Drucksache 17 / 16 089 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Martin Delius (PIRATEN) vom 28. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2015) und Antwort Inklusive Bildung von Schüler*innen mit Gehörlosigkeit Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Hat der Senat bereits gemäß Artikel 24, Absatz 4 der UN-Behindertenrechtskonvention geeignete Maß- nahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind, getroffen und lehren be- reits gehörlose und blinde Lehrer*innen an Berliner Schu- len? a) Wenn ja, wie viele jeweils an welchen Schulen, an welchen Schulformen und in welchen Bezirken? b) Wenn nein, warum nicht? Zu 1.: Lehrkräfte, die in Berlin ein Studium der son- derpädagogischen Fachrichtung „Gebärdensprach-/Audiopädagogik “ absolvieren, erlernen dort auch die Deutsche Gebärdensprache. Lehrkräfte, die in Berlin ein Studium der „Blinden- und Sehbehindertenpädagogik“ absolvieren , erlernen dort auch die Brailleschrift. Diese Lehrkräfte können im Rahmen der Einstellungsverfahren in den Berliner Schuldienst übernommen und z.B. an den Schu- len mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten „Hören“ oder „Sehen“ sowie für den gemeinsamen Unterricht eingestellt werden. Es erfolgt keine statistische Er- fassung der jeweiligen sonderpädagogischen Fachrichtun- gen für die Lehrkräfte mit sonderpädagogischer Ausbil- dung, so dass die Quantifizierung nach Schulen, Schul- formen und Bezirken nicht erfolgen kann. Daten zur Behinderungsart der Lehrkräfte werden in Berlin ebenfalls nicht erfasst und sind somit für Auswer- tungen nicht verfügbar. 2. Setzt der Senat neben Sonderpädagog*innen auch staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscher*innen im inklusiven Unterricht ein, die in der Lage sind, den ge- samten Unterricht, Gruppenarbeiten, Referate usw. für gehörlose Schüler*innen zu übersetzen? a) Wenn ja, wie viele jeweils an welchen Schulen, an welchen Schulformen und in welchen Bezirken? b) Wenn nein, warum nicht? Zu 2.: Neben Sonderpädagoginnen und Sonderpäda- gogen werden auch staatlich geprüfte Gebärdensprach- dolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher im Unterricht eingesetzt. Der Einsatz erfolgt an Schulen auf Grundlage der Eingliederungshilfe nach SGB XII. Ein- gliederungshilfen nach SGB XII werden statistisch nicht erfasst und sind daher für Auswertungen nicht verfügbar. 3. Wie viele Anträge auf Kostenübernahme für Ge- bärdensprach-Dolmetscher*innen in der Regelschule wurden im letzten Schuljahr gestellt? a) Wie vielen Anträgen wurde stattgegeben? b) Für wie viele Wochenstunden wurde die Überset- zung in Deutscher Gebärdenspreche (DGS) im Schnitt ge- nehmigt? Zu 3.: Eine Kostenübernahme für Gebärdensprach- dolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher ist eine Leistung der Eingliederungshilfe nach SGB XII. Diese Leistungen werden statistisch nicht erhoben und stehen daher für eine Auswertung nicht zur Verfügung. 4. Hat der Senat Kenntnisse darüber, dass gehörlose Schüler*innen im inklusiven Unterricht der Oberstufe, auf professionelle und staatliche geprüfte Gebärdensprach- dolmetscher*innen angewiesen sind, um das Abitur zu erreichen? a) Wenn ja, was unternimmt er, um den Bedarf an Ge- bärdensprachdolmetscher*innen in der Oberstufe zu prü- fen und zu decken? Zu 4.: Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schu- len erhalten bereits Leistungen der Eingliederungshilfe durch Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärden- sprachdolmetscher. Zu 4a.: Der Antrag auf diesbezüglicher Eingliede- rungshilfe nach SGB XII wird einzelfallbezogen beim zuständigen Jugendamt gestellt und dort geprüft. Die Schule arbeitet dem Jugendamt auf Wunsch zur Beurtei- lung des pädagogischen Kontextes zu, um eine bedarfsge- rechte Leistung zu ermitteln. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 089 2 5. Ist dem Senat bewusst, dass das Abitur von gehör- losen Schüler*innen gefährdet ist, wenn weiterhin keine offiziellen Gebärdensprachdolmetscher*innen den Ober- stufenunterricht 1:1 übersetzen? Zu 5.: Unterricht in der gymnasialen Oberstufe muss für gebärdensprachlich orientierte Schülerinnen und Schüler unstrittig in Deutsche Gebärdensprache übersetzt oder aber direkt in Deutscher Gebärdensprache erteilt werden. In Berlin wird kein Unterricht für die gymnasiale Oberstufe direkt in Deutscher Gebärdensprache erteilt. 6. Wie geht der Senat, wie gehen die Bezirke und wie gehen die Schulen damit um, wenn an einer inklusiven Schule Sonderpädagog*innen mit dem Schwerpunkt Hö- ren krank sind und z.B. gehörlose Schüler*innen in der Oberstufe abiturrelevante Lerninhalte verpassen? Zu 6.: Die Organisation des Vertretungsunterrichtes erfolgt über die Schule und die kooperierende Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Hören“, um möglichst eine gebärdensprachkompetente Lehrkraft zur Vertretung einsetzen zu können. 7. Können gehörlose Schüler*innen an Berliner För- derschulen mit dem Förderschwerpunkt Hören Abitur machen, wenn sie nicht „oral erzogen“ wurden und die DGS ihr primärer Spracherwerb ist? a) Wenn nein, erhalten sie in Zukunft alle notwenigen Hilfen und 100 % Gebärdensprachübersetzung, wenn sie das Abitur an einer allgemeinen Schule absolvieren möchten? Zu 7.: Nein. Dies ist in Deutschland nur in Essen (NRW) an einem Berufskolleg mit dem sonderpädagogi- schem Förderschwerpunkt „Hören und Kommunikation“, mit angeschlossenem Internat, möglich. Zu 7a.: Eine Leistung der Eingliederungshilfe verlangt eine einzelfallbezogene Prüfung und Genehmigung, auch wenn es sich dabei um eine Gebärdensprachübersetzung handelt. 8. Ist dem Senat bewusst, dass Sonderpädagog*innen mit dem Schwerpunkt Hören aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Doppelfunktion nicht in der Lage sind, eine Übersetzung in Gebärdensprache so vorzunehmen, dass die bzw. der gehörlose Schüler*in gleichberechtigt mit den nichtbehinderten Mitschüler*innen lernen können und dass die Sonderpädagog*innen nicht die Dolmet- scherfähigkeiten mitbringen, die für eine gleichberechtig- te Teilhabe notwendig wären? Zu 8.: Dies ist dem Senat bekannt. Sonderpädagogi- sche Lehrkräfte mit entsprechender Ausbildung in Deut- scher Gebärdensprache verfügen nicht über eine Dolmet- scherausbildung und können dementsprechend nicht auf jedem Niveau übersetzen, auch nicht auf dem sprachli- chen Niveau einer gymnasialen Oberstufe. Jüngere gebär- densprachlich orientierte Schülerinnen und Schüler, die die Deutsche Gebärdensprache noch nicht sicher spre- chen, benötigen für eine gleichberechtigte Teilnahme dagegen keine Dolmetscherinnen bzw. Dolmetscher, sondern gebärdensprachkompetente sonderpädagogische Lehrkräfte, die weit über eine Übersetzungsleistung hin- aus pädagogisch wirksam werden. 9. Wie stellt der Senat sicher, dass gehörlose Schüler- *innen im inklusiven Unterricht im ausreichenden Maße die Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für die Einzelne oder den Einzelnen am besten geeignet sind, erhalten? Zu 9.: Dies erfolgt in erster Linie durch eine sonder- pädagogische Förderung durch gebärdensprachkompeten- te Lehrkräfte und gegebenenfalls darüber hinaus durch nachrangige, einzelfallbezogene Leistungen der Einglie- derungshilfe nach SGB XII. 10. Hat der Senat darüber Kenntnis, dass gehörlose Schüler*innen in der inklusiven Berliner Regelschule bessere Möglichkeiten haben das Niveau von hörenden Kindern zu erreichen als an Förderschulen mit dem För- derschwerpunkt "Hören" wie bspw. Zahlen aus anderen Bundesländern eindrücklich veranschaulichen? Zu 10.: Bislang gibt es für einen solchen Vergleich zu wenig gebärdensprachlich orientierte Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht der Berliner Schulen, um hier zu einer belastbaren Aussage im Sinne der Frage zu kommen. Daten aus anderen Bundesländern sind dem Senat dazu nicht bekannt. Berlin, den 05. Mai 2015 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Mai 2015)