Drucksache 17 / 16 070 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE) vom 27. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2015) und Antwort Einführung des Vier-Augen-Prinzips und dessen Auswirkungen auf die Leistungsgewäh- rung in den Berliner Jobcentern Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft teilweise Sachverhal- te, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl um eine sachgerechte Antwort bemüht und hat daher die zuständi- ge Regionaldirektion Berlin-Brandenburg (RD BB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) um Stellungnahme gebe- ten, die bei der nachfolgenden Beantwortung berücksich- tigt ist. 1. Gibt es aktuell oder gab es in der Vergangenheit Hinweise auf einen flächendeckenden Betrug durch die Mitarbeiterschaft in den Berliner Jobcentern, wodurch die Kassensicherheit gefährdet ist/war? Wenn ja, bitte erläu- tern. Zu 1.: Es gibt keine Hinweise auf einen flächende- ckenden Betrug durch die Mitarbeiterschaft in den Berli- ner Jobcentern. 2. Ist eine Erhöhung der Kassensicherheit nach An- sicht des Senats in Berlin erforderlich? Wenn ja, warum? Zu 2.: Der Senat begrüßt grundsätzlich alle Maßnah- men, die der Erhöhung der Kassensicherheit und Bu- chungsqualität dienen. Die Leistungsträger sind nach der Bundes- bzw. Landeshaushaltsordnung verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen die Kassensicherheit zu gewähr- leisten. 3. Wie bewertet der Senat die durchgängige Umset- zung des Vier-Augen-Prinzips vor Anordnungen von Ein- und Auszahlungen infolge der Geschäftsanweisung HEGA 12/14-15 zur Erhöhung der „Kassensicherheit in den IT-Verfahren“ der Bundesagentur für Arbeit (BA), statt wie bisher per Stichproben die korrekte Leistungs- gewährung zu prüfen und nur in Einzelbereichen abwei- chend das Vier-Augen-Prinzip anzuwenden? Zu 3.: Der Berliner Senat hält die Umstellung auf das durchgängige 4-Augen-Prinzip unter gleichzeitigem Verzicht auf die durch das Bundesministerium für Finan- zen (BMF) geforderten weiteren Stichproben-Prüfungen bei der Anordnung von Zahlungen für sachgerecht und wirtschaftlich geboten. Die Einführung eines neuen IT-Verfahrens war ein notwendiger Schritt, um die Leistungsgewährung zu- kunftssicher aufzustellen. Das neue IT-Verfahren AL- LEGRO zur Durchführung der Leistungsgewährung im SGB II erfüllt die Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 SGB II (zentrales IT-Verfahren) und wurde daher im August 2014 flächendeckend in den gemeinsamen Einrichtungen (Jobcentern) eingeführt. Es löst somit sukzessive das bisherige Verfahren A2LL ab. IT-Verfahren, die Haushaltsmittel des Bundes bewirt- schaften, müssen nach den Bundesvorschriften die Kas- sensicherheit erfüllen. Die BA hat die Zustimmung beim BMF für den Einsatz des automatisierten Verfahrens ALLEGRO mit teilweiser Anwendung des 2-Augen- Prinzips beantragt (rund 60 % im 4-Augen-Prinzip; rund 40 % im 2-Augen-Prinzip). Die in diesem Zusammenhang vom BMF geforderten verstärkten monatlichen Prüf- pflichten (VISA-Prüfung) und Berichtspflichten bei Bei- behaltung des 2-Augen-Prinzips hätten zu einem deutlich höheren personellen Aufwand als die durchgehende An- ordnung im 4-Augen-Prinzip geführt. Der prognostizierte Mehraufwand, der durch die Einführung verstärkter Prüf- und Berichtspflichten entstehen würde, liegt bundesweit bei insgesamt 672 Jahreskräften (JK), der geschätzte Mehraufwand für die durchgängige Anwendung des 4- Augenprinzips dagegen bei 380-580 Jahreskräften. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde zwischen dem Bundes- ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der BA entschieden, ab 01.01.2015 das 4-Augen-Prinzip für alle Zahlungsvorgänge anzuwenden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 070 2 Der personelle Mehraufwand wird in diesem Jahr mit der Zuteilung von Ermächtigungen für befristete Beschäf- tigung aufgefangen. Für die Jahre 2016 ff soll unter Be- rücksichtigung der gesetzlich geplanten Rechts- und Ver- fahrensvereinfachungen der Aufwand verrechnet und ein verbleibender Bedarf etatisiert werden. 4. Wie groß ist derzeit der Betreuungsschlüssel im Leistungsbereich der Berliner Jobcenter jeweils (bitte nach Jobcenter aufschlüsseln)? Zu 4.: Jobcenter Betreuungsschlüssel im Leistungsbereich Berlin Neukölln 1: 129 Berlin Treptow-Köpenick 1: 120 Berlin Steglitz-Zehlendorf 1: 122 Berlin Tempelhof-Schöneberg 1: 123 Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf 1: 129 Berlin Pankow 1: 116 Berlin Reinickendorf 1: 132 Berlin Spandau 1: 114 Berlin Friedrichshain-Kreuzberg 1: 111 Berlin Mitte 1: 121 Berlin Marzahn-Hellersdorf 1: 117 Berlin Lichtenberg 1: 118 Berlin gesamt 1: 121 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, ZLP 5. Wie groß ist derzeit berlinweit der durchschnittliche Betreuungsschlüssel im Leistungsbereich der Berliner Jobcenter und wie groß ist im Vergleich dazu derzeit der bundesdurchschnittliche Betreuungsschlüssel? Zu 5.: Der berlinweit durchschnittliche Betreuungs- schlüssel im Leistungsbereich der Berliner Jobcenter liegt derzeit bei 1:121. Der bundesdurchschnittliche Betreu- ungsschlüssel liegt bei 1:111. 6. Welche Anstrengungen hat der Berliner Senat in dieser Legislatur unternommen, um den Betreuungs- schlüssel im Leistungsbereich der Berliner Jobcenter zu erhöhen und wie erfolgreich waren diese Bemühungen? Zu 6.: Der Betreuungsschlüssel im Leistungsbereich der Berliner Jobcenter lag zu Beginn der Neuorganisation des SGB II im Frühjahr 2011 durchschnittlich bei 1:139 und hat sich somit signifikant verbessert. Das Land Berlin hat im Rahmen seiner Trägerverantwortung gemeinsam mit den Agenturen für Arbeit die Anhebung der Stellen- pläne der Jobcenter in den Trägerversammlungen be- schlossen. 7. Wie groß ist der zusätzliche Personalbedarf in den Berliner Jobcentern jeweils durch die durchgängige Um- setzung des Vier-Augen-Prinzips (bitte nach Jobcenter aufschlüsseln)? Zu 7.: Alle Berliner Jobcenter haben vor Ort geprüft, ob und ggf. in welchem Umfang sie zusätzliche Personal- bedarfe zur durchgängigen Umsetzung des Vier-Augen- Prinzips sehen. Neun Berliner Jobcenter benötigen zusätz- liche Beschäftigungsmöglichkeiten, deren Umfang sie durch Beschlüsse der Trägerversammlungen festgelegt haben. Die Bedarfe gliedern sich auf die Jobcenter wie folgt auf: Personalbedarfe der gemeinsamen Einrichtung (gE) in JK gerundet Berlin Neukölln -- Berlin Treptow-Köpenick 7 Berlin Steglitz-Zehlendorf 5 Berlin Tempelhof-Schöneberg 7 Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf 9 Berlin Pankow 6,5 Berlin Reinickendorf 10 Berlin Spandau 16 Berlin Friedrichshain-Kreuzberg -- Berlin Mitte -- Berlin Marzahn-Hellersdorf 6,7 Berlin Lichtenberg 3,8 Gesamt 71 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, ZLP Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 070 3 8. Wie groß ist der zusätzliche Personalbedarf im Leistungsbereich der Berliner Jobcenter, den die Träger- versammlungen für 2015 jeweils angemeldet haben? Wie groß ist daran der Anteil des zusätzlichen Personalbe- darfs, der nur für die durchgängige Umsetzung des Vier- Augen-Prinzips angemeldet wurde (bitte nach Jobcenter aufschlüsseln)? Zu 8.: Die Berliner Jobcenter sind ausreichend mit Personalressourcen ausgestattet, weshalb es keine zusätz- lichen Anforderungen an Personal für das Haushaltsjahr 2015 gab. Allerdings hat der Träger Bundesagentur für Arbeit in 2014 – wie in den Vorjahren begonnen – weiterhin befristete Beschäftigungsmöglichkeiten in Stellen für Dauerkräfte umgewandelt, um den Anteil des Dauer- personals zu erhöhen. In 2015 erreichen die Berliner Job- center Befristungsanteile von unter 5%. Personalbedarfsanforderungen für 2015 müssen im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens bis zum Ende der ersten Hälfte des Vorjahres vorliegen. Mitte 2014 war nicht bekannt, dass ab 2015 die durchgängige Umsetzung des 4-Augen-Prinzips zu gewährleisten ist; mithin waren diesbezügliche Anforderungen nicht mög- lich. Für 2016 werden im laufenden Haushaltsaufstel- lungsverfahren allerdings entsprechende Bedarfslagen mit dem Schwerpunkt auf zusätzliche Dauerbeschäftigungs- möglichkeiten geprüft und – soweit gegeben – als Stellenanforderungen weitergemeldet. 9. Wie viele Überstunden sind in den Leistungsberei- chen der Berliner Jobcenter von Januar bis April 2015 bislang angefallen? Wie viele davon entfallen auf die durchgängige Umsetzung des Vier-Augen-Prinzips (bitte nach Jobcenter und Monat aufschlüsseln)? Zu 9.: Informationen über den Umfang von geleisteten Überstunden und deren Sachgründe liegen dem Senat nicht vor. 10. Wie viele der bundesweit 400 zusätzlichen befris- teten Beschäftigungsmöglichkeiten, welche die BA für das Jahr 2015 für die durchgängige Umsetzung des Vier- Augen-Prinzips vorgesehen hat (vgl. Bundestagsdrucksa- che 18/4379, Frage 9), sind den Berliner Jobcentern zu- gewiesen worden und wie viele davon sind bereits besetzt worden (bitte nach Anzahl und Jobcenter aufschlüsseln)? Zu 10.: Von den bundesweit 400 zusätzlichen befriste- ten Beschäftigungsmöglichkeiten hat der Bezirk Berlin- Brandenburg 64 erhalten. Davon entfielen auf die Berliner Jobcenter – nach ihrem Anteil an Leistungsberechtigten in der Grundsicherung – insgesamt 50,8 befristete Beschäftigungsmöglichkeiten . Alle die in der Tabelle zu Frage 7 aufgeführten Bedar- fe werden für 2015 etatisiert. Die dafür notwendigen 20,2 zusätzlichen befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten, die über 50,8 hinausgehen, hat der Träger BA mittlerweile zusätzlich bereitgestellt. Die Zuweisung an die Berliner Jobcenter erfolgt bedarfsgerecht, wie in der Tabelle zu Frage 7 dargestellt. Die Jobcenter sind bereits Anfang Februar 2015 über die Verfügbarkeit zusätzlicher Be- schäftigungsmöglichkeiten unterrichtet worden, um eine zügige Nutzung sicherzustellen. Zwischenzeitlich sind die diesbezüglichen Besetzungsverfahren eingeleitet und zum Teil auch schon abgeschlossen. Erkenntnisse zum Stand der Besetzungsverfahren in den einzelnen Jobcentern liegen dem Senat im Detail nicht vor. 11. Hat das Land Berlin als kommunaler Träger eige- nes Personal für die Leistungsbereiche der Berliner Job- center zur durchgängigen Umsetzung des Vier-Augen- Prinzips zur Verfügung gestellt? Wenn ja, in welcher Größenordnung je Jobcenter? Wenn nein, warum nicht (bitte nach Jobcenter aufschlüsseln)? Zu 11.: Das Land Berlin stellt als kommunaler Träger in allen Geschäftsbereichen der Jobcenter eigenes Perso- nal, so auch in den Leistungsbereichen. Ein über die von der Bundesagentur bundesweit zur Verfügung gestellten zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten hinaus beste- hender Bedarf im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Erhöhung der Kassensicherheit besteht nicht. 12. Erfolgt(e) die Verteilung der zusätzlichen Stellen in den Berliner Jobcentern jeweils unter Einbeziehung der Personalräte? Wenn nein, warum nicht? Zu 12.: Den Personalvertretungen der gemeinsamen Einrichtung stehen alle Rechte entsprechend den Rege- lungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes zu, soweit der Trägerversammlung oder der Geschäftsführung Ent- scheidungsbefugnisse in personalrechtlichen, personal- wirtschaftlichen, sozialen oder die Ordnung der Dienst- stelle betreffenden Angelegenheiten zustehen. Im Rahmen dieser gesetzlichen Bestimmungen wer- den die Personalräte der Jobcenter von den Geschäftsfüh- rungen in den Zuteilungsprozess eingebunden. 13. Liegen dem Senat Hinweise vor, dass es im Jahr 2015 aufgrund der Anweisung zum Vier-Augen-Prinzip zu verzögerten Auszahlungen an Hartz-IV-Leistungen in den Berliner Jobcentern gekommen ist? Wenn ja, in wel- chem Umfang, und welche Jobcenter waren davon jeweils betroffen? Zu 13.: Es liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor, dass es aufgrund des zum 01.01.2015 eingeführten Vier- Augen-Prinzip zu verspäteter Auszahlungen von Leistun- gen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II gekommen ist. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 070 4 14. Schätzt der Senat die Zeitplanung der Bunde- sagentur für Arbeit bezüglich der Überführung der Daten- bestände zur Leistungsgewährung im SGB II aus dem IT- Verfahren „A2LL“ in das IT-Verfahren „ALLEGRO“ als realistisch ein, und liegen ihm Hinweise vor, dass dieser Zeitplan nicht eingehalten werden kann? Wenn ja, wel- che? Zu 14.: Die Zeitplanung und organisatorische Ablauf- planung der Bundesagentur für Arbeit zur Überführung aller Leistungsfälle von dem IT-Verfahren A2LL auf das IT-Verfahren ALLEGRO in der Zeit vom 18.08.2014 bis 30.06.2015 sah die sukzessive Überführung der Leis- tungsfälle nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes vor. Dadurch wurde es den gemeinsamen Einrichtungen er- möglicht, die Überführung der Leistungsfälle in das All- tagsgeschäft zu integrieren. Hinweise, dass der Zeitplan nicht eingehalten wird, liegen nicht vor. Berlin, den 12. Mai 2015 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Mai 2015)