Drucksache 17 / 15 947 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anja Kofbinger (GRÜNE) vom 30. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. April 2015) und Antwort Praxis des Täter-Opfer-Ausgleichs in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In wie vielen Fällen regte die Berliner Polizei in den Jahren 2013 und 2014 bei Übermittlung der Akte an die Staatsanwaltschaft einen Täter-Opfer-Ausgleich an? (Bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Delikten.) 2. In wie vielen Fällen kam es nach der Anregung des Täter-Opfer-Ausgleichs durch die Berliner Polizei in den Jahren 2013 und 2014 später zu einer Einstellung des Verfahrens? Nach welcher Vorschrift wurden die Verfah- ren jeweils eingestellt? In wie vielen Fällen kam es später zu Verurteilungen? (Bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Anzahl der jeweiligen Einstellungen/Verurteilungen.) Zu 1. und 2.: Die bloße Anregung der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß §§ 155a, 155b Strafprozessordnung (StPO) wird weder bei der Polizei noch bei der Staats- oder Amtsanwaltschaft statistisch erfasst. Eine statistische Erfassung findet statt hinsichtlich der Zahl der Verfahren, in denen bei der Staats- und Amtsan- waltschaft Berlin ein Täter-Opfer-Ausgleich eingeleitet wurde. Darüber hinaus wird erfasst, wenn der Täter-Op- fer-Ausgleich hinsichtlich einer beschuldigten Person abgeschlossen wurde, ohne dass es zu einer Erfassung der Erfolgsquote käme. Insoweit kann für den angefragten Zeitraum Folgen- des mitgeteilt werden: 2013: Einleitungen: 139 (Anzahl der Verfahren) Erledigungen: 178 (Anzahl der betroffenen Beschul- digten) 2014: Einleitungen: 175 (Anzahl der Verfahren) Erledigungen: 256 (Anzahl der betroffenen Beschul- digten) Beim Amtsgericht Tiergarten sind die Verfahren sta- tistisch erfasst worden, die vom Gericht vorläufig gemäß § 153a StPO mit der Auflage eingestellt wurden, einen Täter-Opfer-Ausgleich vorzunehmen. Hierzu kann Fol- gendes mitgeteilt werden: Für das Jahr 2013 sind 13 Verfahren erfasst, die mit einer solchen Auflage vorläufig eingestellt wurden. Da- von wurden 8 in der Folge endgültig eingestellt, in 3 Ver- fahren erfolgte letztlich eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, in einem Verfahren wurde nach § 154 Abs. 2 StPO von der weiteren Verfolgung abgesehen und in einem weiteren Verfahren erließ das Gericht letztlich einen Strafbefehl. Für das Jahr 2014 sind 12 Verfahren erfasst, die ge- mäß § 153a StPO mit der Auflage eines Täter-Opfer- Ausgleichs vorläufig eingestellt wurden. Davon wurden 10 in der Folge endgültig eingestellt, für die beiden ande- ren Verfahren ist eine Verurteilung erfasst. 3. Wie ist die gängige Praxis der Berliner Polizei zur Anregung eines Täter-Opfer-Ausgleichs? a) Gibt es bei der Berliner Polizei zum Täter-Opfer- Ausgleich interne Weisungen/Vorschriften? b) Falls ja, was beinhalten diese? (ggf. bitte beifügen) c) An welchen Kriterien können sich die diensthaben- den Polizist_innen sonst orientieren? d) Gibt es Delikte, für die ein Täter-Opfer-Ausgleich grundsätzlich/häufig geeignet ist? e) Gibt es Delikte, für die ein Täter-Opfer-Ausgleich grundsätzlich/häufig nicht geeignet ist? f) Hängt die Anregung eines Täter-Opfer-Ausgleichs durch die Berliner Polizei davon ab, ob aus Sicht der diensthabenden Polizeibeamt_innen eine spä- tere Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO in Betracht kommt? g) Wenn ja, warum wird nicht in anderen Fällen im gleichen Umfang von der Möglichkeit des Täter- Opfer-Ausgleichs Gebrauch gemacht? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 947 2 Zu 3.: Bei dem Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) wird zwischen dem TOA im Erwachsenenstrafverfahren (Strafgesetzbuch - StGB -) und dem TOA im Jugendstraf- verfahren (Jugendgerichtsgesetz - JGG -) unterschieden. Daraus ergeben sich jeweils eigene Regelungen, die zu beachten sind. Die Aufgabe der Polizei beschränkt sich immer auf die Prüfung des Einzelfalles hinsichtlich der Geeignetheit der Maßnahme zur Durchführung eines TOA. Im Erwachsenenstrafverfahren kann die mit den Ermittlungen betraute Dienstkraft den TOA anregen. Die Staatsanwaltschaft oder die Amtsanwaltschaft prüft, ob der Fall entsprechend den „Gemeinsamen Verwaltungsvorschriften zur Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen“ (TOA-Verwaltungsvorschriften) geeignet ist und ersucht die Sozialen Dienste der Justiz um Durchführung des TOA. Der TOA im Jugendstrafverfahren (Jugendliche und Heranwachsende) wird bei der Integrationshilfe beim Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) in aller Regel über die Jugendgerichtshilfe (JGH) angeregt. Diese wird zumeist von der Staatsanwaltschaft verständigt. Als formeller Bestandteil des Jugendstrafverfahrens kann dieser auch direkt von der Polizei oder aber vom Gericht zwecks Durchführung eines TOA angerufen werden. a) Die Voraussetzungen für die Anwendung eines TOA im Strafverfahren nach dem Erwachsenenrecht sind in den oben genannten TOA-Verwaltungsvorschriften vom 16. Januar 2014 festgelegt (vgl. Amtsblatt Nr. 5/31.01.2014). Diese Verwaltungsvorschrift wird der Handhabung des TOA im Rahmen der polizeilichen Sachbearbeitung zugrunde gelegt. Im Bereich des Jugendstrafverfahrens ergibt sich die Anwendung des TOA aus der „Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung über die vermehrte Anwendung des § 45 JGG im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwach- sende“ (Diversionsrichtlinie) vom 2. Oktober 2014 (vgl. Amtsblatt Nr. 45/31.10.2014). Unter Zugrundelegung dieser Verwaltungsvorschrif- ten ergeben sich aus mehreren polizeilichen Regelungs- werken ebenfalls ergänzende Hinweise zum TOA im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht:  In der Geschäftsanweisung LKA (Landeskriminalamt ) Nr. 1/2007 über die Bearbeitung von Delikten der Kleinkriminalität ist in Ziff. 7 geregelt, „dass in jedem Fall schon bei Anzeigenaufnahme der oder dem Verletzten oder Geschädigten das Info- Blatt Täter-Opfer-Ausgleich (Pol 918) auszuhän- digen ist“.  Die Geschäftsanweisung LKA Nr. 10/2010 über die polizeiliche Vorladung und Vernehmung ent- hält unter 3.4.3.8 die Regelung über das Hinweis- recht auf Möglichkeiten der Diversion und des TOA mit näheren Ausführungen (zu TOA: „Gelegenheit zur freiwilligen, außergerichtlichen Eini- gung (Wiedergutmachung) zwischen Täter und Opfer in geeigneten Fällen (bei leichter bis mittle- rer Kriminalität; keine mit Freiheitsstrafe bewehr- ten Delikte), wenn beide (Opfer und Täter) zu- stimmen“).  In dem Qualitätsstandard in Fällen häuslicher Gewalt wird unter 7.4 darauf hingewiesen, dass „im Rahmen der polizeilichen Sachbearbeitung bei häuslicher Gewalt die Bereitschaft zum TOA im Vorgang zu dokumentieren ist, sofern die Voraus- setzungen gem. der o. a. Verwaltungsvorschriften vorliegen“. b) bis e) Insoweit wird auf die ausführlichen Regelun- gen in den TOA-Verwaltungsvor-schriften und in der Diversionsrichtlinie sowie die zu a) benannten Zitate aus den polizeilichen Regelungswerken verwiesen. Danach sind grundsätzlich alle Straftaten für den TOA geeignet. Als besonders geeignet gelten Fälle der Gewaltanwen- dung gegen Personen sowie Vermögens- und Eigentums- delikte. Fälle häuslicher Gewalt gelten unter in den TOA- Verwaltungsvorschriften festgelegten Voraussetzungen als geeignet. f) Nein. Die Polizei richtet ihre Anregung zum TOA nicht auf eine Prognose aus, wie das Verfahren ausgehen könnte ober ob durch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wird. g) Entfällt, siehe Antwort zu f). 4. In wie vielen Fällen übermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft/das zuständige Gericht in den Jahren 2013 und 2014 die personenbezogenen Daten der Verfah- rensbeteiligten zum Zweck der Durchführung eines Täter- Opfer-Ausgleichs gem. §§ 155a/155b Abs. 1 StPO von Amts wegen an eine mit der Durchführung beauftragten Stelle? (Bitte aufschlüsselt nach Jahren, Delikten und datenübermittelnder Stelle.) 5. In wie vielen Fällen kam es bei einer Übermittlung der Daten zum Zecke eines Täter-Opfer-Ausgleichs durch die Staatsanwaltschaft/das zuständige Gericht in den Jahren 2013 und 2014 später zu einer Einstellung des Verfahrens? Nach welcher Vorschrift wurde hier einge- stellt? In wie vielen Fällen kam es später zu Verurteilun- gen? (Bitte aufgeschlüsselt nach Jahren, Anzahl der je- weiligen Einstellungen/Verurteilungen und danach, ob die Daten von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht übermittelt wurden.) Zu 4. und 5.: Die Übermittlung personenbezogener Daten von Verfahrensbeteiligten zum Zweck der Durch- führung eines TOA gemäß §§ 155a, 155b StPO wird statistisch nicht erfasst. Zur Anwendung des TOA im Allgemeinen wird auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 15 947 3 6. Wie ist die gängige Praxis der Berliner Staatsan- waltschaft/der Gerichte zur Anregung eines Täter-Opfer- Ausgleichs? a) Gibt es hierfür interne Weisungen/Vorschriften? b) Falls ja, was beinhalten diese? (ggf. bitte beifügen) c) An welchen Kriterien können sich die Staatsan- wält_innen/Richter_innen sonst orientieren? d) Gibt es Delikte, für die ein Täter-Opfer-Ausgleich grundsätzlich/häufig angezeigt ist? e) Gibt es Delikte, für die ein Täter-Opfer-Ausgleich grundsätzlich/häufig nicht geeignet ist? f) Hängt die Übermittlung der Daten zum Zwecke ei- nes Täter-Opfer-Ausgleichs davon ab, ob eine spä- tere Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO in Betracht kommt? g) Wenn ja, warum wird nicht in anderen Fällen im gleichen Umfang von der Möglichkeit des Täter- Opfer-Ausgleichs Gebrauch gemacht? 7. Wäre es aus Sicht des Senats rechtlich möglich eine interne Anweisung dahingehend zu erteilen, dass in allen geeigneten Fällen ein Täter-Opfer-Ausgleich von der Polizei angeregt und von der Staatsanwaltschaft schon bei Erstvorlage der Akte zu prüfen ist? Zu 6. und 7.: Vergleiche die Antwort zu Frage 3. Maßgeblich sind die Diversionsrichtlinie und die TOA- Verwaltungsvorschriften. Nach Ansicht des Senats sind diese Vorschriften ausreichend, um alle geeigneten Ver- fahren einem TOA zuzuführen. Berlin, den 23. April 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Apr. 2015)