Drucksache 17 / 16 014 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) vom 16. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. April 2015) und Antwort Marode Schießstände – schleichende Entwaffnung der Berliner Polizei? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Trainingseinheiten mit scharfen Trai- ningsschüssen für wie viele Beamte bzw. Angestellte der Berliner Polizei wurden jeweils in den Jahren 2010-2014 durchgeführt? (Bitte nach Zielgruppen (vgl. Drs. 17/13468) differenziert darstellen) Zu 1.: Personengebundene Datenbestände zum Ein- satztraining sind nur bis zu zwei Jahre erfasst, soweit nicht individuelle Gründe wie mehrjährige Elternzeit oder sehr langfristige Erkrankungen einen weiter zurückrei- chenden Erfassungszeitraum erforderlich machen. Vor 2014 fand das Einsatztraining in Form der soge- nannten „Integrierten Fortbildung“ als Tages- bzw. Halbtagesseminar statt. Die überwiegende Anzahl dieser Trai- ningseinheiten enthielt scharfe oder lasersimulierte Schießtrainingseinheiten. Eine Unterscheidung nach Trai- ningseinheiten mit oder ohne „scharfen Schuss“ gab es daher nicht. Die Waffenträgereigenschaft wurde perso- nengebunden überwacht und durch die Teilnahme an einem Seminartag nachgewiesen. Für 2010 bis 2013 kann daher nur die Anzahl der Trainingseinheiten im Rahmen des ganzheitlichen Ein- satztrainings angegeben werden. Bei vollständiger Teilnahme an allen Einsatztrainings aller trainingsverpflichteten Zielgruppenangehörigen ergaben sich vor 2014 rechnerisch jeweils ein jährlicher Bedarf von 30.000 – 40.000 Schießtrainingseinheiten. Die Zielgruppenzugehörigkeit und die Anzahl der aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend oder dauerhaft modifiziert dienstfähigen Dienstkräfte (damit keine Waf- fenträgereigenschaft oder mit Auflagen belegt) unterlie- gen einem ständigen Wandel. Sie wird daher quartalsmä- ßig erhoben und es wird jeweils zum Jahresende ein Mit- telwert gebildet. 2011 wurde mit der Neufassung der Geschäftsanwei- sung über das Einsatztraining der Polizei Berlin eine grundlegende Neuordnung von neun auf drei Zielgruppen vorgenommen. Eine Zuordnung aller Dienstkräfte zu Zielgruppen ist daher erst ab 2012 und auch nur im Mit- telwert möglich. Trainingseinheiten gesamt einzeln absolvierte Schießtrai- ningseinheiten im Rahmen des Einsatztrainings trainingsverpflichtete Dienstkräfte jeweils zum 31.12. erhoben; soweit noch zuzuordnen in der Reihenfolge der Zielgruppen 1, 2 und 3 2010 42.045 16.336 2011 44.408 17.194 2012 41.500 9.336/4.589/3.598 (17.523)** 2013 41.855 9.290/4.529/3.600 (17.419)** 2014 40.085 14.519* 9.378/4.745/3.711 (17.834)** *erst nach Einführung ämterübergreifender Schießstandnutzung unter Reduzierung auf die Grundlagen- und Kontrollübungen gesondert erhoben ** Mittelwerte nach Jahresabschluss Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 014 2 2. Wie werden die Zielgruppen, an denen sich Trai- ningshäufigkeit und -intensität orientiert (vgl. Drs. 17/13468) definiert und wie viele Beamte bzw. Angestell- te der Berliner Polizei gehören den jeweiligen Zielgrup- pen an? Zu 2.: Der Zielgruppe 1 sind Dienstkräfte zugeordnet, die potenziell konfliktträchtige Aufgabengebiete wahr- nehmen wie der Funkwageneinsatzdienst oder die Ein- satzeinheiten. Der Zielgruppe 2 sind Dienstkräfte zugeordnet, die bedingt konfliktträchtige Aufgabengebiete wahrnehmen. Davon sind sachbearbeitende Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter betroffen, die zu Ermittlungstätigkeiten in den Einsatzraum wechseln oder auch die Polizeidienstkräfte im Objektschutz. Der Zielgruppe 3 sind Dienstkräfte mit wenig kon- fliktträchtigen Aufgabengebieten z.B. in Führungsstäben, Leitstellen oder nach fachbezogenen Fortbildungen zuzu- ordnen. Zielgruppengrößen mit Stand 1. Quartal 2015 (01.04.15): Zielgruppe 1 Zielgruppe 2 Zielgruppe 3 gesamt 9.527 4.618 davon 1.845 Angestellte 3.739 17.884 3. Wie viele scharfe Trainingsschüsse müssen Beam- te bzw. Angestellte der Berliner Polizei pro Jahr mindes- tens abgeben, damit Ihnen nicht die Berechtigung zum Führen einer Waffe versagt werden kann und auf welche Rechtsgrundlage stützt sich diese Vorgabe? (Bitte nach Zielgruppen (vgl. Drs. 17/13468) differenziert darstellen; Rechtsgrundlage bitte anhängen) Zu 3.: Regelungen über den Umgang mit Waffen oder Munition sind im Waffengesetz (WaffG) niedergelegt. Gemäß § 55 WaffG ist u.a. die Polizei von den Regelun- gen dieses Gesetzes ausgenommen. Das Schießtraining der Polizeien der Länder und der Bundespolizei wird auf Grundlage der bundesweit gülti- gen Polizeidienstvorschrift 211 gestaltet sowie den Ge- schäftsanweisungen der Berliner Polizei Landespolizeidi- rektion (LPolDir) 17/1993 und Zentrale Serviceeinheit (ZSE) IV 3/2011. Eine Einsichtnahme in die genannten Rechtsgrundla- gen ist auf der Grundlage von Artikel 45 Absatz 2 der Verfassung von Berlin möglich. Die sogenannten Grundlagen- und Kontrollübungen umfassen 39 Schuss und stellen bei Erreichen der Min- desttrefferleistung die Mindestschießleistung eines Waf- fenträgers oder einer Waffenträgerin innerhalb eines Ka- lenderjahres dar. Die Mindestschießleistung kann vorübergehend auch lasersimuliert nachgewiesen werden, z.B. für Dienstkräfte mit ärztlich attestierten Auflagen. Die dauerhafte Waffenträgereigenschaft von Polizei- dienstkräften ist mit Abschluss des Vorbereitungsdienstes erworben und gilt bis zum Ausscheiden aus dem Dienst. Sie kann ggf. für den Zeitraum bis zum erneuten Nach- weis der Grundlagen- und Kontrollübungen ruhen, wird aber weder versagt noch gesetzlich aufgehoben. Ausnahmen bilden Einzelfälle, in denen durch ärztli- ches Attest oder durch Weisung des Dienststellenleiters oder der Dienststellenleiterin die Einziehung der Schuss- waffe einer Dienstkraft veranlasst werden kann. 4. Inwiefern wurde die Zahl der scharfen Trainings- schüsse im Rahmen der „Reduzierung auf Grundlagenund Kontrollübungen“ im Jahr 2014 abgesenkt (vgl. Drs. 17/13468), auf welcher Rechtsgrundlage geschah dies und wie ist sichergestellt, dass trotz Reduzierung die notwen- digen Fähigkeiten sicher mit einer Waffe umzugehen erhalten bleiben? Zu 4.: Das Schießtraining im „scharfen Schuss“ wurde für alle Zielgruppen auf das einmalige erfolgreiche Ab- solvieren der Grundlagen- und Kontrollübung reduziert. Zuvor waren zielgruppenabhängig bis zu drei jährliche Schießtrainingseinheiten vorgesehen. Ein Waffenträger oder eine Waffenträgerin in der Zielgruppe 1 absolvierte bisher 3 Schießtrainings pro Jahr, in denen insgesamt bis zu 120 Schuss abgegeben wurden. In der Zielgruppe 2, bei bislang zwei jährlichen Schießtrainingseinheiten, waren es bis zu 90 Schuss. Die genaue Schusszahl ist personen- und auch übungsabhän- gig. Die Zielgruppe 3 hatte auch vor der Reduzierung nur die Grundlagen- und Kontrollübungen mit 39 Schuss im Rahmen eines jährlichen Schießtrainings zu absolvieren. Die zweiten und dritten Trainingsabschnitte werden zurzeit unter Verwendung von Laser-Simulationssyste- men in Form von Tages- und Halbtagesseminaren absol- viert. Das einmalige Schießtraining mit dem scharfen Schuss musste aus dem Verbund der Tages- bzw. Halbta- gesseminare herausgelöst und an einzelnen Trainingster- minen absolviert werden, um die verbleibenden Kapazitä- ten an Schießständen übergreifend nutzen zu können. Um die dadurch zwangsläufig entstehenden hohen An- und Abfahrtzeiten, insbesondere zum Standort des Schieß- standes Wannsee, kompensieren zu können, musste die Anzahl der zu absolvierenden Tages- bzw. Halbtagesse- minare der Zielgruppen 1 und 2 verringert werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 014 3 Die Angehörigen der Zielgruppe 1 absolvieren min- destens eine Schießeinheit mit der Grundlagen- und Kon- trollübung Pistole und die Grundlagenübung mit der Ma- schinenpistole. Weiterhin werden zwei ganztägige Semi- nare Einsatztraining absolviert. Die Angehörigen der Zielgruppe 2 absolvieren neben einer Schießtrainingseinheit ein ganztägiges Seminar Einsatztraining. Die Angehörigen der Zielgruppe 3 absolvieren neben der Schießtrainingseinheit ein halbtägiges Seminar. Die Fachaufsicht über das Einsatztraining der Polizei Berlin und damit auch über Umfang und Inhalte liegt auf Grundlage der Geschäftsanweisung ZSE IV Nr. 3/2011 beim Landeseinsatztrainer, vorbehaltlich der Zustimmung der Behördenleitung. Die vorgenommene Reduzierung wurde im zuständigen Fachausschuss Polizeiliches Ein- satztraining Berlin beraten, vom Landeseinsatztrainer der Behördenleitung empfohlen und von dort zugestimmt. 5. Wie viele Beamte bzw. Angestellte der Berliner Polizei haben im Jahr 2013 und soweit bereits vorliegend im Jahr 2014 nicht die erforderliche Anzahl von scharfen Trainingsschüssen absolviert, die zur Berechtigung des Führens einer Waffe erforderlich sind? (bitte nach Ziel- gruppen differenziert darstellen) 6. Wie wird überprüft, ob Beamte bzw. Angestellte der Berliner Polizei die für ihr Aufgabengebiet bzw. ihre Organisationseinheit notwendige Anzahl von scharfen Trainingsschüssen absolvieren? 7. In wie vielen Fällen wurde Beamten bzw. Ange- stellten der Berliner Polizei das Führen einer Waffe unter- sagt, weil sie nicht die erforderliche Anzahl von scharfen Trainingsschüssen erbringen konnten? (Bitte nach Ziel- gruppen differenziert darstellen) Zu 5. bis 7.: Wie in der Antwort auf Frage 1 darge- stellt, fand im Jahr 2013 noch keine Unterscheidung zwi- schen Trainingseinheiten mit und ohne Schießtraining statt. Im Jahr 2014 haben noch 14.519 Schießtrainingsein- heiten mit „scharfem Schuss“ stattgefunden. Die restlichen Trainingseinheiten fanden lasersimuliert statt. Die Einsatztrainingsbereiche der Direktionen und Äm- ter führen namentliche Übersichtslisten und personenge- bundene schriftliche Schießleistungsnachweise über alle Waffenträger und Waffenträgerinnen der Berliner Polizei. Eine behördenweite zahlenmäßige Erfassung von Fäl- len, in dem ein Waffenträger oder eine Waffenträgerin nicht die erforderliche Schießleistung erbrachte, erfolgt jedoch nicht, bislang ist allerdings kein entsprechender Fall bekannt. Soweit bekannt, konnten alle Dienstkräfte, deren Waf- fenträgereigenschaft in 2013 und 2014 aufgrund nicht zeitgerecht erbrachter Schießtrainingseinheiten kurzfristig ruhte, nachträglich die Voraussetzungen zum Führen der Schusswaffe nachweisen oder auf Lasersimulationsanla- gen erbringen. Beim Vorliegen individueller Hinderungsgründe (z. B. längere Krankschreibungen oder attestierte Ausnahmen) ruht die Berechtigung zum Führen der Schusswaffe. Die betroffenen Dienstkräfte haben die Möglichkeit, ihre Schießleistungen nach Wegfall der Hinderungsgrün- de jederzeit nachzuweisen und erfüllen dann wieder die Voraussetzungen zum Führen der Schusswaffe. 8. Welche Kapazitäten an Schießständen bzw. Schießbahnen sind erforderlich, damit jeder Beamte bzw. Angestellte der Berliner Polizei zumindest die für seine Zielgruppe erforderlichen Trainingseinheiten mit scharfen Trainingsschüssen absolvieren kann, ohne Gefahr zu laufen, die Berechtigung zum Führen einer Waffe zu verlieren? Zu 8.: Die insgesamt benötigten Kapazitäten an Schießbahnen im Rahmen des Einsatztrainings orientieren sich an verschiedenen Faktoren, z. B. an der Zahl der zum Schießtraining in den einzelnen Zielgruppen verpflichte- ten Dienstkräfte, den verfügbaren Kalendertagen, War- tungsintervallen und sonstigen technischen Ausfallzeiten, Einsatzbelastungen der Dienstkräfte, der täglichen Nut- zungsdauer und dem benötigten Bedarf anderer Dienstbe- reiche (z.B. der Ausbildung von Dienstanfängern). Werden darüber hinaus Trainingseinheiten z.B. ein- satzbedingt oder wegen Erkrankung storniert und zu ei- nem späteren Zeitpunkt nachgeholt, können sich planeri- sche Überkapazitäten ergeben. Die tatsächlich benötigte Schießzeit ist zudem vom Ausbildungsstand des Schützen abhängig. Die Polizei setzte die Projektgruppe „Strategische Neuausrichtung des Schießtrainings und effizienter Be- trieb behördlicher Schießstätten“ ein, um den künftigen Bedarf festzustellen. Geplant werden 5 ganzheitliche Einsatztrainingsstan- dorte mit derzeit insgesamt 48 vorgesehenen Schießbah- nen für alle Belange der Aus- und Fortbildung aller Dienstbereiche der Polizei Berlin. 9. Welche Kapazitäten an Schießständen bzw. Schießbahnen (eigene und gemietete) stehen aktuell in Berlin zu Verfügung? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 014 4 Zu 9.: Aktuell (Stand 20.04.2015) sind folgende Schießstände in Betrieb: • Bernauer Straße: Halle 8 (6 Bahnen) • Bernauer Straße: Hallen 6 und 7 (6 und 4 Bahnen) nur ohne „scharfen Schuss“ • Ruhleben: Haus 4 (2 Bahnen) • Ruhleben: Haus 18/3 (8 Bahnen) 10. Sind Medienberichte korrekt, wonach der Betrieb des angemieteten Schießstandes Wannsee eingestellt wurde? Welche Ursachen liegen vor, wie viele der 20 Schießbahnen sind betroffen und wann ist mit einer Wie- derinbetriebnahme zu rechnen? Zu 10.: Der Betrieb der von der Deutschen Versuchs- und Prüf-Anstalt für Jagd- und Sportwaffen e.V. (DEVA) angemieteten Schießstände in Wannsee musste eingestellt werden. Bei der Begehung durch Schießstandsachver- ständige der Berliner Polizei konnte nicht ausgeschlossen werden, dass durch den Schalldruck nach Schussabgabe aus -vermutlich zum Teil ungeschützt verbauten- Stein- wollplatten Material in die Umgebungsluft abgegeben wird. Das gelöste Material führte bei den Einsatztrainern zu Reizungen der Atemwege und zu Juckreiz auf unbedeck- ter Haut. Da eine Gesundheitsgefährdung der Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter nicht ausgeschlossen werden kann, wurde als Sofortmaßnahme ein Nutzungsverbot bis zur Klärung auch für die restlichen Schießstände in Wannsee ausgesprochen. Aktuell kann noch nicht abgeschätzt wer- den, wann die Schießstände wieder freigegeben werden können. 11. Teilt der Senat die Befürchtung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Pfalzgraf (vgl. Pres- semitteilung vom 16.4.2015), wonach die aktuelle Situa- tion ein „Entwaffnungsprogramm für die Polizei“ bedeute ? Zu 11: Nein. Wie in der Antwort zur Frage 7 darge- stellt, konnten bislang von allen Waffenträgern und Waf- fenträgerinnen der Berliner Polizei die Voraussetzungen zum Führen der Schusswaffe erbracht werden. Den reduzierten Kapazitäten verfügbarer Schießstände wurde durch Anpassungen bei der Durchführung des Schießtrainings (siehe Antwort zur Frage 4) und die in- tensive Nutzung anderer Trainingsmöglichkeiten, z.B. Laser-Schießanlagen, entgegen gewirkt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des Sondervermö- gens Infrastruktur Wachsende Stadt (SIWA) Mittel für die Sanierung von Schießständen vorgesehen sind. Berlin, den 30. April 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Mai 2015)