Drucksache 17 / 15 859 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 16. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. März 2015) und Antwort Menschenverachtende Hass-Predigten in der Neuköllner Al-Nur-Moschee Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die wiederholten öffentlich gewordenen radikalen antisemitischen, frauenverachten- den, homophoben und nicht mit unserer freiheitlich- demokratischen Grundordnung zu vereinbarenden Hass- Predigten in der Neuköllner Al-Nur-Moschee? Zu 1.: Die vorliegenden Erkenntnisse über die Predig- ten in der „Al-Nur-Moschee“ verdeutlichen, dass dort ein Islam salafistischer Prägung propagiert wird. Die Inhalte der Predigten richten sich häufig gegen die verfassungs- mäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständi- gung. Hinzu kommt, dass in Bittgebeten wiederholt zur Unterstützung von Kämpferinnen bzw. Kämpfern aufge- rufen wird, die in jihadistischen Gruppierungen aktiv sind. Ein klarer Bezug zur Gewaltorientierung ergibt sich zudem durch die nach wie vor enge Bindung des Mo- scheevorstands an einen früheren Vereinsvorsitzenden, der heute im Libanon lebt und dort in terroristische Akti- vitäten eingebunden ist. Das in den Predigten der „Al-Nur-Moschee“ regelmäßig verbreitete extremistische Gedankengut im Sinne des Salafismus enthält folgende Kernelemente: 1. die Befürwortung von Gewaltanwendung, insbe- sondere durch die Verherrlichung des bewaffneten Kampfes terroristischer Gruppierungen 2. die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates 3. Antisemitismus 4. die Ablehnung der Gleichberechtigung der Frau. In der jüngeren Vergangenheit sind im Nachgang zu zwei Freitagspredigten von Gastimamen mehrere Strafan- zeigen erstattet worden. So gingen bei der Polizei Berlin nach der Predigt am 18. Juli 2014 und der Predigt am 23. Januar 2015 mehrere Strafanzeigen u.a. wegen Verdachts der Volksverhetzung ein. Im Fall der ersten Predigt erging am 2. März 2015 ein Strafbefehl an den entsprechenden Gastimam durch das Amtsgericht Tiergarten wegen Volksverhetzung. Es wur- de eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen (á 80,00 Euro) festgesetzt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Imam mit seiner Predigt zumindest billigend in Kauf genommen habe, bei den Zuhörern eine feindselige Haltung allge- mein gegen Juden, auch als Bevölkerungsgruppe in Deutschland, hervorzurufen. Im zweiten Fall liegen die Ermittlungsergebnisse der Polizei Berlin derzeit der Staatsanwaltschaft Berlin zur strafrechtlichen Bewertung vor. 2. Welchen Handlungsbedarf sieht der Senat auf- grund der menschenverachtenden Hetze? Zu 2.: Der Senat tritt menschenverachtender Hetze mit allen strafrechtlich, ausländerrechtlich und vereinsrecht- lich Erfolg versprechenden Mitteln entgegen. So prüft z. B. die Ausländerbehörde Berlin in enger Abstimmung mit Polizei und Verfassungsschutz, ob auf- enthaltsbeendende oder – wenn dies nicht aussichtsreich erscheint - zumindest statusverschlechternde Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg ergriffen werden können. Einzel- fälle, die - zumindest prognostisch - von besonderer Bedeutung sind und/oder einen erhöhten Koordinierungs- und Kooperationsbedarf erwarten lassen, werden in der Arbeitsgruppe extremistische Ausländer (AG ExtrA) bearbeitet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 859 2 3. Plant der Senat ein Verbot des Trägervereins der Al-Nur-Moschee? Zu 3.: Derzeit werden die Voraussetzungen für ein entsprechendes Verbot geprüft. Nach § 3 des Vereinsge- setzes (VereinsG) kann ein Verein verboten werden, wenn seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zu- widerlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Der Gesetzgeber hat hier sehr hohe rechtliche Hürden an Vereinsverbote geknüpft, zumal im vorliegen- den Fall die religiöse Vereinigungsfreiheit als Teil der in Artikel 4 des Grundgesetzes verankerten Religionsfreiheit nur unter sehr engen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann. Es wird um Verständnis dafür gebeten, dass über das weitere Vorgehen und den aktuellen Stand von möglichen Verbotsmaßnahmen, auch im Rahmen von Schriftlichen Anfragen, keine Auskunft erteilt werden kann, da Ermitt- lungen in Vereinsverbotsangelegenheiten generell als Verschlusssachen gehandhabt werden. 4. Plant der Senat zu prüfen, ob die rechtlichen Vo- raussetzungen gegeben sind, um dem Verein den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen? Zu 4.: Zum Besteuerungsverfahren in Einzelfällen können keine Auskünfte erteilt werden. Alle Informatio- nen, die einen konkreten Steuerfall betreffen, sind durch das Steuergeheimnis i.S. d. § 30 Abgabenordnung ge- schützt und dürfen daher ohne Zustimmung der bzw. des Betroffenen grundsätzlich nicht offenbart werden. 5. Weshalb hat das zuständige Senatsmitglied nach öffentlichem Bekanntwerden der jeweiligen Hass- Predigten in der Al-Nur-Moschee nicht von der Möglich- keit Gebrauch gemacht, die radikalen ausländischen Gast- Prediger wegen der Gefährdung der freiheitlich- demokratischen Grundordnung und Sicherheit der Bun- desrepublik Deutschland nach § 54 Nr. 5a Aufenthaltsge- setz aus Deutschland auszuweisen? Zu 5.: Ausländerrechtliche Maßnahmen gegen soge- nannte „Hassprediger“ bedürfen aufgrund der in diesen Fallkonstellationen meist betroffenen Grundrechte der Religions- und Meinungsfreiheit stets einer außeror- dentlich sorgfältigen Prüfung. Außerdem werden durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bereits be- züglich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 a Aufenthaltsgesetz sehr hohe Anforderungen gestellt. So stellt nicht jede Äußerung, die im Widerspruch oder in einem Spannungsverhältnis zur freiheitlich demokrati- schen Grundordnung steht, bereits eine Gefährdung im Sinne des § 54 AufenthG dar. Weiterhin ist zu berück- sichtigen, dass europarechtliche Vorgaben, die die aufent- haltsrechtliche Systematik der Ausweisungstatbestände weitgehend überlagert haben, stets eine einzelfallbezoge- ne Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrechten der bzw. des Betroffenen und dem Grad seiner Gefährlichkeit erfordern. Schließlich ist zu beachten, dass Erkenntnisse zur Gefährlichkeit, die mit nachrichtendienstlichen Mit- teln gewonnen wurden, im Verwaltungsprozess nur ein- geschränkt genutzt werden können, da sich eine Offenle- gung nachrichtendienstlicher Quellen im Regelfall verbie- tet. Soweit ausländerrechtliche Maßnahmen unter Berück- sichtigung der hohen tatsächlichen und rechtlichen An- forderungen im Einzelfall Aussicht auf Erfolg bieten, werden sie durch die Berliner Behörden ergriffen und konsequent umgesetzt. 6. Welche Präventionsprogramme gibt es in Berlin und in den einzelnen Bezirken, um einer religiösen Fun- damentalisierung oder Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen weitestgehend entgegenzuwirken? Zu 6.: Die zunehmende Attraktivität, insbesondere des salafistischen Islamismus unter jungen Menschen, erfor- dert parallel zu Repressionsmaßnahmen auch Maßnahmen der Prävention und der Deradikalisierung, mit denen der Senat dem Entstehen salafistischer und jihadistischer Radikalisierungen bereits im Vorfeld zu begegnen ver- sucht. Entsprechende Programme der Extremismusprä- vention werden in Deutschland sowohl von staatlichen Trägern (z.B. der Senatsverwaltung für Inneres und Sport) als auch von zivilgesellschaftlichen Trägern angewandt. Einschlägige in der Prävention islamistisch-salafistischer Radikalisierungen tätige zivilgesellschaftliche Einrich- tungen in Berlin sind etwa: • Violence Prevention Network e.V. (VPN) • ZDK Zentrum Demokratische Kultur – Beratungs- stelle Hayat • Ufuq e.V. • KIgA e.V. Obwohl die Träger teilweise unterschiedliche Ansätze der Islamismus- und Salafismusprävention verfolgen, ist allen die Sensibilisierung und Kompetenzstärkung der Öffentlichkeit gegenüber extremistischen Tendenzen gemeinsam. Zur Präventionsarbeit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gehört etwa die Aufklärung über sämtliche Formen des islamistischen Extremismus (Is- lamismus) sowie dessen Abgrenzung von der Religion des Islam. Hierzu werden von Islamwissenschaftlerinnen bzw. Islamwissenschaftlern der für Verfassungsschutz zuständigen Abteilung für Schulen, Polizeibehörden, der Justiz, politischen Stiftungen, Universitäten, Politik und Wirtschaft Vorträge und Fortbildungen zum Themen- komplex „Islamismus / Salafismus“ und „Islamistischer Terrorismus“ sowie zu hiervon ausgehenden Radikalisierungsgefahren angeboten. Die Vorträge wie auch entspre- chende Symposien und Publikationen sollen die Rezipien- ten in die Lage versetzen, extremistische Phänomene und Radikalisierungen zu erkennen und sie von verfassungs- konformen und durch die Religionsfreiheit gedeckten religiös-kulturellen Praktiken des Islam zu unterscheiden. Als Grundlagenmaterial verfügt die Senatsverwaltung für Inneres und Sport über mehrere Broschüren, die die Aufklärung der Allgemeinheit zum Inhalt haben. Hierzu gehört „Islamismus–Diskussion eines vielschichtigen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 859 3 Phänomens“ (Reihe „Im Fokus“), „Islamismus“ aus der Reihe „Info“ sowie die im Januar 2015 veröffentlichte Broschüre der Reihe Info „Salafismus als politische Ideologie “. Darüber hinaus verwendet und vertreibt die Senatsverwaltung für Inneres und Sport ihre 2011 publizier- te Deradikalisierungsbroschüre „Zerrbilder von Islam und Demokratie – Argumente gegen extremistische Interpretationen von Islam und Demokratie“, die vor allem Lehrkräfte und andere Multiplikatoren in der geistig- politischen Auseinandersetzung mit radikalen Ansichten unterstützt. Es wird im Übrigen auch auf die Antworten des Ber- liner Senats auf die Fragen 11. bis 14 der Schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Danny Freymark vom 9. Sep- tember 2014 (Drucksache 17/14 523) hingewiesen. 7. Wie wird der Senat die Prävention stärken, um ei- ner religiösen Fundamentalisierung oder Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen weitestgehend entgegen- zuwirken? Zu 7.: Der Umgang mit der sicherheits- wie gesell- schaftspolitischen Herausforderung der rapiden Zunahme jihadistisch-salafistischer Radikalisierungen in Deutsch- land erfordert verstärkte Bemühungen und neue Ansätze der Prävention, die auch Interventions- und Deradikalisie- rungsmaßnahmen umfassen. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport richtete daher zum 1. April 2015 ein Netzwerk gegen jihad-salafistische Radikalisierung ein. Die konkrete Beratungs-, Deradikalisierungs- und Aus- stiegsarbeit mit jihadismusaffinen Personen wird durch den zivilgesellschaftlichen Verein „Violence Prevention Network e.V.“ (VPN) geleistet. Die Angebote des Deradikalisierungsnetzwerks rich- ten sich an Jugendliche und junge Erwachsene, die einem islamistischen Radikalisierungsprozess unterliegen und noch keine Ausstiegsmotivation formulieren, sowie an junge Menschen, die sich von der islamistischen bzw. jihadistischen Szene distanzieren wollen. In die Arbeit werden auch Angehörige ausstiegs- und distanzierungs- williger Jugendlicher und junger Menschen einbezogen. Ziel des Deradikalisierungsnetzwerks der Senatsver- waltung für Inneres und Sport ist die Einleitung von Dis- tanzierungs- und Deradikalisierungsprozessen von jihad- salafistischem Gedankengut bei bereits radikalisierten Personen. Darüber hinaus geht es um eine Demobilisie- rung gewaltbereiter Personen, d.h. Personen, die zur Aus- übung des militanten Jihad bereit sind. Sie sollen von der Bereitschaft zur Ausübung terroristischer Gewalt abge- bracht werden. In erster Linie geht es darum, junge Män- ner und Frauen davon abzubringen, in die Bürgerkriegs- gebiete Syrien und Irak zu reisen, um sich dort terroris- tisch ausbilden zu lassen und Kampferfahrungen zu sam- meln. Die Arbeit schließt die Deradikalisierung so ge- nannter Jihad-Rückkehrer nach Deutschland ein. Die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen beabsichtigt, Fördermittel des Bundespro- gramms „Demokratie leben!“ zu beantragen, um damit Fortbildungs- und Beratungsangebote für Fachkräfte der schulischen wie außerschulischen Bildung im Kontext gewaltorientierten Islamismus im Land Berlin zu initiie- ren. Berlin, den 02. April 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Apr. 2015)