Drucksache 17 / 15 913 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 26. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. März 2015) und Antwort Rassistische, rechtsextreme und ausländerfeindliche Einstellungsmuster bei der Berliner Polizei? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Hat die Polizei Berlin in den letzten zehn Jahren Studien, Berichte und Evaluationen etc. zu etwaigen rechtsextremen und rassistischen Einstellungsmustern ihrer Mitarbeiter*innen erstellt bzw. erstellen lassen? a) Wenn ja, welche und wann? (Bitte im Originalwortlaut beifügen.) b) Wenn ja, mit welchem Ergebnis jeweils und welche Konsequenzen hat der Senat daraus gezogen? c) Wenn nein, warum nicht? d) Wenn nein, warum wurden solche Studien noch nicht einmal nach Bekanntwerden des NSU-Skandals und dem damit verbundenen Behördenversagen in Auftrag gegeben bzw. erstellt? Zu 1.: Derartige Studien und Evaluationen wurden beim Polizeipräsidenten in Berlin nicht erstellt oder in Auftrag gegeben. Die Inhalte der polizeilichen Aus- und Fortbildung wirken etwaigen problematischen Einstel- lungsmustern entgegen. Die Empfehlungen des National- sozialistischer Untergrund (NSU) -Ausschusses des Bun- destags wurden aufgegriffen. Sollten sich im Rahmen der Aufklärung der NSU-Verbrechen weitere Erkenntnisse ergeben, werden diese bei der Aus- und Fortbildung be- rücksichtigt. 2. Welche konkreten Maßnahmen - insbesondere in der Ausbildung und Weiterbildung - wurden in den letz- ten zehn Jahren ergriffen, um etwaige bestehende rassisti- sche Vorurteile und verinnerlichte Stereotype bei Mitar- beiter*innen der Berliner Polizei aufzubrechen und abzu- bauen? Zu 2.: Zunächst verweist der Senat auf seine Beant- wortung auf die Schriftliche Anfrage 17/15891 über Um- setzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsaus- schusses des Bundestages. In der polizeilichen Aus- und Fortbildung sowie im Studium für den gehobenen Polizeivollzugsdienst ist der Unterricht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu Gefahren von Extremismus und rechter Gewalt sowie zur Förderung interkultureller Kompetenzen wesentlicher Bestandteil. Die Auswertung von Beschwerden wird in die Entwicklung oder Anpassung von Lehrinhalten einbe- zogen. Ziel der Angebote ist es, unter anderem durch Wissen, Selbstreflexion und durch persönliches Kennen- lernen Vorurteile abzubauen oder diesen entgegenzuwir- ken. In der Ausübung ihres Dienstes sind alle Polizeibeam- tinnen und Polizeibeamten der Achtung und Wahrung der unantastbaren Menschenwürde als oberstem Wert der rechtsstaatlichen Ordnung verpflichtet. Um die politisch- moralische Urteilsbildung sowie antirassistische und menschenrechtliche Überzeugungen zu stärken, werden in Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung über bloßes Fak- tenwissen hinaus entsprechende berufsethische Wertehal- tungen vermittelt. Ausbildung Innerhalb der 2 ½ - jährigen Ausbildung für den mitt- leren Polizeivollzugsdienst wird im Unterricht ein detail- liertes Faktenwissen vermittelt. Die grundlegende Bedeu- tung der Menschenrechte steht im Vordergrund polizeili- chen Handelns und wird in folgenden Leitthemen des Lehrplans vermittelt: • Die Bedeutung der Grundrechte im Rechtsstaat • Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeind- lichkeit mit Bezügen zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts • Die freiheitlich-demokratische Grundordnung als wertgebundene Verfassungsordnung der Bundes- republik Deutschland; Erscheinungsformen von politischem Extremismus, u. a. Thematisierung der NSU Gewalttatenserie, Aufzeigen der Ermitt- lungsdefizite und Folgerungen für die schutzpoli- zeiliche Tätigkeit vor Ort Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 913 2 • Integration und Migration – Herausforderungen und Perspektiven Die Vermittlung der Lerninhalte erfolgt zur besseren Veranschaulichung mit Fallbeispielen aus dem aktuellen gesellschaftspolitischen Zeitgeschehen. In diesem Kon- text werden auch die Lebenszusammenhänge von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Personen thematisiert, um im Kontakt mit Menschen, die über eine entsprechende Biografie verfügen, sensibel agieren zu können. Alle Auszubildenden des mittleren Polizeivollzugs- dienstes werden im ersten bzw. zweiten Ausbildungsab- schnitt im Rahmen einer Projektarbeit von Referentinnen und Referenten • der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS) unterrichtet und mit Handlungsfeldern, Arbeitsweisen sowie Schwer- punkten des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes vertraut gemacht, die für eine bürgernahe Polizei- arbeit von Bedeutung sind, • des schwulen Anti-Gewalt-Projektes MANEO über schwulenfeindliche Gewalt und ihre Folgen aufgeklärt und auf Fälle von Diskriminierung und Gewalttaten hingewiesen, diese Unterrichtseinheit wird vom Landeskriminalamt (LKA Präv) betreut sowie • durch Amnesty International über deren Arbeit und Einsatz für die Menschenrechte informiert. Sämtliche in der Ausbildung befindlichen Polizeivoll- zugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten nehmen verpflichtend an mehreren (mittlerer Polizeivollzugs- dienst: 3 Seminare, gehobener Polizeivollzugsdienst: 2 Seminare) Wochenseminaren beim Verhaltenstraining teil. Ein weiteres viertägiges Seminar findet obligatorisch etwa ein Jahr nach Ausbildungsende statt. Fortbildung Im Rahmen der politischen Bildungsarbeit kooperiert der Fachbereich Politik seit vielen Jahren bei der Planung und Umsetzung von themenbezogenen Fortbildungspro- jekten mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Netz- werkpartnern, wie • der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, • dem Centrum Judaicum, • dem American Jewish Committee, • dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU-Berlin, • der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz , • der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, • der Topographie des Terrors, • dem Deutschen Institut für Menschenrechte, • dem Mobilen Beratungsteam „Ostkreuz“ und darüber hinaus mit politischen Stiftungen und Trägern interkultureller Arbeit. Zur Vertiefung des in der Ausbildung erlangten Ba- siswissens werden für die polizeiliche Aufgabenbewälti- gung Seminare, Exkursionen und Fachgespräche als Fort- bildungsmaßnahmen angeboten. Sie dienen der praxisori- entierten Auseinandersetzung mit den Anforderungen einer bürgernahen und weltoffenen Polizeiarbeit, auch in Bezug auf die Vielfalt der Lebensstile einer sich wan- delnden Gesellschaft. Darüber hinaus werden verschiede- ne, themenbezogene Tagesseminare zur politischen Bil- dung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei Berlin angeboten. Im Rahmen der Behandlung der Leitthemen der Se- minare (Kommunikation, Konflikte und Konfliktbewälti- gung, Stress- und Stressbewältigung) wird unter der Überschrift „managing diversity“ regelmäßig die Rolle der Polizei in unserer „Gesellschaft der Vielfalt“ erörtert. Ein vorrangiges Lernziel liegt dabei darin, den Seminar- teilnehmerinnen und Seminarteilnehmern die große Be- deutung eines respektvollen, von Toleranz und Offenheit gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen und – einstellungen geprägten polizeilichen Handelns zu vermit- teln. In den Fortbildungsseminaren des Verhaltenstrainings werden die genannten Themen in Konflikt- und Stressbe- wältigungsseminaren sowie in Veranstaltungen zum poli- zeilichen Opferschutz berücksichtigt, die regelmäßig unter der Beteiligung externer Referentinnen und Refe- renten stattfinden. Zur interkulturellen Organisationsentwicklung unter- stützte die Behördenleitung seit dem Jahr 2003 das Pro- jekt „Transfer interkultureller Kompetenz (TiK)“, das 2011 abgeschlossen wurde. Durch das Projekt sind inter- kulturelle Aspekte inzwischen ein fester Bestandteil der polizeilichen Aus- und Fortbildung, der Netzwerk- und Präventionsarbeit, des täglichen Dienstes sowie des Per- sonalmanagements geworden. Mit dem TiK-Projekt ist die interkulturelle Ausrichtung in der Polizei Berlin fest implementiert. Zur Unterstützung der behördenweiten Fortentwick- lung und Koordinierung der interkulturellen Öffnung der Polizei Berlin wurden im Jahr 2011 behördenweit zustän- dige Ansprechpersonen für interkulturelle Aufgaben bei der Zentralstelle für Prävention im Landeskriminalamt eingerichtet. Des Weiteren wurden im Jahr 2012 Koordi- natorinnen und Koordinatoren für interkulturelle Aufga- ben in allen örtlichen Direktionen auf Stabsebene be- nannt. In drei Direktionen wurden darüber hinaus Multi- plikatorinnen und Multiplikatoren für interkulturelle Auf- gaben in den verschiedenen Dienststellen benannt. Die Arbeit dieser Ansprechpersonen betrifft vornehmlich folgende Themenfelder: • Beratung nach innen und außen • Netzwerkarbeit • Prävention • Opferschutz • Presse- und Öffentlichkeitsarbeit • polizeiliche Aus- und Fortbildung Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 913 3 • Werbung und Einstellung • Unterstützung in Beschwerdefällen • Ansprechstelle für Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter. Darüber hinaus gibt es in den einzelnen Polizeidirek- tionen das „Arbeitsgebiet Integration und Migration“ (AGIM). Aufgabe der Polizeibeamtinnen und Polizeibe- amten dieser Gliederungseinheit ist neben der Kontakt- pflege zu regionalen interkulturellen Organisationen und Einrichtungen u. a. die Mitwirkung sowie Gestaltung direktionsinterner Fortbildungsprogramme zu interkultu- rellen Themen. 3. Wie viele Disziplinarverfahren wurden in den Jah- ren seit 2007 gegen Polizist*innen des Landes Berlin aufgrund eines (Fehl-)Verhaltens mit einem rassistischen bzw. ausländerfeindlichen Hintergrund eingeleitet und mit welchem Ausgang jeweils? 4. Wie viele Disziplinarverfahren wurden in den Jah- ren seit 2007 gegen Polizist*innen des Landes Berlin aufgrund eines Tatvorwurfes eingeleitet, der unter die Definition der politisch motivierten Kriminalität – rechts fällt (PMK – rechts) und mit welchem Ausgang jeweils? Zu 3. und 4.: Derartige statistische Erhebungen liegen nicht vor. 5. Wie viele strafrechtliche Verfahren wurden in den Jahren seit 2007 gegen Polizist*innen des Landes Berlin aufgrund eines Tatvorwurfes mit einem rassistischen bzw. ausländerfeindlichen Hintergrund eingeleitet und mit welchem Ausgang jeweils? 6. Wie viele strafrechtliche Verfahren wurden in den Jahren seit 2007 gegen Polizist*innen des Landes Berlin aufgrund eines Tatvorwurfes eingeleitet, der unter die Definition der politisch motivierten Kriminalität – rechts fällt (PMK– rechts) und mit welchem Ausgang jeweils? Zu 5. und zu 6.: Eine belastbare statistische Auswer- tung ist anhand der Daten des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminali- tät“ (KPMD-PMK) nicht möglich. Eine Recherche beim Polizeilichen Staatsschutz hat ergeben, dass im Zeitraum 01.01.2007 bis 01.04.2015 vier Ermittlungsverfahren gegen Dienstkräfte des Polizeipräsidenten in Berlin ge- führt wurden, bei denen der Anfangsverdacht bestand, dass diese aus einer rechten Motivation heraus begangen wurden. Bei drei der Taten war zudem der Anfangsver- dacht einer rassistischen oder ausländerfeindlichen Moti- vation gegeben. Zwei Verfahren wurden gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Ein Verfahren wurde gemäß § 153 a Abs. 1 Nr. 2 StPO einge- stellt. Das vierte Verfahren richtete sich gegen sechs Be- schuldigte. Einer der Beschuldigten wurde zu einer Frei- heitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein weiterer Beschuldigter wurde zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die übrigen vier Beschuldigten wurden freigesprochen. Die Urteile sind bislang noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind. 7. Wie viele Berliner Polizist*innen sind mit dem per- sonengebundenen Hinweis (PHW) „Straftäter rechtsmotiviert “ (REMO) belegt und welche Konsequenzen hat dies für die einzelnen Beamt*innen? Zu 7.: Eine technische Auswertung im Sinne der Fra- gestellung ist nicht möglich. 8. Wie bewertet der Senat die (frühere) Mitgliedschaft und das (frühere) Engagement des Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin, Bodo Pfalz- graf, für die rechtsradikale Partei „Die Republikaner“? 9. Ist der Senat der Ansicht, dass eine Person, die Mit- glied bzw. früheres Mitglied der unter 8. genannten Par- tei war/ist, als Landesvorsitzender für eine der größten Polizeigewerkschaften des Landes ein würdiger Reprä- sentant ist? Zu 8. und zu 9.: Der Senat hat keinen Anlass, derarti- ge Bewertungen vorzunehmen. 10. Hatten Innensenator Henkel (CDU) oder Innen- staatssekretär Krömer Kenntnis über die (frühere) Mit- gliedschaft und das (frühere) Engagement des Landesvor- sitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Berlin, Bodo Pfalzgraf, für die rechtsradikale Partei „Die Republikaner “ und wenn ja, seit wann? Zu 10.: Herr Senator Henkel und Herr Staatssekretär Krömer haben im Zuge der aktuellen Presseberichterstat- tung Kenntnis von diesem Sachverhalt erlangt. 11. Wie oft haben sich Innensenator Henkel und In- nenstaatssekretär Krömer seit Beginn der Legislaturperio- de mit Herrn Pfalzgraf getroffen und aus welchen konkre- ten Anlässen jeweils? Zu 11.: Solche Treffen werden nicht gesondert erfasst. Sie können zum Beispiel im Rahmen regelmäßiger Ter- mine wie dem halbjährlichen Gespräch Herrn Senators Henkel mit dem Deutschen Beamtenbund oder anlässlich von Dienststellenbesuchen erfolgt sein. 12. Wie viele Polizist*innen in hochrangigen Ämtern bei der Polizei Berlin bzw. in Polizeigewerkschaften sind nach Kenntnis des Senats Mitglieder in rechtsradikalen bzw. rechtspopulistischen Parteien wie der NPD, REP, Die Freiheit, AfD, Pro Deutschland, Die Rechte etc.? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 913 4 13. Wie viele Polizist*innen in hochrangigen Ämtern bei der Polizei Berlin bzw. in Polizeigewerkschaften sind nach Kenntnis des Senats Mitglieder in rechtsradikalen bzw. rechtspopulistischen Vereinigungen wie z.B. Bür- gerbewegungen, Bildungswerken etc. oder engagieren sich in diesen? Zu 12. und zu 13.: Derartige Erhebungen sind recht- lich unzulässig und erfolgen daher nicht. Berlin, den 10. April 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Apr. 2015)