menschen mit Behinderung, in der, z.B. analog zur Datenbank heimverzeichnis.de, die Einhaltung von Qualitätskriterien dokumentiert wird und somit die Heimplatzsuche für die Betroffenen erleichtert werden könnte? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, ab wann ist mit dem Start dieser Datenbank zu rechnen? Zu 10.: Zur Unterstützung bei der Suche von Heim- plätzen können Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen das gesamtstädtisch ausgerich- tete Projekt Lotse (http://www.lotse-berlin.de/) nutzen. Das Projekt informiert über die aktuellen Bedingungen, Anbieter und Träger in Berlin und fungiert als Ansprech- partner für alle erwachsenen Menschen mit einer geisti- gen, körperlichen und Mehrfachbehinderung sowie deren Angehörige, Betreuerinnen oder Betreuer und Freunde. Darüber hinaus können auf der Internetseite des LA- GeSo Prüfberichte der Berliner Heimaufsicht über Prü- fungen nach dem WTG eingesehen werden. Dadurch können sich Menschen mit Behinderung einen Eindruck über die Einhaltung von Qualitätsanforderungen nach dem WTG verschaffen. Die Einrichtung einer darüber hinausgehenden Datenbank ist daher vom Senat aktuell nicht geplant. 11. Inwieweit ist die im WTG festgeschriebene Mit- wirkungspflicht der Leistungserbringer an der Prüfung und der dabei entstehende Aufwand in den Kostensätzen oder anderweitig monetär berücksichtigt? Zu 11.: Der Aufwand, der den Leistungserbringern bei ihrer Mitwirkungspflicht nach dem WTG entsteht, wird durch die Berücksichtigung des Verwaltungsaufwandes abgedeckt. Berlin, den 13. Februar 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Feb. 2015)