Drucksache 17 / 16 040 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 13. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. April 2015) und Antwort Muss das Land seine Amtsträger besser schützen? – Angriffe zwischen 2010 und 2014 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Erst ab dem Jahr 2011 können im Be- reich der sogenannten Opferdelikte der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) über so genannte „Opfertabellen“ genauere Auswertungen erfolgen. Angaben für das Jahr 2010 sind daher nicht möglich. Der Begriff „Amtsträger“ gehört jedoch nicht zu den vorgegebenen und somit auswertbaren Katalogbegriffen. Eine separate Erfassung oder Auswertung von Opferdaten zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Ordnungsamt und Justiz erfolgt ebenfalls nicht. Auch über die PKS hinaus werden Angriffe auf Amts- träger der Berliner Ämter und Behörden nicht zentral oder einheitlich erfasst. Im Zuge der Beantwortung der Schrift- lichen Anfrage wurden die relevanten Senatsverwaltun- gen und Behörden jeweils um entsprechende Angaben gebeten. Dabei wurde festgestellt, dass die übermittelten Informationen in Bezug auf Umfang und Differenzierung teilweise erheblich voneinander abweichen. Nicht in allen Bereichen werden Angriffe auf Amtsträger statistisch erfasst. Erfolgt eine Erfassung, sind die genutzten Krite- rien nicht einheitlich und daher nicht vergleichbar. Eine valide Darstellung von Angaben zu Angriffen, die über den in der PKS auswertbaren Rahmen hinaus- geht, ist daher nicht möglich. Zur Beantwortung der Fragen wurden die in den Kata- logen der PKS enthaltenen und auswertbaren Gruppen betrachtet, hierbei handelt es sich um: Polizeivollzugsbe- amtinnen und Polizeivollzugsbeamte, Feuerwehrbeamtin- nen und Feuerwehrbeamte, sonstige Vollstreckungsbeam- tinnen oder Vollstreckungsbeamte, Vollstreckungsbeam- tinnen oder Vollstreckungsbeamte der Justizvollzugsan- stalten sowie Lehrkräfte. Es handelt sich bei allen im Folgenden genannten Zahlen um Opferzahlen, nicht um Fallzahlen. 1. Wie viele Angriffe (ohne Widerstand nach § 113 StGB) auf Amtsträger gab es in den Jahren 2010 bis 2014 im Land Berlin insgesamt? (Bitte nach einzelnen Jahren auflisten) 2. Wie viele Angriffe richteten sich davon gegen je- weils Polizei, Feuerwehr, Ordnungsamt, Justiz sowie andere Behörden? (Bitte nach einzelnen Jahren auflisten) Zu 1. und 2.: Da der Begriff „Angriff“ hier nicht näher definiert ist, dienten für die statistische Auswertung die in der PKS erfassten so genannten „Opferfdelikte“, die z.B. Straftaten gegen die persönliche Freiheit oder körperliche Unversehrtheit einschließen. Straftaten nach §113 Straf- gesetzbuch sind nicht enthalten. Ausgewertet wurden alle Opferdelikte, bei denen Personen aus den in der Vorbe- merkung beschriebenen Gruppen als Geschädigte erfasst wurden. 2011 2012 2013 2014 Polizeivollzug 2339 1975 1845 2148 Feuerwehr 71 74 75 64 Sonstige Vollzugsbeam- tinnen und Vollzugsbeam- te 54 55 96 142 Justizvollzug 32 38 47 33 Lehrkräfte 244 223 203 175 gesamt 2740 2365 2266 2562 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 040 2 3. Wie viele Verletzte gab es bei diesen Angriffen in den Jahren 2010 bis 2014 insgesamt? (Bitte nach einzel- nen Jahren auflisten) 4. Wie viele Verletzte waren davon Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von jeweils Polizei, Feuerwehr, Ord- nungsamt, Justiz sowie anderen Behörden? (Bitte nach einzelnen Jahren auflisten) Zu 3. und 4.: Um eine Vergleichbarkeit der Zahlen verletzter Personen zwischen den unterschiedlichen Gruppen sowie zu den in der Antwort zu Frage 1 und 2 genannten Zahlen zu gewährleisten, werden auch hier die statistisch auswertbaren Angaben der PKS genutzt. Die Auswertung erfolgt hier anhand der Zahl der er- fassten Opfer von vollendeten Körperverletzungsdelikten (entsprechend §§ 223 bis 227, 229 und 231 Strafgesetz- buch), da diese Form der Auswertung der Fragestellung „Angriffen mit Verletzten“, für die es kein statistisch auswertbares Äquivalent gibt, am präzisesten entspricht, allerdings müssen nicht alle der in der Opfertabelle erfass- ten Personen notwendiger Weise verletzt sein. Gegenüber anderen Statistiken kann es dabei zu Ab- weichungen kommen: Insbesondere bei Polizeivollzugs- kräften geht ein Teil der hier ausgewerteten Körperverlet- zungsdelikte tateinheitlich mit Widerstandsdelikten ein- her, die in die hier genannten Zahlen einflossen, Wider- standsdelikte mit Verletzten ohne tateinheitlich verübte Körperverletzung jedoch nicht. Ebenso sind Abweichun- gen zu internen Statistiken einzelner Verwaltungen oder Behörden nicht auszuschließen, bei denen andere Erfas- sungsgrundlagen verwendet werden. 2011 2012 2013 2014 Polizeivollzug 1129 912 881 1054 Feuerwehr 36 45 39 27 Sonstige Vollzugsbeam- tinnen und -beamte 24 30 58 52 Justizvollzug 21 11 21 9 Lehrkräfte 131 112 102 93 gesamt 1341 1110 1101 1235 5. Wie schätzt der Senat die Entwicklung der Angrif- fe ein und wovon ist diese abhängig? Zu 5.: Der weitaus größte Teil der Opferzahlen entfällt auf Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeam- te. Aus den Zahlenwerten der Jahre 2011 bis 2014 lässt sich erkennen, dass der Höchststand im Jahr 2011 lag und in den beiden Folgejahren leicht abgenommen hat. Grün- de für die 2014 wieder gestiegene Anzahl der geschädig- ten Polizeivollzugskräfte sind möglicherweise auch in der gestiegenen Anzahl demonstrativer Aktionen und Ver- sammlungen zu finden. In den übrigen betrachteten Gruppen sind jeweils un- terschiedliche Entwicklungen festzustellen: Während die Opferzahlen bei Feuerwehrkräften in den Jahren 2011 bis 2013 nahezu konstant bleibt, geht sie im Jahr 2014 deut- lich zurück. Demgegenüber zeigen sich die Opferzahlen im Bereich des Justizvollzugs schwankend. Im Bereich der Lehrkräfte ist dagegen eine insgesamt sinkende Ten- denz festzustellen. Aufgrund dieser uneinheitlichen Entwicklung ist es kaum möglich, allgemeingültige Ursachen zu benennen. Gründen wie der Werteentwicklung innerhalb der Ge- sellschaft, dem Sinken von Hemmschwellen oder man- gelnder Respekt gegenüber Amtsträgern kommt sicherlich eine Bedeutung zu, ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen einzelnen Ursachen und Wirkungen ist aufgrund der Komplexität dieser Themen und der Wechselwirkung gesellschaftlicher Entwicklungen jedoch nicht zu benen- nen. 6. Was hat der Senat bisher unternommen, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landes stärker vor Angriffen zu schützen und was gedenkt der Senat zukünf- tig zu unternehmen? Zu 6.: Situationen, aus denen Konflikte und somit An- griffe entstehen können, unterscheiden sich entsprechend der verschiedenen Tätigkeitsbereiche von Landesmitar- beiterinnen und -mitarbeitern erheblich. Die verschiedenen Behörden und Verwaltungen haben daher jeweils unterschiedliche Konzepte entwickelt, die individuelle Tätigkeiten und mögliche Konfliktfelder der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berücksichti- gen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 040 3 Alle relevanten Behörden und Verwaltungen bieten Schulungen und Qualifizierungen an, die Aspekte wie Deeskalationsverhalten, Interventionstechniken, Erkennen von Gefahrenpotentialen, aktives Training (Simulationen) oder Selbstschutztechniken und Eigensicherung beinhal- ten können. Für die Berliner Schulen wurden Notfallpläne erarbei- tet, die Handlungsanweisungen geben, wie in Konfliktfäl- len zu verfahren ist. Schulpsychologische Beratungszen- tren bieten Opfern und Betroffenen sowie Schulleitungen und Krisenteams an Schulen psychologische Beratung und Unterstützung an. Speziell geschulte Schulpsycholo- ginnen und Schulpsychologen für Gewaltprävention und Krisenintervention stehen dafür an jedem Standort zur Verfügung. An den Gerichten wurden verstärkte Einlasskontrol- len, Streifengänge im Gebäude (insbesondere im Bereich der Sitzungssäle) oder persönliche Begleitung im Haus durch Justizwachtmeister umgesetzt. In den Publikumsbereichen des Landesamtes für Bür- ger- und Ordnungsangelegenheiten wird während der Arbeit nach Möglichkeit Öffentlichkeit hergestellt (z.B. durch geöffnete Durchgangstüren). In Bereichen, in denen dies nicht möglich ist, wurde ein so genannter „stiller Alarm“ eingeführt, mit dem ein vorher definierter Personenkreis bei einer eskalierenden Situation alarmiert wer- den kann. Innerhalb der Berliner Feuerwehr wurde die Proble- matik thematisch im Bereich Arbeits- und Gesundheits- schutz im Hinblick auf die Gefährdungsbeurteilungen bzw. Überlegungen zu weiteren Präventionsmaßnahmen aufgenommen. Da der größte Teil der Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte entfällt, kommt einer Prävention in diesem Bereich auch eine besondere Bedeutung zu. Im Polizeilichen Einsatztraining wird das Verhalten in eskalierenden oder konfliktträchtigen Situationen immer wieder trainiert. Auch die Ausstattung und Ausrüstung der Polizei wird fortlaufend evaluiert und verbessert. Seit dem Jahr 2000 beschäftigt das Thema „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte“ auch verstärkt die Polizeien der Bundesländer und des Bundes. Daraus resultierten länderübergreifende Projektgruppen bzw. länderoffene Arbeitsgruppen auf verschiedenen Ebenen, teilweise unter Leitung des Landes Berlin. Durch die Innenministerkonferenz (IMK), in Koopera- tion mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP), wurde das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) gebeten, eine Studie zum Thema „Gewalt gegen Polizeibeamte /-innen“ durchzuführen. Das Ergebnis wurde den Ländern und dem Bund im Jahr 2002 vorgestellt. Daraus resultierend ergaben sich u. a. Maßnahmen bei der Aus- bildung im Bereich des Eigensicherungstrainings und die Verbesserung der Körperschutzausstattungen. Eine zweite Studie zu diesem Thema erfolgte vom Februar 2010 bis Juni 2011. Für das Land Berlin wird, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, seit 2011 das Landeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte“ erstellt und veröffentlicht, das durch eine detaillierte statistische Auswertung eine Basis für erfolgreiche Konzepte zur Gewaltprävention darstellt. Im Rahmen des durch den Senator für Inneres und Sport ins Leben gerufenen „Wertedialogs“ wurde die Landeskommission gegen Gewalt mit der Umsetzung der Kampagne „Respekt? Ja Bitte!“ beauftragt. Gemeinsam mit Vereinen, Behörden oder Initiativen wird das Ziel verfolgt, Gewalt und Kriminalität in Berlin zu verringern und einen respektvollen und friedlichen Umgang mitei- nander und gegenüber Amtsträgern, etwa von Polizei, Feuerwehr, Lehrkräften oder den Ordnungsämtern, zu fördern. Seit dem Jahr 2014 fanden in diesem Zusammenhang mehrere Veranstaltungen wie Diskussionen, Dialogveran- staltungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Akt- euren oder auch Wettbewerbe statt. Das Thema „Angriffe auf Amtsträger“ besitzt für den Senat von Berlin auch weiterhin einen hohen Stellenwert. Die bisherige und auch künftige Arbeit berücksichtigt bei der Prävention von Gewalt nicht nur die Ausprägung als gesellschaftliches Phänomen, sondern auch ihre Wirkung in konkreten Fällen bei der Arbeit von Landesbedienste- ten. Durch Lehrgänge in Aus- und Fortbildung, Verbesse- rungen bei den zur Verfügung stehenden Einsatzmitteln oder auch der Personalfürsorge und Nachsorge wurden und werden vielfältige Maßnahmen getroffen, um Lan- desbedienstete gegen Übergriffe zu schützen. Berlin, den 08. Mai 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Mai 2015)