Drucksache 17 / 15 505 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 10. Februar 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Februar 2015) und Antwort Plant der Senat eine Kennzeichnungspflicht für Satire? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass der Senat den Blog Metronaut wegen eines als Satire gekennzeichneten Artikels unter Verwendung seines Olympia-Werbe-Kampagnenlogos im Rahmen einer Kritik an der seiner Ansicht nach mangelhaften Debatte um die olympische Vergangenheit Berlins abgemahnt hat, weil dadurch „die Integrität von realen Personen beschädigt wird und sie dadurch berufliche Nachteile ziehen“ (so der stellvertretende Senatssprecher, zitiert aus einer Tageszeitung)? Zu 1.: Das Land Berlin hat gegen den Artikel unter dem Titel: „neue Motive der Berliner Olympiakampagne“ im Onlineportal „Metronaut“ vom 05. Februar 2015 presserechtliche Schritte ergriffen. Der Beitrag berichtete von einer angeblichen Veranstaltung am Donnerstag, dem 04. Februar 2015, bei der neue Plakatmotive für die Be- werbung der Hauptstadt um die Olympischen Spiele 2024 vorgestellt worden sein sollen. Außerdem wurde behaup- tet, dass die dort präsentierten Plakatmotive der Olympi- schen Spiele von 1936 auch Motive der aktuellen Berliner Olympia- Informationskampagne im Interessenbekun- dungsverfahren für die Spiele 2024 seien. Einem Mitar- beiter der Kampagne wurde in diesem Zusammenhang wörtliche Zitate zugeschrieben. Diese Punkte entsprechen jedoch nicht den Tatsachen. Die erwähnte Veranstaltung hat es nicht gegeben. Außerdem waren die angesproche- nen Plakatmotive zu keiner Zeit Teil der Olympiakam- pagne. Ebenso hat sich der genannte Mitarbeiter nie mit den ihm zugeschriebenen Zitaten geäußert. Der in Rede stehende Artikel war bei unserer ersten Kenntnisnahme nicht als Satire gekennzeichnet. Deshalb hat der Senat den Rechtsweg beschritten. 2. Wenn 1. ja: Welche Integritätsbeschädigung für eine konkrete existierende Person lag im konkreten Fall vor und worin könnten die beruflichen Nachteile bestehen, die der Senat befürchtet? Zu 2.: Der konkret existierenden Person wurde mit den ihr fälschlicherweise zugeschriebenen Zitaten unter- stellt, Plakatmotive und Intention der Olympischen Spiele von 1936 auch heute für geeignet zu halten, für Olympi- sche Spiele in 2024 oder 2028 zu werben. Dies hat sich u.a. in den sozialen Netzwerken schnell verbreitet. Die Gefahr einer Integritätsbeschädigung ist somit offensicht- lich. 3. Wenn 1. ja: Akzeptiert der Senat grundsätzlich eine kritische Auseinandersetzung, ggf. unter Verwendung des durch die Berliner Steuerzahler*innen finanzierten Olympia-Werbe-Kampagnenlogos zur Erzeugung von Olympiabegeisterung bei den Berliner Steuerzahler*innen, auch durch solche Steuerzahler*innen, die einer Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele ablehnend gegenüberstehen und die das Logo und die Kampagne im Rahmen des öffentlichen Meinungsstreits satirisch verfremden? Wenn nein: Warum nicht? Zu 3.: Ja. 4. Traut der Senat der kritischen Öffentlichkeit zu, Plakate im darstellerischen Stil der 1930er Jahre, deren Anlehnung an die Propagandakunst der NS-Zeit auf der Hand liegt, von „echten“ Olympiawerbemedien des Senats zu unterscheiden und diese – völlig unabhängig von der Frage, ob die Darstellung durch sie als gelungen oder geschmacklos aufgenommen wird – insoweit als Satire aufzufassen? Zu 4.: Der Senat beurteilt keine Fragen des Ge- schmacks oder des Zutrauens. Er ist lediglich gegen eine unwahre Tatsachenbehauptung vorgegangen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 505 2 5. Hätte der Senat – angesichts der Tatsache, dass aus seiner Sicht die satirische Dimension der Darstellung nicht als solche verständlich gewesen sei (so der stellvertretende Senatssprecher gegenüber einer Tageszeitung) – auch zum Mittel der anwaltlichen Abmahnung gegenüber dem Blog gegriffen, wenn die inkriminierten Darstellungen über den kleinen Hinweis hinaus groß, klar, eindeutig und unübersehbar mit dem Hinweis „Achtung! Satire!“ gekennzeichnet gewesen wären? Zu 5.: Fiktive Sachverhalte können vom Senat nicht beurteilt werden. 6. Wenn 5. nein: Welchen Anforderungen muss – im Interesse der Rechtssicherheit – die Satirekennzeichnung genügen, um einer möglichen Abmahnung durch senatsbeauftragte Anwaltskanzleien zu entgehen Zu 6.: In ständiger Rechtsprechung verweist das Bun- desverfassungsgericht auf den Umstand, dass die Kern- aussage jeder satirischen Darstellung nicht unwahr sein darf. 7. Ist der Senat der Ansicht, dass Satire nur dann akzeptabel ist, wenn sie in die öffentliche Auseinandersetzung „in angemessener und sachgerechter Weise“ eingreift? Wenn ja: Welche Verwaltung im Land Berlin ist zur Entscheidung darüber berufen, ob dieser Rahmen eingehalten worden ist? Zu 7.: Der Senat bewertet nicht die Wirkung von Sa- tire und hat dies auch in diesem Fall nicht getan. Es ging um den Schutz der Persönlichkeitsrechte betroffener Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter und um die nötige Kor- rektur unwahrer Tatsachenbehauptungen. Der Senat hält jedoch eine Auseinandersetzung mit den Olympischen Spielen von 1936 „in angemessener und sachgerechter Weise“ auch in der aktuellen Olympia-Informationskampagne für geboten. 8. Ist der Senat generell der Ansicht, der Rechtsweg geeignet ist, um – angesichts des krassen Ungleichgewichts zwischen dem Senat und seinen steuerfinanzierten Werbeanstrengungen einerseits und der Kritik an der Olympiabewerbung andererseits hinsichtlich Ressourcen und Medienzugängen bei der Erzeugung von Olympiabegeisterung oder der Förderung kritischer Sichten und Stimmen – notwendig auf Aufmerksamkeit angelegte und daher auch provokante Kritik an der Senatspolitik mundtot zu machen? Zu 8.: Der Rechtsweg ist grundsätzlich geeignet und steht jedermann offen, gegen die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen vorzugehen und den Schutz der Persönlichkeitsrechte einzufordern. Kritik unterliegt der Meinungsfreiheit. 9. Wo beginnt und wo endet aus Sicht des Senats Satire, die sich mit seiner politischen Agenda auseinandersetzt? Zu 9.: Der Senat bewertet weder den Beginn, noch das Ende von Satire und hat dies auch zu keiner Zeit getan. 10. Ist dem Senat der Streisand-Effekt bekannt? Zu 10.: Ja. Berlin, den 27. Februar 2015 Der Regierende Bürgermeister In Vertretung Björn Böhning Chef der Senatskanzlei (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Mrz. 2015)