Drucksache 17 / 15 649 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 26. Februar 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. März 2015) und Antwort Wird der Gesetzentwurf zum PsychKG konform mit der UN-Behindertenrechts- konvention sein? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wird der Senat die Staatenberichtsprüfung zur Um- setzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) bzw. den „Constructive Dialogue“ und die Veröffentlichung der Abschließenden Bemerkungen („Concluding Observations“) abwarten, um deren Position zu Zwangsmaßnahmen mit in die Novellierung des Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) aufzunehmen? Wenn nein, warum nicht? 2. Berücksichtigt der Senat bei der Überarbeitung des PsychKGs Ziffer 38 des General Comment No. 1, also die autoritativen Auslegungen der Menschenrechte durch die zuständigen UN-Vertragsorgane, der besagt, dass die Zwangsbehandlung durch Psychiater*innen und andere Angehörige der Gesundheitsberufe Schutzrechte (die gleiche Anerkennung vor dem Recht, Recht auf Achtung der Unversehrtheit der Person, die Freiheit von Folter und das Recht, vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch) verletzt? Zu 1. und 2.: Der Entwurf des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) nimmt im Kontext der Behindertenrechts- konvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) die Vor- gaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsge- richt (2 BvR 882/09) vom 23. März 2011 zum Maßregel- vollzugsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz zur Frage der zwangsweisen Behandlung und den in diesem Kontext ergangenen weiteren Entscheidungen vom 12. Oktober 2011 zum Unterbringungsgesetz des Landes Baden- Württemberg (2 BvR 633/11) und vom 20. Februar 2013 zum Psychisch-Kranken-Gesetz des Freistaates Sachsen (2 BvR 228/12) zur gleichen Fragestellung sowie auf der in diesem Zusammenhang stehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012 (XII ZB 99/12) zur Zulassung zwangsweiser medizinischer Eingriffe im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf. Mit dem Ergebnis der Staatenberichtsprüfung zur Umsetzung der UN-BRK bzw. dem „Constructive Dialogue“ und der Veröffentlichung der Abschließenden Bemerkungen („Concluding Observations“) ist erst in der zweiten Jahreshälfte 2015 zu rechnen. Da mit den Ergebnissen der Staatenprüfung erst in der zweiten Jahreshälfte gerechnet wird, hält der Senat an der Absicht fest, den Gesetzentwurf zeitnah in das parlamen- tarische Verfahren einzubringen. Sollten sich aus der Staatenprüfung im Hinblick auf den Gesetzentwurf weite- re Aspekte und Anregungen zum Schutz der Persönlich- keitsrechte ergeben, können diese im jeweiligen Verfah- rensschritt berücksichtigt werden. 3. Sind dem Senat die Anmerkungen des Ausschusses über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen zum Thema Zwangsbehandlung be- kannt, und berücksichtigt er die Empfehlung, sicherzustel- len, dass Entscheidungen, die die körperliche und seeli- sche Unversehrtheit einer Person berühren, nur getroffen werden dürfen, wenn eine freie und informierte Einwilli- gung der betroffenen Person vorliegt? Zu 3.: Ja, sie sind bekannt und werden auf der Grund- lage der zu 1. und 2. genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, die Exekutive, Legislative und Judikati- ve binden, berücksichtigt. 4. Berücksichtigt der Senat beim Gesetzentwurf zum PsychKG den Bericht des UN-Hochkommissariat für Menschenrechte an die Generalversammlung der Verein- ten Nationen „zur Verbesserung der Sensibilisierung und dem Verständnis der Behindertenrechtskonvention“ vom 26. Januar 2009, in dem in den Abschnitten 48 und 49 klar gestellt wird, dass das Übereinkommen eine Frei- heitsentziehung aufgrund des Vorliegens einer Behinde- rung, einschließlich psychischer oder geistiger Behinde- rung als diskriminierend verbietet? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 649 2 Zu 4: Ja, allerdings muss sich der Gesetzentwurf auch mit dem Aspekt der Gefahrenabwehr auseinandersetzen. 5. Ist dem Senat bekannt, dass die Schlussfolgerung der Einschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit, die aus der Begutachtung eines Menschen, bei dem Män- gel seiner geistigen Fähigkeiten festgestellt worden seien, resultieren, vom UN-Ausschuss als diskriminierend dar- gestellt werden (Ziffer 12 und 13 des General Comment No.1 zu Artikel 12 Behindertenrechtskonvention)? Zu 5.: Die Fragestellung des Gesetzentwurfs befasst sich mit der Begutachtung eines Menschen zur Gefahren- abwehr (Untersuchung seines Gesundheitszustandes), in deren Folge eine Unterbringung nach PsychKG oder BGB resultieren könnte. Es ist derzeit rechtlicher Konsens, dass eine Untersuchung oder Befragung nicht abgelehnt wer- den kann. Eine derartige Untersuchung/Befragung durch eine Ärztin oder einen Arzt kann auch nicht durch eine entsprechende Patientenverfügung ausgeschlossen wer- den, wie dies beispielsweise bei einer medizinisch psychi- atrischen Behandlung möglich wäre. Die Untersuchung für das ärztliche Zeugnis umfasst dabei alle notwendigen Maßnahmen, um die Krankheit zu diagnostizieren und ihre Behandlungsbedürftigkeit festzustellen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auf die Haltung der Bundesregierung hin, die die General Com- ments zum Art. 12 der Konvention für unakzeptabel hält. Deutschland hat das auch entsprechend gegenüber dem Ausschuss kommentiert (http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/CRPD/GC/ FederalRepublicOfGermanyArt12.pdf). 6. Hat der Senat vor, einen menschenrechtlich kon- formen Gesetzentwurf zum PsychKG ins Parlament ein- zubringen? Wenn ja, wie ist der konkrete Zeitplan dafür? Zu 6.: Der Senat wird selbstverständlich einen unter menschenrechtlichen Aspekten rechtskonformen Entwurf des PsychKG in das Abgeordnetenhaus einbringen. Im Frühjahr steht nach der ersten Senatsbefassung die Betei- ligung des Rats der Bürgermeister und seiner Fachaus- schüsse und im Herbst die Befassung im Abgeordneten- haus an. 7. Wird sich der Senat auf Bundesebene für eine breite Psychiatriereform im Sinne der UN-Behindertenrechts- konvention einsetzen? Wenn ja, welche Schritte wird er dahingehend unternehmen? Wenn nein, warum nicht? Zu 7.: Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung obliegt die Zuständigkeit für das Betreuungsrecht dem Bundesgesetzgeber. Dieser hat das Betreuungsrecht im Jahr 2013 - insbesondere die Vorschriften über Unter- bringung und Behandlung - umfassend neu gestaltet. Mit dem beschlossenen und am 26. Februar 2013 in Kraft getretenen Gesetz wurde durch Änderungen in § 1906 BGB eine hinreichend bestimmte Regelung zur Einwilli- gung der Betreuerin oder des Betreuers in die Behandlung der Betreuten oder des Betreuten getroffen. Insofern sieht der Senat zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit zu einer erneuten Initiative zur Änderung des Betreuungs- rechts. Den jeweiligen Landesgesetzgebern obliegt – ebenfalls im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung – die Regelungszuständigkeit für Planung, Versorgung und Gestaltung der Unterbringung psychisch erkrankter Per- sonen. Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Zustän- digkeiten nehmen derzeit alle Länder eine Überarbeitung ihrer jeweiligen landesgesetzlichen Regelungen vor bzw. haben sie aktuell vorgenommen. Unabhängig davon ist das Land Berlin in der Arbeits- gruppe Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbe- hörden vertreten und begleitet und befördert seit vielen Jahren die Entwicklung der psychiatrischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Hierunter fällt auch die fachliche Begleitung der Weiterentwicklung der recht- lichen Grundlagen. Selbstverständlich werden u. a. auch Fragestellungen zur UN-Behindertenkonvention beraten. Berlin, den 23. März 2015 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mrz. 2015)