Drucksache 17 / 15 943 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Regina Kittler und Hakan Taş (LINKE) vom 07. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. April 2015) und Antwort Abschiebungen leicht gemacht – dubioser Gutachter im Auftrag von Polizei und Ausländerbehörde ? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Ist es richtig, dass der Gutachter R. L. für Berliner Behörden in den letzten 30 Jahren rund 50.000 medizini- sche Gutachten erstellt und er damit 10 bis 30 Millionen Euro verdient hat? Zu 1.: Herr L. war vom 1. Juli 1989 bis Ende 2014 in erster Linie als Blutentnahmearzt im Bereich der Gefan- genensammelstellen sowie zur Einschätzung der Ver- wahrfähigkeit eingelieferter bzw. einzuliefernder Perso- nen auf Honorarbasis für den Polizeiärztlichen Dienst der Polizei Berlin tätig. Von 2009 bis Ende 2014 wurde er unter anderem mit der ärztlichen Betreuung bei Abschie- bungsmaßnahmen beauftragt. In diesem Zusammenhang oblag ihm auch die Überprüfung der Reisefähigkeit be- troffener Personen. Herr L. ist Arzt und wurde im Zu- sammenhang mit seiner Tätigkeit für die Polizei Berlin zu keiner Zeit als Gutachter tätig, da Honorarärzte keine Gutachten für die Polizei Berlin erstellen. Bei schriftli- chen ärztlichen Leistungen wird zwischen Gutachten, Befundberichten, Attesten und Rezepten unterschieden. Schriftliche ärztliche Feststellungen oder Einschätzungen, beispielsweise über eine bestehende Reise-, Flug- oder Verwahrfähigkeit, werden üblicherweise nicht in Form von Gutachten, sondern von Attesten gefertigt. Die Anzahl der in Anspruch genommenen ärztlichen Leistungen – vornehmlich Blutentnahmen - Herrn L. über den genannten Zeitraum von insgesamt 25 Jahren wurde statistisch nicht erhoben. Ebenso verhält es sich mit dem Honorar, das Herr L. für seine Leistungen bezogen hat. 2. Für welche Berliner Behörden hat R. L. welche und wie viele Gutachten erstellt? Zu 2.: Herr L. hat weder im Auftrag der Polizei Berlin noch im Auftrag der Berliner Senatsverwaltungen Gut- achten erstellt. Auf die Beantwortung der Frage 1 wird verwiesen. 3. Kann hier von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Erteilung solcher Aufträge gesprochen werden? Zu 3.: Zur wirtschaftlichen Situation und gegebenen- falls vorhandenen sonstigen Einkünften des Herrn L. liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Daher kann zur Frage einer eventuellen wirtschaftlichen Abhängigkeit keine Aussage getroffen werden. 4. Welche fachliche Kompetenz hat R. L. für die Er- stellung ärztlicher Gutachten für Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Auftrag der Berliner Behörden? Zu 4.: Für Überprüfungen, ob eine Reise- oder Flug- fähigkeit vorliegt, bedarf es in der Regel keiner speziellen fachärztlichen Kenntnisse, da hierbei keine Krankheit diagnostiziert oder eine Diagnose überprüft werden muss. Bei der Überprüfung der Reise- und Flugfähigkeit wird lediglich die Frage geklärt, ob die Reise aus medizini- scher Sicht, erforderlichenfalls mit ärztlicher Begleitung, durchgeführt werden kann. Herr L. hat im Rahmen seiner Tätigkeit für den Polizeiärztlichen Dienst der Berliner Polizei keine Gutachten erstellt. Er wurde unter anderem im Zusammenhang mit der ärztlichen Betreuung bei Ab- schiebungsmaßnahmen bzw. der Überprüfung der Reise- fähigkeit ausreisepflichtiger Personen eingesetzt. Über die hierfür erforderliche Qualifikation als Arzt hinaus verfügt Herr L. unter anderem durch seine Tätigkeit als Gewahr- samsarzt über langjährige Erfahrungen mit Menschen, die sich in polizeilichem Gewahrsam bzw. in anderen beson- deren Situationen befinden. 5. Entspricht es der Wahrheit, dass weder durch die Polizei noch durch die Ausländerbehörde oder sonstige Behörden des Landes Berlin die Approbation von R. L. überprüft wurde und wenn ja, warum nicht? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 943 2 Zu 5.: Nein. Herr L. war bereits seit 1989, zunächst als Arzt der Kassenärztlichen Vereinigung, für die Polizei Berlin tätig. Seine Approbation, das heißt die staatliche Zulassung zur selbständigen und eigenverantwortlichen Ausübung des Berufes, lag der Kassenärztlichen Vereini- gung vor. Nach Beendigung des Vertrags zwischen Poli- zei und Kassenärztlicher Vereinigung wurden die bis dato für die Kassenärztliche Vereinigung tätigen Ärzte auf Honorarbasis für die Polizei eingesetzt. Da die Approba- tion Herrn L. bei der Kassenärztlichen Vereinigung vor- lag, war eine erneute Überprüfung nicht erforderlich. Im Februar dieses Jahres wurde von der Ärztekammer Berlin auf Anforderung der Ausländerbehörde Berlin eine Kopie der Approbationsurkunde übersandt. Diese wurde auch dem Verwaltungsgericht übermittelt. 6. Entspricht es der Wahrheit, dass der Berliner Aus- länderbehörde, der Polizei oder anderen Behörden weder die aktuelle Adresse noch eine Telefonnummer von R. L. bekannt ist? Zu 6.: Die erforderlichen Kontaktdaten des Herrn L. liegen der Polizei Berlin vor. 7. Falls R. L. keine fachliche Kompetenz für die Er- stellung ärztlicher Gutachten für Asylbewerberinnen und Asylbewerber hat: Welche Gültigkeit haben diese Gutach- ten dann aus Sicht des Senats? Zu 7.: Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. Die ärztlichen Reisefähigkeitsüberprüfungen, die seitens Herrn L. im Rahmen seiner Tätigkeit für den Polizeiärzt- lichen Dienst der Polizei Berlin durchgeführt wurden, gaben keinen Grund zur Beanstandung. 8. In wie vielen Petitionen der letzten zehn Jahre, die von bzw. für Asylbewerberinnen und Asylbewerber ein- gereicht wurden, deren Asylanträge abgelehnt wurden bzw. die von Abschiebung bedroht waren, spielten der Gesundheitszustand und die Nicht-Reisefähigkeit der Petentinnen und Petenten eine Rolle (bitte jährlich auflis- ten)? 9. Bei wie vielen von ihnen wurden der Gesundheits- zustand und die Reisefähigkeit auf der Grundlage eines Gutachtens von R. L. eingeschätzt (bitte jährlich auflis- ten)? Zu 8. und 9.: Es wird statistisch nicht erfasst, in wie vielen Petitionsfällen der Gesundheitszustand von abge- lehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern themati- siert und eine Reiseunfähigkeit geltend gemacht wurde. Demzufolge kann auch keine Aussage darüber getroffen werden, in wie vielen dieser Fälle Herr L. eine Feststel- lung zur Reisefähigkeit der Betroffenen getroffen hat. 10. Konnte der Petitionsausschuss bei angedrohten Abschiebungen von Asylbewerberinnen und Asylbewer- bern, die auch mit einer bescheinigten Reisefähigkeit durch R. L. verbunden waren, die Situation also objektiv beurteilen? Zu 10.: Vor dem Hintergrund, dass aus Sicht des Se- nats kein Anlass bestand und besteht, an der Kompetenz des von der Polizei Berlin beauftragten Arztes R. L., eine Reisefähigkeit zu beurteilen, zu zweifeln, hat die Senats- verwaltung für Inneres und Sport - wie in allen anderen Fällen auch - auf der Grundlage der Ausländerakte und der vorgelegten Unterlagen im Rahmen des Petitionsver- fahrens ausführlich Stellung genommen. Eine objektive Beurteilung durch den Petitionsausschuss war damit si- chergestellt. 11. Wie bewertet der Senat den Schaden für die Berli- ner Behörden, sollten sie vielfach auf der Grundlage von Stellungnahmen eines nicht qualifizierten Gutachters gehandelt und somit insbesondere unrechtmäßige Ab- schiebungen vollzogen haben? Zu 11.: Es ist nicht zutreffend, dass auf der Grundlage von Stellungnahmen eines nicht qualifizierten Gutachters unrechtmäßige Abschiebungen vollzogen wurden. Auf die Antwort zu Frage 10 wird verwiesen. Auch in dem aktuell diskutierten Fall hat die 24. Kammer des Verwaltungsge- richts Berlin ihre Einschätzung, die Abschiebung sei rechtswidrig gewesen, nicht auf die Einbindung des Ho- norararztes, sondern auf den Verfahrensablauf gestützt, der keine Zeit mehr gelassen habe, einen Rechtsschutzan- trag gegen die Duldungsversagung zu stellen. Ein Scha- den für die Berliner Behörden ist damit nicht eingetreten. Berlin, den 23. April 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Apr. 2015)