Drucksache 17 / 16 068 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Canan Bayram (GRÜNE) vom 24. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2015) und Antwort Flucht aus dem Krieg in die Gefahr: Seveso II – Betrieb in direkter Nähe zur Notunterkunft für Geflüchtete am Rohrdamm 22 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In direkter räumlicher Nähe zur Notunterkunft Rohrdamm 22 gibt es einen Seveso II-Betrieb. Liegt eine Genehmigung für die Unterbringung von Geflüchteten im Rohrdamm 22 vor und nach welcher gesetzlichen Grund- lage wurde diese erteilt? Zu 1.: Der benannte Betrieb fällt bereits seit 2011 nicht mehr in den Anwendungsbereich der Störfall- Verordnung, da die Mengen gefährlicher Stoffe reduziert und die maßgeblichen Mengenschwellen für die Anwen- dung der Störfall-Verordnung unterschritten wurden. Somit befindet sich in direkter räumlicher Nähe kein sogenannter Seveso-II-Betrieb. Für die kurzfristige Notbelegung des Gebäudes Rohr- damm 22 hat vor Belegungsbeginn ein Rundgang mit dem Bauamt Spandau, der Berliner Feuerwehr, dem Brandschutzplaner, der PeWoBe Professionelle Wohn- und Betreuungsgesellschaft mbH (PeWoBe) und dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) statt- gefunden. Bei der Begehung wurde festgelegt, welche Maßnahmen vor der Notbelegung erforderlich waren und welche innerhalb von 4 Wochen abgeschlossen sein müs- sen. Hierüber wurde ein entsprechendes Protokoll erstellt. 2. Wie viele Geflüchtete sind derzeit in der Notunter- kunft untergebracht und wie lange sind Menschen dort jeweils untergebracht worden? (Bitte Verweildauer nach Wochen bzw. Monaten angeben.) Zu 2.: Zum Erfassungsstichtag 05.05.2015 waren 348 Personen in der Notunterkunft Rohrdamm 22 unterge- bracht. Die Aufenthaltsdauer wird statistisch nicht erfasst. 3. Durch welche staatliche Stelle wurde geprüft, ob der gemäß der EU-Seveso-II-Richtlinie erforderliche Abstand eingehalten wurde? Wie wurde der Abstand ermittelt? Wurde hier ein entsprechendes Gutachten er- stellt und welche Vorkehrungen wurden getroffen? 4. Im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren in der Nachbarschaft von Seveso-II-Betrieben sind unter ande- rem vorhabenbezogene Aspekte dieser Bauvorhaben zu berücksichtigen. Dabei muss auf das geplante Vorhaben und die Art und/oder die Intensität der Nutzung abgestellt werden. Auch die Fähigkeit zur Selbstrettung der Perso- nen, die sich durch das Vorhaben zusätzlich im Bereich aufhalten, muss dabei beachtet werden. Dabei sind An- zahl und Alter der im Ernstfall betroffenen Personen in die Planung einzubeziehen. In den Entscheidungshilfen der Berliner Bauaufsicht (einzusehen unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/bauaufsicht/ download/ehb-print.pdf) zu § 70 Bauordnung Berlin heißt es unter § 70 Immissionsschutzrechtliche Belange im Rahmen der Seveso II-Richtlinie, III., 2.2. zu vorhaben- bezogen Aspekten: „Die nachfolgenden Aspekte beziehen sich auf das geplante Vorhaben und die Art und/oder die Intensität seiner Nutzung. = Nutzungsart ("Art der Tätigkeit der neuen Ansied- lung") Fähigkeit der Personen, die sich durch das Vorhaben zusätzlich im Bereich aufhalten, zur Selbstrettung nach Anzahl und Alter - nicht zu erwarten bei Kita, Krankenhaus, Pflegeheim oder Senioren-WG - stark eingeschränkt bei vielen ortsunkundigen Besuchern, z.B. von Versammlungsstätten (ggf. zusätzlich erschwerte Selbstrettung wegen Alkohol, Drogen, lauter Musik). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 068 2 = Nutzungsintensität ("Intensität ihrer öffentlichen Nutzung") Anzahl der Personen, die sich durch das Vorhaben zu- sätzlich im Bereich aufhalten, insbesondere bei Publi- kumsverkehr. Falls zusätzliche Schutzvorkehrungen oder -maßnah- men beim Vorhaben vorgesehen sind, ist ggf. ein Einzel- fall-Ergänzungsgutachten (§ 29a BImSchG) durch den Vorhabenträger/Bauherrn zu veranlassen, wenn die Maß- nahmen im Hinblick auf ihre Schutzwirkung geeignet erscheinen. Das Gutachten ist der jeweils für den Störfall- betrieb zuständigen Überwachungsbehörde zur Einholung sachdienlicher Hinweise vorzulegen“ Inwiefern wurden die vorhabenbezogenen Aspekte bei Genehmigungsver- fahren in Bezug auf das Gebäude am Rohrdamm 22 be- rücksichtigt? (Bitte darstellen, von wem diese Aspekte von welcher Stelle wann geprüft wurden.) Zu 3. und 4.: Nach Mitteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt liegt für den oben genannten Betrieb ein Gutachten eines nach § 29a Bun- des-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) bekannt gegebe- nen Sachverständigen aus dem Januar 2010 vor. Der darin ermittelte angemessene Abstand ist inzwischen gegenstandslos geworden, da es sich aufgrund der Men- genreduzierung gefährlicher Stoffe seit 2011 nicht mehr um einen „Seveso-II-Betrieb“ handelt. 5. Wann wurde die Senatsverwaltung für Stadtent- wicklung und Umwelt als zuständige Behörde zur Über- wachung der Seveso-II-Betriebe über den Einzug von Geflüchteten im Rohrdamm 22 informiert und welche Maßnahmen hat sie daraufhin getroffen? Zu 5.: Für den vorgenannten ehemaligen „Seveso-IIBetrieb “ ist das Umwelt- und Naturschutzamt des Bezirksamtes Spandau die zuständige Überwachungsbehörde und nicht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, da es sich um eine nicht nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlage handelt. 6. Wie hat der Betreiber der Notunterkunft im Rohr- damm, die PeWoBe, die Geflüchteten über das Erforder- nis des Selbstschutzes aufgrund der Nähe zu einem Se- veso-II-Betrieb informiert und wurden die Informationen auch in allen in der Unterkunft vorhandenen Sprachen erteilt (z.B. Evakuierungsplan, Feuerwehrübungen)? Zu 6.: Eine Einweisung der Bewohnerinnen und Be- wohner über die Erfordernisse des Selbstschutzes war nicht erforderlich, da der Betrieb nicht mehr unter die Störfallverordnung fiel. 7. Welche Umbaumaßnahmen wurden seit dem An- kauf der Immobilien seitens der PeWoBe bzw. Ficon oder anderer Firmen durchgeführt und welches Auftragsvolu- men wurde vereinbart? (Bitte nach Abrechnungsabschnit- ten und Zahlungsanordnungen getrennt darstellen.) 8. Zu welchem Zwecke wurden der PeWoBe am 23.9.2014 der Betrag von 1,3 Millionen EUR überwiesen, wann wurde eine Rechnung hierzu eingereicht und wel- che Nachweise über die Verwendung des Geldes liegen bis heute vor? Zu 7. und 8.: Die PeWoBe wurde beauftragt, das Ge- bäude Rohrdamm 22 zur Notbelegung mit bis zu 500 Asylsuchenden kurzfristig umzubauen, herzurichten und auszustatten. Um dies zu erreichen, hatte PeWoBe unver- züglich mit den Umbauarbeiten begonnen und diverse Arbeiten in Auftrag gegeben. Für die Notbelegung waren u. a. Trockenbauarbeiten, Fliesenarbeiten, Tischlerarbei- ten, Bodenbelagsarbeiten, Schlosserarbeiten etc. notwen- dig. Fast sämtliche Heizkörper mussten erneuert werden, da diese aufgrund der Winterkälte und Frost geplatzt waren. Es mussten Fußböden, Trockenbauwände, Türen, abgehängte Decken, Elektroleitungen, Sanitäranlagen usw. neu verlegt, aufgestellt und installiert werden. Zu- sätzlich mussten die Wasseranlage, Heizungsanlage und die Elektroanlage ertüchtigt und erweitert werden. Die vorhandenen Wasser- und Abwasserstränge waren teil- weise zu erneuern, teilweise zusätzliche zu verlegen. Mit Rechnung vom 19.09.2014 stellte die PeWoBe dem LA- GeSo gem. einer Machbarkeitsstudie vom 17.09.2014 für die Herrichtung der Notbelegung mit 160 Personen von avisierten 500 Bewohnerinnen und Bewohnern eine erste Abschlagszahlung in Höhe von 1.351.661,50 Euro in Rechnung. Diese Rechnung wurde in zwei Teilbeträgen in Höhe von 1.081.329,20 € (30.09.2014) und in Höhe von 270.332,30 € (23.10.2014) beglichen. Die PeWoBe wurde verpflichtet, entsprechende Kosten für die Einrichtung nachzuweisen und etwaige Überzahlungen unaufgefordert an Berlin zurückzuzahlen. Eine detaillierte Aufstellung der Arbeiten inkl. Schlussrechnung und Nachweise wur- de seitens der PeWoBe eingereicht und befindet sich zurzeit in Prüfung. 9. Wie sollte die PeWoBe die Aufforderung des La- GeSo in einer E-mail vom 15.April 2014 verstehen, wo- nach die PeWoBe gebeten wurde, für "uns" zu kaufen und an die AWO zu vermieten? Handelte es sich dabei um eine Zusage an die PeWoBe der Art, dass der gesamte Kaufpreis der Immobilie durch Vereinbarung über den Mietzins, den die AWO entrichten muss, durch das La- GeSo über Tagessätze refinanziert wird und in welchem Verhältnis steht dazu die Zusage über die sofortige An- weisung von 1,3 Millionen EUR vom 18.9.2014? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 068 3 Zu 9.: Bei der zitierten E-Mail vom 15.04.2014 han- delt es sich um eine behördeninterne E-Mail, welche im Zusammenhang mit der behördeninternen Entscheidungs- findung über die Errichtung einer Erstaufnahmeeinrich- tung im Rohrdamm stand. Nach Angaben des LAGeSo wurde mit dieser E-Mail keine Willenserklärung gegen- über der PeWoBe abgegeben und sie steht auch in keinem Verhältnis zu der Rechnungslegung der PeWoBe für die Umbauarbeiten im Zusammenhang mit der Notunterbrin- gung. Berlin, den 15. Mai 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2015)