Drucksache 17 / 15 902 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Susanna Kahlefeld (GRÜNE) vom 26. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. März 2015) und Antwort Geht es endlich weiter mit der Gefangenen-Seelsorge für Muslime und Musliminnen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Aufgabe hat der neu gegründete Beirat? Wie oft hat er bisher getagt und wie ist er zusammenge- setzt? Zu 1.: Um den muslimischen Inhaftierten eine religiö- se Betreuung durch Vertreterinnen und Vertreter ihrer Glaubensgemeinschaft zu ermöglichen und somit den religiösen Ansprüchen dieser Inhaftierten noch besser und strukturierter zu entsprechen, wurde der „Berliner Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter“ gegründet. Er soll dieses Vorhaben beratend begleiten und die Umsetzung in den Justizvollzugsanstalten unterstüt- zen. Am 19. Februar 2015 hat das erste Treffen des Beira- tes stattgefunden. Ein Folgetreffen ist für den 20. April 2015 geplant. Der Beirat setzt sich wie folgt zusammen: Vertreterinnen und Vertreter muslimischer Verbände und Gemeinden: Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge e.V., Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., Islamische Gemeinschaft der Schiitischen Gemein- den Deutschlands, Sermerkant Glaubens- und Kulturzent- rum e.V., Berliner Strafgefangenen und Krankenhilfe e.V., Alevitische Gemeinde Berlin, Berliner Islamforum. Vertreterinnen der Wissenschaft: Humboldt Universität zu Berlin, Freie Universität Berlin, Runder Tisch für ausländische Inhaftierte. Vertreterinnen und Vertreter des Berliner Senats: Staats- sekretär Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucher- schutz, Referent der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, Berliner Integrationsbeauftrage, Ber- liner Beauftragter für Religion und Weltanschauungsge- meinschaften. Vertreterinnen und Vertreter der Berliner Justizvollzugs- anstalten: Leitungen der Justizvollzugsanstalt Heidering und der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges Berlin. 2. Wird der Beirat künftig Seelsorger auswählen und wie ist gewährleistet, dass der Verfassungsschutz nicht wieder im Nachhinein Personen „aussortiert“? Zu 2.: Die genaue Vorgehensweise, in welchem Ver- fahren die Imame und religiösen Betreuerinnen und Be- treuer empfohlen und ausgewählt werden, wird durch den Beirat in einer der kommenden Sitzungen festzulegen sein. Vor einer konkreten Festlegung und dem Einsatz in den Justizvollzugsanstalten wird die Sicherheitsüberprü- fung durchgeführt werden, so dass es nicht nachträglich zu Ablehnungen kommen muss. 3. Wie ist künftig die Ausbildung neuer Seelsorger or- ganisiert? Wer trägt die Verantwortung, wer finanziert? Zu 3.: Die genaue Vorgehensweise, in welchem Ver- fahren die Imame und religiösen Betreuerinnen und Be- treuer für die Seelsorge im Strafvollzug aus- und fortge- bildet werden, wird durch den Beirat in einer der kom- menden Sitzungen festzulegen sein. Die notwendigen finanziellen Mittel werden durch die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz getragen. 4. Wer ist im Dachverband vertreten, der von musli- mischer Seite zur Einrichtung der Gefangenen-Seelsorge gegründet wurde? Zu 4.: Einen Dachverband zur Einrichtung der Gefan- genen-Seelsorge kennt der Senat nicht. Die 2012 gegrün- dete „Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge “ e.V. (AGMGS) ist ein Zusammenschluss von sunnitisch-muslimischen Vereinen (DITIB/Türkisch- Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., Islami- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 902 2 sche Föderation Berlin, IBMUS/Initiative Berliner Mus- lime, Deutsch-Arabischer Kulturverein/Haus der Weisheit e.V., Lichtjugend e.V., Islamic Relief Deutsch- land/Muslimisches Seelsorge Telefon, Gemeinschaft muslimischer Juristen e.V.) mit dem Vereinszweck der „Förderung der islamischen Seelsorge für Strafgefangene … und die Förderung der islamischen Religion“. 5. Wann hat sich das Islamforum 2013, 2014 und 2015 getroffen und was sind die aktuellen Themen dort? Zu 5.: Das Islamforum hat am 06.01.2013, am 05.06.2013 und am 12.02.2015 getagt. Kurzprotokolle der Sitzungen, die 2013 stattgefunden haben, sind über den Link: www.berlin.de/lb/intmig/themen/islamforum/index. abrufbar. Auf der Sitzung im Februar 2015 wurden insbe- sondere die Themen Staatsvertrag mit Muslimen, Sach- stand zu den Themen muslimische Gefängnisseelsorge, muslimische Friedhöfe bzw. Gräberflächen und Lehrstuhl islamische Theologie erörtert. Das Kurzprotokoll der Sitzung wird in Kürze auf der angegebenen Website ein- gestellt werden. Darüber hinaus hat am 31.3.2015 die Arbeitsgruppe „Aufnahme neuer Mitglieder in das Islamforum“ getagt und u. a. die Aufnahme der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz beschlossen. 6. Wie viele Seelsorger sind jetzt schon für muslimi- sche Gefangene da? 7. Welche Ausbildung bzw. Vorbereitung haben diese Seelsorger für ihre Aufgabe bekommen? Zu 6. und 7.: Aktuell werden die muslimischen Inhaf- tierten durch sechs Imame betreut, die aufgrund ihrer theologischen Ausbildung oder ihres Status in den musli- mischen Gemeinden Gruppenangebote und Einzelgesprä- che anbieten, Aktivitäten zu hohen muslimischen Feierta- gen oder das Freitagsgebet in der Justizvollzugsanstalt Tegel begleiten. 8. Wie kann gewährleistet werden, dass den Gefange- nen Seelsorger unterschiedlicher Ausrichtungen und/oder Traditionen des Islams zur Auswahl stehen? Zu 8.: Um dieses zu gewährleisten, wurde der „Berliner Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaf- tierter“ gegründet. 9. Wie viele zukünftige Seelsorger haben an den „Einführungskursen Seelsorge“ 1 bis 4 im November und Dezember 2012 teilgenommen? Zu 9.: An den Ausbildungskursen haben 2012 insge- samt 28 Personen teilgenommen. 10. Was haben diese Kurse und ihre Vorbereitung ge- kostet? Was wurde insgesamt in diesen ersten Versuch einer Einführung muslimischer Gefängnisseelsorge inves- tiert? Zu 10.: Für die Vorbereitung der Einführung einer strukturierten religiösen Betreuung muslimischer Inhaf- tierter und insbesondere für die Vorbereitung und Durch- führung der Ausbildungskurse wurden insgesamt 15.000,00 € investiert. 11. Welchen Stundenumfang und welche inhaltlichen Blöcke hatte die Ausbildung? Bitte auch die Termine nennen. 12. Wer war an der Entwicklung und Durchführung der Kurse beteiligt? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 902 3 Zu 11. und 12.: Datum/Zeit Inhalte Vorbereitung/Dozenten 27.09.2012, 19:00 bis 21:00 Uhr Einführungsabend für die Kursteilneh-merinnen und Kursteilnehmer: Projektvorstellung, Vorstellung der Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer, Information zum Überprüfungsverfahren Herr Sagir (AGMGS) Herr Durmosch (Lichtjugend) Frau Knobloch (Runder Tisch) Herr Abraham (SenJustV*) 10.11.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge I.: Art und Umfang seelsor- gerischer Betreuung, Übungen zum Kennenlernen, Zu- hören, Erfahrungen der Kursteilnehmerinnen und Kurs- teilnehmer, was ist Seelsorge, Rahmen der Seelsorge, bes. Ereignisse, Suizide, Regeln, Rollenverständnis u. a. Herr Sagir (AGMGS) Herr Durmosch (Lichtjugend) Herr Dabrowski (Pfarrer JVA* Tegel) Herr Matz (Pfarrer JVA Tegel) 11.11.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge I.: Religiöse Bedeutung der muslimischen Seelsorge, Schuld, Reue, Strafe, Sühne im Islam, Straffälligenhilfe im Koran, Fallbeispiele Alltagsprobleme in Haft, Haftalltag, Problem für Mus- lime in Haft, Rolle des Seelsorgers aus Sicht der Inhaf- tierten u. a. Herr Heider (Imam) Herr Durmosch (Lichtjugend) Ehem. Inhaftierte der JVA‘en Moabit, Jugend und Tegel 15.11.2012 19:00 bis 21:00 Uhr Einführungskurs Justiz I.: Berliner Justizvollzug, gesetz- liche Grundlagen, Aufgaben und Ziele, Struktur u. a. Herr Borchert (SenJustV) Frau Knobloch (Runder Tisch) 17.11.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge II.: organisatorische Abläu- fe, Arbeit im Team, Themenpool für Freitagspredigten, Charakter und Bedeutung der Freitagspredigten Kommunikationsmodelle, Empfangsfehler, Transakti- onsanalysen, Ich-Zustände, Lebensmodelle, Vorurteile, Phobien, Selbsterfahrungen u. a. Herr Yükcü (Lichtjugend) Herr Sagir (AGMGS) 18.11.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge II.: Geschichte der Shetlik- Moschee, Honorarverträge, Abrechnungsvorgänge, Rahmenvereinbarung Selbstwahrnehmung, Interpretati- onen, Gewalterfahrungen, Supervision u. a. Herr Cetin (DITIB) Herr Altin (AGMGS) Herr Sagir (AGMGS) 22.11.2012 19:00 bis 21:00 Uhr Einführungskurs Justiz II.: Rechte und Pflichten der religiösen Betreuer, Kommunikat. mit der Anstalt, Ver- halten gegenüber Inhaftierten, Regeln, besondere Frage- stellungen Justizvollzug Herr Hoffmann (JVA Tegel) Frau Deininger (JSA*) Frau Knobloch (Runder Tisch) 08.12.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge III.: Kriminalitätsstatistik und Bewährungssystem, Rückfallquoten, Fallbeispiele, Ursachen von Gewalt, patriarchische Strukturen, Vater- rollen, Viktimisierung u. a. Therapeutische Hilfen, Sozialpädagogik im Vollzug Radikalisierung/Deradikali-sierung, Prognosen u. a. Herr Mücke (VPN*) 09.12.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge III.: "Krisen", Seelsorge in der Bibel, Klientenzentrierte Gespräche, Themen- zentrierte Interaktion, Widerstandsforschung, Prob- lemlösungsstrategien Frau Bond (Theologin) 13.12.2012 19:00 bis 21:00 Uhr Einführungskurs Justiz III.: Haftformen, Haftalltag mit Schwerpunkt Untersuchungshaft, Haftformen und deren Rahmenbedingungen, Vollzugsplanung u. a. Herr Troike (JVA Moabit) Frau Dorsch-Jäger (JVA Moabit) 20.12.2012 19:00 bis 21:00 Uhr Einführungskurs Justiz IV.: Aufenthaltsrechtliche Prob- lematik, Asyl, Assoziationsabkommen Türkei, Auswei- sung, § 456a Strafprozessordnung u. a. Herr Grönheit (Rechtsanwalt) Frau Wessel (Rechtsanwältin) 22.12.2012 ganztägig Einführungskurs Seelsorge IV.: Gesprächsgruppen, Ablauf der Freitagspredigten, Gültigkeit des Freitagsge- bets nach den verschiedenen Rechtsschulen, Standards, Übungen, weiterer Projektverlauf Herr Altin (AGMGS) Herr Sagir (AGMGS) *) SenJustV = Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz JVA = Justizvollzugsanstalt und JSA = Jugendstrafanstalt VPN = violent prevention network Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 902 4 13. Wie viele der Beteiligten wurden vom Verfas- sungsschutz nach abgeschlossener Ausbildung „aussortiert “ und warum konnte das nicht zu Beginn schon geschehen ? Zu 13.: Der Verfassungsschutz hat keine Einzelperso- nen „aussortiert“. Durch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport wurden der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz Informationen auf der Grundlage der erbetenen Überprüfung übermittelt. Hiernach waren Ein- zelpersonen unter Sicherheitsaspekten als problematisch in unterschiedlicher Ausprägung einzuschätzen. Nachdem durch die muslimischen Verbände im Sep- tember 2012 die Gruppe der möglichen religiösen Betreu- erinnen und Betreuer zusammengestellt wurde, sind diese am 27. September 2012 über das Überprüfungsverfahren informiert worden. Parallel begann der Ausbildungskurs. Aufgrund der heutigen Erfahrungen, hätte auf den Rück- lauf der Überprüfung gewartet werden müssen. Das Er- gebnis war nicht zu erwarten, da die Bewerberinnen und Bewerber darüber informiert wurden, dass eine Tätigkeit in den Justizvollzugsanstalten bei negativen Hinweisen nicht möglich ist. Alle am 27. September 2012 anwesen- den 26 Personen haben eine entsprechende Belehrung unterschrieben und der Überprüfung durch die Sicher- heitsbehörden zugestimmt. 14. Sind Personen, die an den Kursen teilgenommen haben, jetzt in Gefängnissen tätig? Wenn nein, warum nicht? Zu 14.: Ja. Einige Personen dieser Gruppe sind in den Berliner Justizvollzugsanstalten bereits tätig gewesen und aktuell tätig. 15. Wie schätzt der Senat die Bedeutung von Gefan- genen-Seelsorge für die Gefangenen ein – im Hinblick auf ihr Leben und Zusammenleben in der Haft sowie ihre Vorbereitung auf das Leben danach? Zu 15.: Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbrau- cherschutz bewertet die Seelsorge für Inhaftierte durch einen Vertreter ihrer Religions- und/oder Weltanschau- ungsgemeinschaft als wichtigen und förderungswürdigen Bestandteil der freien Religionsausübung und als wesent- liche Unterstützung für die Berliner Justizvollzugsanstal- ten bei der Erfüllung ihrer im Strafvollzugsgesetz geregel- ten Aufgaben. Berlin, den 14. April 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Apr. 2015)