Drucksache 17 / 15 912 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 25. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. März 2015) und Antwort Strafverfolgungseifer gegenüber Protesten gegen Zwangsräumungen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Als was im Sinne des Versammlungsrechts (Spon- tandemonstration etc.) hat die Berliner Polizei die Pro- testveranstaltung gegen die Zwangsräumung am 27.03.2014 in der Reichenberger Straße 73a klassifiziert? Zu 1.: Bei dem Protest handelte es sich nicht um eine Versammlung im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG), da er nicht in erster Linie der Kund- gebung einer Meinung oder der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen galt, sondern dazu, der mit der Räumung einer Wohnung be- auftragten Gerichtsvollzieherin den Zutritt zum Gebäude zu verwehren. Das Angebot der Polizei Berlin, im Nahbe- reich eine Kundgebung abzuhalten, hatten die Protestie- renden abgelehnt. 2. Hatte Innensenator Henkel oder Innenstaatssekre- tär Krömer persönlich Kenntnis von der unter 1. genann- ten Zwangsräumung? Wenn ja, ab welchem genauen Zeitpunkt jeweils, warum und durch welche konkreten Personen, Abteilungen, Referate etc. oder Senatsverwal- tungen oder Vorgänge? Zu 2.: Die Hausleitung der Senatsverwaltung für Inne- res und Sport erhielt definitive Kenntnis von der unter 1. genannten Zwangsräumung mit der Lagemeldung vom Folgetag. Im Übrigen besteht für Zwangsräumungen keine ori- ginäre Zuständigkeit der Polizei oder der Senatsverwal- tung für Inneres und Sport. Es handelt sich dabei um Maßnahmen der zuständigen Gerichtsvollzieherin bzw. des zuständigen Gerichtsvoll- ziehers, die bzw. der auf Grundlage des § 758 Absatz 3 der Zivilprozessordnung hierzu die Polizei um Amtshilfe ersuchen kann. 3. Wie viele Polizist*innen waren im Zusammenhang mit den Protesten gegen die unter 1. genannte Zwangs- räumung im Einsatz? (Bitte einzeln aufschlüsseln nach Einheiten, Einsatzzeiträumen, Einsatzorten sowie Ver- laufsprotokoll des Polizeieinsatzes beifügen.) Zu 3.: In der Zeit von 08.30 Uhr bis 12.15 Uhr waren folgende Polizeidienstkräfte vor Ort eingesetzt: • fünf Polizeidienstkräfte der Direktion 5 • vier Polizeidienstkräfte des Landeskriminalamtes (LKA) • 112 Polizeidienstkräfte der Direktion Zentrale Aufgaben, davon o 83 von der 1. Bereitschaftspolizeiabteilung und o 29 von der 2. Bereitschaftspolizeiabteilung. Das Verlaufsprotokoll lässt den Rückschluss auf eine dezidierte einsatztaktische Vorgehensweise der Polizei zu und ist insofern für eine Veröffentlichung nicht geeignet. Im Falle einer Veröffentlichung der gewünschten Infor- mationen bestünde die Gefahr, dass polizeiliche Maß- nahmen im Einzelfall vorherseh- und berechenbar würden und schließlich ins Leere liefen. 4. Wie viele Zivilpolizist*innen (Dienstkräfte in bür- gerlicher Kleidung) waren bei dem unter 1. genannten Einsatz anwesend? Zu 4.: Insgesamt waren 12 Polizeidienstkräfte in bür- gerlicher Kleidung eingesetzt. 5. Welcher konkreten Gliederungseinheit gehörten die unter 3. genannten Zivilpolizist*innen (Zivile Tatbe- obachter*innen, FAO-Einheit, Direktionen, MEK, LKA 5 etc.) jeweils an? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 912 2 Zu 5.: Zur Zugehörigkeit und zahlenmäßigen Einzel- aufschlüsselung der in bürgerlicher Kleidung eingesetzten Polizeidienstkräfte in einem eng begrenzten Einsatzraum wird aus taktischen Gründen keine Auskunft erteilt. Maß- nahmen, die ihrem Wesen nach nur verdeckt zum ge- wünschten Einsatzziel führen, bedürfen einer restriktiven Behandlung, da sonst die Gefahr bestünde, dass polizeili- che Maßnahmen vorausseh- und berechenbar würden und schließlich deren Ziel zumindest gefährdet wäre. Bei einer Herausgabe der Informationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese weiter verbreitet werden und potentiel- le Störerinnen bzw. Störer sich dieses polizeitaktische Wissen zu Nutze machen. Damit wäre die Funktionsfä- higkeit der Polizei eingeschränkt. 6. Mit welchem konkreten dienstlichen Auftrag wa- ren die unter 4. genannten Zivilpolizist*innen im Einzel- nen jeweils im Einsatz? Zu 6.: Zu ihren Aufgaben gehörte es, Umstände und Geschehensabläufe zu ermitteln, die für den Polizeiführer im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung für die Beurteilung der Lage erforderlich sind. 7. Wie viele Kameras wurden bei dem unter 1. ge- nannten Einsatz von Polizist*innen mitgeführt? a. Über welche Zeiträume aus welchem jeweiligen Anlass und aus welchem jeweiligen Grund sind diese eingesetzt worden? (Bitte jeweils nach Zeiträumen, An- lass, Grund, Anzahl und Art der Kameras, Situationen und der jeweiligen Rechtsgrundlage für das Filmen auflis- ten.) b. Kam es auch zur Speicherung der gemachten Auf- nahmen? c. Wie viele Minuten Filmmaterial sind dabei ent- standen? Zu 7.: a. Es sind Kameras eingesetzt worden, deren Anzahl wird jedoch statistisch nicht erfasst. b. Ja. c. Es wurden 31 Minuten Filmmaterial angefertigt. 8. Aus welchem genauen Grund war es in jedem Ein- zelfall erforderlich, dass die Polizei Videoaufzeichnungen von nachstehend genannten Personen oder Personengrup- pen anfertigte und auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte dies in jedem Einzelfall: a. Teilnehmer*innen der Blockade vor dem Haus, b. Personen (Mieter*innen), gegen die sich die Zwangsräumung richtete, c. Personen, die sich in der Wohnung der Personen (Mieter*innen) aufhielten, gegen die sich die Zwangs- räumung richtete, d. Personen oder Nachbar*innen, die sich in Woh- nungen ober- oder unterhalb der Wohnung der Personen aufhielten, gegen die sich die Zwangsräumung richtete? Zu 8a bis d.: Alle Aufzeichnungen wurden nach § 24 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) bzw. § 81 b 1. Alternative und § 163 b der Strafprozessordnung (StPO) angefertigt. Unmittelbar von den Maßnahmen betroffen waren nur die Personen innerhalb der Blockade. 9. Aus welchem Grund war es in jedem Einzelfall er- forderlich, dass die Polizei herangezoomte Nahaufnahmen der unter 8. genannten Personen anfertigte? Zu 9.: Um ein späteres zweifelsfreies Identifizieren der innerhalb der Blockade befindlichen Personen zum Zwecke der Strafverfolgung zu gewährleisten, war ein Heranzoomen einzelner Personen erforderlich. 10. In welchen konkreten Zeiträumen kam es warum jeweils zum Einsatz unmittelbaren Zwangs durch die Polizei in Form von körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt und Waffen (wie sog. Mehrzweck- schlagstock etc.)? (Bitte genaue Einzelaufschlüsselung nach Einsatz, Polizeieinheit, Einsatzzeiträumen, dem Zweck des jeweiligen Einsatzes und der jeweiligen Rechtsgrundlage.) Zu 10.: Um der Gerichtsvollzieherin den Zugang zum Objekt zu ermöglichen und zur Durchsetzung freiheitsbe- schränkender Maßnahmen bei Personen, deren Identität gemäß § 163 b StPO festgestellt werden sollte, wurde durch die eingesetzten Polizeidienstkräfte körperliche Gewalt angewendet. Unmittelbarer Zwang findet seine Ermächtigungs- grundlage in § 5a des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung in Verbindung mit den §§ 6 und 12 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG) sowie § 1 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin (UZwG Bln). 11. Zu wie vielen Personalienfeststellungen, Inge- wahrsamnahmen und Festnahmen kam es insgesamt bei dem unter 1. genannten Einsatz? Zu 11.: Während des Einsatzes wurden die Persona- lien von 12 Personen festgestellt, bei neun Fällen erken- nungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt wurden. Es wurden weder Ingewahrsamnahmen noch Fest- nahmen durchgeführt. 12. Wie viele Ermittlungsverfahren sind gegen Teil- nehmer*innen der Proteste gegen die unter 1. genannte Zwangsräumung eingeleitet worden und mit welchem Ergebnis jeweils? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 912 3 Zu 12.: Es wurden insgesamt sechs Strafermittlungs- verfahren gegen 18 Personen eingeleitet. Die gerichtli- chen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. 13. Welche konkreten Delikte wurden oder werden den Personen vorgeworfen, gegen die im Zusammenhang mit den unter 1. genannten Protestgeschehen Ermittlungs- verfahren eingeleitet wurden? (Bitte auch Fallzahlen je Delikt angeben.) Zu 13.: Im Zusammenhang mit den polizeilichen Maßnahmen wurde gegen • 16 Personen ein Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung, • eine Person ein Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung, • zwei Personen je ein Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und • zwei Personen je ein Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Gefangenen- befreiung eingeleitet. 14. Zu wie vielen Festnahmen und Personalienfest- stellungen von Personen, die an dem Protestgeschehen am 27.03.2014 teilnahmen, kam es nach dem 27.03.2014, also im Nachgang der Zwangsräumung? a. Welche Polizeikräfte welcher konkreten Gliede- rungseinheit waren dabei in jedem konkreten Einzelfall beteiligt? b. Welcher konkreter Hilfsmittel zur Identifizierung von Beschuldigten bedienten sich dabei die Polizeikräfte? c. Sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt alle Personen, die im Zusammenhang mit dem Protestgeschehen am 27.03.2014 mutmaßlicher Delikte beschuldigt werden, abschließend identifiziert? Zu 14.: Daten dazu werden statistisch nicht erhoben. 15. Bestehen oder bestanden zwischen dem Senat, Be- hörden des Landes Berlin oder landeseigenen Unterneh- men bzw. Unternehmen, an denen das Land Berlin Antei- le hält und der Kanzlei „Brenning Gbr Reischel“ oder der „Entwicklungsgesellschaft Pufendorfstraße mbH“ (jeweils Geschäftsanschrift: Hünefeldzeile 2, 12247 Berlin) vertragliche Beziehungen, wenn ja welche konkret, zu welchem vertraglichen Gegenstand, für welchen Zeit- raum, welche Stellen des Landes waren bzw. sind daran beteiligt und wie hoch sind die Kosten zu beziffern, die dem Landeshaushalt daraus entstehen? Zu 15.: Erkenntnisse zu dieser Fragestellung liegen der Senatsverwaltung für Inneres und Sport nicht vor. Berlin, den 15. April 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Apr. 2015)