Drucksache 17 / 16 039 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 31. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. April 2015) und Antwort Was unternimmt die Berliner Polizei gegen strafbare Inhalte auf den diversen Facebook- Seiten „Nein zum Heim“? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche „Nein zum Heim“-Seiten sind den Behörden bekannt? Zu 1.: Der virtuelle Protest gegen die Unterbringung von Flüchtlingen sowie gegen die Flüchtlingspolitik in Berlin findet überwiegend im sozialen Netzwerk Face- book statt. Andere soziale Netzwerke spielen eine nach- geordnete Rolle. Dieser Protest ist dynamisch, Facebook- Seiten werden gelöscht oder gesperrt, neue Facebook- Seiten ebenso schnell wieder eingerichtet. Eine Besonderheit stellen die Facebook-Seiten „Bürgerbewegung Hellersdorf“ und „Bürgerbewegung Marzahn “ dar, da die Betreiber zum Monatswechsel Januar /Februar 2015 verkündeten, die aktive Nutzung der Facebook-Seiten einzustellen. Diese beiden Seiten bilde- ten bis dahin den Kern der „Nein zum Heim“-Seiten. Stattdessen nutzen die Betreiber nun die anonymisiert registrierte Webseite www.bb-mahe.com. Zu den aktiven Facebook-Seiten gehören gegenwärtig die Seiten: Wache auf – Handeln statt Klagen Nein zum Containerdorf am Standort Allende II Bürgerinitiative Treptow-Köpenick Nein zum Heim in Köpenick Kein Asylanten- Containerdorf in Buch Kein Asylanten- Containerdorf in Falkenberg Kein Asylanten – Containerdorf in MarzahnHellersdorf Kein Asylanten- Container Dorf in Lichtenberg 2. Wie viele Fälle von Aufruf zur Gewalt, Volksver- hetzung, Diffamierung und Beleidigung hat die Berliner Polizei seit 2014 bis heute verzeichnet? (Aufstellung nach den einzelnen „Nein zum Heim“-Seiten erbeten.) Zu 2.: Grundlage für die Beantwortung der Anfrage bildet der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Dabei handelt es sich entgegen der „Polizeilichen Kriminalstatistik “ (PKS) um eine Eingangsstatistik. Die Fallzählung erfolgt tatzeitbezogen, unabhängig davon, wann das Er- mittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde. Die folgenden statistischen Angaben stellen keine Einzelstraftaten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) dar. Bei der Darstellung handelt es sich um Fall- zahlen. Ein Fall bezeichnet jeweils einen Lebenssachverhalt in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit identischer oder ähnlicher Motivlage, unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen, Tathandlungen, Anzahl der verletzten Rechtsnormen oder der eingeleiteten Ermitt- lungsverfahren. Die Fallzahlen der PMK unterliegen bis zum Ab- schluss der Ermittlungen – ggf. bis zum endgültigen Gerichtsurteil – einer Bewertung gemäß der angenommenen Tätermotivation. Darüber hinaus können Fälle der PMK erst nach dem Statistikschluss bekannt und entsprechend gezählt werden. Deshalb kommt es sowohl unter- als auch überjährig immer wieder zu Fallzahlenänderungen. Um die Fallzahlen übersichtlich und in Teilbereichen vergleichbar darzustellen, erfolgt die Unterteilung in die Deliktsarten Gewaltdelikte, Propagandadelikte und sons- tige Delikte. Gewaltdelikte sind Tötungsdelikte, Körperverletzun- gen, Brand- und Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, Gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahn- und Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte, Sexualdelikte einschließlich Versu- che. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 039 2 Propagandadelikte sind das Verbreiten von Propagan- damitteln und das Verwenden von Kennzeichen verfas- sungswidriger Organisationen. Die sonstigen Delikte beinhalten alle weiteren Strafrechtsnormen des Strafge- setzbuches sowie der Strafrechtsnebengesetze. Um das Motiv eines Falles auswertbar darzustellen, werden diesem bundeseinheitlich verbindliche Themen- felder bzw. Unterthemen zugeordnet. So ist z. B. „fremdenfeindlich “ ein Unterthema des Themenfeldes „Hasskriminalität “. Um das Motiv detailliert darzustellen, können einem Fall mehrere Themenfelder bzw. Unterthemen zugeordnet werden. So kann ein Fall bspw. sowohl fremdenfeindlich als auch antisemitisch sein. Aus diesem Grund wird ein Fall bei der Auswertung der Themenfelder bzw. Un- terthemen so oft gezählt, wie ihm Themenfelder bzw. Unterthemen zugeordnet wurden. Insofern führt die Summierung der Fallzahlen in den einzelnen Unterthemen grundsätzlich nicht zum tatsächlichen Fallzahlenaufkom- men. 2014 Lfd. Nr. Zähldelikt Phänomen- bereich Tatzeit Facebook-Seite 1 § 185 Strafge- setzbuch (StGB)- Belei- digung nicht zuzuordnen 01.01.2014 BB-Hellersdorf (Bürgerbewegung Hellersdorf) 2 § 111 StGB – öffentliche Auf- forderung zu Straftaten rechts 06.01.2014 Nein zum Camp am Oranienplatz 3 § 111 StGB rechts 06.01.2014 BB-Hellersdorf 4 § 111 StGB rechts 12.01.2014 BB-Hellersdorf 5 § 241 StGB - Bedrohung rechts 23.01.2014 BB-Hellersdorf 6 § 187 StGB - Verleumdung rechts 24.01.2014 BB-Hellersdorf 7 § 185 StGB rechts 24.01.2014 BB-Hellersdorf 8 § 111 StGB rechts 21.02.2014 Nein zum Heim in Köpenick 9 § 130 StGB - Volksverhet- zung rechts 24.02.2014 Nein zum Heim in Köpenick 10 § 130 StGB rechts 24.02.2014 BB-Hellersdorf 11 § 111 StGB rechts 08.03.2014 Nein zum Heim in Köpenick 12 § 187 StGB rechts 20.03.2014 BB-Hellersdorf 13 § 140 StGB- Billigung von Straftaten rechts 25.03.2014 Nein zum Heim in Pankow (nicht mehr existent) 14 § 241 StGB rechts 27.03.2014 BB-Hellersdorf 15 § 241 StGB rechts 27.03.2014 BB-Hellersdorf 16 § 111 StGB rechts 01.04.2014 BB-Hellersdorf 17 § 130 StGB rechts 03.04.2014 BB-Hellersdorf 18 § 130 StGB rechts 03.04.2014 BB-Hellersdorf 19 § 201 StGB - Verletzung des vertraulichen Wortes rechts 04.04.2014 BB-Hellersdorf 20 § 187 StGB rechts 15.04.2014 Nein zum Heim in Köpenick 21 § 111 StGB rechts 20.04.2014 Nein zum Heim in Köpenick 22 § 130 StGB rechts 09.06.2014 BB-Hellersdorf 23 § 111 StGB rechts 09.06.2014 BB-Hellersdorf 24 § 111 StGB rechts 09.06.2014 BB-Hellersdorf Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 039 3 Lfd. Nr. Zähldelikt Phänomen- bereich Tatzeit Facebook-Seite 25 § 111 StGB rechts 09.06.2014 BB-Hellersdorf 26 § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheim- nissen rechts 16.06.2014 BB-Hellersdorf 27 § 130 StGB rechts 20.06.2014 Nein zum Heim in Pankow 28 § 130 StGB rechts 04.08.2014 Nein zum Heim in Köpenick 29 § 130 StGB rechts 18.09.2014 Nein zum Heim in Köpenick 30 § 130 StGB rechts 18.09.2014 Nein zum Heim in Köpenick 31 § 111 StGB rechts 22.09.2014 BB-Hellersdorf 32 § 111 StGB rechts 26.09.2014 BB-Hellersdorf 33 § 111 StGB rechts 02.10.2014 Nein zum Heim in Köpenick 34 § 111 StGB rechts 23.10.2014 BB-Hellersdorf 35 § 185 StGB rechts 16.11.2014 Nein zum Heim in Köpenick 36 Kunsturheberge- setz rechts 25.11.2014 BB-Hellersdorf 37 § 111 StGB rechts 03.12.2014 BB-Hellersdorf 38 § 185 StGB rechts 03.12.2014 BB-Hellersdorf 39 § 185 StGB rechts 03.12.2014 BB-Hellersdorf 40 § 185 StGB rechts 03.12.2014 BB-Hellersdorf 41 § 241 StGB rechts 12.12.2014 Nein zum Heim in Köpenick 42 § 111 StGB rechts 12.12.2014 Berlin sagt Nein zu Flüchtlingen (nicht mehr existent) 43 § 185 StGB nicht zuzuordnen 21.12.2014 Nein zum Heim in Köpenick 2015 Lfd. Nr Zähldelikt Phänomen- bereich Tatzeit Facebook-Seite 1 § 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswid- riger Organisa- tionen rechts 14.01.2015 BB-Marzahn 2 § 111 StGB rechts 07.01.2015 Kein Asylanten-Containerdorf in Fal- kenberg 3 § 126 StGB – Störung des öffentlichen Friedens rechts 04.04.2015 Nein zum Heim in Köpenick 4 § 111 StGB rechts 07.01.2015 Kein Asylanten-Containerdorf in Fal- kenberg 5 § 187 StGB rechts 13.01.2015 Nein zum Containerdorf am Standort Allende II 6 § 111 StGB rechts 11.01.2015 BB-Hellersdorf 7 § 111 StGB rechts 12.01.2015 BB-Marzahn Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 039 4 3. Was unternimmt die Berliner Polizei gegen Belei- digungen, Diffamierungen und Volksverhetzung auf den verschiedenen Facebook-Seiten mit dem Namen „Nein zum Heim“? Zu 3.: Die Polizei Berlin ermittelt grundsätzlich gegen strafbare Äußerungen in den sozialen Netzwerken im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften. Eine Be- trachtung derartiger Initiativen auf Facebook und anderen sozialen Netzen erfolgt jedoch nur anlassbezogen, bei- spielsweise bei Bekanntwerden von tatsächlich oder ver- mutet strafbaren Inhalten oder Lebenssachverhalten, die eine Gefährdungslage implizieren. Bei Vorhandensein von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat prüft die Polizei Berlin in Ab- stimmung mit der Staatsanwaltschaft alle strafpro- zessualen Maßnahmen und leitet entsprechende Ermitt- lungsverfahren ein. 4. Wurden in diesem Zusammenhang bereits Strafan- zeigen gestellt? Wenn ja, wie viele und mit welchem Tatvorwurf? (Aufschlüsselung nach den einzelnen „Nein zum Heim“-Seiten erbeten.) Zu 4.: Die Antwort ist der Tabelle zu Frage 2 zu ent- nehmen. 5. Sind den Behörden die Betreiber der jeweiligen „Nein zum Heim“-Seiten namentlich oder durch ihre IPAdressen bekannt? Zu 5.: Den Sicherheitsbehörden sind keine offiziellen Vertreterinnen oder Vertreter der Facebook-Seiten „Nein zum Heim“ bekannt. 6. Wie viele Fälle (nach 2. und 3.) wurden juristisch weiter verfolgt und in wie vielen Fällen kam es zu Verur- teilungen? 7. In wie vielen Fällen kam es zu einer Verfahrensein- stellung und aus welchen hauptsächlichen Gründen? 8. In wie vielen Fällen der Ermittlungen und Verurtei- lungen wurde bei den Taten eine ausländerfeindliche bzw. rechtsextreme Motivation festgestellt? Zu 6.-8.: Da eine Erfassung von Ermittlungs- und Strafverfahren wegen strafrechtlich relevanter ausländer- feindlicher Inhalte von Facebook-Seiten im Aktenverwal- tungssystem der Strafverfolgungsbehörden Mehrländer- Staatsanwaltschafts-Automation (MESTA) nicht erfolgt, stehen keine belastbaren Zahlen zur Verfügung. Hinsichtlich der mutmaßlichen Tätermotivation, die im Verlauf der Ermittlungen festgestellt wurde, wird auf die Beantwortung der Frage 2 verwiesen. 9. Welche Kenntnis haben die Behörden über eine Be- teiligung der NPD beim Betrieb der verschiedenen „Nein zum Heim“-Seiten auf Facebook? Zu 9.: Die Ablehnung von Zuwanderung und die Asylpolitik sind seit jeher Kernthemen des parteipoliti- schen Rechtsextremismus. Gleichfalls werden diese bei- den Themenfelder auch von der Gruppe der rechten „Heimgegner“ besetzt, wobei die National Demokratische Partei Deutschland (NPD) seitens der Betreiberinnen oder Betreiber einiger „Nein zum Heim“- Facebook-Seiten als die politische Partei empfunden wird, die sich für die „Heimgegner“ einsetzt. Insbesondere Facebook-Seiten gegen Flüchtlingsun- terkünfte in Pankow, Lichtenberg und Treptow-Köpenick heben die Rolle der NPD bei den Protesten gegen die Flüchtlingsunterkünfte positiv hervor und berichten über Aktivitäten der NPD. Dies sind Anhaltspunkte für eine Symbiose zwischen virtuellem und realem Protest (De- monstrationen, Flugblattverteilungen etc.) bzw. zwischen den anonymen „Nein-zum-Heim“-Seiten auf Facebook und der NPD. In diesem Zusammenhang ist zu berück- sichtigen, dass die NPD versucht, die Urheberschaft eige- ner Aktivitäten mit Tarnorganisationen und Strohperso- nen zu verschleiern. Berlin, den 04. Mai 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Mai 2015)