Drucksache 17 / 16 101 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 28. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. April 2015) und Antwort Prozesskostenhilfe in Berlin – Was bringt die Reform? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch waren die Aufwendungen des Landes Berlin für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) in den Jahren 2012 bis 2015 (bitte ordentliche Gerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit, Verwaltungsge- richtsbarkeit und Arbeitsgerichtsbarkeit gesondert aus- weisen)? Zu 1.: Gerichtsbarkeit 2012 2013 2014 2015 Stand: 30.04.2015 ordentliche Gerichtsbarkeit 13.483.928 € 12.997.149 € 13.370.139 € 4.393.949 € Sozialgerichtsbarkeit 1.918.841 € 1.978.732 € 2.203.793 € 1.077.213 € davon: Sozia lgericht Berl in 1.849.506 € 1.894.011 € 2.069.392 € 1.018.652 € Landessozia lgericht Berl in-Brandenburg 69.335 € 84.721 € 134.401 € 58.561 € Verwaltungsgerichtsbarkeit 404.920 € 333.811 € 426.427 € 156.311 € davon: Verwaltungsgericht Berl in 399.948 € 329.793 € 422.322 € 147.852 € Oberverwaltungsgericht Berin-Brandenburg 4.972 € 4.018 € 4.105 € 8.459 € Arbeitsgerichtsbarkeit 2.211.357 € 2.240.498 € 2.595.396 € 877.620 € davon: Arbeitsgericht Berl in 2.160.758 € 2.193.993 € 2.538.001 € 853.059 € Landesarbeitsgericht Berl in-Brandenburg 50.599 € 46.505 € 57.395 € 24.561 € Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 101 2 2. Wie erklärt sich der Senat die Entwicklung in den Jahren 2012 bis 2015, insbesondere im Hinblick auf die Reform der Prozesskostenhilfe zum 01.01.2014? Zu 2.: Der Senat hält die bisher vorliegenden Zahlen nicht für ausreichend aussagekräftig, um die Auswirkun- gen der Reform der Prozesskostenhilfe zum 1. Januar 2014 beurteilen zu können. § 40 Einführungsgesetz Zivil- prozessordnung (EGZPO) enthält eine Übergangsrege- lung, nach der für einen Rechtszug das bis zum 31. De- zember 2013 geltende Recht anwendbar ist, wenn die Partei vor dem 1. Januar 2014 für einen Rechtszug Pro- zesskostenhilfe beantragt hat. Unerheblich ist, wann das Gericht über den Prozesskostenhilfeantrag entscheidet oder wann die sich daraus ergebenden Ausgaben anfallen. Die Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe in den Jahren 2014 und 2015 beruhen deshalb teilweise auf dem vor Inkrafttreten der Reform geltenden Recht. Die Verfahrenszahlen (Anzahl der Verfahren, in denen Prozesskostenhilfe bewilligt wurde) stellen sich rückläu- fig dar. Im Jahr 2012 wurde in 20.926 Fällen Prozesskos- tenhilfe bewilligt, im Jahre 2014 waren es nur noch 18.534 Fälle. Aufgrund des 2. Kostenrechtsmodernisie- rungsgesetzes, welches unter anderem eine Anhebung der Anwaltsvergütung zur Folge hatte, bleiben die Ausgaben jedoch auf dem Niveau der vergangenen Jahre. Steigende Fallzahlen verzeichnen lediglich die Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit. Ursachen hierfür sind die konstant hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht und die zu- nehmenden Asylverfahren. 3. Hat die in der Antwort zur Kleinen Anfrage „Entwicklung der Prozesskostenhilfe in Berlin“ (Drucksache 17/10860) erwähnte Arbeitsgruppe, die seit Juni 2012 besteht, mittlerweile Vorschläge zu einer gesonderten Erfassung zurückgezahlter Prozesskostenhilfe erarbeitet; falls nein, warum nicht und falls ja, wie hoch waren die Rückflüsse aus zuvor gewährter Prozesskostenhilfe in den Jahren 2013, 2014 und 2015? Zu 3.: Auf Vorschlag der erwähnten Arbeitsgruppe wurde nach erfolgter Abstimmung mit der Senatsverwal- tung für Finanzen zum 1. Januar 2015 ein gesonderter Einnahmetitel (119 12) eingerichtet. Darin sollen künftig sämtliche Rückflüsse aus zuvor gewährter Prozesskosten- hilfe erfasst und vereinnahmt werden. Aussagen zur Höhe der Rückflüsse aus zuvor gewährter Prozesskostenhilfe werden daher erst für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2015 möglich sein. Allerdings ist der Anteil an gewährter Prozesskostenhilfe mit Raten (denn nur in diesen Fällen erfolgt überhaupt ein Rückfluss) eher gering. In der Sozi- algerichtsbarkeit wird durchschnittlich (2012 bis 2014) in 0,55 % der Fälle Prozesskostenhilfe mit Raten bewilligt. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt diese Quote bei durchschnittlich 3,74 %. Bei der Arbeitsgerichtsbarkeit beläuft sich die Quote auf 8,78 % (Durchschnitt 2012 und 2013). In der ordentlichen Gerichtsbarkeit erfolgt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Raten in etwa 10 % der Fälle. 4. Hat die in Frage 3) erwähnte Arbeitsgruppe mitt- lerweile Vorschläge dazu erarbeitet, wie eine gesonderte Erfassung der Zahlung an beigeordnete Rechtsanwälte erfolgen kann; falls ja, wie hoch war der Anteil der ge- währten Prozesskostenhilfe, der durch beigeordnete Rechtsanwälte (ohne Pflichtverteidiger) bedingt ist, in den Jahren 2012 bis 2015? Zu 4.: Die unter Ziffer 1 dargestellten Ausgaben geben ausschließlich die Kosten für beigeordnete Rechtsanwäl- tinnen und Rechtsanwälte wieder. 5. Welche weiteren Ergebnisse hat die Arbeitsgruppe gegebenenfalls erarbeitet? Zu 5.: Der Auftrag der Arbeitsgruppe lautet, Vor- schläge zur Herstellung von mehr Transparenz im Justiz- haushalt zu erarbeiten. Über die Rückflussproblematik bei gewährter Prozesskostenhilfe hinaus wird geprüft, inwie- weit eine weitere Spezifizierung der einzelnen Einnahme- bereiche (z. B. Grundbuch, Nachlass, Register, Zivilpro- zess etc.) möglich ist. Die Prüfung ist noch nicht abge- schlossen. 6. Sieht der Senat weiteren gesetzgeberischen Hand- lungsbedarf in Bezug auf die Prozesskostenhilfe; falls ja, in welchem Bereich sind Änderungen notwendig und welche Einsparpotentiale ergeben sich daraus? Zu 6.: Der Senat sieht derzeit vorrangig im Bereich der Freibeträge Handlungsbedarf. Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Zivilprozessordnung richten sich die Freibeträge (Grundfreibetrag, Erwerbstätigenfreibetrag, Freibeträge für Ehegatten/Lebenspartner, Freibeträge wegen sonstiger gesetzlicher Unterhaltspflichten) nach dem jeweils höchs- ten Regelsatz, der nach der Anlage zu § 28 Sozialgesetz- buch (SGB) XII festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist. Als Regelsätze im Sinne der Anlage zu § 28 SGB XII gelten gemäß § 29 SGB XII auch durch Bundesländer oder örtliche Träger der Sozialhilfe (Gemeinden bzw. Landkreise) festgesetzte oder fortgeschriebene Regelsät- ze. Dies bedeutet: Sobald ein Land, ein Landkreis oder eine Gemeinde eine Abweichung nach oben vornimmt, die sich sozialhilferechtlich nur regional auswirkt, richten sich danach im Prozesskostenhilferecht die Freibeträge im gesamten Bundesgebiet. Da die Stadt München wegen der besonders hohen örtlichen Lebenshaltungskosten seit 2012 für ihr Gebiet kontinuierlich erhöhte Regelsätze beschlossen hat, sind die Freibeträge des Prozesskosten- hilferechts im gesamten Bundesgebiet entsprechend ange- stiegen. Der Senat hält es für geboten, zur Harmonisie- rung von Sozialhilfe- und Prozesskostenhilferecht § 115 ZPO dahingehend zu ändern, dass für die Freibeträge die am Wohnort der jeweiligen Partei geltenden Regelsätze maßgeblich sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 101 3 Die 85. Konferenz der Justizministerinnen und Jus- tizminister am 25. und 26. Juni 2014 hat eine Länderar- beitsgruppe unter Beteiligung Berlins damit beauftragt, die finanziellen Auswirkungen der aktuellen Gesetzeslage zu ermitteln und über das Ergebnis zu berichten (TOP I.4). Dieser Bericht wird derzeit erarbeitet. Im Übrigen sieht es der Senat als Daueraufgabe an, einerseits sicherzustellen, dass der Zugang zum Recht allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von Einkom- men und Vermögen eröffnet ist, und andererseits die Belastungen des Justizhaushalts durch Prozesskostenhil- febewilligungen auf das Notwendige zu begrenzen. Der Senat beobachtet deshalb zusammen mit den anderen Ländern und dem Bund die Entwicklung und wird auch in Zukunft fachlich begründete Initiativen im Bereich des Prozesskostenhilferechts unterstützen. Berlin, den 12. Mai 2015 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Mai 2015)