Drucksache 17 / 15 680 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE) vom 06. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. März 2015) und Antwort Sprachbarrieren überwinden. Wie ist der Gemeindedolmetschdienst aufgestellt? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Anfragen für Unterstützung durch den Gemeindedolmetschdienst gab es jeweils in den Jahren 2012, 2013 und 2014 und konnten diese Anfragen bedient werden? 2. Wie viele Sprachmittler*innen wurden jeweils in den Jahren 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 beim Ge- meindedolmetschdienst eingesetzt und welche Beschäfti- gungsverhältnisse (reguläres Arbeitsverhältnis, öffentlich gefördertes Beschäftigungsverhältnis, Honorare, usw.) haben sie (bitte nach Art der Beschäftigung auflisten)? 3. Hat es durch den Wegfall der Bürgerarbeit zum 1.1.2015 weitere Einschränkungen bei den Angeboten des Gemeindedolmetschdienstes gegeben? Wenn ja, in wel- chem Umfang? 4. Wie viele Anfragen von sozialen Beratungsstellen nach Unterstützung durch Gemeindedolmetscher konnten aufgrund der anfallenden Kosten nicht realisiert werden? Zu 1. – 4.: Da nicht bediente Anfragen nicht erfasst wurden, können nur Aussagen über Einsätze getroffen werden, die zustande kamen. Von Anfang an konnte der Gemeindedolmetschdienst auf einen Pool aus freien Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern zurückgreifen, die ihre Dienstleistungen auf Hono- rarbasis erbrachten. Die Einsätze dieser Gemeindedolmet- scherinnen und Gemeindedolmetscher finden v. a. im Gesundheitsbereich statt. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 konnte damit folgenden Anfragen entsprochen wer- den: 2012: 4591, davon 1718 in Krankenhäusern 2013: 6187, davon 2238 in Krankenhäusern 2014: 8304, davon 3375 in Krankenhäusern Seit 2007 wurden Einsätze u. a. in Schulen und Kin- dertagesstätten, sozialen Beratungsstellen darüber hinaus im Rahmen des gemeinnützigen Berliner Öffentlich ge- förderten Beschäftigungssektors (ÖBS) finanziert. Im Jahr 2012 konnten damit 455 Dolmetscheinsätze realisiert werden. Die Projektförderung endete zum August 2012. Ab 2012 konnten über eine Finanzierung im Rahmen Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma (AP Roma) drei Gemeindedolmetscherinnen und Gemeindedolmetscher angestellt werden. Diese werden in Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ber- linweit eingesetzt. In 2012 konnten damit 97 Einsätze stattfinden, im Jahr 2013 insgesamt 2919 Einsätze und im Jahr 2014 3997 Einsätze. Der Wegfall der Bürgerarbeit zum 01.01.2015 hatte keine weiteren Einschränkungen zur Folge, da der GDD nie Mittel aus diesem Programm erhielt, sondern mit dem Arbeitsmarktinstrument ÖBS/Beschäftigungszuschuss (BEZ) gefördert wurde. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Anzahl der Sprachmittlerinnen und Sprachmittler des Gemeindedolmetschdienstes (GDD) in den vergangenen fünf Jahren: Jahr MA in regulärem Arbeitsverhältnis (Zuwendungsmittel) MA im ÖBS MA auf Honorarbasis 2010 20 ø 80 2011 18 ø 85 2012 3 12 ø 90 2013 3 3 ø100 2014 3 3 ø124 MA= Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 680 2 5. Wie hoch waren die Kosten für die Inanspruchnah- me der Leistungen des Gemeindedolmetschdienstes in den vergangenen 5 Jahren und auf welcher Grundlage wurden und werden diese berechnet (bitte nach Jahren auflisten)? 8. Wer trägt in welcher Höhe und in welchem Umfang die Kosten für die Inanspruchnahme der Leistungen des Gemeindedolmetschdienstes, sofern sie nicht selbst von den privaten Nutzer*innen und den sozialen Beratungs- stellen abgegolten werden können? Zu 5. und 8.: Der GDD erhielt in den Jahren 2010 - 2013 eine Zuwendung aus Haushaltsmitteln der Senats- verwaltung für Gesundheit und Soziales in Höhe von 60.000 € / Jahr für die Regiestelle (1 Stelle Projektkoordination und Stellenanteile Verwaltung) und im Jahr 2014 in Höhe von 72.442 €. Die Räume für den GDD werden vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als Sachleistung gestellt. Im Rahmen des ÖBS wurde der GDD mit Arbeits- marktmaßnahmen aufgebaut und viele Jahre unterstützt. In diesem Zusammenhang wurden gemeinsam mit der Bundes-agentur für Arbeit die Dolmetscherstellen finan- ziert und damit für diese Personen eine Beschäftigungs- möglichkeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt geschaffen. Die Finanzierung wurde 2011 in die öffentlich geförderte Beschäftigung nach dem Programm BerlinArbeit über- führt und damit gesichert. Die Kosten für die Stellen, i.d.R. mtl. 1.300 € zzgl. Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung je Stelle bei einer Arbeitszeit von 40 Wochen- stunden und 975 € bei 30 Wochenstunden, sowie Sachkosten von durchschnittlich 140 € mtl. wurden aus Arbeitsmarktmitteln des Bundes und des Landes getragen. Für die Inanspruchnahme der Angebote im Rahmen des ÖBS/BEZ wurde kein Entgelt erhoben. Im Rahmen der Umsetzung der Berliner Strategie so- wie des AP Roma wurde der GDD in den Jahren von 2012 bis 2014 über die Vergabe einer Zuwendung aus Haushaltsmitteln der Senatsverwaltung für Arbeit, In- tegration und Frauen in die Förderung aufgenommen. Für die Inanspruchnahme der Angebote im Rahmen des AP Roma wird kein Entgelt erhoben. Die Verteilung der Mittel stellt sich für die einzelnen Haushaltsjahre wie folgt dar: 2012: 75.600 € 2013: 75.600 € 2014: 75.600 € 2015: 100.00 €. Die Kosten für die Inanspruchnahme von Dolmet- schleistungen auf Honorarbasis, schriftlichen Übersetzun- gen und telefonischem Dolmetschen werden von den beauftragenden Einrichtungen, z. B. Krankenhäuser, Be- zirksämter, sozialen Ein-richtungen, Schulen und Kitas übernommen. Die Honorare für eine Dolmetscheinheit betragen lt. „Haustarif“ des GDD konstant seit zehn Jahren 25 Euro pro 45 Minuten sowie zusätzlich 10 Euro Fahrtkostenpauschale. Diese Kosten werden insbesondere von Krankenhäusern und einigen freien Trägern über- nommen. Bei Einsätzen in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes richtet sich das Honorar für den GDD nach den jeweils gültigen Honorarverordnungen, insbesondere nach der Honorargruppe C2 der Verwaltungsvorschriften für Honorare im Bereich für Gesundheitswesen (HonVGes) und der Verwaltungsvorschriften für Honorare im Bereich für Sozialwesen (HonVSoz). 6. Hält der Senat die derzeitige finanzielle und perso- nelle Ausstattung des Gemeindedolmetschdienstes ange- sichts der steigenden Zuwanderung und der steigenden Anzahl von Flüchtlingen für ausreichend? Zu 6.: Die wachsende Nachfrage und komplexer wer- dende Anforderungen an die Regiestelle sowie das Aus- laufen der Finanzierung des telefonischen Vermittlungs- dienstes durch ein Arbeitsmarktinstrument ist eine Erhö- hung der personellen Ausstattung der Regiestelle drin- gend notwendig geworden. Daher wurden bereits im Haushaltsjahr 2015 die Mittel für die Regiestelle auf 100.112,77 € erhöht, um den Vermittlungsdienst weiter zu gewährleisten. Eine Finanzierung von Stellen für Ge- meindedolmetscherinnen und Gemeindedolmetscher aus Haushaltsmitteln der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ist derzeit nicht vorgesehen. 7. Welchen Bedarf an Angeboten des Gemeindedol- metschdienstes sieht der Senat und wie soll dieser zukünf- tig abgedeckt werden? Welcher Finanzierungsbedarf ist damit verbunden? Zu 7.: Hinsichtlich des quantitativen Bedarfs können dazu keine Angaben gemacht werden. Das große Spekt- rum der Einsatzgebiete gibt jedoch Anhaltspunkte dafür, wo Bedarf besteht: Ganz allgemein wird der GDD überall dort nachgefragt, wo komplexe Beratungssituationen vorliegen, bei Kriseninterventionen, sehr häufig in Arzt- Patientengesprächen, in Situationen, in denen bei den Klientinnen und Klienten konfliktbeladene oder tabube- haftete Themen angesprochen werden müssen, sowie bei Beratungen, deren Ergebnis rechtliche und/ oder finanzi- elle Konsequenzen nach sich zieht. Typische Settings im Gesundheitsbereich allgemein sind Anamneseerhebungen, Aufklärungen vor medizini- schen Behandlungen und der Abgabe von Einwilligungs- erklärungen sowie Entlassungsgespräche. Im Besonderen zu nennen wären z. B. Beratungen zu Sexualität und Schwangerschaft, Aufklärung vor Schutzimpfungen, Beratungen zu übertragbaren Krankheiten und Hygiene- maßnahmen, der gesamte Bereich der psychischen Stö- rungen und Belastungen, insbesondere auch im Zusam- menhang mit einem Traumageschehen, sowie Beratungen zu Kinderschutzthemen. Im Rahmen des AP Roma zur Einbeziehung ausländischer Roma finden darüber hinaus Einsätze bei Beratungen zum Krankenversicherungs- schutz statt. Demzufolge sind wichtige Einsatzorte die Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung, die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste oder das Behand- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 680 3 lungszentrum für Folteropfer, außerdem sozialpädiatri- sche Einrichtungen. Auch bei der Erstellung von ärztli- chen Gutachten bzw. Gutachten zur Ermittlung eines Pflegebedarfs wird der GDD hinzugezogen. Im Bereich Jugend und Bildung finden die Einsätze überwiegend in den Jugendämtern statt, z. B. bei Kindes- wohlgefährdungen, bei Beratungen zu Hilfen zur Erzie- hung, Hilfekonferenzen und Inobhutnahmen. Im Schulbe- reich handelt es sich um Einsätze bei Entwicklungs- und Konfliktgesprächen mit Eltern und Angehörigen sowie bei Elternabenden. Dies sind zumeist komplexe Gesprä- che mit Familien, bei denen eine kultursensible Verstän- digung unerlässlich ist und/ oder Einsätze mit interdiszip- linären Fachkräften. Weitere Einsatzorte sind: Kinder-, Jugend- und Mädchennotdienste, Frauenhäuser und Zu- fluchtswohnungen. Zunehmend wird der GDD von Einrichtungen, welche für die Beratung und Versorgung von Flüchtlingen zu- ständig sind, angefragt. Darüber hinaus gehören schriftliche Übersetzungen und telefonisches Dolmetschen zum Angebotsspektrum des GDD. 9. Wie viele Rahmenvereinbarungen mit Gesundheits- ämtern, Krankenhäusern und Gesundheitszentren wurden abgeschlossen, um das Angebot des Gemeindedolmetsch- dienstes breit zu verankern? Zu 9.:Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit vielen Berliner Krankenhäusern, jedoch nur eine Rahmenverein- barung mit der Psychiatrischen Institutsambulanz der Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin GmbH, St. Hedwig Krankenhaus. Eine weitere Rahmenvereinbarung besteht mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. 10. Wie viele Menschen haben in den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2014 an der 18monatigen Qualifizierung zum Sprach- und Integrationsmittler in Berlin teilgenom- men und wie viele haben das entsprechende Sprint- Zertifikat erhalten? Zu 10.: Die 18-monatige SprInt-Qualifizierung wird in Berlin erstmalig ab April 2014 mit momentan 19 Teil- nehmenden durchgeführt und endet mit den Prüfungen im September 2015. Der zweite Kursus startete Ende Februar 2015, allerdings mit erheblich weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmern, was an der erschwerten Zuweisungs- praxis der JobCenter für die benötigten Bildungsgutschei- ne liegt. Das hierfür (u. a. durch den GDD) entwickelte Qualifizierungskonzept besteht seit 2013. 11. Hält der Senat eine staatliche Anerkennung für den Berufes des/der Sprach- und Kulturmittler*in für notwen- dig? Wenn ja, wie hat er dies bisher unterstützt und wel- che weiteren Schritte plant er? Wenn nein, warum nicht? Zu 11.: Der Senat würde eine staatliche Anerkennung für den Beruf der Sprach- und Kulturmittlerin/ des Sprach- und Kulturmittlers sehr begrüßen, da damit so- wohl eine Profilschärfung gegenüber niedrigschwelligen Angeboten wie Lotsinnen und Lotsen einerseits als auch gegenüber beeidigten (Gerichts-)Dolmetscherinnen und Dolmetschern andererseits verbunden wäre. Durch eine Standardisierung der Ausbildung bzw. Qualifikation könnte zudem bundesweit ein Beitrag zur Qualitätssiche- rung geleistet werden. Nicht zuletzt hält der Senat die staatliche Anerkennung als Beruf deshalb für notwendig, weil dadurch eine Grundlage für eine verlässliche tarifli- che Eingruppierung bei Anstellungsverhältnissen bzw. für künftige Honorarbemessungen geschaffen würde. Der Weg zur staatlichen Anerkennung ist jedoch lang. Daher hat der Senat die Initiative der Sprint-Qualifi- zierung aktiv unterstützt, in dem er z. B. im Beirat mit- wirkte. Berlin, den 27. März 2015 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Mrz. 2015)