Drucksache 17 / 16 098 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Stefanie Remlinger (GRÜNE) vom 29. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. April 2015) und Antwort Schulen in Bedrängnis – Stehen den Schulen Räumlichkeiten für ihre pädagogischen Konzepte zu? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welchem Zweck dienen die Musterraumprogramme für die verschiedenen Schultypen in Berlin? Zu 1.: Die Musterraumprogramme (MRP) sind eine Empfehlung für den Neubau von Schulen, um berlinweit einheitliche äußere Rahmenbedingungen unter Berück- sichtigung der Stundentafeln, der curricularen Anforde- rungen, des Bedarfs für die ergänzende Förderung und Betreuung, der Unterrichtsorganisation sowie sonstiger pädagogischer Anforderungen für die allgemein bilden- den Schulen gewährleisten zu können. Bei grundsätzli- chen Veränderungen mit Auswirkungen auf Raumres- sourcen werden sie jeweils fortgeschrieben. In den aktu- ellen MRP sind daher räumliche Rahmenbedingungen für die inklusive Beschulung bereits dargestellt (z.B. Ruhe- raum, Modul inklusive Schwerpunktschulen). Bei den MRP handelt es sich um Empfehlungen, die insbesondere in innerstädtischen Regionen und einge- schränkten Flächenressourcen sowohl bei Neubauten als auch bei Um- und Erweiterungsmaßnahmen anzupassen sind. In diesen Fällen muss in Zusammenarbeit zwischen Schule, Schulträger, Planungs- und Architekturbüro eine tragfähige Lösung entwickelt werden. Die Mehrzahl der Schulen wird jedoch nicht neu er- richtet, sondern in Bestandsgebäuden organisiert. Folge- richtig gilt das MRP nicht, da weder gebaut wird noch für die Nutzung von Standorten unterschiedlichster Größe, Baualters, Bauzustands etc. kein Einheitsprogramm vor- gegeben werden kann. Die pädagogischen Konzepte und die Unterrichtsorganisation sind mit der jeweiligen spezi- fischen Gebäude- / Standortsituation in Einklang zu brin- gen. Das MRP könnte lediglich als Orientierungsrahmen zugrunde gelegt werden. 2. Inwiefern werden Musterraumprogramme für die Festlegung der Kapazitäten bei bestehenden Schulen zugrunde gelegt, auch wenn kein Neu- oder Anbau ge- plant ist? 3. Welche weiteren Grundlagen werden für die Be- stimmung von Kapazitäten bei Schulen angewendet und durch wen? 5. Inwiefern wird in Bezug auf die Räumlichkeiten be- rücksichtigt, ob es sich um einen offenen oder gebunde- nen Ganztag handelt? Zu 2., 3. und 5.: MRP gelten für den Neubau von Schulen; der Festlegung von Kapazitäten der Bestandsge- bäude werden sie nicht zugrunde gelegt. Für die quantitative, berlinweit einheitliche Bewertung vorhandener Schulgebäude gelten jeweils Raum- Zug- Faktoren; z.B. für Grundschulen mit offenem Ganztags- betrieb 11,5 anrechenbare Räume/Zug. Aufgrund der höheren Teilnehmerzahlen beträgt der Faktor bei gebun- denem Ganztagsbetrieb 12,5 Räume/Zug. Sofern einer Grundschule 11,5 anrechenbare Räume sowie darüber hinaus weitere (nicht anrechenbare) Räume zur Verfügung stehen, können Unterricht und unterrichts- ergänzende Ganztagsangebote optimal organisiert wer- den. Dem liegt zugrunde, dass 6 Räume ausschließlich als Klassenraum (Stammklassenraum) und 5,5 – 6,5 Räume sowohl für Unterricht als auch für die ergänzende Förde- rung und Betreuung zu nutzen sind. Sowohl offene als auch gebundene Ganztagsschulen müssen so konzipiert werden, dass sich die Kinder und Jugendlichen dort den ganzen Tag wohl fühlen und mitei- nander leben und lernen können, aber auch die vorhande- nen Raumressourcen unter Berücksichtigung des für die ergänzende Förderung und Betreuung zur Verfügung stehenden Personals optimal genutzt werden. Die Schule sollte ganztägig ein Lern- und Lebensort für Kinder und Jugendliche sein. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 098 2 Die Ganztagsschule hat das Potenzial durch vielfältige unterrichtsergänzende Angebote individuelle motivie- rende Förderung über den ganzen Tag zu gestalten. Dazu ist es jedoch nicht erforderlich, jeder Lerngruppe einen zusätzlichen Raum zuzuordnen, sondern individuelle motivierende Angebote können auch in anderen Räumen wie Werkstätten und Sporthallen gemacht werden. Welche unterrichtsergänzenden Angebote am besten passen, muss jede Schule eigenverantwortlich, jedoch unter Berücksichtigung geltender Rechts- und Verwal- tungsvorschriften, Ressourcen, baulichen Gegebenheiten und regionalen Grundschulbedarfs entscheiden. Auf der Grundlage des Lern- und Förderkonzepts der Schule ent- wickeln die Schulen ein Raumkonzept und stimmen die- ses mit dem Schulträger und der regionalen Schulaufsicht ab. 4. Nach welchen Kriterien und durch wen wird be- stimmt, welche Räume als Klassenräume geeignet sind? Zu 4.: Für Klassenräume wird beim Neubau eine Grö- ße von 60 – 65 m2 empfohlen. Dem liegt ein Richtwert von 1,7 – 2,0 m2 pro Platz, eine maximale Belegung von 30 Plätzen (aktuelle Durchschnittsfrequenzen: Grund- schule = 22,4 Schüler/Klasse, Mittelstufe der Integrierte Sekundarschulen - Sek I - 23,4 Schüler/Klasse) zugrunde. Bei der Bewertung von Bestandskapazitäten werden unter Berücksichtigung der jeweiligen Frequenzen (Klassen- verband oder Teilungsgruppen) Unterrichtsräume zwi- schen rd. 40 und 65 m 2 für Lerngruppen genutzt. Verein- zelt kann auch die Möglichkeit bestehen, dass ein optima- ler Raumzuschnitt oder eine geringe Gruppengröße klei- nere Räume zulässt. Zu berücksichtigen sind grundsätz- lich immer die realen Strukturen, d.h. auch Belichtung, Belüftung (Raumhöhe) etc., so dass ggf. auch größere Räume nicht als Klassenräume geeignet sind. 6. Inwiefern werden besondere pädagogische Kon- zepte sowie Inklusionsanforderungen in Bezug auf Fest- legungen zu Räumlichkeiten und Kapazitäten berücksich- tigt? Zu 6.: Wie o.a. beinhalten die Raum-/Zug-Faktoren bereits die zusätzlichen Anforderungen an die inklusive Beschulung. Sollte eine Grundschule über den Standard hinaus und unter Berücksichtigung der genannten Rah- menbedingungen mehr Räume in Anspruch nehmen wol- len, als die Nachbarschulen und andere Schulen im Land Berlin, steht dem nach Maßgabe der im Bezirk vorhande- nen räumlichen und finanziellen Ressourcen grundsätz- lich nichts entgegen. 7. Wie wird eine Hortbetreuung in Bezug auf die Räumlichkeiten berücksichtigt und inwiefern hält der Senat eine Hortbetreuung in den Klassenräumen für ver- tretbar? Zu 7.: In den Klassenräumen sollte keine ergänzende Förderung und Betreuung erfolgen. Dies ist bei optimaler Nutzung aller vorhandenen Ressourcen auch nicht erfor- derlich. Es gibt jedoch auch Schulen, deren pädagogi- sches Ganztagsschulkonzept dies ausdrücklich vorsieht. Die darüber hinaus vorhandenen anrechenbaren sowie nicht anrechenbaren Räume und auch die gedeckten und ungedeckten Sportanlagen sollen vollumfänglich für Un- terricht und ergänzende Förderung und Betreuung genutzt werden. 8. Welche Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten exis- tieren, um nicht vorgesehene Hortbetreuungen in Klassen- räumen zu unterbinden, und wer kann diese nutzen? Zu 8.: Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten sind nicht vorgesehen, da bei der standardisierten Bewertung der Schulgebäudekapazitäten die Doppelnutzung von Klassenräumen nicht zwingend vorgesehen ist. Wenn das Lern- und Förderkonzept einer Ganztagsschule es vor- sieht, Klassenräume ganztägig für Bildungsangebote zu nutzen, gibt es keinen Grund dies zu unterbinden. Sollte es im konkreten Einzelfall Probleme geben, stehen so- wohl die regionale Schulaufsicht als auch der Schulträger für die Beratung bei der Gestaltung oder Optimierung eines Raumnutzungskonzeptes unterstützend zur Verfü- gung. 9. Inwiefern sind dem Senat Fälle bekannt, bei denen Schulen aufgrund unzureichender räumlicher Gegeben- heiten oder Veränderungen bei den veranschlagten Kapa- zitäten ihre pädagogischen Konzepte aufgeben oder ein- schränken mussten? 10. Welche Möglichkeiten haben die Schulen, gegen Festlegungen zu Räumlichkeiten und Kapazitäten durch den Bezirk vorzugehen, wenn diese ihr pädagogisches Konzept oder ihr Schulprogramm gefährden und inwie- fern sind diese Fragen rechtlich zu bewerten? Zu 9. und 10.: Die öffentlichen Schulen sind keine rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts. Die vorgenannten Fragen sind nicht rechtlich zu bewerten. In wenigen Einzelfällen kann es ggf. erforderlich sein, pädagogische Konzepte an veränderte Raumressourcen anzupassen (temporär oder auch dauerhaft). Auch in die- sen Fällen besteht die Möglichkeit der Unterstützung durch die regionale Schulaufsicht und die Schulträger, um verschiedene Varianten abzuwägen und gemeinsam eine für alle Beteiligten tragfähige Lösung zu erarbeiten. Berlin, den 12. Mai 2015 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2015)