Drucksache 17 / 15 818 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marion Platta und Harald Wolf (LINKE) vom 19. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. März 2015) und Antwort Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung in Berlin nur auf dem Papier? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft u.a. Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist jedoch bemüht, Ihnen eine er- schöpfende Antwort auf Ihre Schriftliche Anfrage zu- kommen zu lassen und hat daher die Berliner Wasserbe- triebe (BWB) um eine Stellungnahme gebeten. Diese haben mitgeteilt, dass zu den unter 1., 2., 9. und 10. abge- fragten Daten routinemäßig keine Statistiken geführt werden. Die Beantwortung der Fragen 1, 2, 9 und 10 wurde von den BWB in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt. Frage 1: Wie hoch ist der Anteil von Niederschlags- wasser in Berlin, das von versiegelten, bebauten und bebaubaren Flächen der Versickerung über die belebte Bodenschicht oder gleichwertige Schicht zugeführt wird, im Verhältnis zum in die Kanalisation (Misch- und Trennsystem) abgeleiteten Niederschlagswasser? Wie bewertet der Senat dieses Verhältnis aus Sicht der Ziel- stellungen des Berliner Wassergesetzes? Antwort zu 1: Diese Statistik wird bei den BWB nicht erhoben. Bei den BWB werden nur die privaten Flächen regis- triert, die an die öffentlichen Anlagen (Kanalisation und Versickerungsanlagen wie Mulden und Rigolen) ange- schlossen sind. Über die Anlagen der BWB wird insgesamt eine Flä- che von 130 km² entwässert. Der weit überwiegende Anteil des dort anfallenden Regenwassers wird durch die Kanalisation abgeleitet. Von der Gesamtfläche von 130 km² sind rund 300.000 m² Flächen an öffentliche Versi- ckerungsanlagen der BWB angeschlossen. Der Senat ist gemäß den Grundsätzen einer nachhalti- gen Nierschlagswasserbewirtschaftung weiterhin bestrebt, den Anteil der Niederschlagswasserversickerung gegen- über der Ableitung in die Kanalisation zu erhöhen, sofern keine nachteiligen Auswirkungen zu besorgen sind. Eine Bewertung der o.g. Flächenverhältnisse führt allerdings ohne eine Berücksichtigung der regionalen baulichen, geologischen und wasserwirtschaftlichen Bedingungen zu keiner tragfähigen Aussage. Frage 2: Wie hoch ist der Anteil von in die Kanalisa- tion (Misch- und Trennsystem) abgeleitetem Nieder- schlagswasser, das von seiner Qualität her auch über die belebte Bodenschicht oder gleichwertige Schicht hätte versickert werden können, wenn diese in ausreichendem Maße zur Verfügung stünde? Antwort zu 2: Unter der Annahme, dass das Regen- wasser von Dachflächen mit Ausnahme von Sonderfällen grundsätzlich einer Versickerung zugeführt werden könn- te, beläuft sich der Flächenanteil, der versickert werden könnte, auf rund 5.000 ha. Alle weiteren Flächen unter- liegen einer Einzelfallprüfung. Frage 3: In wie vielen Fällen ist in Berlin der Grund- satz, Niederschlagswasser über die belebte Bodenschicht versickern zu lassen, in Bebauungsplänen in Form von textlichen Festlegungen oder durch wasserwirtschaftliche Begleitpläne festgeschrieben worden? Wer beurteilt an- hand welcher Gegebenheiten bei Neubauvorhaben die Aufnahmefähigkeit des Bodens für Niederschlagswasser auf den jeweiligen Grundstücken? Antwort zu 3: Die Senatsverwaltung für Stadtent- wicklung und Umwelt führt keine Statistik über spezifi- sche Inhalte von festgesetzten Bebauungsplänen. Die Antragstellerin/ Der Antragsteller hat anhand von Gutachten, Stellungnahmen usw. nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für eine Niederschlagswasserversicke- rung gegeben sind. Neben der Aufnahmefähigkeit des Bodens (Kf-Wert) fließen die lokal vorherrschenden Grundwasserstände, die Altlastensituation eines Standor- tes und die zur Verfügung stehende Fläche in die Beur- teilung ein. Die Wasserbehörde führt eine Plausibilitäts- prüfung dieser Unterlagen durch. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 818 2 Frage 4: Wie arbeiten die Berliner Wasserbetriebe, bezirklichen Ämter, landeseigenen Wohnungsbaugesell- schaften, anderen landeseigenen Unternehmen mit Ge- bäudebestand und Grundstücken mit der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zu- sammen, um Niederschlagswasser ökologisch und dezent- ral zu bewirtschaften? Antwort zu 4: Im Verbundforschungsvorhaben „Konzepte für urbane Regenwasserbewirtschaftung und Ab- wassersysteme“ (KURAS) wird modellhaft untersucht, wie durch intelligent gekoppeltes Regenwasser- und Ab- wassermanagement die zukünftige Abwasserentsorgung, die Gewässerqualität, das Stadtklima und die Lebensqua- lität einer Stadt verbessert werden können. KURAS findet in enger Zusammenarbeit zwischen Fachpartnern aus Forschung und Praxis und den Berliner Entscheidungsträgern statt. Die Projektkoordination liegt bei der Technischen Universität (TU) Berlin und dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin. Das Projekt KURAS wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmenprogramm „FONA - Forschung für nachhaltige Entwicklungen“ innerhalb der Fördermaßnahme „Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung“ gefördert. Die beteiligten Unternehmen beteiligen sich zudem durch Eigenanteile. Das Kompetenzzentrum Wasser Berlin erhält eine Co-Finanzierung durch die Berliner Wasserbetriebe und Veolia Wasser. Frage 5: Von welchen besonders vorbildlichen Bei- spielen für eine Umsetzung der in § 36 a Abs. 1 des Ber- liner Wassergesetzes vorgesehenen Versickerung von Niederschlagswasser ohne nachteilige Auswirkungen für Gewässer und Grundwasser haben der Senat und seine Verwaltungen Kenntnis, die ohne Aufstellung einer spe- ziellen Rechtsverordnung zur Versickerung von Nieder- schlagswasser über die belebte Bodenschicht beitragen? Antwort zu 5: Es gibt verschiedene Modellvorhaben zum Thema Regenwasserbewirtschaftung in Berlin. Frage 6: Warum werden nutzungsberechtigte Flä- cheninhaber nicht prinzipiell per Rechtsverordnung zu Maßnahmen der Versickerung, Reinigung, Zurückhal- tung, Nutzung oder Ableitung von Niederschlagswasser verpflichtet - auch unter Berücksichtigung der jeweiligen geologischen und wasserwirtschaftlichen Gegebenheiten in den jeweiligen Stadtteilen? Antwort zu 6: Bisher haben sich aus wasserwirt- schaftlicher Sicht noch keine Gründe ergeben, flächende- ckend im Stadtgebiet Versickerungsmaßnahmen durch Rechtsverordnung vorzuschreiben. Frage 7: Welche Konsequenzen hätte eine Verpflich- tung zu Maßnahmen der Versickerung, Reinigung, Zu- rückhaltung oder Ableitung von Niederschlagswasser, die bereits heute per Gesetz durch § 36a Berliner Wasserge- setz (BWG) möglich ist, für Nutzungsberechtigte von Grundstücken und das Land Berlin? Antwort zu 7: Eine Regelung einer umfassenden Re- genwasserversickerungspflicht durch Rechtsverordnung würde bedeuten, dass hiermit für die Nutzungsberechtig- ten von Grundstücken eine diesbezügliche Verpflichtung eingeführt würde. Frage 8: Gedenkt der Senat, eine entsprechende Rechtsverordnung unabhängig von Bebauungsplänen zu er-lassen? Wenn ja, wann? Antwort zu 8: Bisher bestehen aus wasserwirtschaftli- cher Sicht keine derartigen Überlegungen. Frage 9: In wie vielen Fällen haben die Berliner Was- serbetriebe seit der ersten Umsetzung von Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie das Einleiten von Niederschlagswasser in die Kanalisation (Misch- und Trennsystem) bei Neubauvorhaben be- schränkt? Welche Gebiete waren davon besonders betrof- fen? Antwort zu 9: Die Einleitbeschränkungen bei Neu- bauvorhaben richten sich maßgeblich nach den durch das Land Berlin erteilten wasserrechtlichen Genehmigungen. Darüber hinaus wird auch die vorhandene Kapazität des Kanalnetzes berücksichtigt. Frage 10: Nach welchen Verfahren bestünde die Mög- lichkeit, erteilte Einleitgenehmigungen für das Ableiten von Niederschlagswasser in die Kanalisation (Misch- und Trennsystem) aufzuheben und neu festzulegen? Antwort zu 10: Nach Vertragsabschluss mit dem Grundstückseigentümer/ der Grundstückseigentümerin sind die BWB verpflichtet, die Möglichkeit der Regen- wassereinleitung aufrecht zu erhalten. Frage 11: Welche Pläne verfolgt der Senat, Quartiere als Ganzes zu betrachten und zum Beispiel durch land- schaftsplanerische Maßnahmen Teiche oder öffentliche Grünflächen (Parks) anzulegen, damit das Nieder- schlagswasser versickern kann und es bei Starkregener- eignissen insbesondere im Abwassermischsystem nicht zu Überläufen von Schmutzwasser in die Oberflächengewäs- ser kommt? Antwort zu 11: Im Verbundforschungsvorhaben KURAS wird am Beispiel von ausgewählten Stadtflächen in Berlin exemplarisch gezeigt, wie durch viele kleine im Stadtgebiet verteilte dezentrale Maßnahmen der Regen- wasserbewirtschaftung wie Gründächer, Versickerungs- mulden, Teiche und auch klassische Regenspeicher die Kanalisation entlastet und dabei das Stadtklima verbessert werden kann. Weitere Untersuchungen haben die Aus- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 818 3 wirkungen des Klimawandels auf die Bewirtschaftung des Kanalnetzes im Fokus. Hier sollen Lösungen für zuneh- mend auftretende Probleme durch Unterbelastung der Kanäle durch länger werdende Trockenperioden bei gleichzeitiger Verschärfung von Überlastphasen bei Starkregen erarbeitet werden. Frage 12: Welche finanziellen Anreizsysteme und Fördermöglichkeiten gibt es für eine dezentrale Regen- wasserbewirtschaftung in Land Berlin und aus den För- dermöglichkeiten von Programmen der EU und des Bun- des? Antwort zu 12 In Berlin erfolgt eine indirekte Förde- rung von Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung durch die Reduzierung der Niederschlagswasserentgelte. So werden z.B. bei begrünten Dachflächen nur 50% der jeweiligen Fläche bei der Berechnung des Niederschlags- wasserentgelts angesetzt. Weitere Verminderungen der anzusetzenden versiegelten Flächen können vom Kunden beantragt werden, wenn der Nachweis erbracht ist, dass durch verschiedenen andere Maßnahmen der Regenwas- serbewirtschaftung (z.B. Verdunstung, Betriebswas- sernutzung, Versickerung) eine verminderte Einleitung von Niederschlagswasser in den Kanal erfolgt. Frage 13: Sind dem Senat Untersuchungen zu Kosten- einsparungen durch eine dezentrale Regenwasserbewirt- schaftung bekannt? Wenn ja, welche, und wie werden die Ergebnisse der Untersuchungen zum Anlass genommen, diese im Verwaltungshandeln entsprechend in die Praxis umzusetzen? Antwort zu 13: Berlin hat in den letzten Jahren ver- schiedene Aktivitäten zum Thema Regenwasserbewirt- schaftung ergriffen, z.B Durchführung von Modellvorha- ben. Die Projektergebnisse werden in Broschüren und Dokumentationen veröffentlicht und fließen in Leitfäden und Arbeitshilfen ein. Diese können u.a. im Internet abge- rufen werden. Berlin, den 02. April 2015 In Vertretung Christian Gaebler ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Apr. 2015)